Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Louvre-Ableger im Arabisch-Persischen Golf

09-2014

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Im diesjährigen Hochsommer sorgte der altehrwürdige Louvre in französischen Medien wieder einmal für Berichte und Diskussionen. Anlass dazu war nicht nur die Ratteninvasion auf den Rasenflächen, jene Plage, die das Pariser Museum seit kurzem heimsucht und die Boulevardpresse beschäftigt. Am letzten Montag im Juli ging auch die dreimonatige Ausstellung zu Ende, bei der 160 wertvolle Objekte gezeigt wurden, die ab dem kommenden Jahr im Louvre-Ableger in den Vereinigten Arabischen Terminen zu sehen sein werden. Das Ende der temporären Ausstellung leitet nunmehr den Transfer der Kulturwerke an den Arabisch-Persischen Golf ein. Dazu fanden, zum Ausklang der Exposition, nochmals Radiosendungen und Gesprächsrunden statt.

Die Leitung des Louvre hat in den letzten Jahren eine Politik verfolgt, die darauf hinausläuft, Dependancen des legendären Pariser Museums – und früheren Königspalasts, bis zum Auszug Ludwig des XIV. nach Versailles – in anderen Städten der Welt zu errichten. Kultureller Austausch soll so erleichtert werden, und vor allem sollen die ausgestellten Kunst- und Kulturschätze auch anderen als nur den Einwohnern europäischer Hauptstädte und deren Besuchern näher gebracht werden. Als erstes wurde im Dezember 2012 der Louvre-Lens im früheren nordfranzösischen Bergbaurevier eingeweiht, in Partnerschaft mit dem Städteverbund von Lens und Liévin. Er steht auf dem Gelände eines früheren Steinkohlebergwerks, und die Anfahrt dorthin wird mit vergünstigten Bahnfahrkarten zum Sondertarif gefördert.

Der nächste „auswärtige Louvre“, dessen Einweihung im kommenden Jahr 2015 in Abu Dhabi – der Hauptstadt eines der sieben Vereinigten Emirate sowie ihres gemeinsamen Staatenbunds - stattfinden soll, wird nicht mit der Eisenbahn anzufahren sein. Bahnlinien gibt es dort nicht, und viele Besucher werden möglicherweise ohnehin eher mit Luxuslimousinen vorfahren. Die letzten 500 Meter werden alle Interessenten allerdings mit dem Schiff zurücklegen müssen, denn der „Louvre Abu Dhabi“ wird derzeit auf einer vorgelagerten künstlichen Insel mit dem Namen Saadiyat errichtet. Direkt daneben sollen bis 2016 das Nationalmuseum Zayed, und bis im Jahr 2017 ein Ableger des New Yorker Guggenheim-Museums entstehen. Letzterer soll größer ausfallen als die beiden bisher bestehenden Museen in New York und Berlin, die der Guggenheim-Stiftung gehören.

Wenn die reichen Golfmonarchien einkaufen, dann gleich richtig, und mehrere prominente Namen auf einmal. Dabei sind in den letzten Jahren Projekte im Gesamtumfang von dreißig Milliarden Dollar storniert worden. Die internationale Finanzkrise hatte ab 2008/09 auch die Golfstaaten erfasst, kurz nach der Fertigstellung des Hochhauses der Superlative unter dem Namen Bordj Dubai (Dubai-Turm) oder Bordj Khalifa, der in der größten Stadt der Vereingten Arabischen Emirate – Dubai, des ewigen Rivalen von Abu Dhabi – liegt und bis jetzt das höchste Gebäude der Welt darstellt. Doch in den Golfstaaten handelt es sich um Sparen auf hohem Niveau, das den Weiterbau von gigantischen Prestigeprojekten nicht ausschließt. Lediglich ein wenig zeitliche Verspätung hat der Louvre Abu Dhabi erfahren, denn ursprünglich sollte er bereits 2013 oder 2014 eingeweiht werden.

Die Grundsteinlegung erfolgte im Januar des Jahres 2013, kurz nachdem Staatspräsident François Hollande am 15. Januar 13 persönlich die Baustelle besucht hatte. Bis im Dezember 2015 soll nun die Fertigstellung erfolgen. Aber im Vorfeld, als da Bauvorhaben sich noch im Projektstadium befand, hatte es in Frankreich Anlass zu erbitterten Polemiken gegeben. Vor der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags zwischen Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Frühjahr 2007 hatten 5.100 Museumskuratoren, Kunsthistoriker und andere Mitarbeiter des Kultursektors eine Petition gegen das Vorhaben unterzeichnet.

Neben generellen Vorbehalten gegen den Verkauf der Nutzungsrechte an dem prominenten Namen „Louvre“ – die Petitionäre schreiben dazu kurz und bündig: „Die Museen sind nicht zu verkaufen!“ – wandten sie sich auch gegen die Auswahl des Standorts, in einem der arabischen Golfstaaten. Abu Dhabi sei, so wurde eingewandt, wie anderen neureiche Kleinstaaten am Golf, ein Land ohne kulturelle Infrastruktur. Im ganzen Land gebe es so gut wie keine Buchhandlungen, sondern nur Zeitungsläden – wobei die Zeitungen von geringem Interesse seien, da alle Medien der Zensur unterliegen. Die Zensur ist sehr tatsächlich gegenwärtig in Abu Dhabi, wo politische Parteien ebenso wie Gewerkschaften verboten sind und der Monarch weitgehend autokratisch Entscheidungen trifft.

Konkret wurde befürchtet, dass die Verantwortlichen in Abu Dhabi die Kunstgegenstände aus Frankreich sehr selektiv in den „exportierten“ Louvre aufnehmen würden. Dieser soll den Verträgen zufolge zunächst zehn Jahre lang mit Leihgaben aus französischen Museen funktionieren – die Rede ist von 300 Gegenständen aus dem Pariser Louvre, die alle zwei Jahre wechseln sollen, sowie vier temporären Ausstellungen pro Jahr -, bevor es genügend eigene Erwerbungen gemacht haben dürfte. Die Kritiker nahmen jedoch an, dass etwa Gemälde mit Nacktdarstellungen oder aber religiösen Themen, die im Zusammenhang mit anderen Glaubensvorstellungen als denen des orthodoxen Islam stehen, abgelehnt oder zensiert werden könnten. Die emi­ratische Seite sicherte zwar zu, dass sie keine Leihgaben „aus unvernünftigen Gründen“ ablehnen werde. Aber es blieb zunächst offen, was vernünftig oder unvernünftig sein könnte.

Stützen konnten sich solche Befürchtungen auf real existierende Praktiken in den umliegenden reaktionären Golfmonarchien. Das benachbarte Qatar hat etwa eine Ausstellung zum Thema Sport, die dort von April bis Juni 2013 stattfand und dazu dienen sollte, die qatarische Olympiabewerbung für 2024 zu unterstützen – bereits zwei Jahre zuvor wird dort die übernächste Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen werden -, zensiert. Zuvor hatte die Golfmonarchie sich Ausstellungsgegenstände in Griechenland ausgeliehen, dem „Erfinder“land der Olympischen Spiele. Doch, oh Schreck, die Statuen mit den Darstellungen griechischer Athleten aus der Antike zeigten diese Figuren nackt - die Sportler im Altertum waren nun einmal in diesem Aufzug angetreten. Die Ausstellung fand daraufhin mit einer Hälfte leerer Schaukästen sowie einem zensierten Katalog, in dem zahlreiche Exponate fehlten, statt.

Zuvor war im Oktober 2010 der Rektor des Lycée Voltaire - einer prestigereichen französischen Oberschule - in Qatar, Jean-Pierre Brosse, von der Staatsanwaltschaft vorgeladen und mit zehn Jahren Haft bedroht worden. Praktischerweise ist der Generalstaatsanwalt, Al-Marri, zugleich auch Vorsitzender des qatarischen Beirats der „importierten“ französischen Schule. Brosse wurden angebliche Verstöße gegen die qatarische ultrakonservative Staatsideologie vorgeworfen. Von Erwähnungen der Geschichte des Christentums in Schulbüchern, während qatarische Schüler erst ab 18 Jahren von der Existenz anderer Religionen als des orthodoxen Islam unterrichtet werden sollen, über Abbildungen kopulierender Pferde bis zum Auftauchen eines unschuldigen Lieds namens „Die drei Schweinchen“. Jean-Pierre Brosse zog die vorschnelle Ausreise, die ihm nahe gelegt worden war, einer Inhaftierung vor. Im Januar 2014 wurde bekannt, dass die Pariser Regierung der von Frankreich abhängigen Schule in Qatar nunmehr erlaubt, die Scharia ins Unterrichtsprogramm aufzunehmen.

Wer allerdings glaubte, befürchtete oder auch erhoffte, ähnliche ideologische Auflagen würden nun auch dem Louvre in Abu Dhabi widerfahren, sieht sich ge- oder enttäuscht. Die Konzeption des Museums am Golf hat solchen Erwartungen, wenn sie denn an das Louvre-Projekt gerichtet worden sein sollten, widerstanden.

Wer die Ausstellung durchlief, die in Paris vom 02. Mai bis Ende Juli 2014 zu sehen war und deren Objekte nun für die Reise an den Arabisch-Persischen Golf verpackt werden, konnte entdecken: Die ausgewählten Kulturgegenstände sind absolut nicht für Anhänger eines „orthodoxen Islam“ auf Linie gebracht worden. Die Ausstellung beginnt mit einer Kulturgeschichte der Region rund um die Vereinigten Arabische Emirate selbst, die die meisten ihrer Einwohner nicht kennen dürften. Haben die Länder des 1971 gegründeten Staatenbunds heute ein Profil, das einen ultrakonservativen islamischen Puritanismus, Faszination für – möglichst in Bergen vorhandenes - Geld und kulturelles Banausentum miteinander kombiniert, so weist die Region in Wirklichkeit eine mehrtausendjährige Kulturgeschichte auf. Und zwar der Handelswege, die von hier über das Arabische Meer und den Indischen Ozean nach Indien und China, aber auch auf dem Landweg nach Persien und Zentralasien führten. Die vorislamischen Hochkulturen der Region mit ihren Statuen, Männer- und Frauenfiguren, Keramiken und Kultgegenständen werden ausführlich gewürdigt. Schon dies ist ein Schlag ins Gesicht für einen islamischen Puritanismus, dessen Auffassung zufolge es vor der Ankunft nichts Hochentwickeltes in den betreffenden Ländern gegeben haben kann.

Die Abteilung für religiöse oder religiös inspirierte Kunst legt Wert darauf, Austauschbewegungen zwischen den Kulturräumen früherer geschichtlicher Perioden und gegenseitige Beeinflussung aufzuzeigen. Dabei wird der Beitrag nicht nur der drei monotheistischen „Buchreligionen“ aufgezeigt, sondern auch jener von Hinduismus, Buddhismus und früheren polytheistischen Religionen, die alles andere als abwertend dargestellt werden. Aus der Sicht eines orthodoxen Islam eigentlich unakzeptabel, denn zwar können die beiden anderen „Buchreligionen“ aus seiner Sicht Akzeptanz finden, aber auf keinen Fall „heidnische“ Religionen mit mehreren Göttern. Zudem finden sich Exponate mit religiösen Figuren, etwa aus dem heutigen Mali, bei denen ausgeprägte, ja überdimensionierte Geschlechtsteile zu sehen sind. Ebenso wie auf den altgriechischen Vasen, die anders als in Qatar nicht zensiert wurden.

In ihrem Schlussteil, nach einer Führung durch die europäische Renaissance und die moderne Kunst, endet die Ausstellung auf die Feststellung, heute gebe es keine geschlossenen Kulturräume mehr, sondern ohne einen stetigen Austausch könne kein kulturelles Schaffen mehr stattfinden. Auch die moderne und abstrakte Kunst, repräsentiert etwa durch den unlängst verstorbenen US-Künstler Cy Twombly, kommt nicht zu kurz.

Die Ausstellung, und damit das Projekt des Louvre in Abu Dhabi, hat also falsche Kompromisse deutlich vermieden. Andere Kritikpunkte wird das Bauvorhaben sich nicht ersparen können. Anders als die New York University sowie die Guggenheim-Stiftung, die beide derzeit Ableger in dem Golfstaat aufbauen, hat der französische Louvre keinerlei Vertragsklauseln aufsetzen lassen, die Mindestbedingungen für die zum Bau eingesetzten Arbeitskräfte und deren Kontrolle vorschreiben. Dies wurde anlässlich von Hollandes Besuch vor anderthalb Jahren durch Human Rights Watch scharf kritisiert.

Ähnlich wie andere Golfstaaten sind die Vereinigten Arabischen Emirate bevölkerungsarm – Abu Dhabi zählt 600.000, der gesamte Staatenbund vier Millionen Einwohner -, und achtzig Prozent ihrer Bevölkerung bestehen aus Arbeitsmigranten meist aus Süd- und Südostasien. Diese arbeiten oft unter nahezu sklavenähnlichen Bedingungen, zumal sie an einen Einheimischen als „Vormund“ gebunden sind, der meistens den Pass einbehält und ihnen ein Exit Visum ausstellen muss, ohne welches eine legale Ausreise oder das Überweisen von Geld an die Familie zu Hause unmöglich ist. Er kann also einen Arbeitsplatzwechsel ebenso verweigern wie die freiwillige Rückkehr ins Heimatlands. Das Projekt des Louvre-Baus droht von diesen Verhältnissen objektiv zu profitieren. Damit stellt sich die Frage, wer in den Genuss der Kunstwerke kommen wird, und zu welchem Preis, für sich und Andere.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.