Im diesjährigen Hochsommer sorgte
der altehrwürdige Louvre in französischen Medien wieder einmal
für Berichte und Diskussionen. Anlass dazu war nicht nur die
Ratteninvasion auf den Rasenflächen, jene Plage, die das Pariser
Museum seit kurzem heimsucht und die Boulevardpresse
beschäftigt. Am letzten Montag im Juli ging auch die
dreimonatige Ausstellung zu Ende, bei der 160 wertvolle Objekte
gezeigt wurden, die ab dem kommenden Jahr im Louvre-Ableger in
den Vereinigten Arabischen Terminen zu sehen sein werden. Das
Ende der temporären Ausstellung leitet nunmehr den Transfer der
Kulturwerke an den Arabisch-Persischen Golf ein. Dazu fanden,
zum Ausklang der Exposition, nochmals Radiosendungen und
Gesprächsrunden statt.
Die Leitung des Louvre hat in den
letzten Jahren eine Politik verfolgt, die darauf hinausläuft,
Dependancen des legendären Pariser Museums – und früheren
Königspalasts, bis zum Auszug Ludwig des XIV. nach Versailles –
in anderen Städten der Welt zu errichten. Kultureller Austausch
soll so erleichtert werden, und vor allem sollen die
ausgestellten Kunst- und Kulturschätze auch anderen als nur den
Einwohnern europäischer Hauptstädte und deren Besuchern näher
gebracht werden. Als erstes wurde im Dezember 2012 der
Louvre-Lens im früheren nordfranzösischen Bergbaurevier
eingeweiht, in Partnerschaft mit dem Städteverbund von Lens und
Liévin. Er steht auf dem Gelände eines früheren
Steinkohlebergwerks, und die Anfahrt dorthin wird mit
vergünstigten Bahnfahrkarten zum Sondertarif gefördert.
Der nächste
„auswärtige Louvre“, dessen Einweihung im kommenden Jahr 2015 in
Abu Dhabi – der Hauptstadt eines der sieben Vereinigten Emirate
sowie ihres gemeinsamen Staatenbunds - stattfinden soll, wird
nicht mit der Eisenbahn anzufahren sein. Bahnlinien gibt es dort
nicht, und viele Besucher werden möglicherweise ohnehin eher mit
Luxuslimousinen vorfahren. Die letzten 500 Meter werden alle
Interessenten allerdings mit dem Schiff zurücklegen müssen, denn
der „Louvre Abu Dhabi“ wird derzeit auf einer vorgelagerten
künstlichen Insel mit dem Namen Saadiyat errichtet. Direkt
daneben sollen bis 2016 das Nationalmuseum Zayed, und bis im
Jahr 2017 ein Ableger des New Yorker Guggenheim-Museums
entstehen. Letzterer soll größer ausfallen als die beiden bisher
bestehenden Museen in New York und Berlin, die der
Guggenheim-Stiftung gehören.
Wenn die reichen Golfmonarchien einkaufen,
dann gleich richtig, und mehrere prominente Namen auf einmal.
Dabei sind in den letzten Jahren Projekte im Gesamtumfang von
dreißig Milliarden Dollar storniert worden. Die internationale
Finanzkrise hatte ab 2008/09 auch die Golfstaaten erfasst, kurz
nach der Fertigstellung des Hochhauses der Superlative unter dem
Namen Bordj Dubai (Dubai-Turm) oder Bordj Khalifa,
der in der größten Stadt der Vereingten Arabischen Emirate –
Dubai, des ewigen Rivalen von Abu Dhabi – liegt und bis jetzt
das höchste Gebäude der Welt darstellt. Doch in den Golfstaaten
handelt es sich um Sparen auf hohem Niveau, das den Weiterbau
von gigantischen Prestigeprojekten nicht ausschließt. Lediglich
ein wenig zeitliche Verspätung hat der Louvre Abu Dhabi
erfahren, denn ursprünglich sollte er bereits 2013 oder 2014
eingeweiht werden.
Die Grundsteinlegung erfolgte im
Januar des Jahres 2013, kurz nachdem Staatspräsident François
Hollande am 15. Januar 13 persönlich die Baustelle besucht
hatte. Bis im Dezember 2015 soll nun die Fertigstellung
erfolgen. Aber im Vorfeld, als da Bauvorhaben sich noch im
Projektstadium befand, hatte es in Frankreich Anlass zu
erbitterten Polemiken gegeben. Vor der Unterzeichnung des
Grundlagenvertrags zwischen Frankreich und den Vereinigten
Arabischen Emiraten im Frühjahr 2007 hatten 5.100
Museumskuratoren, Kunsthistoriker und andere Mitarbeiter des
Kultursektors eine Petition gegen das Vorhaben unterzeichnet.
Neben
generellen Vorbehalten gegen den Verkauf der Nutzungsrechte an
dem prominenten Namen „Louvre“ – die Petitionäre schreiben dazu
kurz und bündig: „Die Museen sind nicht zu verkaufen!“ – wandten
sie sich auch gegen die Auswahl des Standorts, in einem der
arabischen Golfstaaten. Abu Dhabi sei, so wurde eingewandt, wie
anderen neureiche Kleinstaaten am Golf, ein Land ohne kulturelle
Infrastruktur. Im ganzen Land gebe es so gut wie keine
Buchhandlungen, sondern nur Zeitungsläden – wobei die Zeitungen
von geringem Interesse seien, da alle Medien der Zensur
unterliegen. Die Zensur ist sehr tatsächlich gegenwärtig in Abu
Dhabi, wo politische Parteien ebenso wie Gewerkschaften verboten
sind und der Monarch weitgehend autokratisch Entscheidungen
trifft.
Konkret wurde befürchtet, dass die
Verantwortlichen in Abu Dhabi die Kunstgegenstände aus
Frankreich sehr selektiv in den „exportierten“ Louvre aufnehmen
würden. Dieser soll den Verträgen zufolge zunächst zehn Jahre
lang mit Leihgaben aus französischen Museen funktionieren – die
Rede ist von 300 Gegenständen aus dem Pariser Louvre, die alle
zwei Jahre wechseln sollen, sowie vier temporären Ausstellungen
pro Jahr -, bevor es genügend eigene Erwerbungen gemacht haben
dürfte. Die Kritiker nahmen jedoch an, dass etwa Gemälde mit
Nacktdarstellungen oder aber religiösen Themen, die im
Zusammenhang mit anderen Glaubensvorstellungen als denen des
orthodoxen Islam stehen, abgelehnt oder zensiert werden könnten.
Die emiratische Seite sicherte zwar zu, dass sie keine
Leihgaben „aus unvernünftigen Gründen“ ablehnen werde. Aber es
blieb zunächst offen, was vernünftig oder unvernünftig sein
könnte.
Stützen konnten sich solche
Befürchtungen auf real existierende Praktiken in den umliegenden
reaktionären Golfmonarchien. Das benachbarte Qatar hat etwa eine
Ausstellung zum Thema Sport, die dort von April bis Juni 2013
stattfand und dazu dienen sollte, die qatarische
Olympiabewerbung für 2024 zu unterstützen – bereits zwei Jahre
zuvor wird dort die übernächste Fußball-Weltmeisterschaft
ausgetragen werden -, zensiert. Zuvor hatte die Golfmonarchie
sich Ausstellungsgegenstände in Griechenland ausgeliehen, dem
„Erfinder“land der Olympischen Spiele. Doch, oh Schreck, die
Statuen mit den Darstellungen griechischer Athleten aus der
Antike zeigten diese Figuren nackt - die Sportler im Altertum
waren nun einmal in diesem Aufzug angetreten. Die Ausstellung
fand daraufhin mit einer Hälfte leerer Schaukästen sowie einem
zensierten Katalog, in dem zahlreiche Exponate fehlten, statt.
Zuvor war im Oktober 2010 der
Rektor des Lycée Voltaire - einer prestigereichen französischen
Oberschule - in Qatar, Jean-Pierre Brosse, von der
Staatsanwaltschaft vorgeladen und mit zehn Jahren Haft bedroht
worden. Praktischerweise ist der Generalstaatsanwalt, Al-Marri,
zugleich auch Vorsitzender des qatarischen Beirats der
„importierten“ französischen Schule. Brosse wurden angebliche
Verstöße gegen die qatarische ultrakonservative Staatsideologie
vorgeworfen. Von Erwähnungen der Geschichte des Christentums in
Schulbüchern, während qatarische Schüler erst ab 18 Jahren von
der Existenz anderer Religionen als des orthodoxen Islam
unterrichtet werden sollen, über Abbildungen kopulierender
Pferde bis zum Auftauchen eines unschuldigen Lieds namens „Die
drei Schweinchen“. Jean-Pierre Brosse zog die vorschnelle
Ausreise, die ihm nahe gelegt worden war, einer Inhaftierung
vor. Im Januar 2014 wurde bekannt, dass die Pariser Regierung
der von Frankreich abhängigen Schule in Qatar nunmehr erlaubt,
die Scharia ins Unterrichtsprogramm aufzunehmen.
Wer allerdings glaubte,
befürchtete oder auch erhoffte, ähnliche ideologische Auflagen
würden nun auch dem Louvre in Abu Dhabi widerfahren, sieht sich
ge- oder enttäuscht. Die Konzeption des Museums am Golf hat
solchen Erwartungen, wenn sie denn an das Louvre-Projekt
gerichtet worden sein sollten, widerstanden.
Wer die Ausstellung durchlief, die
in Paris vom 02. Mai bis Ende Juli 2014 zu sehen war und deren
Objekte nun für die Reise an den Arabisch-Persischen Golf
verpackt werden, konnte entdecken: Die ausgewählten
Kulturgegenstände sind absolut nicht für Anhänger eines
„orthodoxen Islam“ auf Linie gebracht worden. Die Ausstellung
beginnt mit einer Kulturgeschichte der Region rund um die
Vereinigten Arabische Emirate selbst, die die meisten ihrer
Einwohner nicht kennen dürften. Haben die Länder des 1971
gegründeten Staatenbunds heute ein Profil, das einen
ultrakonservativen islamischen Puritanismus, Faszination für –
möglichst in Bergen vorhandenes - Geld und kulturelles
Banausentum miteinander kombiniert, so weist die Region in
Wirklichkeit eine mehrtausendjährige Kulturgeschichte auf. Und
zwar der Handelswege, die von hier über das Arabische Meer und
den Indischen Ozean nach Indien und China, aber auch auf dem
Landweg nach Persien und Zentralasien führten. Die
vorislamischen Hochkulturen der Region mit ihren Statuen,
Männer- und Frauenfiguren, Keramiken und Kultgegenständen werden
ausführlich gewürdigt. Schon dies ist ein Schlag ins Gesicht für
einen islamischen Puritanismus, dessen Auffassung zufolge es vor
der Ankunft nichts Hochentwickeltes in den betreffenden Ländern
gegeben haben kann.
Die Abteilung für religiöse oder
religiös inspirierte Kunst legt Wert darauf, Austauschbewegungen
zwischen den Kulturräumen früherer geschichtlicher Perioden und
gegenseitige Beeinflussung aufzuzeigen. Dabei wird der Beitrag
nicht nur der drei monotheistischen „Buchreligionen“ aufgezeigt,
sondern auch jener von Hinduismus, Buddhismus und früheren
polytheistischen Religionen, die alles andere als abwertend
dargestellt werden. Aus der Sicht eines orthodoxen Islam
eigentlich unakzeptabel, denn zwar können die beiden anderen
„Buchreligionen“ aus seiner Sicht Akzeptanz finden, aber auf
keinen Fall „heidnische“ Religionen mit mehreren Göttern. Zudem
finden sich Exponate mit religiösen Figuren, etwa aus dem
heutigen Mali, bei denen ausgeprägte, ja überdimensionierte
Geschlechtsteile zu sehen sind. Ebenso wie auf den
altgriechischen Vasen, die anders als in Qatar nicht zensiert
wurden.
In ihrem Schlussteil, nach einer
Führung durch die europäische Renaissance und die moderne Kunst,
endet die Ausstellung auf die Feststellung, heute gebe es keine
geschlossenen Kulturräume mehr, sondern ohne einen stetigen
Austausch könne kein kulturelles Schaffen mehr stattfinden. Auch
die moderne und abstrakte Kunst, repräsentiert etwa durch den
unlängst verstorbenen US-Künstler Cy Twombly, kommt nicht zu
kurz.
Die
Ausstellung, und damit das Projekt des Louvre in Abu Dhabi, hat
also falsche Kompromisse deutlich vermieden. Andere Kritikpunkte
wird das Bauvorhaben sich nicht ersparen können. Anders als die
New York University sowie die Guggenheim-Stiftung, die beide
derzeit Ableger in dem Golfstaat aufbauen, hat der französische
Louvre keinerlei Vertragsklauseln aufsetzen lassen, die
Mindestbedingungen für die zum Bau eingesetzten Arbeitskräfte
und deren Kontrolle vorschreiben. Dies wurde anlässlich von
Hollandes Besuch vor anderthalb Jahren durch Human Rights
Watch scharf kritisiert.
Ähnlich wie andere Golfstaaten sind die
Vereinigten Arabischen Emirate bevölkerungsarm – Abu Dhabi zählt
600.000, der gesamte Staatenbund vier Millionen Einwohner -, und
achtzig Prozent ihrer Bevölkerung bestehen aus Arbeitsmigranten
meist aus Süd- und Südostasien. Diese arbeiten oft unter nahezu
sklavenähnlichen Bedingungen, zumal sie an einen Einheimischen
als „Vormund“ gebunden sind, der meistens den Pass einbehält und
ihnen ein Exit Visum ausstellen muss, ohne welches eine
legale Ausreise oder das Überweisen von Geld an die Familie zu
Hause unmöglich ist. Er kann also einen Arbeitsplatzwechsel
ebenso verweigern wie die freiwillige Rückkehr ins Heimatlands.
Das Projekt des Louvre-Baus droht von diesen Verhältnissen
objektiv zu profitieren. Damit stellt sich die Frage, wer in den
Genuss der Kunstwerke kommen wird, und zu welchem Preis, für
sich und Andere.
Editorische Hinweise
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Autor für diese Ausgabe.
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