Betrieb & Gewerkschaft
GdL-Warnstreiks
Überzogene Kampfmaßnahmen oder berechtigte Gegenwehr gegen Bahn AG und EVG?

von Helga Müller

09-2014

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Am Samstag, dem 6. September 2014 streikte die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) ein zweites Mal für 3 Stunden von 6 bis 9 Uhr, nachdem sie am Montag, dem 1. September zu den ersten Warnstreiks am Abend von 18-21 Uhr aufgerufen hatte.

Der GdL geht es in diesem Tarifkampf nicht nur um mehr Lohn, sondern v.a. um bessere Regelungen der Arbeits- und Schichtzeiten sowohl für die LokführerInnen als auch für die ZugbegleiterInnen. So soll die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich um zwei Stunden auf 37 Stunden verkürzt werden. Die maximale Fahrzeit auf der Lok soll um eine Stunde reduziert werden - aktuell sind Fahrzeiten von bis zu 9 Stunden erlaubt. Außerdem sollen die Überstunden auf 50 pro Jahr beschränkt werden, bisher gibt es keine Begrenzung. Bei Schichtverlängerung soll ein Zuschlag von 50% fällig werden. In Zukunft sollen höchstens fünf Schichten in fünf Tagen verplant werden dürfen, bisher können Dienstpläne bis zu 7 Schichten in 6 Tagen vorsehen. Wochenenden sollen künftig von Freitag 22 bis Montag 6 Uhr gelten, statt wie bisher von Freitag 24 bis Montag 4 Uhr.
All diese Forderungen sind nicht nur für Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Reproduktion der Beschäftigten dringend notwendig, sondern liegen auch im unmittelbaren Interesse der Fahrgäste und der Sicherheit des Bahnverkehrs.

Zu den Warnstreiks hatte die GdL dieses Mal aber nicht nur die LokführerInnen - die eigentliche „Zuständigkeit“ der Gewerkschaft, aufgerufen, sondern auch die ZugbegleiterInnen, da auch diese von den Schichtdiensten betroffen sind. Die Bahn verweigert die Verhandlungen über diese Forderungen, solange die GdL nicht bereit sei, einen neuen Kooperationsvertrag zu unterschreiben und hält die Forderungen angesichts der gespannten wirtschaftlichen Lage bei der Bahn für vollkommen überhöht. Die EVG, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (die 2010 aus einer Verschmelzung der Beamtengewerkschaft GDBA und der zum DGB gehörenden Transnet neu entstand) und zum DGB gehört - die GdL gehört ja bekanntlich zum Deutschen Beamtenbund (DBB) - wiederum möchte, dass sie auch für die LokführerInnen verhandeln kann, um wieder zu einem einheitlichen Tarifvertrag für die LokführerInnen zu kommen.

GdL versus EVG

Was steckt hinter dem Poker von GdL und EVG um die Zuständigkeit der Vertretung der LokführerInnen und des gesamten Zugpersonals?

Die EVG beansprucht das Alleinvertretungsrecht für die LokführerInnen zu Unrecht. Zum einen wurde im Grundlagenvertrag, der 2008 - nachdem die GDL nach einem langen und harten Streik einen separaten Tarifvertrag für die Lokführer mit deutlichen Gehaltsverbesserungen durchgesetzt hatte -, zwischen der GdL, der EVG und der Deutsche Bahn AG vereinbart wurde, festgelegt, dass die Zuständigkeit für die LokführerInnen bei der GdL und die Tarifführerschaft für alle anderen Beschäftigten bei der EVG liegen. Zum anderen - und das ist das Hauptargument - hat die GdL nach eigenen Angaben 80% der 20.000 LokführerInnen, organisiert. Dieser Vertrag lief nun am 30. Juni aus, beide Seiten haben kein Interesse an einer Verlängerung.

In dieser Tarifrunde versucht die GdL nun, auch die ZugbegleiterInnen zu vertreten, nachdem sie mit diesem Versuch im Tarifkampf 2007/08 gescheitert war. Den Anspruch erhebt sie nicht ganz zu Unrecht, da sie nach eigenen Angaben hier mittlerweile rund 30% der ZugbegleiterInnen und Bord-GastronomInnen vertritt. Die EVG vertritt im Bereich des Zugpersonals - nach Angaben der GdL - lediglich 21%.

Der Organisationsschwerpunkt der EVG liegt im DB-Konzern im Netzbetrieb, bei den Werkstätten und beim Bahnhofspersonal. Damit beansprucht die GdL nicht zu Unrecht in dieser Tarifrunde auch die Vertretung für das gesamte Zugpersonal, da sie im Bereich der Lokführer und Zugbegleiter die Mehrheit organisiert. Nach Angaben der Bahn vertritt die GdL bereits mehr als 51% des gesamten Zugpersonals in den DB-Eisenbahnverkehrsunternehmen, damit verfügt sie auch über Durchsetzungsfähigkeit.

Die EVG wiederum ignoriert dies und beansprucht die Wiedervertretung der Lokführer mit dem Argument, dass man sich dafür einsetzen würde, dass es für die Lokführer wieder einen Tarifvertrag geben müsse und nicht zwei - einen für die Mitglieder der GdL und einen für die Mitglieder der EVG. In diesem Punkt ist sie wiederum völlig einig mit der Unternehmensführung der DB AG. Die Unternehmensleitung verlangt vor der Aufnahme regulärer Tarifverhandlungen den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Konzern und den beiden Gewerkschaften, in der die Zuständigkeiten für die Vertretung der einzelnen Berufsgruppen, geregelt werden soll. Dabei soll das Prinzip gelten, dass die jeweils mitgliedsstärkste Gewerkschaft vertretungsberechtigt wäre. Konkurrierende Tarifverträge, etwa mit unterschiedlichen Regelungen zur Vergütung, zur Arbeitszeit und zum Schichtdienst lehnt die Bahn AG kategorisch ab. Die EVG wiederum verweist auf den Konzerntarifvertrag, in dem es eine eigene Beschäftigtengruppe Zugpersonal nicht gäbe und von daher der Vertretungsanspruch der GdL für diese Beschäftigtengruppe auch nicht bestünde. Die Bahn selbst bezeichnet ihren Vorschlag zur Kooperationsvereinbarung als „Tarifeinheit light“ (zit. nach ND vom 5. September 2014).

Tarifeinheit light?

Bei der „Tarifeinheit“ geht es in Wirklichkeit um einen Angriff auf das Streikrecht. In einem Unternehmen, in der es zwei Gewerkschaften gibt, wird der „Minderheitsgewerkschaft“ - also die mit weniger Mitgliedern - während der Laufzeit des Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft de facto das Recht auf Streik untersagt. Hier wird also versucht, noch bevor es eine gesetzliche Reglung zur Frage der „Tarifeinheit“ gibt, auf Unternehmensebene bereits Fakten zu schaffen.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet nach den Warnstreiks der GdL und von cockpit bei Lufthansa wieder verstärkt die Diskussion in der Bundesregierung beginnt, die auf Eis gelegte Regelung zur „Tarifeinheit“ doch noch möglichst bald in den Bundestag einzubringen. Es ist auch kein Zufall, dass sich der neue DGB-Chef Rainer Hoffmann, einen Tag nach dem ersten Warnstreik der GdL mit Bundeskanzlerin Merkel und Vertretern aus der Wirtschaft getroffen hat, wo der neue Vorstoß der Bundesregierung zur „Tarifeinheit“ Thema war (SZ vom 3.9.14). Dass hier der DGB wieder an einem Strang mit der Bundesregierung und den Unternehmern zieht, wird auch in einem Bericht der SZ vom 6.9.14 deutlich: Der Vorsitzende des DGB richtete ein Schreiben an den Vorsitzenden des Beamtenbundes DBB, Klaus Dauderstädt, in dem er ihn dazu auffordert, die GdL an die Leine zu nehmen. Die GdL verweigere sich allen Kooperationsangeboten der EVG und wolle „ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre ausbauen.“ (zit. nach SZ, 6.9.2014). Damit springt er der Unternehmensleitung der DB AG und der Bundesregierung, die kleineren Gewerkschaften de facto an ihrem Streikrecht zu hindern, zur Seite ganz in der Tradition seines Vorgängers Michael Sommer - ohne Diskussion unter im DGB organisierten Mitgliedern.

Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass es in einer Branche einen Tarifvertrag und eine Gewerkschaft geben sollte, die die jeweiligen Beschäftigten organisiert, um eine Spaltung innerhalb der Branche zu verhindern. Wir stimmen auch nicht mit der Meinung des GdL-Chefs Weselsky überein, dass die Krise der Gewerkschaften über die „Konzentration auf spezielle Interessen einiger weniger Berufe […] wesentlich mehr Bindung [schafft] und […] zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft [führt]“ (zit. nach GdL-Pressemitteilung vom 18.08.14)

Diese Einstellung führt unserer Ansicht zu berufsspezifischen - um nicht zu sagen berufsständischen - Kleingewerkschaften und -verbänden, die tatsächlich nur die spezifischen Interessen einzelner Berufssparten repräsentieren und nicht die einer Branche.

Gleichzeitig sind wir aber auch der Meinung, dass die Politik der EVG und insbesondere ihrer Vorläuferorganisation der Transnet, die die Interessen der Beschäftigten der Privatisierungspolitik der Bahn AG geopfert hat, dazu geführt hat, dass die GdL erst zu einer ernstzunehmenden Gewerkschaft geworden ist.

Unterstützt den Streik!

Trotz der bornierten, ständischen Politik der GdL und ihrer Bindung an den reaktionären Beamtenbund unterstützen wir die Warnstreiks und die wahrscheinlich kommende Urabstimmung über unbefristete Streiks. Die GdL nimmt ihr Recht auf Streik wahr. Der Alleinvertretungsanspruch der EVG, die LokführerInnen und das Zugpersonal allein vertreten zu wollen, schlägt erstens den realen Kräfteverhältnisses in Gesicht und empört zurecht jedes GdL-Mitglied. Sie trägt entgegen der eigenen Behauptungen überhaupt nichts zur Überwindung die Spaltung innerhalb der Bahn AG bei, sondern vertieft sie letztlich nur. Es ist im Gegenteil eher zu befürchten, dass die EVG - ganz in der Tradition von Transnet - versucht, einen faulen Kompromiss mit der Bahn AG abzuschließen, die Bahn nicht daran hindern wird, ihre Privatisierungs- und Sparpolitik fortzuführen. Mit ihrer Zusammenarbeit mit der Bahn AG, der Regierung, der öffentlichen Denunziation des GdL-Streiks fällt die EVG-Führung den Beschäftigten in den Rücken - und zeigt einmal mehr, dass sie den Bossen der Bahn AG näher steht als den LokführerInnen und ZugbegleiterInnen, dass sie einer wirklichen Einheit der Bahnbeschäftigten im Wege steht.

Um zu einer gemeinsamen Front nicht nur in Tarifkämpfen, sondern auch gegen die permanenten Umstrukturierungen und Privatisierungen der Bahn AG zu kämpfen, liegt eine Unterstützung der GdL-Streiks heute auch im Interesse der EVG-GewerkschafterInnen. Damit unterlaufen sie erstens die Spaltungspolitik des Bahnvorstands und seinen Versuch, Streiks zu isolieren und auszubremsen. Sie würden es zweitens damit auch dem CDU-Mann, Standespolitiker Weselsky sehr viel schwerer machen, sich als „kämpferische“ Alternative zu verkaufen.

Der Konflikt unter den Gewerkschaften bei der Bahn kann unseres Erachtens aber nur gelöst werden, wenn die Beschäftigten und v.a. die in der EVG und der GdL organisierten KollegInnen selbst über ihre Forderungen abstimmen und selbst über ihren Kampf und über Streiks diskutieren und entscheiden können. Dafür sind Versammlungen aller KollegInnen in den Bahnunternehmen und die Wahl von jederzeit absetzbaren Streikkomitees, in denen KollegInnen beider Organisationen vertreten sein müssen, nötig. Diese Streikkomitees vor Ort müssen in einem nationalen Streikkomitee gebündelt werden. Sie haben die Aufgabe, die Streiks zu koordinieren und die KollegInnen über den Kampf bestimmen zu lassen. Dies kann dazu führen, eine gemeinsame Gewerkschaft für die Bahn wie für die ganze Transport- und Logistikbranche von unten neu aufzubauen.
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 771
11. September 2014

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