Die demokratische Bodenreform
Rede in Berlin am 19. September 1945

von Wilhelm Pieck

09/2015

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In diesen Wochen vollzieht sich in einem großen Teile Deutsch­lands, in der sowjetischen Besatzungszone, mit der demokrati­schen Bodenreform eine völlige Umwälzung der ländlichen Be­sitzverhältnisse, die sowohl für das Landvolk als auch für das gesamte deutsche Volk und für die weitere Entwicklung Deutsch­lands von der größten geschichtlichen Bedeutung ist.

Was der deutschen Bauernschaft in jahrhundertelangen Kämp­fen nicht gelang, und was ihnen auch die Weimarer Republik nicht brachte, wird jetzt zur Wirklichkeit.

Den feudal-junkerlichen Großgrundbesitzern wird der Boden, den sie ehemals den Bauern raubten, abgenommen und den Bauern zurückgegeben. Ein jahrhundertelanges Unrecht an der bäuerlichen Bevölkerung wird beseitigt und die reaktionäre Vor­herrschaft der Junker und Feudalherren im Dorfe gebrochen. Der Bauer wird zum freien Herrn auf seiner Scholle und zur kräftig­sten Stütze der Demokratie im Dorfe.

Diese Umwälzung ist aber auch von der größten Bedeutung für die weitere Gestaltung der Zukunft unseres gesamten Vol­kes. Mit der Enteignung der feudal-junkerlichen Großgrund­besitzer wird ihnen die Macht entzogen, die sie bisher im Staate ausübten und mit der sie jeden Fortschritt und jede demokra­tische Entwicklung hinderten.

Gerade diese Kreise gehören zu den ständigen Kriegstreibern, sie waren es auch, die gemeinsam mit den großen Industrie- und Finanzkapitalisten Hitler zur Macht verhalfen und die die Haupt­schuld am Kriege und an den Kriegsverbrechen tragen. Es sind die Kreise, die den Krieg zu einer maßlosen Bereicherung benutz­ten und die für die ungeheure Not unseres Volkes verantwortlich sind. Ihnen kam es nicht auf die Sicherung der Volksernährung, sondern nur auf die Sicherung möglichst hoher Gewinne und die Anhäufung großer Reichtümer an.

Die Forderung nach der beschleunigten demokratischen Boden­reform ist auf die

Initiative der landarmen und landlosen Bauern

und Landarbeiter zurückzuführen, die durch den Hitlerkrieg in die größte Not gebracht wurden. Die kleinen Bauernwirtschaften wurden durch die Zwangswirtschaft des Hitlerregirnes und durch die Auswirkungen des Hitlerkrieges fast zugrunde gerichtet, und die Not der Landarbeiter übersteigt jedes erdenkliche Maß. In zahllosen Bauern- und Landarbeiterversammlungen wurde die Forderung nach der Enteignung des Großgrundbesitzes und der Zuteilung des dadurch frei gewordenen Bodens an die kleinen Bauern und Landarbeiter gestellt.

Auf Grund dieser Forderung der Bauer» und Landarbeiter haben sich die Provinzial- bzw. Landesverwaltungen in den Pro­vinzen Sachsen und Brandenburg und in den Ländern Mecklen­burg, Sachsen und Thüringen entschlossen, entsprechende Ver­ordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen.

Der gesamte feudal-junkerliche Großgrundbesitz von über 100 Hektar und der gesamte Grundbesitz der Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen, der Naziführer und aktiven Verfechter der Nazipartei wird enteignet und einem Bodenfonds zugeführt. Aus diesem Bodenfonds wird den landarmen und landlosen Bauern, Landarbeitern, kleinen Pächtern und Umsiedlern Land zugeteilt, um möglichst viele existenzfähige Bauernwirtschaften mit 5 bis 10 Hektar Land, je nach der Qualität des Bodens, zu schaffen.

Es geht um eine gerechte und demokratische Bodenverteilung

so wie es die Bauern und Landarbeiter fordern, und die die wich­tigste Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufstieg und die demokratische Umgestaltung unseres Landes ist.

Die Durchführung der Bodenreform soll ebenfalls auf absolut demokratischem Wege durch die von den Bauern und Land­arbeitern in ihren Versammlungen gewählten Bodenkommissio­nen erfolgen, wie auch der Aufteilungsplan in einer Bauern- und Landarbeiterversammlung zu beschließen ist.

Mit der demokratischen Bodenreform ist aber auch noch eine andere sehr wichtige Aufgabe verbunden:

Es soll auch der aus den Ostgebieten ausgewiesenen und durch den Hitlerkrieg ihres Besitzes beraubten bäuerlichen Bevölke­rung Boden zugeteilt werden, um einem bedeutenden Teil von ihnen wieder eine Existenzbasis zu verschaffen.

Dabei bereitet allerdings ihre Aufteilung auf die einzelnen Gebiete in Deutschland noch mancherlei Schwierigkeiten. Aber das Los dieser ausgewiesenen Bauern- und Arbeiterfamilien ist geradezu trostlos und erfordert die stärkste Unterstützung durch die Selbstverwaltungsorgane in den Orten, Kreisen, Provinzen und Ländern wie auch die Unterstützung durch die gesamte Be­völkerung. So schwer auch die Lage unseres Volkes ist, so muß doch alles auf die möglichst schnelle Seßhaftmachung dieser be­dauernswerten Menschenmassen gelenkt werden. Und dazu bietet die Bodenreform eine günstige Voraussetzung.

Noch eine andere Aufgabe ist mit der Bodenreform verbunden. Von der städtischen Bevölkerung wird ein erheblicher Teil, sei es infolge der Überfüllung der Städte oder des Mangels an Wohnraum oder infolge von Arbeitslosigkeit, auf dem Lande sich eine Existenz suchen, wobei die Bodenzuteilung eine große Rolle spielen wird.

So ist die Bodenreform unter den Aufgaben, die jetzt vor unserem Volke stehen, eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste überhaupt. Sie umfaßt die Sicherstellung der Volks­ernährung, die demokratische Neugestaltung Deutschlands und die Sicherung des Friedens.

Es ist deshalb unbedingt erforderlich, daß sich das werktätige Volk in den Städten mit aller Kraft für die Durchführung der Bodenreform einsetzt und das Landvolk auf das tatkräftigste unterstützt. Je enger sich bei dieser Unterstützung die

Verbindung zwischen Stadt und Land

entwickelt und das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern ge­festigt wird, um so mehr wird die große Aufgabe erfüllt werden, die heute vor unserem gesamten deutschen Volke steht, den Nazismus, Militarismus und Imperialismus auszurotten, eine wahrhaft den Interessen unseres Volkes dienende Demokratie zu entwickeln und den Aufbau unserer Wirtschaft zu fördern.

Der demokratischen Bodenreform wird von den feudal-junker­lichen und nazistischen Großgrundbesitzern ein erheblicher Wi­derstand entgegengesetzt, zumal deren Enteignung ohne jede Entschädigung erfolgt. Sie verbreiten deshalb die Behauptung, daß die Aufteilung des Großgrundbesitzes die Volksernährung gefährde, weil angeblich die Bauernwirtschaften nicht rentabel seien und keine Garantie für die Volksernährung bieten. Diese Einwände sind aber durchaus nicht stichhaltig. Die Volksernährung wird keineswegs durch die feudal-junkerlichen und nazisti­schen Großgrundbesitzer gesichert. Wir wissen aus Erfahrung, daß diese Gesellschaft einem demokratischen Deutschland mit aller Feindschaft gegenübersteht und deshalb die Ernährung unseres Volkes in jeder Hinsicht sabotieren wird.

Dagegen haben die Bauern das größte Interesse daran, in bester Weise den Boden zu bearbeiten und soviel wie möglich aus ihm herauszuholen, wodurch die Volksernährung gesichert wird.
Je energischer und gründlicher die Bauern im Dorfe selbst an die Durchführung der Bodenreform herangehen, um so gründ­licher wird auch der reaktionäre Einfluß der Junker und Feudal­herren auf dem Lande gebrochen und ihrer Herrschaft für immer ein Ende gemacht werden.

Quelle: Wilhelm Pieck, Reden und Aufsätze, 1908-1950, Band 3, Berlin 1951, S. 11-14

Wilhelm Pieck (* 3. Januar 1876 in Guben; † 7. September 1960 in Berlin) zuerst Mitglied der SPD, dann Gründungsmitglied und ab 1935 Vorsitzender der KPD. Ab 1946 mit Otto Grotewohl gemeinsamer Vorsitzender der SED  und von 1949 bis zu seinem Tode 1960 Präsident der DDR.