Die DKP-Debatte vor dem 21. Parteitag
Zum Stand der Diskussion über den Leitantrag für den 21. DKP-Parteitag
Referat des stellvertr. Parteivorsitzenden Hans-Peter Brenner auf der 2. Theoretischen Konferenz zur Vorbereitung des Parteitags am 5.9.2015 in Kassel

09/2015

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Liebe Genossinnen und Genossen!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Liebe Gäste!

Mein Thema lautet: Zum Stand der Antragsdebatte über den Leitantrag und die Handlungsorientierung. Ich spreche vor dem Hintergrund der bislang beim PV eingetroffenen Änderungsanträge und auf der Basis eigener Diskussionsrunden und Veranstaltungen . Und natürlich spreche ich auch vor dem Hintergrund der Diskussion auf der ersten theoretischen Konferenz in Hannover. Ich kann mich nur zu wenigen Schwerpunkten äußern, der Antragsschluss ist auch erst in zwei Wochen.

Welche Hauptfragen, Einwände und Hinweise für Verbesserungen gibt es ?

1. In welchem Verhältnis stehen Leitantrag und Handlungsorientierung zum Parteiprogramm?
2. Verengt der Leitantrag unsere politische Orientierung oder hilft er uns das Neue zu erkennen?
3. Prüfstein Europapolitik ? Brauchen wir ein neues Parteiprogramm?
4. Wie bestimmen Leitantrag und Parteiprogramm die Dialektik von Reform und Revolution?
5. Die DKP als marxistisch-leninistische Weltanschauungspartei

Zum 1. Thema :

In welchem Verhältnis stehen Leitantrag und Handlungsorientierung zum Parteiprogramm?

Patrik Köbele hat bereits im Referat der PV-Tagung im vergangenen November  das Wichtigste dazu gesagt. Wir haben dann beide noch einmal vor 3 Wochen in unserem gemeinsamen Thesen-Papier zur Vorbereitung der heutigen Konferenz Patriks erste Aussagen bestätigt und geschrieben:

„ 1. Der Entwurf des Leitantrages steht in einem sachlichen und historisch-politischen Kontext  und einem produktiven Verhältnis zum Parteiprogramm von 2006. … 4. Wir  hatten und haben nicht die Absicht, ein „neues“ Parteiprogramm vorzulegen. Wir wollen besonders aufmerksam machen auf neue Umbrüche und Herausforderungen im System des Imperialismus-Monopolkapitalismus, die unter dem Druck der Neuaufteilung der Welt nach dem Kollaps des realen Sozialismus in der UdSSR und Europa und dem Druck  einer Kombination von Krise und neuen Schüben in der wissenschaftlich-technischen Revolution entstanden sind.“

Also, wir wollen und wir brauchen keinen Ersatz für das aktuelle Parteiprogramm, denn wir sehen auch keinen Gegensatz zum Parteiprogramm als Ganzes. Doch seit 2006 ist das Leben weitergegangen und wir haben natürlich auch die eine oder andere neue Erkenntnis machen können. Und das ist ja nicht so sensationell neu für uns.

Ähnlich wie wir es vor 30 Jahren mit den Thesen des Hamburger Parteitages von 1986 gehandhabt haben, die 8 Jahre nach dem Mannheimer Parteiprogramm von 1978 verabschiedet worden waren, oder ähnlich wie mit den Thesen des Düsseldorfer Parteitags, die 3 Jahre nach der Grundsatzerklärung bei unserer Neukonstituierung 1968 verabschiedet wurden, wollen wir mit diesem Parteitagsdokument Neues erfassen und einiges präzisieren, was im aktuellen Parteiprogramm nicht oder nicht ausreichend erfasst wurde oder auch noch gar nicht thematisiert werden konnte. Und das eine oder andere wollen wir auch präzisieren.

Doch bei diesen Ankündigungen und Erklärungen gingen bei einigen Genossen offenbar vorschnell einige Blinkanlagen an. Das fast schon geflügelte Wort ist dann „Verteidigung des Parteiprogramms“.

Verteidigung von was und wogegen? Gegen eine „orthodoxe“ oder gar „sektiererische“ Verengung?
Oder geht es um ganz etwas andres? Geht es vielleicht um das weitere „Offenhalten“ von Fragen, die wir im Unterschied zu 2006 heute beantworten können und auch müssen?

Zum 2. Thema:

Verengt der Leitantrag unsere politische Orientierung oder hilft er uns das Neue zu erkennen?

Wir stellen uns mit dem Leitantrag, wie gesagt, neuen Fragen und reflektieren neue politische Erfahrungen.
Dazu gehören die derzeitige Debatte über „Industrie 4.0“ bzw. „Kapitalismus 4.0“ sowie die neuen Qualitäten der Kriegsgefahr und der bedrohliche Aufschwung reaktionärer und neofaschistischer Erscheinungen.
Dazu gehören auch die neuen Erfahrungen mit dem – wie es im Parteiprogramm heißt – „imperialistischen Charakter der EU-Konstruktion.“ (Programm, S. 16).

Es war doch richtig, dass das Programm vor der „illusorischen Erwartung“ warnte, dass die EU ohne einen grundlegenden Umbruch zu einem „demokratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus“ werden könne. Heute kann man doch wohl – ohne eine großes Gerede darüber machen zu müssen – sagen, dass in diesem Zusammenhang einige spekulative Passagen des Programms, in denen die Hoffnung auf eine „Demokratisierung“ der EU geäußert wurden, von der Realität überholt worden sind.

Das können und sollten auch diejenigen eingestehen, die aus SYRIZA den Vorreiter für einen gesamteuropäischen Wandel und ein Modell für die gesamte europäische Linke machten und bis heute noch daran festhalten. Diesen Genosssinnen und Genossen sage ich: „Es ist keine Schande sich zu irren. Aber was soll man dann tun? Auf diesen Irrtum neue Irrtümer häufen und einfach so weitermachen?“ Finden wir – findet Ihr – nicht im Gegenteil bestätigt, dass Rosa Luxemburg Recht hatte, als sie das von den Reformisten in der damaligen SPD gelobte Modell der „Vereinigten Staaten von Europa“ als „Missgeburt des Imperialismus“ bezeichnete?

Und haben wir nicht gerade im Zusammenhang mit dem erpresserischen und räuberischen Umgang der europäischen imperialistischen Großmächte mit dem ökonomisch und politisch abhängigen und schwachentwickelten kapitalistischen Griechenland nicht eine glänzende Bestätigung für die Aktualität der leninschen Imperialismus-Theorie und ihrer Bewertung der unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Imperialismus und der Ungleichmäßigkeit seiner Entwicklung erhalten?
Haben wir nicht zu Recht im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus die reaktionären Traditionslinien des deutschen Imperialismus und seiner „Europa-Konzeptionen“ nachgewiesen?
Haben wir nicht die Goebbels- und die Ribbentrop-Planungen für einen europäischen Bundesstaat unter deutscher Führung und die Erklärungen Adenauers für die Schaffung eins antikommunistischen Europa in Erinnerung gerufen?
Und haben wir nicht auch anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des I. Weltkrieges die noch älteren Verbindungen zu den Europa-Plänen des deutschen Imperialismus vor und während des 1. Weltkrieges wieder ins Bewusstsein gerufen?

Dankenswerter Weise hat die UZ- Redaktion alle diese Materialien in Extra-Broschüren zusammengestellt. Das alles sind fundierte Analysen, die die 2006 vorhandenen Wissens- und Erinnerungslücken doch aus heutiger Sicht schließen und korrigieren müssen.

Ich wiederhole deshalb: Genossinnen und Genossen, die Ihr Euch geirrt habt, verrennt Euch nicht weiter! Nutzt die gemeinsame Diskussion über den Leitantrag zu Verbesserungsanträgen, reiht Euch wieder in das Kollektiv der Gesamtpartei ein.

3. Thema:

Prüfstein Realität. Brauchen wir ein neues Parteiprogramm?

Genosse Björn Blach aus Stuttgart hat in einem anregenden UZ-Leserbrief von der Europa-Politik der DKP als einem „Prüfstein“ gesprochen. Ich zögere, diesen doch sehr traditionsbehafteten Begriff einfach zu übernehmen.

Wir sollen nicht zu viele „Prüfsteine“ suchen und finden wollen. Es reicht mE zu sagen, dass wir auch heute ohne das Wissen, die Anwendung und die Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Imperialismus-Theorie keinen klaren Kurs einschlagen können. Wer beim Stichwort „Marxismus-Leninismus“ oder auch nur in Verbindung mit der „leninschen Imperialismus-Analyse“ nur noch Entschuldigungsformeln murmeln kann, in denen immer wieder die Slogans „überholt“, „veraltet“, orthodox“ und „deformiert“ – mit oder ohne „stalinisisch“ – vorkommen, der muss bei der Beurteilung der politischen Lage scheitern. Scheitern wie SYRIZA, Scheitern wie die EL, Scheitern wie alle mit ihr verbundenen Organisationen und Mitgliedsparteien.
Der findet sich auf einmal auf dem rechten Flügel einer Organisation und eines sozialdemokratischen Regierungschefs wieder, der bar allen historischen Wissens seine gescheiterte Koalition mit dem nationalistischen griechischen AfD-Gegenstück fälschlicherweise als „erste europäische Linksregierung nach 1945“ deklariert hat.
Als hätte es niemals die ersten fünf Regierungen der portugiesischen April-Revolution, niemals linke Nachkriegsregierungen nach 1945 in Italien, Frankreich und die Regierungskoalitionen in den späteren sozialistischen Staaten wie in der CSSR, Polen, etc. gegeben oder auch niemals die späteren französischen Linksregierungen in den 70er Jahren.

Die Negation der vielfältigen Erfahrungen – oftmals und allzu häufig die vielen negativen Beispiele – mit in sich nicht gefestigten linken Regierungskoalitionen – ist das eine. Bedeutender ist jedoch die politische Blindheit unter sich als „links“ verstehenden Organisationen und Parteien, die glauben, dass man ohne den Marxismus und Leninismus in der Frage „Wohin geht Europa?“ klare Sicht bekommen kann.

Ja, was denn sonst als die historische Wahrheit hatte Lenin ausgesprochen, als er die „Vereinigten Staaten von Europa“ unter kapitalistischen Bedingungen als „unmöglich oder als reaktionär“ bezeichnete? Die auch von SRIZA , der „EL“ und der „PDL“ verkündete Konzeption der „demokratischen, sozialen, friedlichen“ Ummodelung der EU hat sich vor der Wirklichkeit blamiert.

Ich sehe keinen Grund dafür, dass sich die DKP im Jahre 2015 an einer vagen, im 2006er Programm geäußerten Hoffnung festklammert wie ein Ertrinkender an einem löchrigen Gummiboot, das da heißt „Reformierbarkeit“ der EU. Das lassen wir als einen Schwachpunkt des jetzigen Programms einfach hinter uns und konzentrieren uns auf die Realitäten von heute. Denn der alte Satz „Grau, teurer Freund ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum“ , gilt doch nicht nur für Goethes „Faust“, sondern durchaus für diese oder jene Programmformulierung. Es zeichnet aber doch gerade das Denken und die Politik von Marxisten-Leninisten und ihrer Klassiker aus, dass sie die dialektisch historische Methode als Instrumentarium zur Analyse der Veränderungen in Ökonomie und Politik verstanden haben und nicht als Ansammlung von Losungen und Zitaten. Darüber lohnt es sich eigentlich gar nicht mehr zu reden.

Der „Prüfstein“ ist die Realität und die Frage, ob wir in der Lage sind, den Marxismus-Leninismus mit seinen unerschöpflichen Erkenntnismöglichkeiten und seinen vielen historischen Erfahrungen für das Hier und Jetzt wissenschaftlich und auch so allgemeinverständlich zu vermitteln und weiterzuentwickeln, dass er dann als Theorie zu der „materiellen Gewalt“ wird, die „die Massen ergreift.“

Ich widerspreche damit aber auch dem in vielen Punkten durchaus anregenden UZ-Leserbriefen der Genossin Aitak (1) oder auch einem weiteren anregenden und kritischen Brief des Genossen Philipp Kessel (2), die beide jetzt zu einer umfassenden Programmdebatte auffordern. Die Vorsitzenden, das Sekretariat und ich denke der gesamte Parteivorstand sind der Meinung, dass es dafür keinen akuten Bedarf gibt.

Mit den „Antworten der DKP auf die Krise“, unserem EU-Wahlprogramm von 2014, den PV Referaten der letzten 2 Jahre zu Gewerkschaftspolitik, zur antimonopolistischen Strategie und Bündnispolitik, zu Fragen der internationalen Entwicklungstendenzen im Imperialismus und zur Friedens- und Antifa-Politik sowie zu unserem Geschichts-und Parteiverständnis aus Anlass des 70. Jahrestags der Befreiung haben wir qualifizierte und klare Einschätzungen auch zu solchen Fragen, die seit der Verabschiedung des Programms von 2006 in unseren Reihen als strittig eingeschätzt wurden. Mit unserem Leitantrag und den Anträgen des PV zur Bundestagswahl 2016 sowie zur Beendigung unserer beobachtenden Mitgliedschaft in der „EL“ tun wir ein Weiteres dafür, um politische und ideologische Klarheit und die Übereinstimmung in zentralen Fragen des kommunistischen Selbstverständnisses und unserer strategischen Ausrichtung zu schaffen.

3. Thema:

Wie bestimmen Leitantrag und Parteiprogramm die Dialektik von Reform und Revolution?

Es gibt dazu einen weiteren kritischen Leserbrief, den von Gen. Walter Listl. Er wirft Patrik und mir nicht nur eine „Verballhornung“ der Politik von SYRIZA vor, sondern verurteilt auch unsere Kritik an den Vorstellungen des in der EL organisierten „europhäischen Reformismus“, darunter an deren „Wirtschaftsdemokratie“- Modell und ihrer reformistischen „Transformationsstrategie“. Walter fasst dann seine Kritik in dem Gesamturteil zusammen, dass wir – der vom 20. Parteitag gewählte PV- offenbar das Verhältnis von Reform und Revolution anders definieren wollten, als es in der bisherigen Programmatik und in der Geschichte der DKP der Fall gewesen sei. Nämlich nach dem Motto: „Zuerst die Revolution und dann die Reform.“

Ich sage dazu nur, dass wir in dieser strategischen Frage keinerlei Kurskorrektur brauchen und auch nicht vornehmen. Und ich behaupte auch, dass Walter das selbst auch weiß. Wir bleiben bei dem, was wir in allen programmatischen Überlegungen über den staatsmonopolistischen Kapitalismus und über die Konzeption des Herankommens an den Sozialismus gesagt haben. Patrik Köbele wird nachher ins einer Arbeitsgruppe dazu ausführlich noch referieren. Ich kann mich deshalb auf einige Grundsätze beschränken. Man muss kein besonderer „Theoretiker“ sein um die Beziehung zwischen Reform und Revolution mit wenigen einfachen Worten zu klären.

Dazu drei eigentlich vertraute Argumente:

Erstens: Die Notwendigkeit der Verbindung von Reform und Revolution

Die gemeinsame Auffassung der Begründer des Marxismus-Leninismus war immer; dass es eine enge Verbindung zwischen evolutionären Prozessen und dem revolutionären Bruch, der revolutionären Überwindung des Kapitalismus und der Erkämpfung der grundsätzlichen Alternative des Sozialismus, gibt.
Lenin hat diese Verbindung einmal mit Blick auf die politische Ebene des Klassenkampfes so auf den Punkt gebracht:

„Der Sozialismus ist im zweifachen Sinne ohne Demokratie unmöglich. 1. Das Proletariat wird die sozialistische Revolution nicht durchführen können, wenn es sich nicht durch den Kampf für die Demokratie auf die Revolution vorbereitet. 2. Ohne die restlose Verwirklichung der Demokratie kann der siegreiche Sozialismus seinen Sieg nicht behaupten.“ (W.I. Lenin: Über eine Karikatur auf den Marxismus, LW 23, S. 69)

Ja. Der Marxismus-Leninismus will die Verwirklichung der Demokratie und zwar konsequent und radikal. Deswegen macht er im Unterschied zum Reformismus keinen Bogen um das Allerheiligste dieser Ausbeuterordnung – das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Wir wollen die wirkliche, die sozialistische Demokratie und deshalb sagen wir „Nein“ zum System der alten und neuen Oligarchen des Kapitalismus und „Ja“ zur wirklichen Herrschaft der übergroßen Mehrheit des Volkes, die im Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den anderen Werktätigen durchgesetzt und errichtet werden wird. Wir sagen klar, dass die kapitalistischen Oligarchen dabei die Hände nicht in den Schoß legen und zusehen, wie durch eine Anhäufung von Reformen und Reförmchen ihnen die Macht und ihr Besitz aus den Händen entgleitet.

Zweitens: Die Notwendigkeit des revolutionären Bruchs

Wer von Reformen redet, der darf von Konterrevolution und notwendiger Niederschlagung dieser Konterrevolution – und zwar nicht erst dann wenn es zu spät ist – nicht schweigen. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus haben gerade in den letzten Jahren erneut und zunehmend Recht bekommen, wenn sie vor Illusionen in eine umfassende „Reformierbarkeit“ oder „Humanisierung“ des Kapitalismus gewarnt haben.

Die von der EL, der PDL und auch von der sich als „Marxistische Linke“ formierten innerparteilichen Opposition folgen mit den von ihnen vertretenen umfassenden „Transformation“-Konzeptionen den alten reformistischen Vorbildern von Eduard Bernstein und Karl Kautsky. Mit denen mussten sich seinerzeit die Revolutionäre um Rosa Luxemburg. Karl Liebknecht, Wilhelm Pieck in Deutschland und W.I. Lenin, N. Bucharin, G. Sinowjew und andere führende Vertreter der russischen revolutionären Sozialdemokratie, der Bolschewiki, bereits heftig streiten. Der heutige Reformismus propagiert mit seinen Transformationskonzepten im Prinzip „alten Kack in neuem Frack“, den aufpolierten Bernsteinschen Revisionismus und Reformismus.

Wir sollten u.a. die folgende Argumentation von R. Luxemburg in Erinnerung behalten: „Es ist grundfalsch und ganz ungeschichtlich, sich die gesetzliche Reformarbeit bloß als in die Breite gezogene Revolution, und die Revolution als die kondensierte Reform vorzustellen. Eine soziale Umwälzung und eine geschichtliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente. Das ganze Geheimnis der geschichtlichen Umwälzung durch den Gebrauch der politischen Macht liegt ja gerade in dem Umschlagen der bloßen quantitativen Veränderungen in eine neue Qualität, konkret gesprochen: in dem Übergang einer Geschichtsperiode, einer Gesellschaftsordnung in eine andere.
Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sichereren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen, in der alten.“ ( R. Luxemburg: Sozialreform oder Revolution? Gesammelte Werke, Band 1 1893-1905. Erster Halbband, 2007 (8. Auflage), S. 428f)

Also: Man darf als kommunistische Partei nicht dazu beitragen, dass die von der herrschenden Politik frustrierten Massen mit Illusionen über die Begrenztheit von Reformen im Kapitalismus in ein Labyrinth von nicht einhaltbaren Versprechungen und daraus zwangsläufig folgenden Enttäuschungen gelotst werden, wie wir es jetzt gerade in Griechenland erlebt haben. Reformen dürfen nicht die strategische Orientierung auf den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus ersetzen und dürfen auch nicht zur Entstehung von demokratischen Illusionen führen.

Deshalb haben wir auch keine „Schadenfreude“ über das Scheitern von SYRIZA und das Scheitern reformistischer Illusionen. Denn dadurch gibt es keine automatische Entwicklung nach links. Aber ich halte es für eine absolute Verdrehung der Tatsachen, dass man aus diesem vorhersehbaren Scheitern des Reformismus nun der „gesamten europäischen Linken“ ein eigenes Scheitern andichtet.

Gescheitert ist die reformistische, die linkssozialdemokratische Linke; die revolutionäre Linke, die Kommunisten in Griechenland, die haben dieses Scheitern vorhergesagt und sich mit Recht nicht in dieses Projekt einbinden lassen. Und wir als DKP haben vor einer kompletten Fehleinschätzung des Charakters der EU gewarnt – und auch das mit Recht.

Drittens: Die systemstabilisierende Wirkung von Reformen

Wir dürfen deshalb nicht vergessen, was Lenin und andere marxistische Revolutionäre über die systemstabilisierende Wirkung von Reformen und über deren „Doppelcharakter“ gesagt und geschrieben hatten.

„Jede Reform ist nur insoweit eine Reform ( und keine reaktionäre und keine konservative Maßnahme), als sie einen gewissen Schritt, eine ´ Etappe` zum Besseren bedeutet. Aber jede Reform in der kapitalistischen Gesellschaft hat einen doppelten Charakter. Die Reform ist ein Zugeständnis, das die herrschenden Klassen machen, um den revolutionären Kampf aufzuhalten, zu schwächen oder zu unterdrücken, um die Kraft und Energie der revolutionären Klassen zu zersplittern, ihr Bewusstsein zu trüben usw.“ (W.I. Lenin : Wie man Resolutionen nicht schreiben soll. LW 12, S, 230)

Das schrieb er lange bevor die Bourgeoisie und ihre reformistischen Theoretiker von „Sozialpartnerschaft“ oder von „Wirtschaftsdemokratie“ zu schreiben begannen. Davor warnte Lenin lange bevor es die xte Auflage von „Reformalternativen“ – so die Parole der DKP-Erneuerer in den 80er Jahren oder die einfache oder gar „doppelte Transformationsstrategie“ aus dem theoretischen Fundus der alten SPD, der früheren Eurokommunisten und des späteren „Reformflügels“ Gorbatschowscher Couleur in den verschiedenen regierenden KPen oder auch in den großen kommunistischen Massenparteien des Westens gab.
Lenin beschrieb schon als sehr junger Mann den charakteristischen Unterschied zwischen den reformistischen und revolutionären Sektoren in der Arbeiterbewegung und bestimmte sehr klar die Unterschiede zwischen ihnen. In seiner Arbeit aus dem Jahre 1899 „Eine rückläufige Richtung in der russischen Sozialdemokratie“ machte er klar:
„Für den Kampf um Verbesserung ihrer Lage und nur für diesen Kampf bedürfen die Arbeiter durchaus nicht der Sozialisten. In allen Ländern wird man Arbeiter finden, die den Kampf um die Verbesserung ihrer Lage führen, aber nichts vom Sozialismus wissen oder sich sogar feindlich zu ihm verhalten.“ ( LW 4, S. 269)
Das schrieb er lange, bevor mit dem Imperialismus und der damit verbundenen gesetzmäßig entstehenden Möglichkeit zu monopolistischen Extra- und Superprofiten ganze Sektoren ja auch ganze nationale Abteilungen des internationalen Proletariats von ihren Kapitalisten auf dieser Grundlage materiell bestochen, korrumpiert und in das System integriert werden konnten.

Gestützt auf unser Parteiprogramm, das zu Recht darauf hinweist, dass es in Zeiten der wachsenden Krisenhaftigkeit und sozialreaktionären Umbaus der bisherigen erkämpften sozialen Sicherungssysteme zunehmend schwerer wird, wirkliche Reformen zu erkämpfen, sagen wir deshalb auch heute mit Lenin:
„Die revolutionäre Sozialdemokratie hat den Kampf für Reformen stets in ihre Tätigkeit eingeschlossen und tut es auch heute. … wie der Teil dem Ganzen untergeordnet ist, ordnet sie den Kampf um Reformen dem revolutionären Kampf für Freiheit und Sozialismus unter. …“ (Lenin: Was tun? Einzelausgabe, Berlin 1974, S. 98/99)

Wenn heute aus der EL-Zentrale in Brüssel, der PDL-Zentrale aus Berlin oder aus dem mit der EL verbundenen ideologischen Apparat und Bildungsnetzwerk „transform“, zu dem seit geraumer Zeit auch das von Conrad Schuhler und Leo Mayer geleitete Münchner „isw“ gehört, zentnerweise Papier mit immer wieder neuen Varianten dieser „Reformstrategien“ auf den Markt geworfen werden, dann sagen wir als DKP :
„Gerade jetzt, wo erneut eines dieser so schillernden Reformprojekte, die ´demokratische, soziale, ökologische und feministische Neugründung der EU` zerplatzt ist, werden wir den Teufel tun, uns vom angeblichen so gescheiterten und dogmatischen „Marxismus-Leninismus“ zu distanzieren und stattdessen auf den längst auf den falschen Gleisen dahintuckernden Zug des Reformismus aufsteigen.“

Ich komme damit zum letzten derzeit umstrittenen Punkt des Leitantrages, zur Frage des Selbstverständnisses der DKP als einer marxistisch-leninistischen Partei.

4. Die DKP als marxistisch-leninistische Weltanschauungspartei

Wir bestimmen mit dem Leitantrag den Standort unserer Partei als einer autonomen Partei , die auf den Schultern vieler Generationen und hunderttausender im Klassenkampf und im antifaschistischen Widerstand gefallener und verfolgter deutscher Kommunistinnen und Kommunisten seit der Gründung der KPD 1918, dem Zusammenschluss von KPD/SPD zur SED und seit der Neukonstituierung als DKP steht.

Wir wissen, dass nach dem KPD-Verbot von 1956 bestimmte für die marxistische Theorie prägende Begriff wie Marxismus-Leninismus, Diktatur des Proletariats oder auch Demokratischer Zentralismus gar nicht mehr oder nur in Umschreibungen oder auch nur in einem sehr engen nicht mit der politischen Praxis in Zusammenhang stehenden Sinne benutzt werden können. Der Marxismus-Leninismus als Weltanschauung der Kommunisten fällt unter das vom Grundgesetz geschützte Recht auf Freiheit der Religion und Weltanschauung. Er darf nur nicht als unmittelbare Anleitung zum politischen Handeln genutzt werden. Deshalb benutzen wir in der Regel die Begriffe „Lehre oder Lehren von Marx, Engels und Lenin“.

Das hat aber niemals etwas daran geändert, dass sich die KPD zwischen 1956 und 1968 und die DKP nach 1968 nicht als „marxistisch-leninistisch“ verstanden hätte oder gar in Distanz zum Marxismus-Leninismus gegangen wäre. Im Gegenteil. Wir bekräftigen gerade in diesem Jahr einen Satz den Fidel Castro vor einigen Monaten aus Anlasses des 70. Jahrestags des Sieges über den deutschen Faschismus gesagt hat.
„Lenin war ein genialer revolutionärer Stratege, der nicht zögerte, die Ideen von Marx anzunehmen und ihre Umsetzung in einem riesigen und nur zum Teil industrialisierten Land in Angriff zu nehmen, dessen proletarische Partei im Angesicht der größten Bedrohung, die der Kapitalismus über die Welt gebracht hatte, zur radikalsten und tapfersten des Planeten wurde. …
Die 27 Millionen Sowjetbürger, die im Großen Vaterländischen Krieg gestorben sind, taten dies auch für die Menschheit und für das Recht zu denken und Sozialist zu sein, Marxist-Leninist zu sein, Kommunist zu sein und die Vorgeschichte zu verlassen.“

„Marxist-Leninist“ zu sein, das macht den Typus des/der Kommunist(in) aus. Wir stellen mit dem Leitantrag klar, was bei dem einen oder anderen in Vergessenheit geraten oder auch in Zweifel gezogen wird. Der Marxismus-Leninismus ist nicht irgendeine Theorie oder Weltanschauung, zu der man dieses oder jenes Verhältnis als Kommunist haben kann. Der Marxismus- und der Leninismus bilden unsere wissenschaftliche und schöpferische Weltanschauung.

So hatten wir es einstimmig im ersten Parteiprogramm von 1978 beschlossen. Und dabei wird es bleiben und zu diesem Zweck beendet unser Leitantrag die Unsicherheit, die mit einer missverständlichen Formulierung im 2006er Programm entstanden ist, in der zwar von der „Freiheit der Propagierung des Marxismus-Leninismus“ gesprochen wird, ohne dass aber dabei – wie 1978 – gesagt wird, dass es sich dabei um unsere , um die „Weltanschauung der Kommunisten“ handelt.

So weit einige Anmerkungen zum bisherigen Stand der Debatte über den Leitantrag.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Quelle: DKP-News vom 8.9.2015

Vom 14. bis 15. November 2015 findet der 21. Parteitag der DKP statt. Wir stellen im Folgenden die Anträge des Parteivorstandes an den Parteitag gebündelt zur Verfügung.

Leitantrag: DKP in Aktion – Bilanz ziehen, Neues erkennen, Chancen nutzen – gegen Monopolmacht, Kriegspolitik und Rechtsentwicklung

Handlungsorientierung der DKP

Internationale Zusammenarbeit der DKP

Beendigung des Beobachterstatus in der Partei der Europäischen Linken

Bundestagswahlen 2017

Änderung des Statuts der DKP

Änderung der Beitragsordnung der DKP (I)

Änderung der Beitragsordnung der DKP (II)