Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Der „Mietenvolksentscheid“ – Chance vertan!

Eine soziale Bewegung, die sich auf die Verhandlung von Gesetzen einlässt, kann nur verlieren!

von "Paul & Paula"

09/2015

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung: Die Berliner wohnungspolitische Initiative  www.wirbleibenalle.org ist dabei,  zusammen mit http://mietenstopp.blogsport.de/ eine "redaktionell gestalteten Plattform der außerparlamentarischen stadt- und sozialpolitischen Bewegung in Berlin" zu initiieren, wo nach dem sich abzeichnenden Ausgang des Mietenvolksentscheids eine "bewegungsöffentliche Debatte über das, was jeden Tag an Protest, Aktionen und politischer Arbeit passiert" entstehen soll. Eröffnet wurde das Projekt am 13.9.2015 mit dem nachfolgenden Artikel von "Paul & Paula". / red. trend

Es war einmal… So beginnen normalerweise Märchen mit einem guten Ende. Ein bisschen hat auch der Berliner „Mietenvolksentscheid“ mit einem Märchen gemein. Im August des Jahres 2014 versammelten sich mehr als 50 Aktive aus Mieter- und Stadtteilinitiativen und politischen Gruppen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Zielsetzungen, darunter auch vereinzelte Aktivist*innen von Parteien. Gemeinsam hatten sie sich das Ziel gesetzt, mit einer Kampagne um einen Volksentscheid den Wahlkampf im Jahr 2016 zu begleiten und einen Richtungswechsel in der Berliner Wohnungspolitik einzuläuten. In den folgenden vier Monaten wurde über sämtliche Aspekte der Landes-Gesetzgebung und mögliche Änderungen für eine mieter*innenfreundliche Politik debattiert. Herauskam ein umfangreicher Entwurf zur „Neuausrichtung der Sozialen Wohnraumförderung“.

Die Initiative hatte mit ihrer Verallgemeinerung des Entwurfs als „Mietenvolksentscheid“ in der Berliner Bevölkerung einen Nerv getroffen. Beim viel versprechenden Start an einem Wochenende im April wurden über 3.000 Unterschriften gesammelt. Nach acht Wochen anstatt der zulässigen sechs Monate wurden knapp 50.000 Unterschriften übergeben, mehr als doppelt so viele wie benötigt. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, der „in Gesprächen“ zwischen dem Berliner Senat und Vertreter*innen der Initiative entwickelt wurde. Einzelne Forderungen des Zusammenschlusses wurden dabei berücksichtigt. Von dem angekündigten Richtungswechsel ist aber nur wenig zu spüren. Die Wohnungsbaugesellschaften können weiter wurschteln wie bisher und Mieter*innen zwangsräumen oder Wohnungsbewerber*innen ablehnen. Die Forderungen nach billigen Mieten für Sozialwohnungen wurden von einer überaus klug handelnden SPD-Führung, die sich dieses Mal nicht auf das Ignorieren der Probleme beschränkte, in eine bereits vor Jahren festgelegte Strategie im Umgang mit der „Wohnungsfrage“ eingepasst.

Von der eingereichten Vorlage und den Vorstellungen aus der Anfangszeit ist nach den Verhandlungen nur noch ein Torso übrig geblieben. Das Plenum der Initiative muss dem Entwurf zwar noch zustimmen. Dies dürfte allerdings nur eine Formsache sein. Die erwarteten negativen Ergebnisse bei der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Volksbegehrens dürfte das Übrige dazu beitragen. Unter dem Druck von langwierigen gerichtlichen Verfahren werden dann wohl auch die vereinsinternen Kritiker*innen schweren Herzens dem „Kompromiss“ ihr Einverständnis geben.

Die Grenzen …

Der Einsatz von Volksentscheiden als Mittel der Meinungsbildung und Politikgestaltung ist in der mieten- und stadtpolitischen Szene zu Recht umstritten. Volksentscheide sind per se dem bestehenden System verhaftet und können als solche die Bedingungen der kapitalistischen Verwertung von Wohnungen als Ware nicht verändern. Insofern ist die von der orthodoxen Linken der DKP oder von Karl-Heinz Schubert in trend-online geäußerte Kritik an dem Gesetzentwurf des Vereins, die gerade dieses in letzter Konsequenz von einem solchen Entscheid fordern, wahlweise dämlich oder grober Unfug.

Ein Blick über die Grenzen in das Musterland des Volksentscheids, die Schweiz, lässt leicht erkennen, dass das Instrumentarium an sich auch keine fortschrittlichen Inhalte befördert. Gegen die Festsetzung eines Mindestlohnes, für verstärkte Abschiebung von Ausländer*innen waren hier die Begehren, die mit großer Mehrheit beschlossen wurden. Selbst gewonnene Volksentscheide wie das Berliner Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserverträge weisen auf eine wenig nachhaltige Wirkung hin. Die Wasserbetriebe wurden zwar zurückgekauft, allerdings zu einem Preis, der ganz im Sinne der kapitalistischen Logik den Eigentümer*innen wenig wehtat und die Berliner*innen weiterhin belasten wird. Dem Trägerverein Wasservolksbegehren wurde weiterhin die Einsicht in Gutachten verweigert. Der erste stadtentwicklungspolitische Bürgerentscheid auf Bezirksebene, die gegen alle Parteien angestrengte Forderung „Spreeufer für Alle!“, wurde anschließend von Senat und Bezirk vollkommen ignoriert. Die Privatisierung der Spreeufer fand genauso wenig ein Ende wie ihre Bebauung mit Unternehmenssitzen und Luxuswohngebäuden.

Wie eng der rechtliche Rahmen für die Formulierung von Volksentscheiden ist, musste auch die Initiator*innengruppe bei der Entwicklung des jetzigen „Mietenvolksentscheids“ erfahren.

Ursprünglich angetreten mit dem Anspruch, die mietenpolitische Gesetzgebung in sämtlichen Bereichen zu verändern, musste sie erkennen, dass dies keineswegs so einfach ist. Wichtige Bereiche wie der Erhalt von Kleingartenanlagen und Grünflächen, die allgemeine Regulierung von Mieten, das grundsätzliche Verbot von Zwangsräumungen oder der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die Legalisierung von Hausbesetzungen u.a.m. blieben auf der Strecke, weil sie der bundespolitischen Gesetzgebung unterliegen und durch Entscheide auf Landesebene nicht beeinflusst werden können. Andere Punkte wie der Kampf gegen die Zweckentfremdung von Wohnungen oder gegen die gezielte Verwahrlosung von Wohnhäusern zur Erzielung höherer Profite konnten nicht berücksichtigt werden, da sie nicht sinnvoll mit dem vorliegenden Entwurf verknüpft werden konnten. Und auch die geplante Reduzierung der Mieten für Normal- und Geringverdiener*innen in Sozialwohnungen, eine Kernforderung des „Mietenvolksentscheids“, kann bei den zugrunde liegenden Verträgen sogar dem Interesse von Eigentümer*innen entsprechen; denn schließlich soll die Differenz zwischen bisher geforderter und künftig abgesenkter Miete aus öffentlichen Geldern subventioniert werden. Das absurde System der Kostenmieten und der Bereicherungsmöglichkeiten für Eigentümer und Bauherren von Sozialwohnungen wird dagegen gar nicht angegriffen.

…. und Möglichkeiten eines Volksentscheids

Trotz der grundsätzlich begrenzten Wirkung können Volksentscheide zu einem politischen „Paradigmenwechsel“ beitragen, wenn sie Ausdruck und Vehikel breiterer gesellschaftlicher Diskussionen und Bewegungen sind, Teil weit größerer politischer Kampagnen also. Bestes Beispiel ist trotz der bereits angesprochenen Schwäche die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Ein Verkauf des staatlichen Tafelsilbers wird danach nur noch schwerlich möglich sein. Vor 10 bis 15 Jahren haben sich die Parteien noch gegenseitig darin überboten, die besseren Privatisierer zu sein. Heute würde jede Partei, die dies zum Ziel hätte, bei der nächsten Wahl böse abserviert werden. Ein anderes Beispiel sind die von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BiMa) geplanten Grundstücksverkäufe zum Höchstpreisverfahren, die ohne die jetzigen Auseinandersetzungen und Widerstände schon lange unter Dach und Fach wären. Denn mittlerweile können Parteien in den Umfragen und Wahlen davon profitieren, wenn sie prominente Anti-Privatisierungs-Forderungen unterstützen. Und der letzte erfolgreiche Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof hat sehr deutlich gezeigt, dass auch die Regierungsparteien und die mit ihnen verbundenen Vereinigungen mit einem millionenschweren Werbeetat den Ausgang einer Abstimmung fürchten müssen. Wer erinnert sich heute noch an die „Tempelhofer Freiheit“, die Lobbyorganisation für die Bebauung des Tempelhofer Feldes?

Wo blieb die „Kampagne“?

Eine zentrale Bedeutung auf dem Weg zu einem tief greifenden mieten- und stadtpolitischen Paradigmenwechsel kommt der Öffentlichkeitsarbeit im Zuge des Entscheids zu. „Der Mietenvolksentscheid ist ein Schritt auf dem Weg zu einer sozialen, demokratischen und ökologischen Stadt. Wir werden bei diesem Schritt nicht stehen bleiben. Wir wollen den Ausverkauf unserer Stadt aufhalten. Wir werden unsere Stadt nicht länger der Politik und der Immobilienwirtschaft überlassen.“ So nennen es die Aktivist*innen in ihrem Flyer. Gemessen an diesem Anspruch kann die Öffentlichkeitsarbeit und der öffentliche Auftritt von einzelnen Akteur*innen nur mit einem Wort bezeichnet werden: katastrophal.

Die Regierungen der letzten 15 Jahre haben fast nichts unternommen, um die Verdrängung des ärmsten Drittels der Bevölkerung zu verhindern. Im Gegenteil, die Probleme wurde jahrelang verleugnet, die Verdrängung durch den Rückzug des Staates sogar noch beständig gefördert. Dennoch stimmte in der Sendung einer Talkshow ein Akteur des „Mieten-Volksentscheid“ in das Hohelied des vom Vertreter der Immobilienwirtschaft geforderten Neubaus ein, statt diesem energisch zu widersprechen und darauf hinzuweisen, dass die hier geschaffenen Wohnungen weder von Normal- noch von Geringverdiener*innen zu bezahlen sind. In einer Debatte mit einem Politiker der SPD verzettelt sich ein Anderer in Auseinandersetzungen um die Kosten des Volksentscheids, statt die tragende Rolle sämtlicher Regierungsparteien bei der Verdrängung der Bevölkerung zu benennen. Sichtlich genießend, dass jetzt auch Mainstream-Medien und Politiker*innen das Anliegen ernst nehmen, werden alle Gelegenheiten in den Wind geschossen, die herrschende Politik scharf zu kritisieren.

Aber die Kritik wurde nicht nur von den Protagonist*innen der Initiative bei den sich bietenden Gelegenheiten unterlassen. Eine Thematisierung der über die unmittelbaren Inhalte des Volksentscheids hinausgehenden Punkte wurde auch allgemein weitgehend unterlassen. Dabei würde ein verantwortungsvoller und politisch weiter reichender Umgang mit einer medialen Aufmerksamkeit heißen, auf die vielen anderen Initiativen zu verweisen und sich auf diese zu beziehen. „Erfolge“ wurden in der Regel jedoch in der Zahl der gesammelten Unterschriften gemessen statt in der Prägnanz und Radikalität des eigenen Auftretens.

Verhandlungen ohne Mandat

Nach dem überaus erfolgreichen Start war das Interesse der Parteien am Volksbegehren groß. Bereits im Juni wurde vom „Aktivenplenum“ als dem höchsten entscheidenden Organ beschlossen, dass erste Gespräche mit Politik und Verwaltung über die Weiterführung des Volksbegehrens geführt werden sollten. Hierbei sollte ausgelotet werden, in welcher Art und Weise der Gesetzesentwurf geändert oder ergänzt werden könnte, um die festgestellten formalen Fehler im Gesetzestext auszumerzen. Die ersten Gespräche mit dem Staatssekretär der SPD und Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fanden noch öffentlich statt, die weiteren wurden mit einzelnen Vertreter*innen des „KO-Kreises“ hinter verschlossenen Türen geführt. Was dann folgte, war eine Verletzung von basisdemokratischen Spielregeln sondergleichen. Die interessierte Öffentlichkeit und die Aktiven der Plena erfuhren nur wenig vom Inhalt dieser „Gespräche“. Selbstredend wurde auch den Forderungen nach Transparenz von grundsätzlich freundlich gesonnenen Initiativen wie dem Berliner Ratschlag ignoriert. Die Beteiligten der „Verhandlungsgruppe“ deuteten die seit Juli 2014 erscheinenden regelmäßigen Berichte aus der Presse über eine mögliche „Einigung“ zwischen dem Träger des Mieten-Volksbegehrens und dem Senate als Fehl- bzw. Falschinformationen der Journalist*innen. Mitte August ereilte die Aktivist*innen dann eine Nachricht wie ein Paukenschlag: In einem 20stündigen Marathon mit der Senatsverwaltung und der SPD sei von der „Verhandlungsgruppe“ angeblich in allen wesentlichen Punkten eine Einigung erreicht worden. Die Presse berichtete bereits am folgenden Tag von diesem Übereinkommen. Ein Mandat für die Führung von Verhandlungen hat es jedoch zu keinem Zeitpunkt gegeben. In einem bisher kaum bekannten Ausmaß werden damit die Prinzipien missachtet, auf denen jede außerparlamentarische Initiative basiert. Wieso nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt den beteiligten Personen die Befugnis zur Außenvertretung entzogen wurde, bleibt das Geheimnis der Gruppe um den „Mietenvolksentscheid.“

Wahlkampfhilfe für die SPD

Mit dem jetzigen Gesetzentwurf wurden zwar einzelne Forderungen berücksichtigt. So sollen nunmehr die Mieter*innen einen Platz im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaften erhalten. Zwangsräumungen sollen zwar nicht ausgeschlossen, aber erschwert werden und Sozialmieter*innen eine finanzielle Unterstützung erhalten. Mit den einstmaligen grundlegenden Forderungen des Trägerkreises hat diese in Geheimverhandlungen abgestimmte Vorlage nur wenig zu tun. Der Entwurf trägt in wesentlichen Punkten die Handschrift der bereits vor mehreren Jahren festgelegten Strategie der SPD. Es bewahrheitet sich damit eine alte Weisheit: Initiativen, die sich auf die Verhandlung von Gesetzen einlassen, können nur verlieren. Insbesondere dann, wenn sie angesichts einer verlockenden Anerkennung durch die Regierenden nichts dafür tun, dass der Druck auf der Straße verstärkt oder auch nur aufrechterhalten wird.

Der jetzige Gesetzentwurf wird die weiter andauernde Verdrängung von Normal- und Geringverdiener*innen zwar nicht verhindern. Mit der Vorlage wird die SPD jedoch die Bedeutung dieses Themas im Wahlkampf abschwächen können. Die unmittelbare Wirkung geht sogar noch weiter: Mit wenig mehr als kosmetischen Korrekturen gegenüber der jetzigen Politik wird es der Regierungspartei SPD mit aktiver Unterstützung der „Verhandlungsgruppe“ gelingen, sich gleichzeitig als parlamentarische Vertretung von Mieterinteressen zu präsentieren und vorzutäuschen, man ginge aktiv und weitreichend auf die berechtigten Forderungen der Mieter*innenbewegung ein. Der „Mietenvolksentscheid“ wird auf diese Weise zu einer hervorragenden und zudem sehr billigen Wahlkampfhilfe.

Mit dem Berliner „Mietenvolksentscheid“ wurde eine Chance vertan, den dringenden Bedarf an einer breiten außerparlamentarischen Organisierung rund um die Wohnungsfrage zu verdeutlichen, die alltäglichen Kämpfe in den Mittelpunkt zu stellen und auch die Grenzen des Instrumentariums Volksentscheid aufzuzeigen: Welche gesellschaftlichen Bedingungen sind es, die verhindern, dass wir mit einem Volksentscheid gute Wohnungen und gutes Wohnen für alle schaffen können? Sobald diese Fragen angerissen werden, lässt sich auch nicht mehr die Eigentumsfrage umgehen, die unbestreitbar einen zentralen Punkt in der Wohnungsfrage bildet.

Der „Mietenvolksentscheid e.V.“ hat der Initiativen-Landschaft einen Bärendienst erwiesen. Der Entscheid ist politisch gescheitert. Das Märchen wird nicht gut ausgehen. Aber vielleicht reicht es für den persönlichen Karriereschub von einzelnen Vertreter*innen.

Paul & Paula

Quelle: http://wirbleibenalle.org/?p=2915, posted 13.9.2015