Zahlen-Daten-Fakten zur Bundestagswahl 2017
Abgeordnete kassieren Millionensummen von Unternehmen

Informationen von abgeordnetenwatch.de

9/2017

trend
onlinezeitung

120.000 Euro von der Kohlelobby, bis zu einer halben Millionen Euro aus der Versicherungsbranche: Einzelne Bundestagsabgeordnete haben nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen mit ihren Nebentätigkeiten in dieser Wahlperiode beträchtliche Zahlungen aus der Wirtschaft erhalten. Oftmals sind die Geldgeber anonym – Millionensummen bleiben vollkommen im Dunkeln.

Ideen, um Politik transparenter zu machen, gibt es zuhauf. Die wohl pfiffigste lautet: Die Kleidung von Abgeordneten, die bezahlten Nebentätigkeiten nachgehen, mit Firmenlogos bedrucken – schon weiß die Öffentlichkeit Bescheid.

Noch allerdings muss man sich Informationen zu den Nebentätigkeiten der Abgeordneten mühsam zusammensuchen. abgeordnetenwatch.de hat die Selbstauskünfte aller 655 Abgeordneten, die in der laufenden Wahlperiode ein Bundestagsmandat innehatten, erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, wie ausgeprägt die (finanziellen) Verflechtungen zwischen Abgeordneten und der Wirtschaft sind.

Zunächst: Die große Mehrheit der Parlamentarier verfügt über keinerlei meldepflichtige Einkünfte von mehr als 1.000 Euro im Monat bzw. 10.000 Euro im Jahr. Lediglich jeder vierte Bundestagsabgeordnete – 178 von 655 – hat im Laufe der 18. Wahlperiode etwas hinzuverdient, unter dem Strich 26,5 Mio. Euro bis 48,7 Mio. Euro. Genauere Angaben sind nicht möglich, da die Offenlegungsregeln wenig transparent sind: Was ein Abgeordneter nebenher kassiert, muss er nicht in Euro und Cent genau offenlegen, sondern in einer von zehn Einkunftsstufen.

Exklusiver Zugang zu Politikerinnen und Politikern

Unter den Abgeordneten mit besonders hoch vergüteten Unternehmensposten sind zahlreiche bekannte Politikerinnen und Politiker:

  • Der frühere Forschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) kassierte als stellvertretender Verwaltungsratschef der Schweizer Beteiligungsgesellschaft HBM Healthcare Investments AG zwischen 2014 bis 2016 mindestens 350.000 Euro, wahrscheinlich sogar deutlich mehr. Allein für das Jahr 2015 bezog er Einkünfte der nach oben offenen Einkunftsstufe 10 („mehr als 250.000 Euro“). Dass Riesenhuber im Bundestag dem Wirtschaftsausschuss angehört, verleiht der Angelegenheit besondere Brisanz.
  • Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) kassiert als Verwaltungsrätin des Schweizer Pharmakonzerns Siegfried Holding AG pro Monat zwischen 3.500 und 7.000 Euro. Inklusive eines stattlichen Zusatzhonorars für 2016 belaufen sich ihre Einkünfte von der Pharmalobby auf 127.500 bis 205.000 Euro. Problematisch hier: Schmidt ist mit den Abläufen im Gesundheitsministerium bestens vertraut - sie war dort jahrelang Ministerin.
  • Der Kohlekonzern RAG zahlte an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der laufenden Wahlperiode zwischen 120.000 und 200.000 Euro. Gemeinsam mit Lammert sitzt im RAG-Aufsichtsrat auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß, der eine Vergütung in gleicher Höhe erhielt.
  • Die Nürnberger Versicherung überwies der CSU-Abgeordneten Dagmar Wöhrl seit 2013 zwischen 342.000 und 525.000 Euro. Wöhrl sitzt im Aufsichtsrat der Konzernmutter und zweier Tochterunternehmen. Weitere 275.000 bis 375.000 Euro zahlte die Schweizer Privatbank Bank I.Safra Sarasin an die CSU-Politikerin für einen Posten im Verwaltungsrat.

Dass Abgeordnete in einem Unternehmen eine Funktion ausüben, ist in vielerlei Hinsicht ein Problem. Das größte ist: Konzerne erhalten auf diese Weise einen privilegierten und exklusiven Zugang zur Politik, den andere Unternehmen, Vereine oder die Bürgerinnen und Bürger nicht haben.

Und so gut wie immer fließt Geld. In 119 Fällen (xls|ods)  haben Unternehmen und Banken einen Bundestagsabgeordneten in der laufenden Wahlperiode dafür bezahlt, wenn dieser eine Funktion ausübte. In den vergangenen vier Jahren kassierten  Bundestagsabgeordnete zwischen 4,6 und 7,6 Mio. Euro für Posten in Aktiengesellschaften, GmbHs und Banken – nachfolgend eine Übersicht nach Abgeordneten.

Wer steckt hinter "Vertragspartner 3"?

Doch die Vergütungen von Unternehmensposten sind lediglich die gut sichtbare Spitze des Eisbergs, wenn es um bezahlte Nebentätigkeiten geht. In vielen anderen Fällen bleibt vollkommen unklar, wer die Geldgeber der Abgeordneten sind – auch hier geht es um Millionenbeträge.

Wer ist zum Beispiel der Großkunde mit der Bezeichnung „Vertragspartner 3“, von dem der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Röring als Inhaber eines Energie- und Düngemittelbetriebs zweimal mindestens 250.000 Euro erhielt? Die Frage ist deswegen von Belang, weil die Öffentlichkeit nur durch Kenntnis der Geldgeber beurteilen kann, ob bei einem Volksvertreter ein Interessenkonflikt besteht. Doch nach den Veröffentlichungsregeln des Bundestages können Freiberufler und Selbständige wie Röring ihre Geldgeber hinter Bezeichnungen wie "Kunde", "Vertragspartner" oder "Mandant" verbergen, nicht einmal deren Branche muss genannt werden.

Es gibt zahlreiche Beispiele für beträchtliche Zahlungen an Abgeordnete aus anonymer Quelle. Eine Auswahl:

Dass es sich bei den horrenden Beträgen um Bruttozuflüsse handelt, denen oftmals Ausgaben für Mitarbeitergehälter und Investitionen gegenüberstehen, ändert an dem grundsätzlichen Problem nichts: Volksvertreter unterhalten Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen – und diese bleiben vollkommen im Dunkeln. Für die laufende Legislaturperiode belaufen sich die Nebeneinkünfte, die Abgeordnete aus anonymen Quellen erhielten, auf 6,6 bis 11,3 Mio. Euro.

Das ist zu tun

Zu viel Nähe zwischen Abgeordneten und Unternehmen ist gefährlich für unsere Demokratie. Deswegen braucht es aus Sicht von abgeordnetenwatch.de folgende Maßnahmen:

  • Alle Nebeneinkünfte müssen endlich vollständig auf den Tisch, mitsamt der Geldgeber. Dass Abgeordnete Millionensummen aus anonymen Quellen kassieren, ist nicht hinnehmbar.
  • Ein verbindliches und weitreichendes Lobbyregister muss eingeführt werden. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht zu erfahren, welche Kontakte es zwischen Lobbyisten und Politikern gibt und wer an Gesetzen mitwirkt.
  • Lobbyjobs in der Wirtschaft müssen verboten werden. Hierzu existieren konkrete Vorschläge: Eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung regt beispielsweise an, Nebentätigkeiten bei den Unternehmen, Verbänden oder Organisationen zu untersagen, die in einem künftigen Lobbyregister eingetragen sind.
     

Quelle: https://www.abgeordnetenwatch.de/