Kommentare zum Zeitgeschehen
Ein weiterer Kommentar zur Sammlungsbewegung "Aufstehen"

von Anton Holberg

09/2018

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onlinezeitung

Zunächst einmal bitte ich die daran nicht (mehr) gewohnten Leser um Entschuldigung für mein Parteichinesisch. Bestimmte traditionelle Begriffe ersparen einfach langwierige Erklärungen.

Wie manche linken Kritiker (damit meine ich nicht solche, die demagogisch den Vorwurf von Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus, gar "Antisemitismus" ,erheben) bin auch ich der Meinung, dass das "Aufstehen-Projekt" ein reformistisches ist. Wie sie bin ich auch der Meinung, dass der Reformismus nicht langt, um die zentralen Probleme der Welt und damit auch der Menschen in der BRD zu lösen. Aber das braucht man dem Projekt keineswegs vorzuwerfen.

Auszugehen ist von Folgendem: Proletarisch-revolutionäre Kräfte sind weltweit und dabei weiß Gott nicht an letzter Stelle in der BRD in der Defensive oder gar marginalisiert. Das gilt übrigens auch für die Partei "Die Linke", in der querfrontmäßig z.B. Proimperialisten in der prozionistischen Version mit Antiimperialisten, darunter sogar solche marxistischer Provinienz,
friedlich beeinander leben. Die bisherige Geschichte hat nur eine authentische proletarisch-revolutionäre Revolution, die russische Oktoberrevolution gesehen, die in ihrem Wesenskern schließlich (d.h. in den 30er Jahren) an der kapitalistischen Umzingelung gescheitert ist. Diese Revolution war allerdings erst der zweite Schritt des Aufbegehrens des (russischen) Proletariats. Ihr ging die Gründung von Arbeiterräten (unterstützt von überwiegend aus der Bauernklasse rekrutierten Soldatenräten) voraus, die den Zar stürzen und Reformisten an die Macht brachten. Die darauf folgende praktische Erfahrung der proletarischen und kleinbäuerlichen Massen mit der Unfähigkeit und dem Unwillen der Reformisten, den Krieg zu beenden und den Menschen Brot zu geben, sorgte für ihre Umorientierung auf die revolutionäre Partei der Bolschewiki. Das heißt wohlbemerkt nicht, dass der Reformismus ein Schritt zur proletarischen Revolution ist und deshalb von denen, die ein Ende des Kapitalismus für eine unbedingte Voraussetzung zur Lösung der anstehenden Menscheitsprobleme halten, als eben nur nicht ausreichend fortschrittlich begrüßt werden müsste. Es heißt aber, dass es im bürgerlichen Zeitalter kein Beispiel für eine erfolgreiche Revolution gibt, der nicht ein reformistischer Holzweg vorhergegangen ist, wenn dieser denn das Ergebnis von Massenkämpfen der Unterklassen war.

Die Frage also, ob Frau Wagenknecht oder welcher der bekannten "Führer"der "Aufstehen"-Initiative selbst revolutionär sind, ist zumindest sekundär. Sie würden eine wichtige Aufgabe erfüllen, wenn es ihnen gelänge, etwas in die Wege zu leiten, das die Hauptopfer des aktuellen Systems zunächst einmal für die Verteidigung ihrer früher einmal innerhalb des Systems erkämpften Errungenschaften aktivieren würde. Dann erst - und  erfahrungsgemäß eben nicht durch die Propaganda und Agitation der mannigfachen "revolutionären" Grüppchen außerhalb einer solchen Situation - können die kämpfenden Teile der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten die Erkenntnis gewinnen, dass diese Verteidigung entweder innerhalb des Systens in seinem heutigen Entwicklungsstand nicht mehr möglich ist und/oder dass die Wiederbelebung der ehemaliger Errungenschaften nicht mehr ausreicht, um die heutigen und zukünftigen Probleme zu lösen. Wenn wir so weit sind, wird es an der Zeit sein, diejenigen, die sich dann als reformistische Bremser oder gar Konterrevolutionäre zeigen, frontal zu bekämpfen. Da stehen wir heute nicht, und es ist kein Wunder, dass aus der Krise der PDL, die durch das Ende ihres Wachstums in der Wählergunst gekennzeichnet ist, keine erkennbar revolutionäre Kraft entsteht, sondern eben "Aufstehen". Selbstredend bedeutet das nicht, heute mit dem Wissen um die Begrenztheit, wenn nicht gar Unmöglichkeit, reformistischer Lösungen hinter dem Berg zu halten. Es bedeutet aber, diese Erkenntnis nicht zu misbrauchen, um sich von der Möglichkeit einer Aktivierung der Klasse - sei sie auch zunächst reformistisch - fernzuhalten - und dann möglicherweise dann auch noch auf die Existenz der PDL zu verweisen, die doch inzwischen recht deutlich gezeigt hat, dass sie dazu entweder nicht willens oder nicht fähig ist.

Per Email vom Autor am 28.08.2018

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