Schlimmer geht immer
Eine Übersicht zu den Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre

von Redaktionskollektiv der RHZ

09/2020

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In den letzten Jahren gab es vielerlei Gesetzesänderungen. Allen voran die anhaltenden Novellierungen der Poli­zeigesetze in den Bundesländern, so­wie eine große Strafrechtsreform 2017 (und eine etwas kleinere im letzten Jahr). Daneben gab es einige kleinere Änderungen und um manches wird schon vor Gerichten gefochten. Ein Ef­fekt kann zweifelsfrei festgestellt wer­den: Die Veränderungen verunsichern - und schon das ist Repression.

Nicht nur Laien schütteln ver­zweifelt den Kopf. Die Geset­zesänderungen sind keine über­sichtliche Angelegenheit; das Ist Teil des Problems. Es werden hier zuerst die Polizei- und Sicherheitsge­setze der Länder erwähnt, da diese den meisten wohl Irgendwie ein Begriff sein werden. Danach geht es zunächst um die Strafrechtsnovelle 2017, die Bun­dessache war und für die Ländergesetze Vorarbeit geleistet hat. Die vorliegende Aufzählung von Änderungen Ist nicht voll­ständig. Aber schon die hier geworfenen Schlaglichter können einen erschlagen.

Polizei- und Sicherheitsgesetze

Polizei- bzw. Sicherheitsgesetze sind prä­ventiv. Das bedeutet, dass sie In der Re­gel keine Straftaten aufführen oder einen Umgang mit diesen festlegen, sondern die Arbelt der Sicherheitsbehörden Im Vorhi­nein regulieren. Dazu gehören ganz unter­schiedliche Punkte: Ausrüstung und Be­waffnung von Beamtinnen, Möglichkeiten zur Datenerhebung und -speicherung sowie Überwachungsmögllchkelten und Aufent­haltsverbote für mögliche Straftäter*Innen.

Polizei ist in Deutschland Ländersa­che. Jedes Bundesland hat sein eigenes Gesetz, das die Aufgaben, Befugnisse etc. der Polizei regelt. Seit 2018 verfol­gen die Bundesländer eine Novelllerung Ihrer jeweiligen Gesetze. Wenige Tage vor dem Corona-Lockdown Im März 2020 ver­abschiedete zum Beispiel der Landtag In Mecklenburg-Vorpommern mit den Stim­men von SPD, CDU und AfD sein neues sogenanntes Sicherheitsgesetz.

Dagegen gab es In Mecklenburg-Vor­pommern, wie auch zuvor In beinahe al­len anderen Bundesländern, breiten Pro­test von Liberalen, Bürgerrechtler*innen und Linken. So demonstrierten zum Bei­spiel Im Mal und Oktober 2018 In Bayern dezentral jeweils mehrere zehntausend Menschen gegen das „Pollzelaufgaben-gesetz". Passenderwelse wurden bei der Oktoberdemo über ein Dutzend potenti­elle Demonstrant*lnnen von der Bundes­pollzel für mehrere Stunden eingesperrt, um Ihre Teilnahme und damit „präventiv Straftaten" zu verhindern.

Auch In Düsseldorf gingen am 7. Juli 2018 mehr als 15.000 gegen das Po-llzelgesetz In NRW auf die Straße. In der RHZ fanden sich dazu vor allem In der Ausgabe 4/19 je ein Artikel von den Ortsgruppen aus Hamburg und Rostock. In Brandenburg wurde das Gesetz brisan­terweise von der rot-roten Koalition ver­abschiedet ohne dass es sich wesentlich von den anderen Gesetzen unterschied. Innerhalb der Linkspartei hat das zu or­dentlich Krach geführt, am Ende aber keine großen Konsequenzen gehabt (s. Artikel dazu auf Seite 47 in diesem Heft).

Zu den besonders großen Aufregern bei den Pollzeigesetzen gehören der Be­griff der „drohenden Gefahr" (RHZ3/18), der der Polizei beinahe grenzenlosen Er-messenssplelraum lässt und die Möglich­keit gibt, Menschen ohne richterlichen Beschluss oder auch nur konkreten Vor­wurf vorbeugend In Gewahrsam zu neh­men. Daneben gibt es das Detail, dass In vielen Ländern die Polizei nun Hand­granaten einsetzen darf. Man fragt sich, wie ein Pollzelelnsatz mit Sprengmitteln wohl aussehen mag. Wichtige Neuerun­gen betreffen auch die Regulierung von Online-Überwachung. Hier hat die Polizei lange geschlafen und versucht nun mit Nachdruck aufzuholen. Dazu später noch mehr.

Gegen zahlreiche dieser Pollzelgeset-ze laufen jeweils Verfassungsbeschwer­den, die meist von den Bündnissen einge­reicht wurden, die auch schon die Protes­te vor Ihrer Verabschiedung organisierten.

Zankapfel Vereinheitlichung der Polizei

Ein weiteres Polltlkum der Pollzelgesetze Ist auch, dass sie überhaupt alle auf ein­mal reformiert werden. Grundlage Ist ein Musterpolizeigesetzentwurf", den die Innenministerkonferenz entwickelt hat. Als Anlass wurde u.a. der Anschlag vom Berliner Breltscheldtplatz 2017 kommu­niziert; die Polizei könne mit den neuen komplexen Bedrohungen von Kriminalität und Terrorismus nicht mehr mithalten und die vermeintliche „Kleinstaaterei" der Polizeien erschwere die effektive Zu­sammenarbeit.

Tatsächlich hat sich aber genau an dieser Kleinstaaterei am Ende doch we­nig getan. Denn auch wenn ein einheitli­cher Entwurf zu Grunde liegt, verabschie­det jeder Landtag ein eigenes Gesetz. Das war schon In der Weimarer Republik so. Die Nazis fassten 1935 alle Länderpo-llzelen zu einer zusammen. Nach dem Krieg machten die Alliierten die Polizei Im Westen wieder zur Ländersache; In der DDR gab es keine Länder, folglich war die Polizei dort keine Ländersache. Die BRD nahm dann die RAF als Vorwand, die Po-llzelgesetze wieder zu vereinheitlichen. Nach 1990 wurden In den neuen Bundes­ländern die Polizeien zwar Ländersache, aber dennoch weltgehend an den bun­desdeutschen Standard angepasst. Jede dieser Vereinheitlichungen ging mit ei­ner Ausweitung polizeilicher Befugnisse einher, obwohl man eigentlich glauben könnte, das seien zwei verschiedene Din­ge. Wen wundert's?

Doch nicht nur die Landespollzelge-setze wurden und werden In jüngerer Zelt novelliert. Ihnen voran ging eine größe­re Strafrechtsreform des Bundestags aus dem Jahr 2017. Diese beinhaltete ver­schiedene Änderungen des Strafgesetz­buchs (StGB) und der Strafprozessord­nung (StPO), die der „Modernisierung" dienen sollten. Die Novellierung der Po-llzelgesetze folgte dieser auf dem Fuß und bediente sich jeweils auch reichlich bei der neuen Gesetzeslage. Letztes Jahr kam dann die Reform der Reform, die wiederum Punkte aus den Ländergeset­zen aufgreift; an vielen Stellen eine Ver-schllmmbesserung.

Bullen schubsen"

Das Strafgesetzbuch betreffend, gehört allen voran die Verschärfung des „Wi­derstands gegen Vollstreckungsbeamte" (§113) erwähnt, sowie der „Tätliche An­griff" (§114) auf dieselben. Am 30. Mal 2017 verabschiedete der Bundestag eine Änderung des Gesetzes, das vor allem das Strafmaß heraufsetzte und die strafbaren Tatbestände ausweitete. Das Thema hat unter der Verniedllchung „Bullen schub­sen" Einzug In die Diskussion gehalten, da bereits ein leichtes Schubsen nun ein hohes Strafmaß erwarten lässt. Das Ist besonders deshalb hervorhebenswert, da die Paragraphen 113ff. ursprünglich ein­mal dazu da waren, Handgreiflichkeiten mit Pollzlstinnen geringer zu bestrafen als solche unter Zivlllstinnen. Das sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass der „unmittelbare Zwang", den die Staatsge­walt anwendet, eben doch Gewalt ist und mit unwillkürlicher Gegenwehr zu rech­nen hat. Diesen Widerstand hielt der „Ge­setzgeber" mal für schlicht menschlich, und drückte deshalb das Auge ein wenig zu. Inzwischen hat es aber die Lobby der Polizei geschafft, die Beamtinnen statt als hochgerüstete Vollstreckerinnen von Gewalt als Opfer zu Inszenieren. In gleicher Absicht wurde der „besonders schwere Landfriedensbruch" (§1253) verschärft.

Vor 2017 konnte ein Land-frledensbruch als „besonders schwer" beurteilt werden, wenn jemand zum Bei­spiel eine Waffe oder ein „gefährliches Werkzeug" dabei hatte, um dieses beim Landfriedensbruch einzusetzen. Seit Mal 2017 reicht nun das bloße Mitführen aus, ob mit Verwendungsabsicht oder ohne.

In den letzten Ausgaben der RHZ war das „Bullenschubsen" mehrmals The­ma eines Artikels (vgl. RHZ 3/17, 2/19, 4/19), „Widerstand" aus naheliegenden Gründen häufig Anlass für Antlrepressionsarbelt. Das Problem ist hier, dass sich die Beweislage oft ausschließlich auf Aussagen von Pollzelzeuginnen gründet. Zurzeit gibt es mindestens ein Verfahren einer Genossin, die in Bezug auf §114 versucht sich bis zum Bun­desverfassungsgericht durchzuklagen (s. „Die Norm Ist Politik", Seite 36 in dieser RHZ).

Vorladung und Online-Durchsuchung

Im Rahmen der Strafrechtsnovelle 2017 wurde auch die Strafprozessordnung ge­ändert. Dazu gehört die Einführung ei­ner Vorladung durch die Polizei im Auf­trag der Staatsanwaltschaft (§163 Ab­satz 3 StPO). Vorher durften Vorladun­gen von der Polizei einfach unbeachtet bleiben, allenfalls sollten die eigenen Genossinnen und die lokalen Rechtshil­festrukturen darüber in Kenntnis gesetzt werden. Seitdem gilt es genauer hinzu­schauen, ob nicht zudem eine rechtliche Pflicht zum Erscheinen besteht (siehe „Vorladungspfllcht verschärft?", S. 34 In dieser RHZ).

Ebenfalls Teil dieser StPO-Änderung, war die Einführung der sogenannten "Quellen-Telekommunlkatlonsüberwa-chung" (§100a) und die Online-Durchsu­chung (RHZ 4/19). Von dieser Welchen-stellung wlrd auch In den Pollzeigesetzen reichlich Gebrauch gemacht. Der „digita­le Wohnungseinbruch" durch die Polizei geht dabei spurlos und unbemerkt vor sich. Die Maßnahme darf eigentlich nur bei „besonders schweren Straftaten" zum Einsatz kommen. Laut Gesetz zählt dazu zum Beispiel Drogenhandel, aber auch schon die „Verleitung zur mlssbräuchll-chen Asylantragstellung"! Wie für eine normale Hausdurchsuchung braucht es im Normalfall einen richterlichen Be-schluss und wie bei normalen Hausdurch­suchungen Ist dieser leicht zu kriegen. Für die Durchführung wird ein „Staatstro­janer" benötigt, das heißt eine Schadsoftware, die sich Sicherheitslücken zu Nutze macht. Je schlechter die Bürgerinnen vor allen möglichen Cyberangriffen ge­schützt sind, desto besser für die Polizei - von wegen Schutzauftrag.

Die Novelllerung betraf auch das „Bundeskrlmlnalamtsgesetz". Die Neu­auflage sollte eigentlich Mängel, die das Bundesverfassungsgericht Im Jahr 2016 festgestellt hatte, beheben. Dabei ging es vor allem um den sogenannten Staats­trojaner und die damit verbundenen „ver­deckten Überwachungsmaßnahmen zum Zweck der präventiven Terrorlsmusab-wehr" sowie das Sammeln personenbezo­gener Daten. Diese Mängel wurden bisher nicht wirklich behoben, der Freifahrt­schein nicht eingeschränkt. Aus einer kleine Anfrage der FDP Im Bundestag Im Herbst 2018 wurde leider nicht deutlich, in welchem Umfang staatliche Spywa-re bisher eingesetzt wird: Einerseits soll keine Aussage zu laufenden Verfahren gemacht werden, andererseits wird das meiste der Antwort als Verschlusssache gehandelt. Das BKA hingegen beteuert, dass für den Einsatz des „Staatstroja­ners" unter anderem die technischen Herausforderungen noch zu groß seien. Das bietet ein wenig Anlass zur Schaden­freude, aber nicht zur Beruhigung. Gegen die Neuauflage des BKA-Gesetzes wurde übrigens auch die Verfassungsbeschwer­de novelliert, da Hegt aber noch keine Entscheidung vor. (Wen die Vorgeschich­te der BKA-Sammelwut Interessiert, kann einen Blick in die RHZ 1/14 u. 4/16 werfen.)

Noch mehr Überwachung

Die Pflicht, Prepaid-SIM-Karten für das Handy mit den Personalauswelsen der Inhaberinnen zu verknüpfen, Ist auch noch nicht so alt, nämlich aus 2017. Das Ist eine Verschärfung gegenüber der Reglstrlerungspfllcht von 2004, bei der noch falsche Namen angegeben werden konnten. Die Anzahl der Abfragen von Inhaberinnendaten steigt seitdem ste­tig. Im letzten Jahr stellten staatliche Behörden über 15 Millionen Anfragen. Handys sind damit noch mehr denn je zu Überwachungshelfern In der eigenen Hosentasche geworden. Mittels „IMSI-Catchern" können alle anwesenden Tele­fonnummern zum Beispiel bei einer De­mo gesammelt und anschließend mit den Inhaberinnendaten verknüpft werden. Mit wenig Aufwand gibt es so eine na­mentliche Liste aller Teilnehmerinnen mit Handy.

Einen kleinen Dämpfer hat die (Aus-lands-)Überwachung durch den Bundes­nachrichtendienst Mitte Mal 2020 er­fahren, abermals gerichtlich. Immerhin stellte das BVG fest, dass das Grundge­setz auch für Geheimdienste und sogar Im Ausland gilt. Wenn die Nachbesserung hier genauso gut läuft wie bei den Sicher­heitsgesetzen und beim BKA, heißt das nicht viel.

Ins gleiche Horn

Neben solchen konkreten Gesetzesver­schärfungen gibt es Debatten und Ent­wicklungen, die Ins gleiche Horn stoßen. Nach dem G20-Glpfel In Hamburg gab es hitzige Diskussionen, ob das Demonstra­tionsrecht eingeschränkt und das Straf­recht ausgeweitet werden müsste. So for­derte zum Beispiel Im nordrheln-westfä-llschen Landtag der Wuppertaler SPDler Andreas Blalas, selbst Ex-Mllltär- und -Landespollzlst, Demonstrationsverbote für Menschen, die Polizisten angreifen - auf Lebenszelt! Tatsächlich verhalfen die Bilder des Protests den Gesetzesver­schärfungen zu mehr Akzeptanz In der Bevölkerung; ohne eine allzu kritische Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Doch nicht nur die Gesetzesverschärfungen „profitierten" auf diese Welse von den G2o-Protesten. In den Prozessen, die sich anschlössen, kam es auch zu einer beson­deren Art der „Rechtspflege": So wurde versucht das „ostentative Mitmarsch le­ren", und damit Ist nichts anderes als die bloße Teilnahme an einer Demonstration gemeint, bereits als Beteiligung an Straf­taten zu etablieren (RHZ3/18). Bisher Ist dieses Vorgehen noch nicht rechtskräftig geworden. Da die G20-Prozesse aber Im­mer noch laufen, und das wohl auch noch eine Welle tun werden, gibt es noch kein Aufatmen.

Überraschend kam zudem die Wel­le von Aberkennungen der Gemeinnüt­zigkeit Im letzten Jahr. Das Finanzamt hatte beispielsweise der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antlfaschlstinnen und Campact die Ge­meinnützigkeit aberkannt. Dazu wurde sich auf die Aberkennung der Gemein­nützigkeit für attac 2014 berufen. Attac hatte dagegen geklagt und Im letzten Jahr verloren. Inzwischen werden Forderun­gen danach laut, die Abgabenordnung zu novellleren, um die steuerlichen Vorteile auch explizit politischen Vereinen zu­kommen zu lassen. Die Rote Hilfe e.V. übrigens war In diesem steuerlichen Sin­ne noch nie gemeinnützig.

Daneben gibt es noch weitere The­men, die sich mitunter In diesem Heft noch angesprochen finden und noch mehr, die hier nicht mehr erwähnt werden können.

Mehr Repression?

Zwei Fragen drängen sich angesichts die­ser Bestandsaufnahme auf. Handelt es sich bei all dem nur um Papiertiger, die aber den Alltag wenig beeinflussen? Und: Sind das alles wirklich Verschärfungen, die der Rede wert sind; Ist es schlimmer als vorher?

Wir hatten jetzt die ersten Monate Zelt, um Erfahrungen zu sammeln. Den­noch wird es sich erst im Laufe der nächs­ten Jahre zeigen, was von diesen Verände­rungen im Einzelnen zu halten Ist, ob sie bleiben und ob sie wirklich angewendet werden. Trotzdem kann man ein paar Dinge festhatten: Die genannten Punkte betreffen ganz klar Demonstrationen und andere politische Aktionen. Sie auf Un­ken Protest zu beziehen, ist daher keine Fantasie, sondern ein Gebot der Vorsicht; Im Falle des „Mllltanzverbots" sogar er­klärte Absicht (siehe „Mllltanzverbot", S. 49 in dieser RHZ). Das beunruhigt. Diese Gesetzesverschärfungen sind nicht nur aus Prinzip der Beachtung wert, so wie je­de Ausweitung von Befugnissen für Poli­zei, Geheimdienste und andere Repressi­onsbehörden sehr kritisch beäugt werden sollten. Diese Veränderungen sind bereits In vielen Rote-Hllfe-Sprechstunden The­ma.
So scheint der Katzenjammer der Po­lizei erfolgreich zu sein.

Vermeintliche Expertinnen oder Vertreter*Innen der Polizei meldeten In den letzten Jahren einen Anstieg an angeblichen Angrif­fen auf Beamtinnen. Die Neudefinition von Taten als Straftat, die früher keinen Straftatbestand darstellten, wird diesen Trend sicher In den Betrachtungen der Polizei bestätigen. Wissenschaftliche Studien widerlegen zwar solche Zahlen und stellen Ihrerseits eine erhebliche Ausweitung und Dunkelziffer gewalttäti­ger Beamtinnen fest (RHZ 4/19). Doch die Polizei spielt sich In der Öffentlich­keit vermehrt und erfolgreich als pollti­sche Akteurin auf.

Direkt nach der Verschärfung des „Wi­derstandsparagraphen" machten sich z.B. Genossinnen auf einer RH-Veranstal-tung In Offenbach Sorgen, um ihre „bür­gerliche Existenz". Denn die Androhung einer Mindeststrafe von drei Monaten für einen vermeintlichen „Tätlichen Angriff", schüchtert ein. Die Genossinnen waren vor allem deshalb verunsichert, well es nicht an Ihnen liegt, ob sie einen „tätli­chen Angriff" begehen oder nicht. Gegen elne*n Pollzlstin zu stolpern, sich ge­gen einen Schlag zu wehren oder einen Schlag auf jemand anderen abzuwehren, ein unwillkürliches Zucken (und weniger) hat vor Gericht für Verurteilungen bereits ausgereicht. Sich bewusst für einen An­griff zu entscheiden Ist etwas, für das Genossinnen unter Umständen bereit sein mögen die Verantwortung zu tragen; aber wenn man das gar nicht vorhatte und dennoch deshalb vorbestraft wird? Gleiches gilt für das „ostentative Mlt-marschleren", das in den G20-Prozessen so oft Thema war. Abschreckung gehört hier zur Strategie; Repression fängt im Kopf an. Deshalb gehört es umso mehr zu den Aufgaben der Roten Hilfe e.V., dazu beizutragen, dass sich Unke Gruppen und Aktivistinnen mit dem Thema Repres­sion auseinandersetzen. Dies soll dazu führen, dass Repression Im politischen Alltag stets mitgedacht wird und wir uns von drohender Repression eben nicht ab­schrecken lassen.

Daher sind die genannten Verschär­fungen auf jeden Fall Repression gegen Linke; und auch von einem rein bür­gerrechtlichen Standpunkt zu Recht zu kritisieren.

Das wird auch getan. Kritik an den Po-lizelgesetzen und den Strafrechtsnovellen 2017 und 2019 wird nicht nur von Linken geübt. Während sich die Polizei (In einem Gutachten der Deutschen Pollzelgewerk-schaft zur Novelle 2017) zwar allenfalls über drohenden Mehraufwand sorgt, hatte selbst der Deutsche Anwaltvereln e.V. viel an den Gesetzen auszusetzen. „Unverhältnismäßig", „Überflüssig", „Sinnlos", „Beschränkung der Verteidigung", „Ab­surd" sind nur einige der Schlagwörter, die in seinen Gutachten fallen. Durch die Bank kritisierten Juristinnen und Bürgerrechtlerinnen die Novelle 2017 als Angriff auf grundlegende Rechte und sahen die Neuauflage 2019 als Fortset­zung dieser Tendenz. Eine häufige Kritik der Juristinnen Ist, dass die Gesetze, die eigentlich zur „Modernisierung" verab­schiedet wurden, Ihr Versprechen nicht halten. Statt eines großen Wurfs würde hier und da herumgedoktort. Ein Chaos, das verunsichert und der Verteidigung die Arbelt schwermacht. Erschreckend Ist, wie wenig diese Beschwerden In der Öffentlichkeit Thema waren und wie we­nig diese breite Front von Liberalen und Linken an den Gesetzen oder auch nur dem Ansehen der Repressionsbehörden kratzen konnten. So gab es zwar zum Beispiel in NRW nach den großen De­monstrationen Änderungen am Gesetz, die aber als bloß kosmetisch bezeichnet werden müssen.

Es liegt an uns Linken, dass sich die Kritik nicht nur um die „Verhältnis­mäßigkeit" von Gesetzesverschärfungen dreht. Die Debatte darf also nicht bei der Abwägung von Freiheitsrechten gegen Sicherheit stehenbleiben, sondern muss um Unke Sichtwelsen erweitert werden.

Stur solidarisch bleiben

Die Verschärfungen machen etwas, das vorher schon schlimm war, noch schlim­mer. Linke wurden auch schon In den 1990ern, den 1960em oder i

1970ern verfolgt; mit oder ohne Rechtsgrundlage. Was Gesetzgeberinnen und Vollstreckerinnen möglich Ist, zeigt eindrücklich in was für einem Land wir leben. Oft genug bedeuten „Verschärfun­gen" bloß die nachträgliche Legalisierung einer bereits alltäglichen Repression.

Die Strafverteidigung erschweren, den Repressionsorganen alle Freiheiten lassen; so kann man die Verschärfungen zusammenfassen. Die gewollte Verunsi­cherung durch neue Gesetze muss sich an solidarischer Sturheit die Zähne aus­beißen. Strukturen wie die Rote Hilfe e.V. leisten hier einen enormen Beitrag. Unsere Erfahrungen zu verbreiten stärkt das Selbstbewusstseln und mindert die Sorgen der Genossinnen.

Editorische Hinweise

Der Text wurde aus der "Rote Hilfe Zeitung" Nr. 3/2020 entnommen. Sie kann komplett als PdF-Datei auf den Seiten der Roten Hilfe heruntergeladen werden.

Die Verlinkungen im Text stammen von uns und verweisen immer auf das Original auf der Roten Hilfe Website.