DIE LINKE.
Bundesarbeitskreis Gerechter
Frieden in Nahost
Offener Brief
An Gregor Gysi
An den Parteivorstand und die
Bundestagsfraktion der LINKEN
Protest gegen die
Pressemitteilung von Gregor Gysi
zur Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zwischen den
Vereinigten Arabischen Emiraten
und Israel, weil er damit der
völkerrechtswidrigen Politik
Netanjahus den Rücken stärkt
8. September 2020
Lieber Genosse Gregor,
wir sind bestürzt über deine
Pressemitteilung zur geplanten
vollständigen Normalisierung
der Beziehungen zwischen Israel
und den Vereinigten Arabischen
Emiraten (VAE). Es ist uns
völlig unverständlich, wie du
dieses Abkommen als "in
jeder Hinsicht zu begrüßen"
bezeichnen kannst. Israels
Einigung mit den Emiraten zu
loben, heißt, der Regierung
Netanjahu bzgl. ihrer geplanten
völkerrechtswidrigen Annexion
den Rücken zu stärken.
In deiner Bundestagsrede vom 1.
Juli 2020 sagtest du: „Die durch
Israel geplante Annexion muss im
Interesse Palästinas, des Nahen
Ostens, des Völkerrechts und
Israels selbst verhindert
werden. Wenn sie aber geschieht,
soll es keine Sanktionen, aber
unbedingt die von uns
vorgeschlagenen Konsequenzen
geben, was schon jetzt deutlich
erklärt werden muss, wenn man
denn die Annexion wirklich
verhindern will.“ In eurem
Antrag an den Bundestag habt ihr
dargelegt, welche Konsequenzen
die Bundesregierung für den
Fall der Annexion bereits jetzt
ankündigen sollte: endlich die
Militärkooperation mit Israel
aufkündigen, Rüstungsexportstopp
für den gesamten Nahen Osten,
Aussetzung des
EU-Assoziierungsabkommens,
endlich Palästina als souveränen
Staat anerkennen u.a.
Wir
unterstützen diese Forderungen,
finden es aber falsch, sie an
neuerliche Annexionen zu binden.
Druck auf die israelische
Regierung auszuüben ist
jetzt
wichtiger denn je. Das gilt für
andere Staaten genauso – auch
für die VAE. Die VAE machen
jedoch das genaue
Gegenteil. Sie belohnen
Netanjahu dafür, dass er den
eklatanten Völkerrechtsbruch der
Annexion verschiebt. Das heißt
im Klartext, die VAE haben
nichts gegen den
Völkerrechtsbruch einzuwenden,
wenn er erst später vollzogen
wird. Dieses kleine Zugeständnis
ist Netanjahu sicher nicht
schwer gefallen. Ohnehin ist ja
die Westbank fast vollständig
unter Israels Kontrolle. Da ist
die diplomatische Anerkennung
durch die VAE und eventuell
weiterer arabischer Staaten viel
mehr wert als sich bei der
Annexion zu beeilen. Netanjahu
beschrieb die Bedeutung des
„Normalisierungsabkommens“, wie
es von der israelischen
Regierung auch bezeichnet wird,
mit folgenden Worten: "Wer hätte
jemals davon geträumt, dass es
ein Friedensabkommen mit einem
arabischen Land geben würde,
ohne dass wir zu den Grenzen von
1967 zurückkehren."
Alle Länder der Arabischen Liga
haben im Jahr 2002 die Arabische
Friedensinitiative beschlossen.
Sie boten Israel die
diplomatische Anerkennung an,
wenn Israel sich aus allen seit
1967 besetzten Gebieten
zurückzieht, einen
palästinensischen Staat
anerkennt und eine gerechte
Lösung für die palästinensischen
Flüchtlinge findet. Diese
gemeinsame Linie haben die VAE
jetzt durchbrochen.
Die Palästinenser*innen nehmen
bei dem Abkommen eine
Geisterrolle ein, über sie wird
entschieden - genauso wie bei
dem sogenannten „Deal des
Jahrhunderts“ von US-Präsident
Trump. Von beidem sind sie
massiv betroffen, jedoch sind
sie kein Verhandlungs- oder
Gesprächspartner. Auch spielen
die gravierenden und gegenwärtig
zunehmenden Völker- und
Menschenrechtsverletzungen
Israels, unter denen die
Palästinenser*innen tagtäglich
leiden, bei der Vereinbarung
überhaupt keine Rolle.
Mit Frieden hat das Abkommen
sowieso gar nichts zu tun. Seit
langem war es ein offenes
Geheimnis, dass Israel und die
VAE zusammenarbeiten. So liefert
Israel Überwachungssoftware und
Waffen für die absolutistische
Monarchie, in der es keine
Freiheitsrechte gibt, und hilft
bei der Ausbildung von Söldnern,
die die VAE in den Kriegen in
Jemen und Libyen einsetzen. Der
Grund warum die Zusammenarbeit
gerade jetzt öffentlich von
Trump, Netanjahu und Kronprinz
Mohammed Bin Zayed durch eine
Erklärung bekannt gegeben wurde,
liegt daran, dass dies große
Vorteile für alle beteiligten
Machthaber bietet. Trump
braucht Aufwind im Wahlkampf,
Netanjahu ist durch die
Korruptionsaffäre und wütende
Proteste stark unter Druck.
Mohammed Bin Zayed möchte die
VAE als Regionalmacht
etablieren, um seine
autokratische Vision über ihre
Grenzen hinaus durchzusetzen.
Außerdem erhofft er sich, seine
Rüstungskäufe in den USA und
Israel erheblich ausweiten zu
können.
So sehr die Normalisierung der
Beziehungen zwischen den
arabischen Staaten und Israel zu
wünschen ist, so sehr setzt sie
ein
Ende der fortgesetzten
Unterdrückung und Entrechtung
der Palästinenser*innen und eine
Absage an jegliche Annexion
voraus.
Mit Verträgen ohne diese
Voraussetzung kann sich die
israelische Regierung nur
bestätigt sehen und wird
weiterhin ohne internationale
Konsequenzen fürchten zu müssen,
Völkerrecht und Menschenrechte
ignorieren.
In dieser schwierigen Situation
sind die Palästinenser*innen
ganz besonders auf
internationale Solidarität
angewiesen. DIE LINKE als
internationalistische Partei ist
hierbei sehr gefordert. Dabei
darf die Bundestagsfraktion
sowie DIE LINKE insgesamt ihre
Aktivitäten nicht auf das Ziel
„Verhinderung
weiterer
Annexionen“ beschränken.
Vielmehr ist die Einhaltung
des Völkerrechts sowie
insbesondere ein Ende der
Gaza-Blockade und der
Besatzung von Westbank,
Ostjerusalem, Gaza und Golan das
Gebot der Stunde. Wir
erwarten, dass sich DIE LINKE
sowie die Bundestagsfraktion
dafür entschieden einsetzen.
Mit solidarischen Grüßen
Gabi Bieberstein
Für den Sprecher*nnenrat des
Bundesarbeitskreises Gerechter
Frieden in Nahost der LINKEN
Der Bundesarbeitskreis
„Gerechter Frieden in Nahost“
ist bei der
„Bundesarbeitsgemeinschaft
Frieden und Internationale
Politik“ angesiedelt. Er hat
sich Mitte Januar 2011
bundesweit aus Mitgliedern der
LINKEN sowie Sympathisant*innen
formiert. |