Mali im Monat nach dem Putsch
Bericht vom 19.09./20.09.2020

von Bernard Schmid

09/2020

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Das westafrikanische Mali unter der Präsidentschaft von Ibrahim Boubacar Keïta, genannt „IBK“: Das ist definitiv Geschichte. In der Nacht vom 05. zum 06. September dieses Jahres verließ Keïta das westafrikanische Land an Bord eines Sonderflugs in Richtung Vereinigte Arabische Emirate. Der Staatenbund am Arabisch-Persischen Golf war bereits in den zwei bis Wochen zuvor, in Diskussionen über einen Exil-Ort für Keïta, öffentlich in Erwägung gezogen worden.

Die Ausreise nach Abu Dhabi beruht auf einer Vereinbarung zwischen der inzwischen in Bamako amtierenden Militärregierung, deren Kern das aus jüngeren Offiziere gebildete „nationale Komitee für die Rettung des Volkes“ (CNSP) bildet, einerseits und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO und englisch ECOWAS abgekürzt) andererseits. Seitdem am 18. August dieses Jahres in einem Militärcamp in Kati, vor den Toren der Hauptstadt Bamako in nordwestlicher Richtung gelegen, eine Meuterei ausbrach (vgl. Junge Militärs putschen Staatspräsident „IBK“ aus dem Am ) und das CSNP wenige Stunden darauf Präsident Keïta für abgesetzt erklärte, interveniert vor allem die CEDEAO immer wieder in die inneren Angelegenheiten Malis.

Zunächst forderte die Wirtschaftsgemeinschaft, die dazu tendiert, sich zu einer regionalen politischen Einheit vergleichbar mit der Europäischen Union zu entwickeln, explizit die Wiedereinsetzung von Präsident „IBK“, dessen derzeitiges Mandat erst im August 2023 abgelaufen wäre. Nachdem das gestützte Staatsoberhaupt selbst jedoch darauf verzichtete, verlangt die CEDEAO nun eine baldige „Rückkehr zur Legalität“ und zeigt sich um die Behandlung des mittlerweile ehemaligen Präsidenten besorgt.

Offiziell handelt es sich bislang nur um einen Aufenthalt zur Behandlung des Schlaganfalls, den Keita kürzlich erlitt und infolge dessen er vom 1. bis zum 03. September d.J. in einem Krankenhaus in Mali behandelt wurde. Am 06. September wurde seitens der Militärregierung präzisiert, Keïta sei der Aufenthalt am Golf nur aus medizinischen Gründen und nur für eine Höchstdauer von drei Monaten gestattet, danach müsse er nach Bamako zurückkehren. Hinter dieser Haltung steckt das Ansinnen, ihm in seinem Land möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht stellen und verurteilen zu wollen, wegen Korruption und Unterschlagung öffentlicher Mittel; eventuell auch wegen „Hochverrats“ aufgrund der Tatsache, dass immer wieder jungen Soldaten mit völlig unzureichender Ausstattung in den Krieg gegen die Jihadisten im Norden und Nordosten des Landes entsandt wurden. Die Gelder für bessere Ausrüstung waren oft in den Kanälen der Korruption versickert und verschwunden.

Was passiert, falls „IBK“ die dreimonatige Frist überschreitet und die Golfmonarchie um ein längerfristiges oder endgültiges Exil ersucht, ist offen. Die Frage könnte nunmehr aufgeworfen werden, da am 18. September d.J. bekannt wurde, dass Ex-Präsident Keïta die Klinik in Abu Dhabi, in welcher er sich zuvor aufhielt, nun verlassen konnte. (Vgl. https://afriqueactuelle.net)

Unterdessen lebt sein Sohn Karim Keïta, dem in den letzten Jahren besonders unverhohlener Hass entgegen schlug und der in besonderem Maße als Verkörperung der Korruption gilt, bereits seit der letzten Augustwoche in einem, nicht näher benannten, westafrikanischen Nachbarland im Exil. Karim Keïta war ein zwielichtiger Geschäftsmann; sein Vater machte ihn zunächst zum Abgeordneten und später zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Parlament – ein Posten, der in Kriegszeiten nicht unwichtig ist, und im Zentrum sowie Norden Malis herrschen Kriegszustände. Ein im Frühsommer dieses Jahres in breiten Kreisen umgehendes Video, das Karim Keïta und Freunde beim Urlaub mit Yachts, Prostituierten und Champagner zeigt, mutmaßlich auf den Balearen und wohl auf Staatskosten, bildete damals wohl den Sargnagel für „IBK“s Präsidentschaft. Seit dem 05. Juni dieses Jahres rüttelte eine Massenbewegung an seiner Herrschaft.

Nur eine kleine Minderheit von Begünstigten dürfte den Regierungsjahren von Ibrahim Boubacar Keïta (2013 – 2020) heute nachtrauern. Kontrovers und oft hitzig diskutiert werden unterdessen vielerorts Fragen wie diese: Haben die jungen Militärs die Tür zum Reich der Möglichkeiten aufgestoßen, und dadurch den Kräften der bisherigen zivilen Opposition Handlungsspielräume verschafft, indem sie „IBK“ absetzten und zunächst festnahmen, bevor man ihn am 27. August d.J. freiließ; oder sind die Militärs gekommen, um selbst an der Macht zu bleiben? Und falls ja, ist dies eine notwendige Maßnahme, um einen vom Zerfall bedrohten Staat „wiederaufzubauen“ (dies hört oder liest man in Mali nicht selten), oder, wie ebenfalls viele Stimmen warnen, eine neue Bedrohung in näherer Zukunft? Die Auffassungen dazu sind derzeit geteilt; ähnlich, wie die Kommentare unter diskutierenden malischen Staatsangehörigen bei Facebook und anderen Medien eine starke Ausdifferenzierung zwischen Optimismus und Kritik erkennen lassen.

Tausende von Menschen, die meisten von ihnen kamen auf Aufruf des heterogenen Oppositionsbündnisses M5-RFP („Bewegung des 5. Juni – Sammlung der patriotischen Kräfte“) hin, begrüßten zunächst den Wechsel bei einer Demonstration am 21. August d.J. im Zentrum der Hauptstadt Bamako, richteten aber auch Forderungen an die neue Militärregierung. Der französische Anthropologe und Westafrika-Kenner Jean-Louis Amselle kommentierte just am selben Tag in der Pariser Abendzeitung Le Monde (Zitat): „Man kann befürchten, dass die malischen Militärs die Macht behalten.“ Einen Kontrapunkt setzte der frühere Premierminister des Landes und zuletzt Opponent gegen Präsident „IBK“, Moussa Mara. Er erklärte, ebenfalls zur selben Zeit, in Le Point Afrique (Zitat): „Der Kontext erlaubt es den Militärs nicht, sich an der Macht einzurichten.“ Wie manch andere ehemalige Regierungsmitglieder hatte auch er sich dem M5-RFP angeschlossen, dem neben Basiskräften auch diverse etablierte Prominente oder auch abgehalfterte Berufspolitiker, die die Gunst von „IBK“ verloren hatten, angehören.

Die derzeit das Land führenden jüngeren Offiziere ihrerseits kündigten zunächst eine Übergangsphase an, die „in einem vernünftigen Zeitraum“ – ein dehnbarer Begriff – zur Wahl einer neuen Regierung führen solle. Bis dahin solle, so ein Sprecher, Ismaïl Wagué, am 20. August gegenüber dem TV-Sender France24, „ein Zivilist oder ein Militär“ den Übergang führen, was zunächst alle Optionen offen lässt. Einige Tage später war dann allerdings von Seiten der Militärregierung wiederum von einem dreijährigen Zeitraum unter militärischer Federführung die Rede. Nach der Diskussion von drei Vermittlern der CEDEAO am Wochenende des 22./23. August d.J. in Bamako mit dem regierenden Militärrat CNSP erklärten übrigens beide Seiten, es sei zu keiner Überkunft über eine Rückkehr von Zivilpersonen an die Macht gekommen. Die Militärregierung stelle sich, laut Auskunft beider Seiten, auf eine „dreijährige Übergangsperiode“ unter Leitung eines Offiziers, der zugleich das Staatspräsidentenamt bekleiden solle, ein. (Drei Jahre, das entspräche der Länge des Mandats, das Ex-Präsident Keïta noch bis zum nächsten regulären Wahltermin im Juli/August 2020 verblieben wäre, hatte man ihn nicht aus dem Amt gejagt.) Jüngster Stand: Inzwischen wurde wiederum, nach dreitätiger „nationaler Konzertierung“ mit zivilen politischen Kräften im Konferenzzentrum von Bamako, eine Reduzierung dieses Zeitraums auf 18 Monate – also um die Hälfte – angekündigt. Vgl. bspw.: https://www.rfi.fr (Die US-Administration ihrerseits fordert von der malischen Seite „12 Monate“ als Übergangszeitraum; vgl.: https://afriqueactuelle.net/ )

Derselbe Ismaïl Wagué behauptete in dem oben zitierten Interview auch, „keinen Kontakt“ zum M5-RFP zu haben und dessen Positionen nicht näher zu kennen. Inzwischen ging die Militärregierung allerdings auf das Oppositionsbündnis zu und traf mit ihm zusammen. Beide Seiten verhandeln inzwischen explizit über die Modalitäten der „Transition“ (Übergangsperiode); vgl.: https://afriqueactuelle.net/ Überdies soll das CNSP („nationale Komitee zur Rettung des Volkes“), das zunächst den politischen harten Kern der Militärregierung bildete, „in den kommenden/nächsten Wochen aufgelöst“ werden, wurde Mitte September d.J. verkündet. - Vgl. https://beninwebtv.com Die Auseinandersetzung darüber, wer an der Spitze der Übergangsinstitutionen stehen soll – Zivilist oder Militär?- läuft unterdessen munter weiter; vgl. https://www.mondeactuel.net//

Am 04. September 20 wurde in einem Kongresszentrum in Bamako überdies die bereits erwähnte Runde der „nationalen Konzertierung“ (vgl. https://afriqueactuelle.net/ ) mit Oppositionskräften und Verbänden der „Zivilgesellschaft“ eröffnet. Insgesamt 500 Delegierte kamen dazu zusammen. Ein Teilnehmer und langjähriger Aktivist sozialer Bewegungen in Mali erklärte sich gegenüber dem Autor dieser Zeilen allerdings enttäuscht. Er fordert, die Militärregierung – deren Beginn er ausdrücklich begrüßte – dürfe nicht eine, überspitzt ausgedrückt, Plauschrunde in einem Kongresssaal mit Angehörigen diverser Organisationen führen, sondern müsse Zehntausende Menschen von der Bevölkerung für eine solche Diskussion ins „Stadion Modiba Keïta“ (das nach dem ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit, einem antikolonialen Marxisten, der nach achtjähriger Regierung im November 1968 durch einen Rechtsputsch aus Kreisen der Armee gestürzt wurde, benannte Sportstadion im Norden der Hauptstadt) einlassen.

Die Großmächte und die Regierungen in der Region ihrerseits haben eine klare Haltung. Am 19. August 20 verurteilte der UN-Sicherheitsrat den Machtwechsel in Mali einstimmig. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO, englisch ECOWAS abgekürzt) setzte zunächst alle Finanztransaktionen zwischen Mali und dem Ausland aus – das schließt die Überweisungen aus der Arbeitsmigration an die Familien im Inland mit ein und droht deswegen katastrophale Folgen zu zeitigen -, am 21. August schloss auch die Westafrikanische Zentralbank der CEDEAO ihre drei Filialen in Mali. Derzeit hält die CEDEAO ihre Sanktionen gegenüber Mali weiterhin aufrecht, ja drohte jüngst deren Verschärfung; doch wurde angekündigt, dieselben könnten fallen, wenn die definitive Zusammensetzung der Übergangsregierung bekannt gegeben worden sei (welche die CEDAO unter Führung ziviler Politiker in den Ämtern als Übergangspräsident und -premierminister sehen möchte). Doch spricht bzw. verhandelt auch die CEDEAO mittlerweile mit der Militärregierung. Vgl. dazu Ausführlicheres u.a. unter:

Akteure wie die US-Administration oder die CEDEAU und ihre Positionen haben mit den Interessen der Bevölkerung in Mali mit Bestimmtheit nichts zu tun. Welche Chancen und Risiken die gegenwärtige Situation dieser allerdings bietet, wird mit Wachsamkeit verfolgt werden müssen.

  Editorische Hinweise

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.