Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Rechtsextreme Medienlandschaft verzeichnet einen Neuzugang
Die Anzahl neofaschistischer Publikationsorgane und Diskussionsforen nimmt weiterhin zu

09/2020

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Nicht nur der geistige Schlangenfraß vom Fernsehphilosophen Michel Onfray (vgl. „Volksfront“ von und für Recht) „bereichert“, sofern man diesen Ausdruck in einem solchen Zusammenhang benutzen kann, die rechtsextreme Medienlandschaft in Frankreich und im französischsprachigen Raum. Von dessen Zeitschrift, für deren Titel - grob missbräuchlich - die Bezeichnung Front populaire gewählt wurde, erschien übrigens soeben, nämlich am 16. September d.J., die zweite Ausgabe unter dem Leitthema L’Etat profond („Der tiefe Staat“), eine bei Verschwörungstheoretiker/inne/n allseits beliebte Floskel. Unterdessen steigert Onfray sich in jüngsten Interviews immer tiefer in abstruse Verschwörungstheorien hinein, etwa diese: Wenn es Hausbesetzer/innen gibt und man diese staatlicherseits gewähren lässt, dann deswegen, weil der tiefe Staat eine Weltregierung (unter Ausschaltung nationaler Identitäten usw.) anstrebt. Wer es nicht glauben mag, überzeuge sich selbst – nicht von der Theorie, sondern davon, wie weit Onfray inzwischen getrieben worden oder wie tief er gesunken ist: vgl. (Interview vom 19.09.2020): https://www.youtube.com/watch?v=cbIKWyD8EGo

Aber die Ausdrucksformen geistigen Unrats, sei es auf Papier oder in den Weiten des Internet – „soziale Medien“ eingeschlossen -, erschöpfen sich nicht in dieser Publikation sowie den seit längerem bekannten rechtsextremen Organen wie Présent (Tageszeitung), vormals Minute (jüngst aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eingegangene Wochenzeitung), L’Incorrect (seit 2017 erscheinende und Marine Le Pen nahe stehende Monatszeitschrift) sowie Valeurs actuelles. Letztgenannte Wochenzeitschrift erregte kürzlich, Ende August 2020, eine heftige Debatte, weil sie auf die irrwitzige Idee kam, die linke Parlamentsabgeordnete Danièle Obono – ihre familiäre Herkunft liegt in Gabun, ihre afrikanische Abstammung ist also erkennbar – in einem ihrer „Sommercomics“ als verkaufte Sklavin in einem Gefangenentreck zu zeichnen. Dazu später mehr. Im heutigen Beitrag soll es nicht um ein Papier-, sondern um ein im virtuellen Raum angesiedeltes Medium gehen.

Man wird doch noch sagen dürfen! Rund um dieses, unter anderem bei Rechtsextremen allzeit beliebte Motto herum ist das soziale Medium Parler aufgebaut. Es trägt zwar einen französischen Namen – das französische Verb parler bedeutet bekanntlich im Deutschen so viel wie „reden“, „sprechen“ -, ist jedoch ursprünglich in Nordamerika aufgebaut worden. Legt man dort einen Account an, muss man eine E-Mail-Adresse und eine Telephonnummer hinterlassen sowie ein Passwort bestimmen. Als telephonische Vorwahl wird vom System dabei automatisch +1 suggeriert, das entspricht der internationalen Vorwahl der USA; manuell kann man diese jedoch austragen und eine andere Ländernummer auswählen, beginnend mit Afghanistan unter A, woher allerdings kaum Abonnent/inn/en stammen dürften. Loggt man sich ein, dann landet man laut Eigenbezeichnung beim Parler Free Speach Social Network. Man wird doch noch sagen dürfen!

Vielleicht liegt es auch am französischsprachigen Namen, aber sicherlich nicht nur: Seit einigen Wochen wird das US-amerikanische Medium nun auch in Frankreich in einschlägigen Kreisen zunehmend populär. Am 22. Juli dieses Jahres verkündete die rechtsextreme Jungpolitikerin Marion Maréchal – bis vor zwei Jahren hieß die Dreißigjährige Marion Maréchal-Le Pen, seitdem verkürzte sie ihren Familiennamen jedoch auf den ihres Vaters Samuel Maréchal, des Chefs der Jugendorganisation des Front National in den 1990er Jahren -, dass sie ein Nutzerkonto bei Parler angelegt habe. Dies löste in den darauffolgenden acht Tagen eine Welle von Artikeln in französischen Medien über das „Phänomen“ aus. Ihre Ankündigung setzte Marion Maréchal als Nachricht bei Twitter ab, dem „herkömmlichen“ Medium, zu dem Parler als Konkurrent entstand.

Die junge Abgeordnete des damaligen Front National (inzwischen in Rassemblement National umbenannt) in den Jahren 2012 bis 17 ist nicht die einzige Repräsentantin der französischen extremen Rechten, die sich für Parler begeistern ließ. Auch eine Reihe von Gesinnungskumpanen unterhalten dort mittlerweile Accounts. Zu ihnen zählen zwei Europaparlamentsabgeordnete des Rassemblement National, Jérôme Rivière – ein früheres Mitglied der konservativen UMP, die selbst inzwischen in Les Républicains (LR) umbenannt wurde – und der Anwalt Gilbert Collard, die RN-Regionalparlamentarierin in Südostfrankreich Agnès Marion, der aufgrund seiner expliziten Nähe zu Marion Maréchal im Herbst 2019 bei den Konservativen ausgeschlossene Jungpolitiker Eric Tegnér und der RN-Ideologie Jean Messiha. Letzterer, selbst ägyptisch-koptischer Herkunft, ist ein gerngesehener Gast bei Talkshows etwa bei dem rechtslastigen Privatfernsehsender CNews, Eigentum des Großunternehmers Vincent Bolloré, wo er immer wieder vor der vermeintlichen Allgegenwart muslimischer Interessen in Frankreich warnen und hetzen darf.

Die zur „identitären“ Bewegung zählende Jugendorganisation Génération identitaire (GI) ihrerseits forderte noch im Juli dieses Jahres ihre Anhänger/innen mittels einer Presseaussendung dazu auf, von Twitter oder Facebook zu Parler zu wechseln. Voraus ging die Sperrung der jeweils rund 20.000 Abonnenten aufweisenden Twitterkonten von GI-Aktivisten und -Aktivistinnen wie Thaïs d’Escufon, Romain Espino und Clément Martin.

Seit dem Erstarken der Black Lives Matter (BLM)-Bewegung in den USA, infolge des Mords an Georges Floyd vom 25. Mai, und der parallel ab dem 02. Juni d.J. in Frankreich aufflammenden Proteste haben Twitter, Facebook und Google einige rassistische, antisemitische und/oder faschistische Userkonten in beiden Ländern gesperrt. Dazu zählen auch die Youtube-Kanäle der beiden französischen hauptberuflichen Antisemiten Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala, denen bis Anfang Juli gekündigt wurde. Die beiden prominenten Agitatoren, deren Einfluss allerdings - unter anderem nach dem totalen Scheitern der Ende 2014 von ihnen angekündigten Parteigründung – gegenüber dem Zeitraum vor zehn Jahren zurückging, ziehen allerdings andere Medien als Parler vor. Dieudonné lässt seine Seite seit circa zwei Jahren durch den russischen Facebook-Nachnahmer Vkontakte oder VK beherbergen. Soral, der mittlerweile infolge mehrerer Verurteilungen zu Haftstrafen ohne Bewährung mit einem Bein im Gefängnis steht, optierte seinerseits kürzlich für Gab, ein soziales Netzwerk, auf dem unter anderem auch der antisemitische Attentäter von Pittsburgh, Robert Bowers, aktiv war.

Bei Parler können sich die übrigen Rassisten und Rechtsextremen, die es dorthin zog, weitgehend ungestört austoben. Zwar möchte man in diesem Lager nicht unbedingt als Nachahmer US-amerikanischer Vorbilder erscheinen. Doch sich von jenseits des Atlantiks eine Inspiration zu holen, widerstrebt den Betreffenden keineswegs. Jean-Marie Le Pen hatte in den 1980er Jahren zeitweilig den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zum Vorbild erkoren, er konnte ihm am Rande eines Konvents der US-Republikaner einmal die Hand schütteln und benutzte dieses Photo ausgiebig im französischen Präsidentschaftswahlkampf 1987/88. Seit dem Amtsantritt seines Nachfolgers Donald Trump sind Anleihen bei dessen politisch-ideologischem Lager, auch wenn die Gesinnungsfreunde in Frankreich zugleich auf eine geopolitische Eigenständigkeit gegenüber den USA pochen, kein Tabu. Marion Maréchal-Le Pen, wie sie sich damals noch nannte, sprach Ende Februar 2018 auf der Conservative Political Action Conference in Washington D.C., wo unter anderem auch Vizepräsident Mike Pence auftrat.

In den USA selbst erlebte Parler im Juni dieses Jahres einen qualitativen Sprung seines Einflusses, als es innerhalb einiger Tage von knapp unter einer Million Abonnent/inn/en auf 2,5 Millionen anwuchs, wohl in Reaktion auf die BLM-Proteste und die damit einhergehende geänderte Politik von Facebook und Twitter. Das ist vergleichsweise wenig im Vergleich zu Twitter mit 300 Millionen oder Facebook mit gut einer Milliarde Usern. Allerdings vereinigt das neue Medien vor allem Aktivistenkreise, während bei den größeren und etwas älteren Stammmedien unter den social media eher Beliebigkeit herrscht. In Nordamerika erfreuen sich etwa Hashtags (#) wie White genocide oder Deport all muslims now größerer Popularität. In Frankreich finden sich Nutzergruppen wie „die Fans von Eric Zemmour“ – eines prominenten Fernsehjournalisten, der Ende September vorigen Jahres bei einer maßgeblich durch Marion Maréchal ausgerichteten Konferenz in Paris auftrat und bei CNews einen Stammplatz aufweist -, „Schinkenbrötchen ohne Butter“ (jambon sans beurre) oder „Team Wurst“ (Team saucisson).

Die letzten beiden spielen auf einen seit 2010 in der extremen Rechten des Landes verbreiteten Code an, welcher sich in jenem Jahr erstmals mit einer Welle von Aufrufen zu „Freiluftaperitifs mit Wurst und Wein“ kundtat. Von der „identitären Bewegung“ bis zum rechten Rand der Konservativen wurde zu solchen apéritifs saucisson-pinard eingeladen. Unzweideutiger Hintergrund dafür war der Wunsch, durch das exklusive Beharren auf dem öffentlichen Konsum von Schweinefleisch und Rotwein bei solchen Anlässen dafür zu sorgen, dass keine muslimischen Menschen teilnehmen können, was das Kernanliegen bildete. Jüdische Menschen waren dadurch übrigens ebenfalls ausgeschlossen, was im konkreten Falle allerdings nicht das Primärziel darstellte.

In den USA war Parler im Jahr 2018 durch den 27jährigen Geschäftsmann und Informatiker John Matze, Absolvent der Universität von Denver, aufgebaut worden. Anfang August wurde Matze bei dem rechten TV-Sender CNS News befragt, ob es bei dem Medium auch Ausschlusskriterien geben werde. Dies vereinte er beim Rassismus klar, jener sei zu schwer zu definieren; terroristische Organisationen sollen allerdings nicht willkommen sein.

Man findet dort auch prominente Rechte wie Ted Cruz oder Rand Paul. Das Magazin Forbes behauptete, das Medium sei mittlerweile zum „Favoriten“ des – ansonsten vor allem durch sein Twittern bekannten – Präsidenten Donald Trump geworden. Dies ist insofern schwer zu überprüfen, als Donald Trump selbst dort kein Konto unterhält. Man findet bei Parler jedoch dessen Sohn Eric sowie seinen Wahlkampfleiter Brad Parscale.

Vgl. dazu auch einige ausgewählte, weiterführende Presseartikel respektive Radio- und TV-Beiträge:
 

Radio & TV :

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.

Eine gekürzte Fassung erschien im September d.J. in der Rubrik ‚Antifa‘ der Wochenzeitung ‚Jungle World‘