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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998

"was tun!", Zeitung von Sozialistischer Liga und Sozialistischer Initiative
PLK 022354 C, 13347 Berlin


WAHLAUFRUF VON SOZIALISTISCHER LIGA UND SOZIALISTISCHER INITIATIVE

Gegen Kohl und Kapital:
Für den Aufbau einer Arbeitnehmerpartei!


Nach 16 Jahren besteht bei diesen Bundestagswahlen die Chance, die
Kohl-Regierung mit dem Stimmzettel loszuwerden. Gründe gibt es genug:

  • 16 Jahre Angriffe auf ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose, Jugendliche und
    Benachteiligte
  • 16 Jahre Umverteilung von unten nach oben: noch nie gab es in der BRD soviel Armut und Verzweiflung, während Konzerne und Spekulanten riesige Profite einstecken
  • offiziell 4,5 Millionen Arbeitslose, in Wirklichkeit aber über 7 Millionen
  • immer weniger und schlechtere Ausbildungsplätze und Zukunftsperspektiven für Jugendliche, die Lage an Schulen und Universitäten ist katastrophal
  • demokratische Rechte werden abgebaut, AusländerInnen zu Sündenböcken erklärt und die Jagd auf sie freigegeben...

Ohne den heftigen Widerstand von ArbeitnehmerInnen, SchülerInnen und
Studierenden sähe die Lage bei weitem noch schlimmer aus. CDU/CSU/FDP
sind angetreten, ihr Werk fortzusetzen. Doch haben die Beschäftigten
und Opfer der von Kohl geförderten kapitalistischen Umverteilung die
Schnauze voll. Wut und der Wille zur Veränderung sind groß. Viele
Abwehrkämpfe und Streiks wurden in den letzten Monaten nur dadurch
gebremst oder abgebrochen, daß "Reformpolitiker" und
Gewerkschaftsführer dazu aufforderten, bis zu den Bundestagswahlen
abzuwarten. Es fehlte ein klares Programm und der Wille, mit einer
kämpferischen Mobilisierung die Ursachen der Misere zu bekämpfen:
nicht nur den Handlanger Kohl sondern die Kapitalbesitzer und
Konzernchefs.

Was tun gegen die Krise?
Was angesichts der Lage getan werden muß, ergibt sich aus den Taten
der Kohlregierung und den dringendsten Bedürfnissen der arbeitenden
Bevölkerung, der Arbeitslosen und Jugendlichen:

1.) Schluß mit dem Sozialabbau und der Zerstörungspolitik! Keine
weiteren Privatisierungen! Alle Kürzungen und Verschlechterungen der
Kohl - Regierung müssen zurückgenommen werden. Für die
Wiedereinführung des vollen Kündigungsschutzes, der vollen
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Weg mit dem neuen
Arbeitsförderungsgesetz, dem Streikverhinderungsparagraphen 116, der
Streichung des Schlechtwettergeldes, Medikamentenzuzahlung usw.

2.) Arbeitszeitverkürzung in allen Branchen auf eine gesetzlich
festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit von 35 Stunden bei vollem
Lohn- und Personalausgleich und ohne Flexibilisierung.
Zudem muß daran gegangen werden, den Kampf für die 32- und 30
Stundenwoche, wie er in vielen Gewerkschaften bereits diskutiert wird,
ernsthaft vorzubereiten.
So ließen sich alleine in Ostdeutschland bei einer
Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 32 Stunden je 100 Beschäftigte 20
Neueinstellungen realisieren.
Statt minderbezahlte Beschäftigungstherapie brauchen wir sinnvolle,
langfristige und tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsplätze für
Millionen.

3.) Ohne ein massives staatliches Investitionsprogramm vor allem und
zuerst im völlig vernachlässigten Sozialen Wohnungsbau, im
Öffentlichen Personenverkehr, im Umwelt- und Sozialbereich kann der
weitere wirtschaftliche und soziale Niedergang nicht aufgehalten
werden. Die in den Gewerkschaften organisierten ArbeitnehmerInnen sind
am ehesten in der Lage, einen solchen Plan auszuarbeiten und zu
kontrollieren. Mit einem solchem Investitionsprogramm ließen sich
hunderttausende Arbeitsplätze auf der Basis von Wirtschaftswachstum
schaffen und ein höherer Lebensstandard für alle könnte geschaffen
werden. Die nötigen Finanzmittel dafür, müssen aus den gigantischen
Gewinnen der Unternehmen und der Superreichen geholt werden.

4.. Die Einbußen der vergangenen Jahre müssen durch kräftige
Lohnerhöhungen wieder rückgängig gemacht werden. Nur so läßt sich auch
die Lohnspirale nach unten stoppen.

5. Statt entwürdigender Sozialhilfe brauchen wir ein gesetzlich
garantiertes Mindesteinkommen von 1500,-DM Netto + Warmmiete für
jeden!

Um wieder Geld in die ausgebluteten öffentlichen Haushalte zu
bekommen und eine Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen und
Jugendlichen finanzieren zu können, muß die neue Regierung zur
Umkehrung der bisherigen Steuerpolitik gezwungen werden.

6. Wir brauchen eine wirkliche Steuerentlastung für ArbeitnehmerInnen
und eine massive Besteuerung der Unternehmergewinne,
Spekulationsprofite und Großvermögen.

Arbeiterpolitik durchsetzen!

Diese einfachen, selbstverständlichen Aufgaben und Forderungen werden
von keiner der Parteien aufgegriffen, weil sie sich "der Wirtschaft",
d.h. den Interessen der Banken und Konzerne, unterordnen. Sie werden
aber in fast jedem Streik, jeder Demonstration oder sonstigem Protest
zumindest teilweise von Arbeitnehmern und Jugendlichen aufgeworfen.
Auch die Gewerkschaften haben ähnliche Forderungen als Wahlprüfsteine
an die Parteien aufgestellt. So hat zum Beispiel die IG-Metall in
Brandenburg ein staatliches Investitionsprogramm zur Schaffung von
Arbeitsplätzen gefordert. Bundesweit sollen die Kolleginnen und
Kollegen laut DGB alle Parteien an diesen Punkten messen:

Für den Aufbau einer Arbeitnehmerpartei!

Wenn wir uns die Wahlversprechen und Programme vornehmen, erkennen
wir, daß keine der Parteien diese Forderungen in ihrem Wahlprogramm
aufstellt. Die Umsetzung dieser Forderungen sind aber notwendig, um
allen eine wirkliche Perspektive in diesem Land zu eröffnen. Auch die
Gewerkschaftsführungen wissen seit langem, daß auch unter einer SPD
geführten Regierung, die Gewerkschaften insgesamt keine politische
Interessenvertretung haben und das die Forderungen aus den
Wahlprüfsteinen von keiner Partei aufgegriffen werden. Vor der
logischen Konsequenz, die 10 Millionen Gewerkschaftsmitglieder und die
nicht organisierten Kolleginnen und Kollegen aufzurufen eine neue
Arbeitnehmerpartei entlang der Wahlprüfsteine aufzubauen, schreckte
die Gewerkschaftsführung zurück.. Die Gewerkschaften hätten die
Möglichkeit, das Geld, den Apparat, die Medienwirksamkeit dafür
gehabt, weil sie Millionen von Menschen in diesem Land vertreten. Ein
solcher Wahlaufruf hätte die Unterstützung und Begeisterung von
hunderttausenden Kolleginnen und Kollegen und Jugendlichen
hervorgerufen, die jetzt einmal mehr nicht wissen, was sie wählen
sollen, weil es keine wirkliche Alternative gibt. Die Verantwortung
für eine solche Politik tragen die derzeitigen Führer der
Gewerkschaften, die sich lieber mit Kohl, Schröder, den Managern und
Großaktionären schmusend ins Bett legen, als der Arbeiterbewegung
einen Ausweg aufzuzeigen und diese dafür zu mobilisieren. Es gibt
keine anderen Ausweg. Deshalb müssen ArbeitnehmerInnen und Jugendliche
aktiv werden und die Gewerkschaften zurückerobern, damit diese in den
tariflichen und politischen Auseinandersetzungen echte
Kampforganisationen werden und damit die Interessen der Beschäftigten
konsequent vertreten.
Eine politische Vertretung von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen
steht 1998 nicht zur Wahl. Die SI und die SL rufen alle Kolleginnen,
Kollegen und Jugendlichen dazu auf, dafür zu sorgen, daß in der
nächsten Zeit eine neue Arbeiterpartei aus den Gewerkschaften und den
unabhängigen Bewegungen und Kämpfen aufgebaut wird. Wählen allein
genügt nicht, entscheidend ist, ob es gelingt, die
außerparlamentarischen und gewerkschaftlichen Bewegungen zu
organisieren. Ein Regierungswechsel wird nur dann zu einem
Politikwechsel führen, wenn die neue Regierung durch Bewegungen von
unten massiv unter Druck gesetzt wird.

Was haben wir für eine Wahl?

Klar ist, daß der Verhinderung rechtsextremistischer und
faschistischer Wahlerfolge große Bedeutung zukommt. Diese
Gruppierungen haben überhaupt nur deshalb eine Chance, weil auf dem
faulenden Bodensatz enttäuschter Hoffnung und Zukunftsangst die von
den Herrschenden geförderte "Ausländer sind schuld an der
Arbeitslosigkeit"-Ideologie Wurzeln schlagen kann und die
reaktionärsten Instinkte mobilisiert. Aber während sich Regierungs-
und Oppisitionsparteien mit fast identischen Programmen
gegenüberstehen, stellt sich für uns die Frage, was überhaupt mit
Wahlen zu verändern ist. Viele Leute haben längst erkannt: die
wirklich relevanten Entscheidungen werden nicht vom Parlament, sondern
von Kapital - und Konzerneignern getroffen. Der Manager aber, der mit
einem Federstrich 10000e Arbeitsplätze vernichtet, steht nicht zur
Wahl. Auch nicht der Börsenspekulant der in Sekundenschnelle
Milliardenwerte von Arbeitnehmern erarbeitetem Vermögen, aufs Spiel
setzt. Es ist mehr als nur "Politikverdrossenheit", wenn immer weniger
glauben, hier etwas mitentscheiden zu können. Mittlerweile hinterfragt
eine wachsende Anzahl von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen dieses
Wirtschaftssystem selbst, was eine Handvoll Milliardäre immer reicher
macht, immer mehr Menschen aber ins soziale Abseits treibt.
Wollen wir eine wirkliche Wahl für unsere Zukunft haben, müssen wir
wählen, ob wir uns weiter den Profitinteressen der Konzern- u.nd
Bankenbosse unterordnen, oder ob wir für eine Gesellschaft kämpfen, in
der die Schalthebel des Wirtschaftsleben verstaatlicht, unter
demokratischer Kontrolle der ArbeitnehmerInnnen gestellt und diese
nach den Interessen der gesamten Bevölkerung demokratisch und planvoll
entwickelt werden.

Ausweg SPD?

Viele KollegInnen argumentieren pragmatisch: um Kohl wegzubekommen,
muß die Partei gewählt werden, die die größten Chancen hat, ihn
abzulösen: die SPD. Diese Überlegung ist verständlich, aber bedeutet,
in eine Sackgasse zu laufen:

  • * Die SPD hat seit langem aufgehört, eine Partei zu sein, die die  Interessen der ArbeitnehmerInnen ausdrückt und zu ihrem Anliegen macht.
  • Kandidat und VW-Aufsichtsratsmitglied Schröder macht das auch unmißverständlich klar. Der "Wirtschaftsstandort Deutschland" und die "Modernisierung", das heißt die Interessen der Großkonzerne und Banken, stehen im Mittelpunkt. Die ArbeitnehmerInnen haben sich dem unterzuordnen. Die Unternehmersteuern sollen weiter gesenkt, die Verbrauchssteuern erhöht werden. Sämtliche Reformversprechen stehen unter "Finanzierungsvorbehalt". Die Gewerkschaften versucht er mit der
    Ernennung von IG-Metall Vize Riester zu ködern. Gerade dieser ist aber ein begeisterten Anhänger weiterer "Flexibilisierung", d.h. der Aufhebung tarifvertraglicher Schutzregelungen zugunsten der Unternehmerwillkür. Die wirkliche politische Botschaft ist aber die Ernennung von Jungunternehmer Stollmann zum Wirtschaftsminister. Der Compuservechef hält Gewerkschaften und Betriebsräte für überflüssig und bringt Unternehmer mit seinen arbeitnehmerfeindlichen Attacken zum
    Jubeln. Schon werfen Gewerkschaftsführer die Frage auf, ob die 8 Millionen DM für ihre Kampagne"Für eine andere Politik" tatsächlich richtig angelegt sind.
  • Wo die SPD regiert oder mitregiert, unterscheiden sich ihre Politik und Sparhaushalte in nichts von Kohl. Die schlimmsten Gesetzesänderungen fanden letztenends immer ihre Unterstützung. In der Berliner Großen Koalition läßt die SPD-Finanzsenatorin den Sparhammer so brutal kreisen, daß selbst CDU-Senatoren äußern können, nicht alle Errungenschaften dürften zerstört werden.
  • Am ekelhaftesten kommt die Einbindung der SPD in das bundesdeutsche Regime im Wettlauf mit der CDU/CSU und rechtsextremistischen Parteien zum Ausdruck, wer am meisten auf die AusländerInnen einprügelt. Unfähig, die wahren Schuldigen der Misere zu benennen und zu bekämpfen, ersetzt die SPD die Solidarität aller ArbeitnehmerInnen durch die rassistische Hetze auf ausländische Sündenböcke.
  • Schröder will einen Regierungswechsel, aber keinen Politikwechsel. Lieber würde er Kanzler einer Großen Koalition mit der CDU sein als auch nur eine ernsthafte Maßnahme für die ArbeitnehmerInnen zu ergreifen, die den Unternehmern wehtut.

Grünes Trauerspiel

Bündnis 90/ Grüne bemühen sich vor allem, Politik- und
Regierungsfähigkeit nachzuweisen. Als Mittelschichtpartei haben sie
mit atemberaubender Geschwindigkeit selbst ihre radikaldemokratischen
Ansprüche über Bord geworfen. Ihr angeblicher Realismus läßt sie
darauf verzichten, ihren Traumkoalitionspartner SPD ernsthaft unter
Druck zu setzen. Bundeswehreinsätzen im Ausland stimmen sie zu. Selbst
die Wiederherstellung des Rechts auf politisches Asyl erscheint
ihnen überflüssig. Bei Kämpfen zur Verteidigung von Arbeitsplätzen
sucht man sie vergebens.

PDS wählen - aber ohne Illusionen

Bundesweit ist die PDS die einzige Partei, die es den
ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen erlaubt, ihren Protest gegen Kohl
und Kapital auszudrücken.
Die PDS ist nicht mehr die arbeiterfeindliche Partei, die durch die
Revolution von 1989 von der Macht verjagt wurde. Sie ist aber auch
nicht das Instrument, daß die ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen
brauchen, um ihre Kämpfe erfolgreich führen und organisieren zu
können. Die PDS drückt kein wirkliches Vertrauen in die
ArbeitnehmerInnen aus - und viele PDS-Funktionäre wollen vor allem
eins: vom bundesdeutschen Kapital als ganz normale bürgerliche Partei
anerkannt werden.
Doch weigert sich die herrschende Klasse noch, der PDS diese Rolle
zuzugestehen. Und gleichzeitig drückt sich in der PDS die Wut und
Enttäuschung vieler Menschen darüber aus, daß die Wiedervereinigung
unter kapitalistischen Vorzeichen nicht fortschrittlich und sozial
gestaltet wurde, sondern zu Deindustrialisierung,
Massenarbeitslosigkeit, Verwüstung und Zukunftslosigkeit einer ganzen
Region führte. Deshalb ist die PDS weit weniger eine tragende Partei
des bundesdeutschen kapitalistischen Regimes als andere.
Und deshalb ist sie eine Möglichkeit, um dem System der
Massenentlassungen, Lohnkürzungen und Bereicherung der Konzerne bei
den Wahlen eine fortschrittliche Abfuhr zu erteilen.
Die PDS tritt für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und
Personalausgleich, für eine starke Besteuerung der Reichen und für ein
umfassendes Arbeitsbeschaffungsprogramm ein. Als einzige Partei
verbindet sie dies mit eindeutigen Stellungsnahmen gegen die
parteienübergreifende Ausländerhetze. Oft spielt sie in der
Mobilisierung gegen die Neonazis eine wichtige Rolle. Viele
GewerkschaftsaktivistInnen erfahren die PDS als eine Partei, die ihren
Forderungen gegenüber nicht taub ist.
Deshalb rufen wir alle ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen und
Jugendlichen auf, mit der Wahl der PDS günstigere Bedingungen für die
eigentlichen Auseinandersetzungen zu schaffen, die vor uns liegen.
Insbesondere sind solche KandidatInnen zu unterstützen, die sich
vorbehaltlos für die Interessen der kämpfenden KollegInnen und
Jugendlichen einsetzen.

Wählen allein genügt nicht!

Wie auch immer die neue Regierung aussehen wird: die Versuche, die
Lasten der Krise des kapitalistischen Systems auf unseren Schultern
abzuwälzen, werden enorm zunehmen. Dagegen muß die Arbeiterbewegung
mit aller Kraft mobilisiert werden. Das ist die einzige Sprache, die
Unternehmer und Regierung verstehen. Deshalb muß in den nächsten
Monaten der Aufbau und die Zusammenarbeit gewerkschaftlicher und
politischer Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen auf die
Tagesordnung gesetzt werden.
Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern wie Frankreich
unterstreichen nachdrücklich, daß der Aufbau einer neuen
antikapitalistischen ArbeiterInnenpartei nötig und möglich ist.
Wir rufen alle kämpferischen KollegInnen und Jugendlichen dazu auf,
sich mit uns gemeinsam an diese Aufgabe zu machen.



Berlin, August 1998

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