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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998


Geheim 4/1997
http://www.infolinks.de/medien/menue.htm

Novellen rückwärts bei »Verfassungsschutz«, Polizei & Ordnungspolitik (1994-96)
Law & order in Niedersachsen


Das SPD-regierte Niedersachsen entwickelt sich immer mehr zu einem Law-and-order-Land, das sich mühelos in die Riege der bisherigen Hardliner-Länder Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen einreihen läßt. Kurz vor der Landtagswahl im März 1998 bemühen sich der »absolute Schröder« und seine Landesregierung mit aller (Polizei-)Gewalt die liberalen Reformen im Bereich der sog. Inneren Sicherheit aus der rot-grünen Ära (1990-94) wieder zu tilgen, Gesetzesverschärfungen durchzupauken und damit harte Fakten zu schaffen, die im Falle einer Neuauflage der rot-grünen Koalition kaum mehr rückgängig zu machen sein werden. Die bereits verabschiedeten Novellen rückwärts im Überblick:

1. »Verfassungsschutz« (VS): Demontage des liberalsten bundesdeutschen Geheimdienstgesetzes

1995 wurde das »rot-grüne« VS-Gesetz von 1992, das als das liberalste in der Bundesrepublik gilt, von der SPD-Alleinregierung novelliert bzw. verschärft. Dies geschah insbesondere vor dem Hintergrund, daß der niedersächsische VS die »Republikaner« nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten durfte und dies der Landesregierung auch vom Verwaltungsgericht Hannover und vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg - aus jeweils unterschiedlichen Gründen - untersagt worden ist (ausführlich dazu: Gössner, Hg., Mythos Sicherheit -, Baden-Baden 1995, S. 143 ff).

Ersatzlos gestrichen wurde die sog. Aggressionsklausel, d.h. die erhöhte Eingriffsschwelle für den Einsatz nachrichtendienstlicher (nd) Mittel des VS. Mit dieser Klausel sollte der traditionell zur Ausuferung neigende Geheimdienst begrenzt, rechtsstaatlich »gezähmt« werden. Nicht mehr das bloße Vorliegen von »Bestrebungen« gegen die »freiheitliche demokratische Grundordnung« sollte für das Tätigwerden des VS mit nd-Mitteln ausreichen, sondern Voraussetzung sollten Bestrebungen gegen bestimmte Verfassungsgrundsätze mit einer gesteigerten Handlungsintensität sein (in »aktiv kämpferischer, aggressiver Weise« oder gewaltorientiert). Nur so kann gesetzlich gewährleistet werden, daß nicht schon die Gesinnung oder radikale Meinungsäußerungen zu einer geheimdienstlichen Beobachtung führen, sondern erst eine gesteigerte Verhaltensintensität. Mit der nun erfolgten Streichung der Aggressionsklausel ist der Gesinnungsschnüffelei in Niedersachsen wieder Tür und Tor geöffnet.

Der Aufgabenkatalog des VS wurde erweitert, wodurch gleichzeitig seine Kompetenzen eine Ausweitung erfuhren - über das bundesweit übliche Maß hinaus. Wiederum diente der »Rechtsextremismus« als wohlfeile Legitimierung. Der Geheimdienst darf nun auch bei angeblichen »Bestrebungen« tätig werden, die gegen den »Gedanken der Völkerverständigung« und das »friedliche Zusammenleben der Völker« gerichtet sind. Die Expansion ist höchst bedenklich: Damit können nun auf legalem Wege auch Gruppen und Personen der nachrichtendienstlichen Beobachtung unterzogen werden, die in fundamentaler Opposition zu den Machthabern ihrer Heimatländer stehen, mit denen die Bundesrepublik wiederum freundschaftliche (Wirtschafts-)Beziehungen unterhält. Beispiel: kurdische Gruppen in der Bundesrepublik, die die »Völkerverständigung« mit der Türkei empfindlich stören könnten.

2. Polizei: Demontage des rot-grünen Gefahrenabwehrgesetzes

Auch das rot-grüne Polizeigesetz von 1994, eines der liberalsten in der Bundesrepublik, erfuhr mittlerweile unter SPD-Alleinregierung eine Novelle rückwärts, die in zwei Etappen durchgeführt wurde. Nun hat Niedersachsen eines der »härtesten« Polizeigesetze, das sich durch präventive Intoleranz und Ausweitung geheimpolizeilicher Befugnisse »auszeichnet«.

2.1 Erste Verschärfung 1996

Soziale »Säuberung« per Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Vorbeugehaft: Die sog. Chaos-Tage 1995 mußten dazu herhalten, die rot-grüne Reformpolitik im Bereich der Polizeigesetzgebung wieder zurückzuschrauben (lex »Chaos-Tage). Es wurde 1996 eine vollkommen neue Regelung zur Verhängung von Aufenthaltsverboten aufgenommen (als § 17 Abs. 2), die es bislang in keinem deutschen Polizeigesetz gibt: Erstmals in einem deutschen Polizeigesetz
- ist der sog. Platzverweis um ein räumlich und zeitlich ausgedehntes präventives »Aufenthalts-(Stadt-)verbot ergänzt werden;
- die Vorbeugehaft (,Unterbindungsgewahrsam«) wurde von bislang höchstens 48 Stunden auf max. 4 Tage verlängert;
- die richterliche Vorabkontrolle bei der Einrichtung von polizeilichen Kontrollstellen (gerichtliche Anordnung) wurde gestrichen,
- ebenso die Pflicht, daß Kontrollstellen-Anordnungen Bestimmungen über Ort, Zeit und Anzahl der Kontrollstellen enthalten müssen;
- Öffnung des bislang abgeschlossenen Katalogs der »Straftaten mit erheblicher Bedeutung« und damit wesentlich erweiterte verdeckte Handlungsmöglichkeiten weit im Vorfeld von Straftaten; damit wurde ein Stück »rot-grüner« Rechtssicherheit aufgegeben.

Präventives Aufenthalts-(Stadt-)verbot: Auch wenn diese Gesetzesverschärfung aus Anlaß der sog. Chaos-Tage zustandegekommen ist, dürfte sie doch auch in anderen sozialen und politischen Brennpunkten Niedersachsens zur Anwendung kommen. Mit dieser recht vagen Regelung kann die Polizei ohne gerichtliche Anordnung ganze (Groß-) Städte, Stadt- und Gebietsteile gegen unliebsame Individuen und Bevölkerungsgruppen abschotten - nicht nur gegen Punks, die Randale machen könnten, sondern auch gegen »gesetzlose« Autonome in Göttingen, gegen Drogenabhängige, denn die könnten auch dealen, gegen Sintis und Roma, denn die könnten klauen, gegen Kurden, denn die könnten gegen das PKK-Verbot verstoßen, überhaupt gegen Ausländer, denn die könnten gegen Strafbestimmungen des Ausländerrechts verstoßen, aber auch gegen Bettler, Obdachlose und Nichtseßhafte, denn die könnten auf Baustellen oder in Hausfluren nächtigen (Hausfriedensbruch) - um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht zuletzt die zu erwartenden Auseinandersetzungen um die EXPO 2.000 dürften ein weites Anwendungsfeld für das polizeiliche Aufenthaltsverbot bieten.

Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Unterbindungsgewahrsam entpuppen sich nicht nur während sogenannter Chaos-Tage als Instrumente der »Szene(n)bekämpfung«. Es handelt sich hier, wie auch im Drogen- und Obdachlosenbereich sowie bei An- und Versammlungen letztlich um Instrumente der sozialen und politischen »Säuberung« von Innenstädten, Konsummeilen, bestimmten Stadtteilen, besseren Wohngegenden und Landstrichen: »Punkerfrei«, »Junkiefrei«, »Pennerfrei«, »Bettlerfrei«, »Kurdenfrei«...

2.2 Zweite Verschärfung 1997 - Ausdehnung geheimer Polizeibefugnisse und der Kontrolldichte

(1) Legalisierung des Verdeckten Vorfeld-Ermittlers:
Im Unterschied zu V-Leuten, die aus dem kriminellen Milieu (z.B. Drogenszene) stammen und Informationen an die Polizei liefern, handelt es sich bei Verdeckten Ermittlern (VE) um Polizeibeamte, die mit neuer, auf Dauer angelegter Legende, mit Decknamen und falschen Papieren getarnt werden, um in den kriminellen Untergrund oder in politisch verdächtige Szenen eintauchen zu können. Nach der neuen Regelung im niedersächsischen Polizeigesetz ist der Einsatz eines VE und die damit verbundene heimliche Erhebung persönlicher Daten bereits im Vorfeld von Straftaten zur Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung zulässig. Damit ist das vage Vorfeld von möglichen Straftaten für den VE-Einsatz zum Zwecke der Vorfeldaufklärung weit eröffnet - wobei auch »Kontakt- und Begleitpersonen«, also unbeteiligte und unverdächtige Dritte, nicht verschont werden (§ 36a NGefAG).

Mit dem VE-Einsatz sind zwangsläufig auch weitere - rechtlich höchst problematische - Konsequenzen verbunden: Urkundenfälschungen im Amt zur Legendenbildung, Verwirklichung von Täuschungs- bzw. Betrugstatbeständen bei der Teilnahme am Rechtsverkehr und zur Aufrechterhaltung der neuen Legende, das Recht, Wohnungen von Verdächtigen ohne richterlichen Durch suchungsbefehl zu betreten, Lauschangriffe zur Absicherung des VE-Einsatzes in Wohnungen etc.

(2) Erweiterung des präventiven Großen Lauschangriffs:
Bislang war der Polizei der Große Lauschangriff in oder aus Wohnungen mit verdeckten technischen Mitteln (Wanzen, Richtmikrophonen) nur in Fällen möglich, in denen es um die Abwehr gegenwärtiger schwerwiegender Gefahren für Leben, Leib oder Freiheit ging (etwa bei Geiselnahmen). Jetzt darf die Polizei diesen schweren Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung schon durchführen zur »Abwehr der Gefahr, daß eine Person eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird« - also zur Straftatenverhütung (§ 35 Abs. 2 NGefAG).

(3) Anlaß- und verdachtsunabhängige Kontrollen im ganzen Land:
Ohne jeglichen Anlaß und ohne jeglichen Straftatenverdacht gegen eine bestimmte Person kann die Polizei künftig jede beliebige Person, die sich »im öffentlichen Verkehrsraum« befindet, kurzzeitig anhalten, befragen, mitgeführte Ausweispapiere überprüfen und Sachen in Augenschein nehmen. Mit dieser Regelung wird der Bürger praktisch zum Sicherheitsrisiko erklärt, jederzeit und im ganzen Land kann er auf seine Harmlosigkeit überprüft werden. Die Maßnahme muß lediglich der »Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug« dienen. Nach der Öffnung der Grenzen in Europa werden die polizeilichen Kontrollen ins Landesinnere verlagert, die nun ihre gesetzliche Grundlage erhalten haben. Dabei geht Niedersachsen wesentlich weiter als etwa Bayern oder Sachsen, die solche Kontrollen schon länger legalisiert haben: In Niedersachsen können im ganzen Land Kontrollen durchgeführt werden, in den genannten Bundesländern prinzipiell nur in einem 30 km breiten Raum von den Außengrenzen entfernt.

2.3 Soziale »Säuberung« - ein Polizeiminister räumt auf

Der niedersächsische Polizeiminister Gerhard Glogowski (SPD) gibt im Nov. '97 die Parole an seine Polizeibeamten aus (per Erlaß), künftig die Präsenz auf der Straße zu verstärken, schon bei Ordnungswidrigkeiten und kleineren Delikten frühzeitig und konsequent einzuschreiten, auch schon dann, wenn Betrunkene in der Stadt herumpöbeln, wenn aggressiv gebettelt wird oder wo Dreck und »Unordnung« im öffentlichen Raum produziert werden. »Bild« vom 11.11.97 titelt: »Hannover soll sicher werden - Minister: Fixer und Bettler einsperren - wenn sie Platzverweise nicht befolgen. Er räumt auf.« In ihrem berüchtigten Stakkato referiert »Bild« die geplante »Straf-Liste«, »damit die Bürger keine Angst mehr haben müssen«: »Betrunkene werden aufgesammelt, in Ausnüchterungszellen gesperrt; Fixer, die an der Straße spritzen, werden mit Platzverweis bestraft. Das Drogen-Besteck (Spritzen) wird weggenommen. Im Wiederholungsfall droht Arrest - bis zu 4 Tage; Fliegende Händler werden überprüft. Kein Gewerbeschein - Anzeige, Ausländern droht Abschiebung; Bettler bekommen Platzverweise. Werden sie wieder erwischt - ab in die Zelle -«

Es handelt sich bei diesen Maßnahmen nach New Yorker Vorbild um die polizeiliche Bekämpfung der Symptome einer zunehmenden sozialen Misere und Verelendung in den Städten, um die polizeiliche Bekämpfung von kommunalen Ordnungsstörungen auf dem Wege der Ausgrenzung und Vertreibung von marginalisierten Bevölkerungsgruppen und deren unliebsamen Mitgliedern, die als »Kollektivstörer« die »Sicherheit und Ordnung« stören (könnten).

Obwohl das Grundrecht auf Freizügigkeit für allgemein präventivpolizeiliche Zwecke nicht eingeschränkt werden darf, hat jede Stadtverwaltung mit polizeilichen Aufenthaltsverboten, Platzverweisen und Unterbindungsgewahrsam praktisch die Möglichkeit, zwischen 'sauberen' Stadtteilen und solchen zu differenzieren, in die kriminalitätsgefährdete Personen - etwa Drogenabhängige und damit auch das Drogenproblem - abgedrängt werden sollen. Folge dieser »Säuberung« ist also die Verdrängung in andere Stadtteile oder Städte (wie bei den »Chaos-Tagen« 1996 von Hannover nach Bremen), jedenfalls nicht der Ansatz einer »Lösung« der zugrundeliegenden Probleme, sondern letztlich deren Verschärfung und Eskalation. Es handelt sich um eine Strategie der gesellschaftlichen Spaltung in schützenswerte, anständige Konsumbürger auf der einen und störende Bürger minderen Rechts auf der anderen Seite. Es ist der (vergebliche) und mit einer weiteren Aushöhlung der Bürgerrechte verbundene Versuch, die »häßlichen« Auswirkungen der Zwei-Drittel-Gesellschaft, einer verfehlten Sozial- und Jugendpolitik, von rigorosem Sozialstaatsabbau und sozialer Desintegration auf unterster kommunaler Ebene mit polizeistaatlichen Mitteln zu »be wältigen«, zu verdrängen.

2.4 Deutschland unterm »Sicherheitsnetz«

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) hatte im Sommerloch 1997 per Schreiben an seine Länderkollegen angeregt, mit einem sog. Sicherheitsnetz von Polizei, städtischen Behörden, Bürgern und privaten Sicherheitsdiensten Gewalt und Kriminalität in den Großstädten zurückzudrängen (vgl. Aktion Sicherheitsnetz, in: Innenpolitik Nr. V/1997, hg. vom Bundesinnenministerium). Alle Straftaten bis hin zu bloßen Bagatelldelikten sollten unter diesem Netz entschlossen verfolgt werden. Der Bundesgrenzschutz könne dabei die Länderpolizeien tatkräftig unterstützen. Niedersachsen hat Interesse angemeldet.

Mit der generellen Einbeziehung des BGS in die »Bekämpfung« der Alltagskriminalität eines Landes bzw. einer Großstadt wird das machtbegrenzende föderale Prinzip praktisch ausgehebelt - Polizei, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind schließlich prinzipiell Ländersache. Mit dem alltäglichen Einsatz des BGS würden die ohnehin vorhandenen Zentralisierungstendenzen im Bereich der sog. Inneren Sicherheit noch erheblich verstärkt. Der BGS würde weiter ausgebaut zur zentralen »Reservearmee« im hochstilisierten »Krieg gegen das Verbrechen«. Der Bund bzw. die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung wollten sich im Vorwahlkampf offenbar als Retterin in der Not gerieren. Doch es gibt in den Ländern und Städten keinen Notstand, den es mit Bundespolizei zu bewältigen gäbe. Wieder wird mit dieser Initiative der Bevölkerung der Bären aufgebunden, mit mehr Polizei und Verstärkung durch den BGS könnte Kriminalität wirksam »bekämpft« und die Sicherheit der BürgerInnen gewährleistet werden.

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