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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998


Nach den Bundestagswahlen
Die sich ergebenden Chancen zum Politikwechsel nutzen

Die politischen Gespräche in der SPD-Spitze über mögliche
Koalitionsverhandlungen werden von unterschiedlichen
Positionen bestritten. Da gibt es den starken Druck aus der
Partei, Stimmen, die davor warnen, auf keinen Fall den
Wählerwillen zu verfälschen und mit der CDU in Verhandlungen
über eine große Koalition einzutreten - da gibt es aber auch
Stimmen in der SPD-Führung, die eben diese Option
befürworten.

Die von den Demoskopen zuletzt hochgeredete CDU erlitt eine
ihrer schwersten Niederlagen. Die Wählerinnen und Wähler
gaben ihr die Quittung für ihr Mitverschulden an der
Massenarbeitslosigkeit. Die CDU wurde abgewählt, weil sie
systematisch die steuerliche Umverteilung von unten nach
oben betrieb, weil sie die sozialen Sicherungssysteme
abbaute und Hand an die Renten legte.

Kohl mußte abtreten, weil er und seine Mannschaft die
Menschen in den neuen Bundesländern nicht nur vielfach
belogen hatte, die CDU sorgte für das industrielle
Plattmachen im Osten, für Massenarbeitslosigkeit und
sozoales Elend.

So kommt der Wahlentscheidung der Menschen in den neuen
Bundesländern eine erhebliche gesamtdeutsche Bedeutung zu.
Sie entschieden sich für die SPD und die PDS und gaben der
CDU eine sehr deutliche Abfuhr. Das zeigen die
Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern auch zur
Landtagswahl. Die Befürchtungen, daß dort die
neonazistischen Parteien erheblichen Zuwachs erhalten,
bestätigten sich nicht. Der CSU-Generalsekretär Protzner
sagte noch in der Wahlnacht: "Der Osten hat die CDU nach
unten gezogen". Den Menschen im Osten gebührt Dank.

Trotz der vehementen und gehässigen Kampagnen aller anderen
Parteien gegen die PDS gewann die PDS nicht nur vier
Direktmandate in Berlin sondern übersprang die
5-Prozent-Klausel und zog mit Fraktionsstatus in den
Bundestag ein. Auch der Stimmenzuwachs für die PDS im Westen
trug zu diesem Erfolg bei. So konnte Sahra Wagenknecht im
Wahkreis 113, Dortmund I, 3,2 Prozent der Erststimmen auf
sich vereinen. Auch anderenorts gab es Achtungsergebnisse
für Kandidatinnen und Kandidaten der PDS, aber auch für die
15 Direktkandidaten, die die DKP stellte. Durchweg stieg der
Stimmenanteil für die PDS in allen Teilen der alten
Bundesrepublik. Einen nicht unwesentlichen Anteil daran
hatten die Mitglieder der DKP, die sich engagiert für die
PDS in diesem Wahlkampf einsetzten.

Die parlamentarischen Karten in Bonn wurden neu gemischt.
Politische Köpfe, die sich in den letzten Jahren mit
extremistischen Positionen in Szene setzten, werden zwar
nicht verschwinden aber nicht mehr die Schlagzeilen
beherrschen. So der Innenminister Kanther, der
Verteidigungsminister Rühe, der Sozialminister Blüm, der
Finanzminister Waigel, der Außenminister Kinkel und der
Wirtschaftsminister Rexrodt. Das ist nicht nur ein
politischer Gewinn, das ist auch ein Zuwachs an politischer
Kultur, diese Figuren nicht mehr täglich in den
Fernsehnachrichten ertragen zu müssen.

Keine Frage, daß sich nach dem Wahlergebnis die Vertreter
des Großkapitals und der Industrie zu Wort meldeten. So
beklagte der Sprecher aus dem Vorstand der Deutschen Bank
den Abgang der Kohl-Regierung mit den Worten, daß jetzt "die
Welt nach Rußland und Asien wiederum einen Stabilitätsfaktor
verloren" hätte. Auf der Wahlparty des Frankfurter
Finanzmarktes rührte sich keine Hand, als die erste Prognose
einen Wechsel in Bonn ankündigte und die Hochrechnungen
einen klaren Wählerwillen signalisierten.

Anders wird die Lage in Paris und London beurteilt. Die
"Rheinische Post" stellt fest: "Europa ist jetzt rot. Wird
es der Euro nun auch?" Und: "Bleibt Deutschland ein
berechenbarer NATO-Partner?"

In einer Erklärung des Sekretariats des Parteivorstandes der
DKP zum Ausgang der Wahlen (Wortlaut auf dieser Seite) wird
festgestellt:

"Gerhard Schröder ist zu einem 'Aufbruch' und zur
'Erneuerung' angetreten. Die Chancen für eine neue Politik
wurden von den Wählerinnen und Wähler geschaffen, angestoßen
durch die außerparlamentarischen Aktionen der Arbeitslosen,
der Gewerkschaften, der Frankfurter Initiativen und andere
Aktivitäten im Wahlkampf. Damit man nun auch im Parlament
spürt, was sich draußen rührt, ist die Fortsetzung
außerparlamentarischer Aktivitäten nötig:

Gegen die Kriegseinsätze der Bundeswehr, für ein
Beschäftigungsprogramm und eine Lehrstelleninitiative, gegen
Ausländerfeindlichkeit, Neonazismus und Rassismus, gegen die
Weiterführung der Rachejustiz gegen DDR-Bürger. Eine neue
Politik erfordert auch Einsicht, daß die gegenwärtigen
gesellschaftlichen Verhältnisse bei uns nicht tauglich für
die Lösung der Probleme des neuen Jahrhunderts sind."

Die politische Arbeit in den Gewerkschaften, in den sozialen
Bewegungen, in der Friedensbewegung, im Bereich der
Anti-Atom-Bewegung, der Frauen- und Jugendorganisationen und
der vielfältigen demokratischen Bürger-Initiativen hat durch
dieses Wahlergebnis gewiß Auftrieb erfahren. Die Bedingungen
für engagiertes außerparlamentarisches Eintreten sind besser
geworden. Aber natürlich kommt es darauf an, dieses
Engagement sowohl im Parlament als auch außerhalb desselben
deutlich zu machen.

Es haben sich neue Chancen ergeben, sie zu nutzen, das ist
jetzt die Aufgabe aller demokratischen und linken Kräfte.

F. N.



> aus *UZ* unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 40
2. Oktober 1998
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