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Ermittlungen über Geldwäsche in New York beleuchten Verbindungen zwischen westlichen Financiers und russischer Mafia

Von James Brookfield
28. August 1999
aus dem Englischen (27. August 1999)  www.wsws.org

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Eine Geschichte der ersten zehn Jahre der kapitalistischen Restauration in Russland müsste zwei Grundtatsachen hervorheben: Erstens: Niemals zuvor haben jemals so wenige Leute in so kurzer Zeit so viel Geld gestohlen. Zweitens: Die Diebe entstammten nicht nur der alten stalinistischen Nomenklatura und der neuen russischen Gangster-Geschäftswelt, sondern zu einem guten Teil auch den westlichen Banken und Regierungen.

Ein wichtiges Kapitel dieser Geschichte kann man gegenwärtig in den USA verfolgen. Gemeinsam mit Kollegen aus britischen und schweizerischen Stellen untersuchen die dortigen Behörden einen Fall, der sich ohne weiteres als die größte Geldwäsche der US-Geschichte erweisen könnte. Der Vorwurf lautet, dass Milliardenbeträge aus Russland, teilweise Mafia-Gelder, über Konten der Bank of New York flossen. Zwei Vizepräsidentinnen der Bank sind im Gefolge der Untersuchungen bereits beurlaubt worden.

Die Ermittler halten es überdies für möglich, dass die russische Mafia rund 200 Millionen Dollar aus IWF-Krediten, die für die russische Regierung bestimmt waren, an sich gebracht hat.

In einer Reihe von Artikeln förderte Timothy L. O'Brien in der New York Times die delikaten Einzelheiten ans Tageslicht. Irgendwann im Somer 1998 machten britische Behörden, die sich mit russischen Bandentätigkeiten befassten, ihre amerikanischen Kollegen darauf aufmerksam, dass sie auf eine Verbindung zwischen den Firmen YBM Magnex und Benex gestoßen seien. Erstere dient dem mutmaßlichen russischen Gangster Semjon Jukowitsch Mogilewitsch als Deckfirma, letztere gehört Peter Berlin, dem Ehemann einer der mittlerweile beurlaubten Vizepräsidentinnen der Bank of New York (BNY). Von Oktober 1998 bis März 1999 flossen 4,2 Milliarden Dollar verdächtiger Herkunft über die BNY-Konten von Benex und weiteren Firmen. Die Ermittler haben das Konto seither nicht gesperrt, so dass die Schätzungen allgemein von inzwischen bis zu zehn Milliarden Dollar ausgehen, die auf diesem Wege gewaschen wurden.

Die Spuren der kriminellen Machenschaften weisen über Figuren wie Mogilewitsch, die ohnehin des organisierten Verbrechens verdächtig waren, hinaus auf hochrangige Beamte in den USA und Russland. Außerdem wird untersucht, ob Gelder der mittlerweile zahlungsunfähigen russischen Bank Menatep ebenfalls an der Geldwäscherei der BNY beteiligt gewesen waren. Menatep befindet sich im Besitz des russischen Oligarchen Michail Chodorkowski und beschäftigte bis vor kurzem Konstantin Kagalowski in führender Stellung.

Kagalowskis mutmaßliche Rolle bei der Geldwäsche-Operation wirft ein Schlaglicht auf den kriminellen Charakter der Neureichen in Russland, die größtenteils der alten stalinistischen Bürokratie entstammen, und auf die Komplizenschaft der westlichen Finanzinstitutionen, Regierungen und akademischen Berater. Kagalowski mischte in den obersten Rängen der russischen Regierung mit, er hatte ihr als Berater und Vertreter gegenüber dem IWF gedient, bevor er 1994 zu Menatep wechselte. In seinem Büro bei Menatep stellte er stolz Aufnahmen seiner Zusammenkünfte mit George Bush, John Major und anderen Führern des Westens zur Schau.

Später verließ er Menatep, um Vize-Vorsitzender des Ölkonzerns Lukos zu werden, den sich Menatep im Rahmen des Programms "Aktien gegen Kredite" billig unter den Nagel gerissen hatte. (Dabei stellte die Bank der russischen Regierung einen Kredit aus und erhielt im Gegenzug Unternehmensanteile.) Als die Bank pleite ging, sicherte sich Lukos einem Bericht des Wall Street Journal zufolge einen guten Teil ihres Besitzes, darunter ihre Büros in Moskau und eine Anzahl ausländische Beteiligungsgesellschaften.

Letztere sollen benutzt worden sein, um eine Reihe andere, ebenfalls im Besitz von Menatep befindliche russische Betriebe zu plündern. Dabei wurden Vermögenswerte oder Erzeugnisse dieser Produktionsbetriebe zu Preisen unter ihrem Marktwert an die Beteiligungsgesellschaften verkauft. Diese verkauften sie dann im Ausland zu normalen Preisen weiter, womit die Profite außerhalb Russlands verblieben. Das Journal führte ein Beispiel für dieses Verfahren an, bei dem innerhalb von nur einem Jahr eine russische Titan-Fabrik um 20 Millionen Dollar erleichtert wurde.

Mittels solcher Geschäfte soll Herr Kagalowski rasch ein sehr reicher Mann geworden sein. Dies ergibt sich aus folgender Schilderung von John Lloyd, der für das New York Times Magazine einen Artikel über seinen jüngsten Moskau-Besuch verfasste ("Who Lost Russia? - the Russian Devolution", 15. August 1999)

"[Kagalovsky] war der erste Reformer, den ich kennengelernt hatte, als ich Anfang 1991 nach Russland gezogen war. Damals wohnte er in einer einfachen Zweizimmerwohnung in einer jener riesigen Siedlungen am Rande Moskaus. Dünn und konzentriert, hatte er sich mit mir an den Küchentisch gesetzt, und mit seinem stockenden Englisch und meinem stockenden Russisch sprachen wir über Adam Smith und Milton Friedman und Jeffrey Sachs... Er sprach über die Fruchtlosigkeit von Gorbatschows Reformen, die Notwendigkeit strengster monetaristischer Ausrichtung und das reine Übel des Kommunismus.

Der Mann, der [jetzt] aus seinem Büro trat, um mich zu treffen - nachdem ich zwei penible Sicherheits-Checks und auf dicken Teppichen mehrere Korridore in einer aufwendig renovierten Moskauer Villa aus dem 19. Jahrhundert durchlaufen hatte - war deutlich untersetzt, trug einen Maßanzug und eine auffällige Krawatte...

‚1991 und 1992‘, sagte er, ‚steckten wir noch in unserer romantischen Periode. Unsere Ansichten und Gefühle entstammten unseren Büchern, unseren Diskussionen, unseren Ideen - die zum Teil kindisch waren, wie mir nun scheint. Und danach‘ - er lächelte ein wenig - ‚hat das Leben uns alle verändert...

Wir erkennen jetzt die einfachen Wahrheiten: ein Land, das auf Diebstahl und Korruption basiert, ist wenig weniger effizient, als eine normale Gesellschaft. Und der Zweck heiligt nicht die Mittel. Nach 1996 wurde die Korruption zu einem systemimmanenten Element des Staates. Sie drang in den Kern des neuen russischen Staates vor...'".

Er verschwieg natürlich diskret, dass er selbst ein Werkzeug dieses Prozesses darstellte.

Kagalowski ist ein typischer Vertreter jener Kräfte, die aktiv für die Auflösung der Sowjetunion eintraten und davon profitierten. In den letzten Tagen der UdSSR hatten die "neuen Russen" wie Kagalowski noch letzte Spuren von Marxismus abbekommen und zumindest eines begriffen: die brutale Rücksichtslosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Doch fassten sie diese nicht als gesellschaftlich schädlichen Aspekt des Profitsystem, sondern als positive Grundlage ihrer eigenen Bereicherung auf.

Kagalowski ist verheiratet mit Natascha Gurfinkel Kagalowski, der zweiten beurlaubten Vizepräsidentin der BNY. Ebenso wie ihr Ehemann erklomm Natascha Kagalowski die soziale Stufenleiter in Windeseile. 1954 in der Sowjetunion geboren, wanderte sie 1979 in die USA aus, studierte an der Princeton University und heuerte 1996 bei der Irving Bank an, die zwei Jahre später von der BNY übernommen wurde. Sie übernahm die Leitung der Osteuropa-Abteilung und wurde ausgesprochen reich, einigen Berichten zufolge blätterte sie 1997 für eine Eigentumswohnung in Manhattan 796.000 Dollar in bar auf den Tisch.

Setzt man die Plünderei, die jetzt im BNY-Fall aufflog, in Beziehung zur Größe der russischen Wirtschaft, so wird ihr immenser Umfang deutlich. Ein Fachmann schätzte, dass die zehn Milliarden Dollar, die wohl im Verlauf des letzten Jahres gewaschen wurden, nicht weniger als sechs Prozent des russischen Bruttosozialprodukts ausmachen, sowie 40 Prozent des Haushaltsvolumens. Und dabei handelt es sich nur um die Summe, die innerhalb eines einzigen Jahres durch einen einzigen Kanal floss! Die Financial Times zitierte vergangenen Samstag einen Bericht der internationalen Rating-Agentur Fitch IBCA, der davon ausgeht, dass 1993 bis 1998 insgesamt 136 Milliarden Dollar aus Russland abflossen. Eine weitere Schätzung, die Lloyd in der Times zitiert, spricht sogar von insgesamt 200 bis 500 Milliarden.

Was immer die genaue Summe sein mag, sie wanderte jedenfalls nicht nur in die Taschen der neuen russischen Kleptokratie, sondern auch in jene der amerikanischen und europäischen Finanzinstitutionen. (In den Fall BNY scheinen auch einige europäische Großbanken verwickelt zu sein. Am Dienstag schrieb das Wall Street Journal unter Berufung auf informierte Quellen, auch bei der Credit Suisse, der Dresdner Bank, der Westdeutschen Landesbank und der Banque Internationale Luxembourg werde ermittelt.)

Die gigantischen Profite, die mit den russischen Konten gemacht wurden, widersprechen der Auslegung, hier seien die ausländischen Banken von den russischen Konzernen und Mafiosi hinters Licht geführt und missbraucht worden. Natascha Kagalowski schrieb denn auch 1995 in einem Memorandum an Thomas Renyi, den damaligen Präsidenten und jetzigen geschäftsführenden Direktor der BNY: "Die Inkombank [eine weitere Bank, die, ebenso wie Menatep, in Konkurs gegangen ist] bringt uns an Gebühreneinnahmen am meisten ein, und sie ist heute die größte Abrechnungsbank für Binnentransaktionen in Russland." (Hervorhebung hinzugefügt)

Die russischen Oligarchen, die sich ihrer neuerworbenen Reichtümer nicht sicher fühlten, solange diese im Lande verblieben, brauchten westliche Banken, um ihr Geld ins Ausland zu schaffen. Es bereitete ihnen wenig Schwierigkeiten, große Banken zu finden, die bereitwillig über offenkundige Vergehen hinwegsahen, um ihren russischen Kunden fette und einträgliche Konten zur Verfügung zu stellen.

Seit dem Aufbrachen des BNY-Skandals in der vergangenen Woche sind in der amerikanischen Presse zahlreiche Artikel erschienen, in denen die Clinton-Administration, die Jelzin-Regierung und die westlichen Banken kritisiert werden. Doch keiner deutet auch nur die Möglichkeit an, dass die Ausplünderung Russlands organisch mit der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion zusammenhängen könnte, oder dass der Westen Mitverantwortung für die wirtschaftliche, soziale und moralische Katastrophe trägt, die Russland in den letzten zehn Jahren heimgesucht hat.

Die Fakten sprechen jedoch für sich. Zum Ende des letzten Jahrzehntes forderten die kapitalistischen Politiker in den USA und Europa mit Unterstützung des IWF die rasche Privatisierung der russischen Wirtschaft, die Liberalisierung der Preise, die Abschaffung sozialer Leistungen und die Beseitigung jeglicher Hindernisse für die Profitscheffelei in der ehemaligen UdSSR. Diese Politik, die das zuvor - zumindest in juristischer Hinsicht - öffentliche Eigentum in private Hände bringen sollte, setzte Kriminalität voraus. Das damalige Versprechen, dass Freiheit und Wohlstand bald folgen würden, wurde mehr oder weniger für bare Münze genommen. Doch zum Ende dieses Jahrzehnts bilden die menschlichen Kosten der kapitalistischen Ausplünderung Russlands - Massenarbeitslosigkeit, rapider Rückgang der Lebenserwartung, das Absinken von einem Fünftel der Bevölkerung in eine Armut, wie man sie sonst außerhalb der Dritten Welt kaum kannte - bereits ein vernichtendes Urteil der Geschichte über die kapitalistische Restauration und, darüber hinaus, über die Zukunftsaussichten, die das Profitsystem der überwiegenden Mehrheit der Weltbevölkerung zu bieten hat.

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