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Der neue Nazi-Sozialismus
Wie die Rechte sozialistische Ideen entdeckt und die Linke dabei zuschaut

von Maik Eisfeld
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Glatzköpfige Schläger, die mit Baseballschlägern und platten Sprüchen durch die Gegend ziehen und auf alles einschlagen was in irgend einer Form fremdartig erscheint oder sonstwie als "undeutsch" gilt. Wenig Geist, viel Kraft. Rechte Sprüche sind kurz und schlagkräftig. Sündenböcke werden gesucht und in diesen unsicheren Zeiten auch meist schnell gefunden. Programme, wenn überhaupt vorhanden, bestehen im allgemeinen aus 2-4 Seiten "dicken Wälzern" gespickt mit nationalen Phrasen aber ohne konkrete Visionen für eine bessere Zukunft. Markige Floskeln über die ruhmreiche deutsche Vergangenheit, vorgetragen von "Rotznasen" die kaum trocken hinter den Ohren, nach der ersten Geländeübung schnell unter Mutters Rockzipfel Zuflucht finden. Angezogen fühlen sich vor allem Menschen aus den wenig gebildeten Schichten der Gesellschaft. Perspektivlose, die nach leichten Lösungen suchen.

Das war das gängige Bild der rechten Szene, daß sich in unser Denken tief eingegraben hat. Doch nun scheint sich etwas zu tun in der rechten Szene und es kann einem schon Angst und Bange werden: Die extreme Rechte hat den Sozialismus entdeckt.

Ja, richtig gelesen, daß ist kein Fastnachtsscherz. In Deutschland (und hier besonders in der ehemaligen DDR) entwickelt sich eine neue nationalsozialistische Ideologie. Fassungslos kann man sich über die rasante Entwicklung des National-Sozialismus die Haare raufen.

Fast 13% für die rechtsextreme DVU in Sachsen-Anhalt, die darauf hin mit 16 Abgeordneten in den Landtag einzog, das war der vorläufige Gipfel der Entwicklung. Doch wer da glaubt damit sei die Spitze des Eisberges erreicht, der irrt gewaltig.

Zwar wurde der Höhenflug bei der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern gestoppt, doch lagen alle rechtsorientierten Parteien zusammen deutlich über 5%, in Sachsen im Landesdurchschnitt sogar über 10%. Die Gefahr ist lange nicht gebannt, im Gegenteil.

Nun sei die Frage erlaubt: Wie konnte es soweit kommen? Wenn man sich einmal grundlegend mit diesem Problem befaßt, ist die Antwort gar nicht so schwer. Sozialismus, dieser Begriff hat in der ehemaligen DDR noch immer etwas anrührendes, eine tiefe Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren, sicheren und friedlicheren Vergangenheit. Einer Vergangenheit ohne Arbeitslosigkeit und Existenzangst. Einer Vergangenheit, als eindeutig gesagt wurde, was richtig und falsch war, und kein Mensch selbst überlegenen mußte. Einer Vergangenheit auch so gut wie ohne Ausländer. Mit denen können die meisten Ossis wahrlich nicht umgehen – wen wundert’s? – 40 Jahre Abschottung haben ganze Arbeit geleistet. Internationalismus wurde gepredigt, aber alternativloser Nationalismus gelebt.

Die SED war im Grunde eine konservative Partei, unfähig sich auch nur eine Handbreit vom althergebrachten zu lösen. "Sozialismus in den Farben der DDR" hieß es noch kurz vor dem Zusammenbruch, andere Bezeichnungen waren auch "Staatssozialismus" oder "staatsbezogener Sozialismus". Geschickt wurde ein Nationalbegriff umgangen. Im Grunde war es aber eine Art von nationalem Sozialismus wenn er auch nicht mit der vorangegangenen braunen Ideologie dieses Namens gleichzusetzen ist.

Ein Staat, der eine Mauer mit Minen und Stacheldraht benötigte, um seine Bevölkerung davon abzuhalten, Internationalismus zu üben, ein Staat, der eine Staatssicherheit brauchte, um seine Bevölkerung davor zu bewahren, sich kritisch mit dem bestehenden System auseinanderzusetzen, kann kaum als im eigentlichen Sinne sozialistisch bezeichnet werden.

Sicherlich gab es sozialistische Elemente, zweifelsohne. Ein weitgefächertes kostenloses Sozialsystem zeugt z.B. davon. Nach dieser und vielen weiteren Absicherungen sehnen sich heute nicht wenige.

Zunächst richtete sich diese Sehnsucht auf die PDS, deren Wahlerfolge zeugen davon. Doch die PDS hat für viele ein eindeutiges Makel. Diese Partei hat sich nämlich in den letzten Jahren zu einer wirklichen sozialistischen Linkspartei gemausert und viel Ballast abgeworfen. Sicher, sie ist aus der SED hervorgegangen, doch programmatisch hat sie mit ihr kaum noch etwas zu tun. Die antikapitalistische Einstellung, der Kampf für soziale Gerechtigkeit und eine gesunde Umwelt, geht einher mit antimilitaristischen, antirassistischen und antipatriarchalen Grundsätzen. Das ist wirkliche sozialistische Ausrichtung, die auch von Christen übernommen werden kann.

Aber gerade die drei letztgenannten Grundzüge sind ein Knackpunkt für viele geworden. Wer sich für ausgegrenzte Minderheiten einsetzt, besonders für Ausländer, aber auch für Schwule und Lesben, wer Frauenrechte fordert und das Patriarchat als solches in Frage stellt, wer sich für die Rechte von Behinderten stark macht, wer gegen die immer noch vorhandene Militarisierung ankämpft und die schonungslose Aufarbeitung der in deutschen Namen begangenen Verbrechen vergangener Zeiten einfordert, wer die Kriminalität nicht nur mit drakonischen Maßnahmen, sondern vor allem durch Vorbeugung bekämpfen will, der paßt vielen alten hartgesottenen Genossen nicht mehr ins Bild.

Schon gibt es Abwanderungstendenzen. Ein kleiner Teil dogmatisch-marxistisch Orientierter, vor allem älterer Genossen ist schon lange zur DKP übergewechselt, die weitgehend an der alten Linie festgehalten hat und in der ehemaligen DDR ein stattliches Mitgliederreservoir erreichen konnte.

Doch das sind Ausnahmen. Der weitaus größere Teil wandert in die entgegengesetzte Richtung, findert offene Ohren bei Republikanern, DVU und NPD. Diese bieten seit kurzem eine ganz neue (aber auch alte) Art von "Sozialismus".

Sozialistische Ideen (Verteidigung des Sozialstaates, antikapitalistische Ausrichtung) werden verbunden mit der Rückbesinnung auf "nationale Werte". Das damit natürlich eine ordentliche Portion Haß verbunden ist, versteht sich von selbst. Haß auf alles was nicht in die Norm paßt: Ausländer, Homosexuelle, Behinderte, sozial ausgegrenzte (z.B. obdachlose) Menschen mit linker politischer Einstellung sind die Feinde schlechthin, die es zu eliminieren gilt. Seit einiger Zeit werden aber auch bürgerliche Politiker, ja das gesamte politische System in Frage gestellt.

Es ist die Diktatur schlechthin, die angestrebt wird, ohne die Zänkereien im parlamentarischem System, die "…ja doch nichts bewegen". Verbunden mit einer weitgehenden sozialen Absicherung, selbstverständlich nur für Menschen die nicht einer der weiter oben genannten Gruppe angehören.

"Deutsche Arbeit nur für Deutsche!" Ja, es fallen immer mehr auf diese platte Floskel herein. Woher die "Deutsche Arbeit" kommen soll, wird selbstverständlich nicht gesagt. – Wo gibt es überhaupt noch rein deutsche Arbeit? So dürfte ein "patriotisch gesinnter Deutscher" genaugenommen auch nicht für ein vom Ausland geleitetes Unternehmen (z.B. Opel) arbeiten. Daß das Kapital im Zeitalter der Globalisierung international organisiert und vernetzt ist, scheint sich bei den Rechten noch nicht herum gesprochen zu haben. Daß die Arbeiterklasse gerade aufgrund dieser Tatsache ebenfalls nur im internationalen Verbund ihren Kampf ausfechten kann, wenn sie wirklich etwas erreichen will, dringt nicht in die betonierten Schädel vor.

Hier kommen wir aber auf das eigentliche Problem. Rechtes Denken erfordert nicht viel. Genaugenommen ist es gar kein Denkvorgang an sich, weil eben nicht viel gedacht werden muß, wenn man es getrost "seinen Führern" überlassen kann. Linkes Denken hingegen ist für viele zu kompliziert, erfordert viel Phantasie und Kreativität. Linke müssen in der Lage sein, sich mit ökonomischen Gesetzmäßigkeiten auszukennen, um genau definieren zu können. Linke diskutieren sehr viel und sehr lange, alles muß korrekt im basisdemokratischen Sinne verlaufen – das scheint vielen ermüdend und zeitraubend. Die Rechte diskutiert so gut wie überhaupt nicht, dort wird ein Befehl erteilt und zugeschlagen. Die Linke ist oft viel zu viel "verkopft", es wird der Verstand gefordert, zu wenig an das Gefühl appelliert. Es gibt eine Fülle theoretischer Werke, welche den Intellekt von Menschen ohne abgeschlossenes Hochschulstudium nie zu erreichen vermag. Man stelle sich vor, irgend jemand drückt einem 17jährigen perspektivlosen Jugendlichen aus einer Magdeburger Plattenbausiedlung die "Geschichte der MLPD" in die Hand, mit dem Ziel einen guten Linksradikalen aus ihm zu machen. Dieses Mammutwerk, erschienen in drei Bänden, umfaßt nicht weniger als stolze 1400 Seiten trockene, hochwissenschaftliche Formeln und Definitionen. Dogmatik in Reinkultur. Spätestens nach der 3. Seite wird eben jener Jugendliche dieses Werk angewidert in die Ecke knallen. Wie einfach haben es doch da die oft in Vulgärsprache verfaßten Schriften des Dr. Gerhard Frey und seines "Konzerns" der sich DVU nennt. Das trifft den Kern der Sache, das geht runter wie Honig.

Am weitesten hat sich die NPD vorgewagt, sie hat den entscheidenden Schritt in Richtung eines "Volkssozialismus" getan, indem sie eine nationalrevolutionäre Wortwahl gefunden hat, mit deren Hilfe sie selbst hartgesottene Linke anlockt. Sie gibt sich betont antikapitalistisch und antiimperialistisch und will sogar (Originalton NPD) "…die positiven Erfahrungen aus der DDR in die deutsche Politik einbringen."

Das ist Sozialismus nach dem Geschmack vieler von der 89er Revolution enttäuschter Ossis. Dabei fällt auf, daß sogar viele ehemalige Funktionäre (besonders aus den Reihen der Freien Deutschen Jugend, FDJ) ihren Weg zur NPD gefunden haben. Menschen die als hauptamtliche Funktionäre Erfahrung in Jugend- und Verbandsarbeit sammeln konnten, haben das Blauhemd der FDJ gegen Springerstiefel und Bomberjacke eingetauscht. Sie scharen Jugendliche um sich, um sie wie einst im FDJ-Studienjahr zur guten alten DDR-Zeit mit Agitation und Propaganda vertraut zu machen. Nur die Propagandaschriften wurden ausgetauscht. Statt Marx, Engels und Lenin finden wir heute z.B. Schriften über Ariosophie, Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" etc.

Es ist ein fast nahtloser Übergang. Und erscheint geglückt. Die Strukturen wurden einfach in neuem Gewand weiter geführt. Die Verbindung von sozialistischem Gedankengut mit radikalem Nationalismus war Hitlers Geheimrezept und die desolate Weimarer Republik bildete den Nährboden für das rasche Wachstum dieser Ideologie. Solange in der Bundesrepublik von heute die neoliberale Entartung weiter voran schreitet könnte sich die neue national-sozialistische Ideologie bald in neuer Kraft wiedergeboren werden.

Was nun tut die Linke? Im Moment noch sehr wenig. Viele scheinen überhaupt noch nicht begriffen zu haben, welche Lawine auf uns zu kommt. Das sind nicht mehr nur die Schläger von einst, die über wenig Rückhalt in der Bevölkerung verfügten und mit gewöhnlichen Kriminellen gleichgesetzt werden konnten. Heute haben sie weite Teile der (vor allem ländlichen Bevölkerung) in der ehemaligen DDR auf ihre Seite gezogen. Wie ist es sonst zu verstehen, daß sich Neonazigruppen ganz offensichtlich treffen, ohne angezeigt zu werden, ja geradezu gerufen werden, sollte mal ein Farbiger seinen Fuß auf die für ihn verbotene saubere Dorfstraße gesetzt haben.

Aufklärung ist dringend erforderlich. Doch wer kann diese durchführen? Nur ein konsequenter linker Gegenpol. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, eben jenen Gegenpol aufzubauen und nicht etwa zu demontieren. Die PDS muß sich hüten einen sozialistischen Grundsatz nach dem anderen über Bord zu werfen, nur um für die neoliberale SPD ein Regierungspartner zu sein. Sicher, der neoliberale Lockruf ist sehr laut und nur die standhaftesten können ihm in dieser Zeit widerstehen. Nachdem Bündnis 90/Die Grünen vollständig den Verlockungen des neoliberalen Marktes erlegen ist, kann man davon ausgehen, daß auch bald in der PDS ähnliche Tendenzen auftreten.

Gerade Religiöse Sozialisten sind in diesem Zusammenhang aufgefordert, den linken Gegenpol zu unterstützen, wo immer sie können. Schließlich schöpfen sie aus zwei Quellen, die im Verein geradezu übermächtig wirken könnten gegen die ebenso lächerlichen wie gefährlichen Parolen der Rechten. Dies setzt natürlich voraus, daß Religiöse Sozialistinnen und Sozialisten das auch wirklich wollen.

Quelle: Bund der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e.V. / Christin und Sozialistin / Christ und Sozialist (CuS): Heft 3/98
Maik Eisfeld
lebt in Schlotheim in Thüringen und ist Redakteur von CuS.

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