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Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags vom 9. August 1999

Der Streit um die Ladenschlußzeiten -
was soll das?

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Die Aufregung um die Ladenschlußzeiten kann man für eher lächerlich halten, sie hat aber auch eine aufschlußreiche Seite. Früher wurde mal behauptet, bei längeren Verkaufszeiten würde mehr verkauft, was gut fürs Geschäft sei. Aber das behauptet heutzutage keiner mehr ernsthaft. Schließlich haben die Leute nicht mehr Geld in der Tasche, wenn die Läden länger geöffnet sind. Was ist dann der Grund für eine Aufregung, die sogar die Gerichte beschäftigt? Gar nicht die Tatsache selbst, ob nun ein Geschäft länger offen hat, sondern die Bedeutung, die dieser "Grundsatzfrage" zugemessen wird. Was ist das Grundsätzliche? Da geht es um nichts weniger als um die "Qualität unseres Standortes". Worunter leidet der? Eben - an "Verkrustung", an "mangelnder Flexibilität", an "staatlicher Reglementierungswut". Das alles würde in die moderne Zeit nicht mehr hineinpassen - und zur Bebilderung wird dafür der uralte Kalauer vom "König Kunde" herangezogen. Der ist zwar, was seinen Geldbeutel angeht, kein besonderer König, aber kurzzeitig kann er als Material dienen, nämlich als Material für die heiße Frage, ob bei uns nicht "die Freiheit" zu kurz kommt. Kann "König Kunde" jederzeit einkaufen? Eben nicht - da sieht man's doch.Ehe man sich's versieht, hat "der Kunde" einen natürlichen Feind: das Verkaufspersonal. Das will doch tatsächlich feste Arbeitszeiten und einen freien Sonntag, und was tut es damit? Es behindert die "Freiheit des Kunden". Das ist zwar ein dummer und zusammenkonstruierter Gegensatz - aber er ist ja auch nur dafür erfunden worden, um überhaupt das schreckliche Verbrechen "Unflexibilität" anprangern zu können. Oder: Es gibt bei uns überhaupt zuviel "Beschränkung" und zuwenig "Flexibilität". Es wird klar, wofür der "verkaufsoffene Sonntag" steht, was für ein weitreichender Anspruch sich dahinter auftut, ein Anspruch, den gewiß nicht eine Figur namens "der Kunde" erfunden hat. Es geht um eine Kritik, die das Kapital an diesem "Standort" hat. Diese Kritik ist nicht näher bestimmt, dafür aber sehr umfassend: Es gäbe zu viele "Reglementierungen", die einen Kapitalisten daran hindern, ganz und gar seinem Interesse nachgehen zu können. Daraus folgt eine Forderung des Kapitalisten gegen über dem Rest der Welt, die genauso umfassend ist: Die Gesellschaft muß sich noch viel mehr für ihn "öffnen", das heißt, sich nach seinen Vorstellungen richten. Und der Kapitalist spricht nicht für sich allein, sondern für seine Klasse, heißt: Für das Kapital darf es keine Beschränkung geben, sein Gewinnstreben muß unumschränkt, ohne gesellschaftlichen Einschränkung und Widerrede herrschen können.

Die Behauptung, bislang habe das Kapital unter einer "Fesselung" gelitten, ist natürlich unsinnig. Die staatlichen - und auch gewerkschaftlichen - "Reglementierungen" haben es nicht nur nicht daran gehindert, sondern ihm gerade die Freiheit verschafft, eine Exportweltmeisterschaft nach der anderen, ein riesiges Bankenwesen und übrigens auch riesigen privaten Reichtum einzufahren - nicht zuletzt mit Rationalisierungen und massenhaften Entlassungen. Aber das reicht diesen Leuten einfach nicht. Sie wissen, daß sie den Standortfanatismus hinter sich haben, sie brüsten sich mit den "Herausforderungen der Globalisierung", die nur sie bewältigen können, und sie hielten es für einen Fehler, wenn sie das nicht ausnutzen würden. Dafür beherrschen sie den Umgang mit dem Argument "Arbeitsplätze" aus dem Effeff.. Arbeitsplätze haben nun sie millionenfach abgebaut - und woran liegt das? Nein, nicht an ihren Geschäftskalkulation, also der freien Verfügung über ihr Eigentum, sondern an den "Beschränkungen", unter denen sie gelitten haben. Wenn man die Welt erst einmal so auf den Kopf gestellt hat, ist die Umkehrung auch klar: Wenn man ihnen die "Beschränkungen" wegnimmt, was werden sie da für einen Haufen "Arbeitsplätze schaffen"! Die ganze Gesellschaft, die Regierung allen voran, beeilt sich, dieser Lüge nachzukommen und alles, was irgendwie nach "Beschränkung" aussehen könnte, aus dem Weg zu räumen. Wie gesagt: Die Freiheit des Kapitals war immer schon üppig bemessen und wurde reichlich ausgenutzt. Das ändert nichts daran, daß Kapitalisten gegen gewisse "Beschränkungen" nie hemmungslos genug losziehen können: Gegen die Löhne, die Arbeitszeitordnung, die Kündigungsbestimmungen, die Lohnnebenkosten usw.usf. Dabei berufen sie sich auf eine soziale Not, die es gibt: daß die Leute immer weniger Geld haben und die Arbeitslosigkeit steigt. Daß sie es sind, die die Löhne dauernd drücken, die Arbeitszeiten durcheinanderwürfeln und mit ihren Entlassungen dafür sorgen, daß der Staat die "Systeme der sozialen Sicherung" für nicht mehr finanzierbar erklärt - das geht sie alles nichts an. Umgekehrt: Die Not, die sie herstellen, ist ja gerade der Hintergrund, die Berechtigung, man kann auch sagen: die Erpressung, mit der sie ihre Ansprüche an die Gesellschaft stellen. Was sie also verlangen: Arbeitskraft noch billiger und flexibler benutzen können, noch mehr Leute hinauswerfen können - und dazu sagen sie: Das stärkt den Standort und nur so kann es wieder zu "Beschäftigung" kommen. So dreist können nur Leute argumentieren, die sich einer Sache sicher sind: Auf sie wird gehört, weil die Gesellschaft von ihren Kalkulationen abhängig ist - weil sie sich von ihnen abhängig gemacht hat. In der vom Staat mit aller Gewalt eingerichteten und überwachten Marktwirtschaft ist nun mal das Wachstum des Kapitals, die Steigerung der Gewinne der Kapitalistenklasse, das A & O des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Persönlich kann man den Kapitalisten ihr Verhalten gar nicht übel nehmen: Sie spielen ja nur die Macht aus, die sie vom Staat zugeteilt bekommen haben - und unter die sich alle beugen, die dieses System für unwidersprechlich halten, als ob es der liebe Gott höchstpersönlich angeordnet hätte.

Dabei sagt der liebe Gott doch, in Gestalt seiner Kirchen, daß das nicht in Ordnung geht. Nein, keine Sorge - gegen den Kapitalismus hat der liebe Gott nichts. Aber doch etwas gegen die Sonntagsarbeit. Denn bekanntlich gehört der Sonntag ihm. Wofür braucht er ihn? Um seinen Schäfchen - ob nun Christen oder nicht - zu sagen, daß es noch was anderes gibt als den Materialismus, der an den sechs Tagen vor dem Sonntag herrscht. Er sagt ihnen nicht, daß ihnen dieser Materialismus in ihrer großen Mehrheit schadet, weil es nämlich der Materialismus des Kapitals ist - dem sie unterworfen sind. Statt dessen bietet er ihnen als Alternative an, daß es doch auch was Höheres gibt als "Arbeit und Konsum". Da trifft die Kirche doch den Nerv des modernen, aufgeklärten Menschen, denn einen Sinn, den er hinter den täglichen Zumutungen ausfindig machen und mit dem er sich mit diesen Zumutungen arrangieren kann, kann auch und gerade er gut gebrauchen. Allerdings steht das kirchliche Anliegen in einer Hinsicht auf schwachen Füßen: Den Sonntag braucht es dafür letztlich auch nicht. Einen Sinn, warum er das alles mitmacht, kann sich "der Kunde" ganz ohne Kirche und mitten im Alltag selber zurechtbasteln - und am Sonntag ganz "frei" einkaufen gehen.

  • Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags
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