zurück

Der nationale Pferdefuß in der Debatte um Probleme der Zuwanderung

Von Dirk Schneider

9/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
  
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
In "Politik und Zeitgeschichte", der Beilage für die Zeitschrift "Das Parlament", bekommt das ehemalige Mitglied des Bundesvorstandes der GRÜNEN, Rolf Stolz, ausgiebig und im seriösen Rahmen das Wort zum Thema der Mitgration von Ausländern. Sein umfangreicher Artikel erweckt mit einer Fülle von Zahlen und Zitaten den Anschein von wissenschaftlicher Reputierlichkeit und Ausgewogenheit. Doch wer sich durch den Text arbeitet, merkt schnell, wie der Schafspelz verrutscht und dahinter der nationale Wolf zum Vorschein kommt. Ausländer, so suggeriert Stolz seinen Leserinnen, sind nur erwünscht, wenn sie sich den deutschen Belangen, Mentalitäten, Interessen und Forderungen vollständig anpassen. Es gehe in dieser Frage um die "Selbstbehauptung der Nation". Schon in der Anfangszeit der Grünen suchte Rolf Stolz mit seinem "Initiativkreis Linke Deutschland-Diskussion" die Zusammenarbeit mit der "Neuen Rechten" und nationalrevolutionären Propagandisten. Es ist also kein Wunder, wenn sich ehemalige Linke aus APO-Bewegung und dem früheren SDS, die von einer "Überfremdung" deutscher Kultur schwadronieren, auf Rolf Stolz als angeblich seriöser Quelle berufen.

Bevor Rolf Stolz sich seiner vorgeblichen Materie "Probleme der Zuwanderung, Zuwanderung als Problem" zuwendet, verblüfft er mit einer Vorbemerkung, in der er sich als ein langjähriges Mitglied der GRÜNEN outet, das "seit Jahrzehnten eng mit ausländischen Freunden und Kollegen zusammengearbeit hat". Nach Aufzählung seiner Meriten treibt es ihn zu bekennen: "Nichts liegt mir also ferner als Ausländerfeindlichkeit." Und er fügt diesem verräterischen Dementi mit der ihn auszeichnenden Heuchelei hinzu: "Gerade um meiner ausländischen Freunde und um ihrer gesicherten Zukunft in diesem Lande willen - ob sie sich nun als neue bzw. zukünftige Deutsche oder als solidarische und gesetzestreue Gäste der Deutschen verstehen - möchte ich nicht schuldig werden durch bequemes Schweigen, ausweichendes Schönreden, unterlassenes Warnen vor einer noch abwendbaren Katastrophe durch fortgesetzte massenhafte, unkontrollierte Zuwanderung, welche die Integrationsmöglichkeiten unseres Landes schon jetzt vielfach überschreitet." Die "tiefe Sorge" vor einer bevölkerungspolitischen Katastrophe treibt den "linken" Ausländerfreund Stolz zur Propagierung einer "großen Koalition der Verantwortungsbewußten", die sich in der Folge durch die anerkennende Zitierung von Schönbohm, Kanther, Beckstein oder Rohrmoser eher als Koalition von Rechtsaußen darstellt.

Zu Beginn seiner Ausführungen beschäftigt sich Stolz der weltweiten Zunahme von Flüchtlingsströmen und Flüchtslingselend, wobei durch die Art und Weise der Anhäufung von Millionenzahlen die Bedrohlichkeit der Lage "für uns" unterstrichen werden soll. Stolz bemüht Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der "in nächster Zeit mit einer Explosion von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern" rechnet und vor Völkerwanderungen in Richtung USA, Kanada und Westeuropa warnt. Eine ökonomisch begründete Bewertung derzeitiger Kriege, von Vertreibung, ethnischer Seperation und dem Elend der Betroffenen gibt Stolz nicht. Die zerstörenden Verlaufsformen von modernem Imperialismus neoliberaler Prägung werden nicht erwähnt. Stattdessen schreibt er beispielsweise das Entstehen von Flüchtlingsbewegungen dem "drohenden Aufeinanderprallen von hinduistischer und islamischer Zivilisation" zu. Als "die fundamentale Ursache für massenhaftes Elend, destruktives Aufbrauchen natürlicher Ressourcen und für den Zuwanderungsdruck" stellt er das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt heraus.

Viel Mühe macht sich Rolf Stolz bei der Feststellung der "wahren" Zahlen von Zuwanderern hierzulande. Dabei spreizt er sich in der Rolle des mutigen Tabubrechers, der mit Jörg Schönbohms Worten beklagt, daß eine rationale Diskussion in "ausländerpolitischen Fragen" schwer möglich sei, denn "die Meinungsführer sind in der Regel einflußreiche

Minoritäten in Gesellschaft, Medien und Politik". Mehrmals klagt er in Richtung einer angeblich bestehenden "Political Correctness", die keine Tatsachen zur Kenntnis nehme und "jedes offene, kritische Wort zu ersticken versuche". Alle Zahlenangaben und Zustandsschilderungen, die Stolz zusammenträgt, sollen beweisen, daß es zu viele Ausländer gibt, daß sie nicht integriert oder integrierbar seien, daß sie Ghettos bilden und sich nicht "mit unserem Land identifizieren" würden. Ausländer zeigten in der Regel einen Mangel an Integrationsbereitschaft und verdrängten in bestimmten Bereichen die Deutschen aus Schulen und Wohngebieten. Die Mehrheit der hier lebenden Ausländer seien "innerlich" nicht in Deutschland angekommen. Auch die Einbürgerungswilligen wollten" - möglichst als Doppelstaatler - zwar mehr Rechte, ohne sich aber Deutschland und den Deutschen verpflichtet zu fühlen". Stolz trägt Zitate zusammen, die die Verwirklichung des Leitbildes von einer multikulturellen Gesellschaft als gescheitert darstellen und verbindet sie mit Prognosen, daß im Jahre 2010 der Ausländeranteil bei 25% und vierzig Jahre später bei 38% angelangt sei. Sein Kommentar: "Spätesten dann wäre dieses Land nur noch dem Namen nach das Land der Deutschen. Spätestens dann wären die Deutschen in den Großstädten und Ballungsgebieten dabei, zu Fremden im eigenen Land zu werden". Und er malt die seiner Meinung nach sich anbahnende Katastrophe bildhaft aus: "Parallel zu den zunehmenden Ghettobildungen in den Großstädten entstehen weitere, sich selbst verstärkende negative Kreisläufe: von der Flucht aus 'multikulturellen' Schulen, Häusern, Straßen und Wohnquartieren über Konkurrenzkonflikte aufArbeits- und Sozialämtern bis hin zu Zweifeln der Eltern, ob es angesichts vorhersehbarer krisenhafter, bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse überhaupt noch verantwortbar sei, Kinder zu haben."

Es überrascht nicht, daß Stolz in seinem Artikels so ziemlich alle negativen Klischees gegenüber Ausländern bedient, die den Nährboden für die bestehende latente Ausländerfeindlichkeit bilden. Seitenlang läßt er sich über "Asylmißbrauch", Betrug, organisierte Kriminalität von Ausländern oder mafiösen Schlepperbanden aus. Das klingt dann beispielsweise so: "Der außerordnetlich hohe Mißbrauch deutscher Hilfen für Ausländer reduziert sich nicht auf Betrugsmannöver von Asylbewerbem - etwa auf Asylerschleichung mit auswendig gelernten oder gefälschten Haftbefehlen, gefälschten Pässen oder falschen Angaben zur Person und zum Herkunftsland. Mindestens ebenso gefährlich ist der planmäßige Mißbrauch von Gutgläubigkeit und Toleranz vieler Bürger und Entscheidungsträger des Staates." Und so steigen in Rolf Stolz' Augen durch "erfundene Verfolgungsschilderungen", durch die "Hilfe deutscher 'Unterstützergruppen'", durch für ihn unverständliche Familienzusammenführungen oder durch organisierten Menschenhandel die Zahlen der Zuwanderer, die immer mehr Kosten verursachen und die "Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung und Wut über die Politiker erzeugen".

Rolf Stolz stellt entgegen seiner sich honorig gebenden Ankündigungen die Probleme von Zuwanderung nicht dar mit ihrem Pro und Contra, sondern er schreibt einen Meinungsartikel über seine national gefärbte Sicht der Dinge. Gewissermaßen als Fazit seiner Auffassung zitiert er eine israelische Publikation mit dem Satz: "Die Deutschen sind nicht gegen Ausländer. Sie sind nur gegen zuviele Ausländer". Spätesten hier ist die Frage naheliegend, wieviele Ausländer die von Stolz propagierte "regulierte, bedarfsgerechte und eingliederbare Zuwanderung" akzeptieren wird. Bekanntlich liegt diese Zahl bei Vertretern der "Neuen Rechten" in vielen Regionen der ehemaligen DDR längst bei Null. Wer einen Begriff von Nation vertritt wie Rolf Stolz, der ist offen für völkisch-rassistische Positionen und es liegt nahe, daß er eigentlich nur Ausländer als Deutsche anerkennen wird, die sich bis zur Selbstverleugnung "assimiliert" haben. Ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen in in Deutschland ist Rolf Stolz ein Greuel.

Rolf Stolz ist ein ethnisches Sauberer und Zwangsgermanisierer. Seine verbale Großzügigkeit und Verständnisbereitschaft gegenüber "meinen ausländischen Freunden" ist pure Heuchelei. Zitat: "Es ist legitim und für die Selbstbehauptung Deutschlands in einer weiterhin konfliktreichen und unfriedlichen Welt unerläßlich, daß Staat und Gesellschaft von den Einbürgerungskandidaten das Bekenntnis zu ihrer neuen Heimat verlangen. Vieles spricht im übrigen dafür, der Einbürgerung einen feierlichen, würdigen Rahmen zu verleihen, die neuen Recht und Fliehten des Neubürgers zu verdeutlichen und von ihm das unzweideutige Bekenntnis zu diesem Land und seinem Grundgesetz zu verlangen." Und an anderer Stelle heißt es: "Bei der Eingliederung in die primäre, gastgebende Mehrheitskultur können Zuwanderer ihre ursprüngliche Kultur bewahren, aber sie müssen, wenn sie nicht in

das gefährliche Abseite der Ghetto-Existenz geraten wollen, bereit sein, diese nur als sekundäre, nachgeordnete Minderheitenkultur anzusehen, und sie müssen sich der deutschen Sprache als geistige Währung und als Existenzgrundlage unserer Kultur bedienen." Stolz will angepaßte Untertanen, er will eindeutschen. Das ist die Bedeutung des Wortes Integration in der Sprache eines Angehörigen des ansässigen Herrenvolkes.

Rolf Stolz kämpft vehement und in einer Reihe mit der CDU gegen den Doppelpaß. Doppelstaatlern unterstellt er, "daß sie als Manövriermasse zur Beeinflussung der deutschen Politik zur Verfügung stehen". Mit dem bayrischen Innenminister Beckstein ist für ihn die deutsche Staatsangehörigkeit für Ausländer "keine Eintrittskarte, sondern das Abschlußzeugnis einer gelungenen Integration". Alles andere sei "ebenso fataler wie verantworungstoser Wille zur staatsrechtlichen und politisch-gesellschaftlichen Kapitulation". Stolz kämpft ebenso gegen die Grundgedanken einer multikulturellen Gesellschaft. Als Warner vor einer "Erosion des Staatsvolkes und des Wertefundaments der Gesellschaft" bemüht er den Ideologen der "Neuen Rechten", Günter Rohrmoser, mit der Aussage: "Bisher weiß noch keiner eine Antwort auf die Frage, wie die Demokratie in einer multikulturellen Gesellschaft funktionieren soll, in der es keine gemeinsam geteilten Lebensformen und Werte mehr gibt. Wenn wir mit der Zerstörung unserer geistigen, kulturellen und ethnischen Gemeinsamkeiten fortfahren, werden wir unsere Demokratie verspielen." Für Rohrmoser und Stolz gibt es keine Spielräume. Für sie ist gleichberechtigtes Zusammenleben unmöglich, Ghettobildung führt zu Bürgerkrieg. Was bleibt? Entweder Deutschwerdung ohne wenn und aber oder..??

Rolf Stolz geht es nicht um die Lösung von Problemen dieser Gesellschaft. Es geht einzig um Deutschland und um Deutsche, die stolz sind Deutsche zu sein. Besonders Kritiker aus linken Kreisen überzieht er mit Zorn. Zitat: "In der Tat ist das auf Deutschland, auf die deutsche Nation und ihre Interessen gerichtete extrem negative Selbstbild - zumal vieler Intellektueller -, das man schon als eine Art Selbsthaß bezeichnen könnte, sowie die aus ihm entspringende Forderung nach schrankenloser Zuwanderung nur noch pathologisch nennen". Es sei doch "völlig legitim, wenn zunehmend gefragt wird, ob wir nicht - ehe wir alle Kräfte für die Fernsten irgendwo auf der Welt einsetzten - zunächst die Verantwortung gegenüber unseren Nächsten, gegenüber den eigenen Landsleuten wahrnehmen müssen. Hier sind in erster Linie die vielen noch ungelösten Probleme der inneren Einheit Deutschlands zu nennen". Auch in diesen Passagen drückt Stolz aus, was ihn schon immer umgetrieben hat auch im Umfeld der Grünen. So verabschiedeten die Teilnehmerinnen einer von den Jusos Bonn veranstalteten antifaschistischen Konferenz am 24.10.1987 als Arbeitsgrundlage Thesen zu dem Arbeitskreis "Linke Deutschland-Diskussion" (LDD), dessen Initiator und Sprecher Rolf Stolz war. Hier einige Auszüge:

"These 1. Die Gruppe 'Linke Deutschland-Disskussion' ist vernetzt mit Organisationen der Nationalrevolutionäre'. These 4. Die LDD erhebt 'Die Nation' zum Prinzip ihrer Politik. These 6. Mit ihrem Konzept der 'nationalen Identität' vertritt die LDD den propagandistischen Kernpunkt, an dem die "Neue Rechte" insgesamt zu identifizieren ist."

Rolf Stolz ist sich treu geblieben. Nur heute muß er nicht mehr im linken Terrain agieren. Viele seiner damaligen Weggenossen sind ohnehin längst rechts gelandet. Rolf Stolz braucht die Tarnung nicht mehr. Er ist Nationalist. Er ist zu Hause.

  • Ed. Notiz: Rolf Stolz, Probleme der Zuwanderung, Zuwanderung als Problem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 49/98, S. 15ff. Diese Beilage für die Zeitschrift "Das Parlament" wird allen Schulen kostenlos für den Staatsbürgerkundeunterricht zur Verfügung gestellt. /kamue
nach oben