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Zittauer Tage des Zorns 
Mit Grenzcamp und Handbuch füllt die Kampagne "kein mensch ist illegal" das Sommerloch

von Kolja Lindner
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"Das Gefühl jedoch, sich auf feindlichem Terrain zu bewegen, blieb, und die Erfahrung, eigentlich alle und alles gegen sich zu haben, begleitete einen auf Schritt und Tritt." (l.u.p.u.s.)

So oder so ähnlich könnte man die Erfahrungen der TeilnehmerInnen des Grenzcamps der Kampagne "kein mensch ist illegal" resümieren, das vom 7. bis zum 15. August 1999 im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien stattfand. Gut organisierte Neonazi-Strukturen, eine weitgehend denunziationswillige Bevölkerung und eine durch den Bundesgrenzschutz fast lückenlos überwachte Grenze, gaben den AktivistInnen der Kampagne reichlich Interventionsmöglichkeiten: Demonstrationen, Grenzspaziergänge, Agit-Prop-Aktionen und Kommunikationsguerilla. Jeder Tag stand unter einen anderen Motto. Von A wie "Tag des Antifaschismus", über "Grenze Wohlstand-Armut" bis Z wie "Tag des Zorns" hatten alle angereisten Gruppen Zeit, sich einzubringen und etwas eigenes auf die Beine zu stellen.

Nach anfänglichen Problemen mit dem Standort des Camps - der eigentlich vorhergesehene Platz in Lückendorf war nicht genehmigt worden - wichen die TeilnehmerInnen in den ersten beiden Tagen auf ein ehemaliges NVA-Gelände aus, um von dort schließlich an den Stadtrand von Zittau umzuziehen. Schon bei dieser Entscheidung bezüglich des Platzes gingen die Meinungen der AktivistInnen auseinander, zumal die Stadtverwaltung gegenüber dem Camp eine sehr undurchsichtige Haltung bezog. Natürlich hatte die Platzvergabe etwas mit den politischen Zuständen in der Grenzregion zu tun. Zum fortwährenden Politikum wollten die CamperInnen die Platzwahl jedoch nicht machen und so zog es die Mehrheit vor, sich mit dem zugesagten resp. zugewiesenen Platz zufrieden zu geben und ihn als Ausgangsbasis für Aktionen und Diskussionen zu nutzen, was sich im nachhinein als richtige Entscheidung herausstellte.

Zu debattieren gab es immerhin allerhand, denn die politischen Grundlagen der Flüchlingsunterstützung ändern sich auch zehn Jahre nach dem Zusammenbruchs des Ostblocks rasant. Zur Diskussion stand außerdem die Effektivität der eigenen Arbeit, denn was diese im Zweifelsfall für die Betroffenen bedeutet, macht das Handbuch zur Kampagne "kein mensch ist illegal" deutlich: "nicht mehr als das Angebot einer Atempause, die [von den Flüchtlingen] für eine nüchterne Reflexion und weitere Planung genutzt werden muß." Derlei kritische Selbstreflexion beinhaltete auch die Frage nach dem Sinn eines solchen Grenzcamps. So bestand alles andere als Klarheit, wie man mit der örtlichen Bevölkerung verfahren sollte. Immerhin sind viele BewohnerInnen der Grenzregion an der Jagd auf GrenzgängerInnen beteiligt. Sei es durch die Mitgliedschaft in einer Bürgerwehr, oder durch die Denunziation von Flüchtlingen beim Bundesgrenzschutz (BGS). So wurden der Kreis der Anzusprechenden auf Initiativen vor Ort reduziert, die im antirassistischen und antifaschistischen Bereich arbeiten, daneben auf Einzelpersonen, die sich mit der rechtsradikalen Hegemonie in der Region nicht abfinden wollen. Aber auch "konfrontativ begegnen" wollte man den Menschen in der Grenzregion, den "potentiellen DenunziantInnen", wie es in einem Diskussionspapier aus Berlin heißt. Ein politischer Spagat also, der schnell zur schmerzhaften Erfahrung der eigenen Isolation führen kann. So mußten die CamperInnen mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, daß sich das multikulturelle Zentrum in Zittau von ihnen distanzierte. Zu weit ging ihm ein tätlicher Angriff auf einen Neonazi.

Die zweite spannende Debatte neben der um den Umgang mit der örtlichen Bevölkerung drehte sich um das Camp-Motto "Keine Grenze ist für immer" - immerhin in den 50er Jahren eine Parole der Vertriebenenverbände. In einem Referat, das sich kritisch mit dem Motto auseinandersetzte und den Auftakt zur Diskussion bildete, hieß es dazu: " Grenzen müssen immer im historischen und aktuellen Kontext gesehen werden. Unter den gegebenen deutschen Verhältnissen ist die Parole 'Keine Grenze ist für immer' genauso naiv und falsch wie die Parole 'Nie wieder Krieg'. Doch während 'Nie wieder Krieg' immerhin unzweideutig friedlich zu verstehen ist, müssen sich Polen und Tschechen von der Parole 'Keine Grenze ist für immer' bedroht fühlen. [...] Wer das mörderische deutsche Grenzregime gegen Flüchtlinge bekämpft, muß gleichzeitig auch die Oder/Neiße Grenze als symbolische Grenze deutscher Großmachtpolitik verteidigen. Dazwischen müssen wir für uns keinen Widerspruch konstruieren, wohl aber die Grenze in ihre Widersprüchlichkeit erkennen und sie in unserer Praxis berücksichtigen." Dazu kam der Vorschlag, daß doch künftig Grenzgänge, sowie Grenzübergangseröffnungen des Camps in die andere Richtung, d.h. von Polen nach Deutschland durchgeführt werden sollten. Auf diese Kritik reagierte die Campvorbereitungsgruppe sehr unpolitisch: man sei eben im Streß gewesen und habe unbedingt noch eine Parole für die Mobilisierungsplakate benötigt. Zudem würde sich die Kritik mit dem Zusatz "den Rassisten auf die Finger" relativieren.

So hatte man also den beliebten Versrhythmus wiedergefunden. Ideal für die nächste Demo: antirassistisch und antinationalistisch. Doch diese Art des Antinationalismus lädt zu einer pseudokritischen Äquidistanz zu allem und jedem ein: zur Zittauer Bevölkerung, zum BGS, den örtlichen Nazis, den "Vertriebenen". Mit fundamentaler Kritik hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Die Kritik der Nation verkommt zu einen hohlen theoretischen Disziplin, da die historische Verortung des Phänomens unterbleibt. Und so ist selbst der Rekurs auf den utopischen Gehalt von "Keine Grenze ist für immer" wertlos.

Angesichts der Schwierigkeiten Diskussionen im Plenum mit 500-600 Menschen zu organisieren, blieben diese beiden Debatten die einzigen inhaltlichen. Erschwert wurden inhaltliche Auseinandersetzungen auch durch das weit verbreitete Konsumverhalten der Camp-TeilnehmerInnen. Zwar gab es den einen oder anderen Versuch, Debatten anzustoßen, etwa durch ein sehr gelungenes Theaterstück, das die Heterogenität der CamperInnen zum Thema machte. Die Diskussionen blieben jedoch in kleine Workshops verbannt und für die Gesamtheit unvermittelt.

Etwas unvermittelt erscheinen auch einige Aufsätze in dem bereits erwähnten Handbuch, das auf dem Camp zum Verkaufsschlager wurde und bald schon ausverkauft war. Einerseits wird in dem Buch die ganze Bandbreite der antirassistischen Praxis beleuchtet: die Beratungsarbeit für AsylbewerberInnen, die medizinische Flüchtlingshilfe, die Schutzheirat und das Wanderkirchenasyl. Andererseits finden sich darin immer wieder auch theoretische Beiträge. Da diese Zusammenstellung jedoch jeglicher Kohärenz entbehrt und auch die Autoren der Theorietexte nicht erklären können, was der Erkenntniswert ihrer Abhandlungen für die Kampagne sein soll, wirkt das Buch wie eine etwas beliebige Sammlung von Beiträgen, die verteilt ebenso in verschiedenen antirassistischen Periodika hätten abgedruckt werden können. In den einzelnen Texten jedoch werden die Widersprüche und Probleme der antirassistischen Arbeit deutlich sichtbar. So diskutiert beispielsweise eine Gruppe von AktivistInnen über Paternalismus in der Flüchtlingsunterstützung. Zentrale Punkte, die teilweise auch auf dem Camp eine Rolle spielten, werden benannt: Nicht-Einbindung der Flüchtlinge in die Öffentlichkeitsarbeit, Fehlen einer guten Übersetzung, mangelnde Transparenz bei Entscheidungen, sowie der Umstand, daß das Gespräch oft mehr um die Flüchtlinge kreist, als das selbiges mit ihnen gesucht wird. Alles in allem Defizite, die einer eigenständigen Organisierung der Flüchtlinge im Wege stehen. So bekommt die Flüchtlingsunterstützung den Charakter eines "Klient-Unterstützer-Verhältnisses", das keine emazipatorische Perspektive mehr besitzt.

Diese sieht das Handbuch der im Juni 1997 auf der documenta X gestarteten Kampagne ohnehin nicht darin, "in Mitleid oder Wohltätigkeit zu verharren, sondern vielmehr als Schnittstelle zu verschiedenen Fragmenten des sich auflösenden öffentlichen Raumes zu fungieren". So müssten öffentliche Diskurse besetzt und umgedeutet werden. Beispielhaft für dieses Vorgehen ist die im Buch vorgenommene Wortwahl. Begriffe mit eindeutig negativer Konnotation, wie etwa "Schlepper"/"Schleuser" oder "Scheinehe" werden zu "Fluchthelfer" bzw. "Schutzehe". So macht Florian Schneider in seinem Beitrag "Tatbestand Menschenschmuggel. Wie aus Fluchthelfern Schwerverbrecher gemacht werden" deutlich, wie schnell sich Diskurse ändern können. Galt es in der Nachkriegszeit als Akt der Humanität, Menschen Schutz vor politischer Verfolgung zu gewähren, wurden zu Zeiten des Kalten Krieges Bundesverdienstkreuze an Fluchthelfer für Dissidenten aus den Staaten des Warschauer Paktes vergeben, ja waren derartige Unternehmungen sogar steuerlich absetzbar und ihre Entlohnung einklagbar, wird heutzutage gegen Fluchthelfer in der Presse mobil gemacht. Das "Schleusen" von Menschen ist heute mit Strafen belegt, mit denen sonst nur Gewaltverbrechen geahndet werden.

So werden TaxifahrerInnen an Deutschlands Ostgrenzen zunehmend vom BGS kontrolliert und zur Mithilfe in Form von Ausweiskontrollen bei Fahrgästen angehalten. Eine rechtlich sehr prekäre Lage, denn nur gesetztlich dazu Bevollmächtigte dürfen die Ausweise vermeintlich illegaler EinwanderInnen überprüfen. Da die Mitnahme von Menschen ohne gültige Ausweispapiere unter Strafe steht, sehen sich eine Reihe von TaxifahrerInnen in der Region Görlitz-Zittau mit Verfahren überzogen. Große Solidarisierungen mit den Belangen des Grenzcamps schaffte das bei diesen aber nicht. So blieb auch in puncto TaxifahrerInnen "die Erfahrung, eigentlich alle und alles gegen sich zu haben".

cross the border (hg.): kein mensch ist illegal - ein Handbuch zu einer Kampagne. ID-Verlag. Berlin 1999. 144 Seiten. 15,00 DM

Quelle: www.copyyriot.com/o&v/

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