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Der Anfang von Hegels Logik
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1. Die Sache der Logik ist nicht die Logik der Sachen

Gegenstand der Logik sind die Bestimmungen des Denkens getrennt vom jeweiligen Inhalt. Um nun Missverständnissen vorzubeugen, heißt das nicht, dass der spezielle Gegenstand der Logik völlig inhaltslos wäre. Dies wußte auch Hegel im Gegensatz zu den modernen formalen Logikern.

"Vors erste aber ist es schon ungeschickt zu sagen, dass die Logik von allem Inhalt abstrahiere, dass sie nur die Regeln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte sich einzulassen und auf dessen Beschaffenheit Rücksicht nehmen zu können. Denn da das Denken und die Regeln des Denkens ihr Gegenstand sein sollen, so hat sie ja unmittelbar daran ihren eigentümlichen Inhalt." (WdL 24)

Mit der schlichten Erklärung der einmal für sich genommenen Gedankentätigkeit hat man es jedoch in G.W.F. Hegels "Wissenschaft der Logik" nicht rein zu tun: dieser schließt nämlich aus dem Umstand, dass der Mensch denkend, also im Gebrauch logischer Kategorien, die Welt erfasst, auf die Identität der wirklichen Gegenstände mit den abstrakten Bestimmungen des Denkens:

"Diese Metaphysik hielt nämlich somit dafür, dass das Denken und die Bestimmungen des Denkens nicht ein den Gegenständen Fremdes, sondern vielmehr deren Wesen sei oder dass die Dinge und das Denken derselben an und für sich übereinstimmen, dass das Denken in seinen immanenten Bestimmungen und die wahrhafte Natur der Dinge ein und derselbe Inhalt sei." (WdL 25f)

In diesem Lob der alten Metaphysik, welche Hegel gegen die Resultate der Kantischen Philosophie hochhält, sagt er Richtiges und Falsches zugleich. Richtig ist, dass wissenschaftliches Denken die Identität der jeweils gedachten Gegenstände herausbringt, d.h. das Wesen des Gegenstandes erfasst. Der jeweilige Gedankeninhalt ist nicht etwas dem Gegenstand Fremdes, sondern er ist der gedachte Gegenstand, nicht ein Drittes, das sich zwischen Denken und Gegenstand schiebt. Oder wie Hegel sagt: dass die Dinge und das Denken derselben(!) an und für sich übereinstimmen.
Etwas anderes ist es jedoch, über das Denken selbst nachzudenken: diese Bemühung expliziert dann die wesentlichen Bestimmungen des Denkens; der Verstand hat sich selbst zum Gegenstand, er reflektiert über seine Prinzipien beim Denken. Aber diese Prinzipien (allgemeine Bestimmungen) des Denkens, die in jedem gedachten Inhalt, in jedem Gedanken über etwas - es mag richtig oder falsch sein - vorkommen, sind deshalb gerade nicht das Wesen bzw. die wahre Natur der Dinge. Anders ausgedrückt: Wenn ich erläutert habe, was eine Qualität, ein Urteil, ein Zweck und ein Schluss sind, dann weiß ich noch lange nicht, was der Staat ist, was es mit der Schule auf sich hat und was die Lohnarbeit ist.

2. Die Wirklichkeit als Ausdruck der Logik oder Die Logik als Grund der Welt

"Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, dass dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist." (WdL, Vorrede)

Die Auffassung Hegels, mit der Erklärung der allgemeinen Formbestimmungen des Denkens zugleich die wesentliche Natur irgendeines Trumms in der Welt begriffen zu haben, hat die fatale Folge, dass die Welt jetzt auf dem Kopf steht, indem das Denken zur Grundlage von allem erklärt wird. Wie kommt Hegel auf diese falsche Identifizierung, für den doch Philosophie Wissenschaft sein sollte und der Wissenschaft - korrekter Weise - als die Ermittlung der Notwendigkeiten der in Rede stehenden Sache bestimmt hatte.

Hegels Anliegen bei der Untersuchung des Denkens war der Nachweis, dass das Denken sich selbst zur Objektivität emporarbeitet. Sein Resultat war: die Gedanken sind objektiv. Und sein Fehlschluss: also ist das Objektive Gedanke, aber in der Form der Objektivität.

"Wenn man sagt, der Gedanke als objektiver Gedanke sei das Innere der Welt, so kann es so scheinen, als solle damit den natürlichen Dingen Bewusstsein zugeschrieben werden. Wir fühlen ein Widerstreben dagegen, die innere Tätigkeit der Dinge als Denken aufzufassen, da wir sagen, der Mensch unterscheide sich durch das Denken vom Natürlichen. Wir müssten demnach von der Natur als dem Systeme des bewusstlosen Gedankens reden, als von einer Intelligenz, die, wie Schelling sagt, eine versteinerte sei. (Enzyklopädie §24,1 Zusatz 1)

Hegel vertauscht also Subjekt und Prädikat seiner Aussage. Aus einem Urteil über das Denken wird so ein Urteil über die Welt. Bloß weil es richtig ist, dass das Denken die Identität eines Objektes erfasst, soll die Identität des Objektes das Denken sein. Der Fehler ist, dass Hegel ein Verhältnis der Welt zum Subjekt - sie wird von ihm erkannt, gedacht - zur Eigenart der Welt erklärt. Die Denkbarkeit wird somit deren Natur: die Welt ist logischer Natur. Die Fortsetzung dieses Fehlers besteht in der Gleichsetzung der Weise, wie der Verstand sich einzig die Welt aneignen kann, nämlich im urteilenden und schließenden Nachvollzug der Bestimmungen einer Sache, mit der gedachten Entstehung der Sachen selbst. Die Identität von Begriff und Sache als eine vom Geist erzeugte wird so wörtlich genommen, dass die dem Denken vorausgesetzte Objektivität als Werk der Idee erscheint, so dass die Logik die Welt der Erscheinungen "regiert".

Damit hat sich alles umgekehrt: Die Tatsache, dass eine Sache eine logische Bestimmung hat, dass, wie im Schluss, ein als notwendig behaupteter Zusammenhang zwischen zwei Sachverhalten in logischen Kategorien ausgedrückt wird, verdreht Hegel dahingehend, dass die in Rede stehende Sache im Wesentlichen durch diese logische Bestimmung charakterisiert sei, d.h. nicht der notwendig zusammenhängende Inhalt der Sache ist Thema, sondern die Sache als Ausdruck eben der logischen Kategorien.

"Alle Dinge sind ein kategorisches Urteil" (Enz. §177) "Das Verbrechen... ist das unendliche Urteil" (6, 325)

Und gerade in solchen Urteilen ist die Sache selbst nicht erfasst, denn es ist offensichtlich unsinnig, dass die verschiedensten Dinge ihre Identität gleichermaßen darin haben sollen, ein Schluss, ein Urteil, ein Sollen etc. zu sein, sich demnach im Wesentlichen nicht unterscheiden. Dadurch erhält die Wissenschaft à la Hegel ein neues Erkenntnisziel: Sie soll nicht mehr einfach die Sache erkennen, sondern immerzu sich in der Sache.

Wissenschaft besteht für Hegel in der Tätigkeit, die Identität der untersuchten Gegenstände herauszufinden, ihren Begriff. Die wissenschaftliche Erklärung bietet eine Darlegung der notwendigen Bestimmungen einer Sache und ihres notwendigen Zusammenhangs zu anderen Sachen. Hegels Spezialität besteht nun darin, die Notwendigkeit, d.h. den ermittelten Begriff einer Sache, für diese Sache sprechen zu lassen. Er hält die Erklärung einer Sache durch die Vernunft für dasselbe wie den Erweis der Vernünftigkeit der Sache, dass es sie nicht nur gibt, sondern auch geben muss. Mit der von Hegel in die Welt gesetzten Behauptung, dass man bei der Erklärung einer Sache zugleich ihre Erklärbarkeit noch zu beweisen hätte, spricht er keine logische Bestimmung über eine Sache aus, sondern seine interessierte Unzufriedenheit mit dem, was eine Erklärung (Ableitung) leistet. Die Leistung des Begründens, die Notwendigkeit einer Sache relativ auf ihren Grund zu bestimmen und damit die Existenz dieser Sache zur relativen Notwendigkeit zu erklären - mit der Beseitigung des Grundes gibt es auch das Begründete nicht mehr - hat Hegel kritisiert, weil es ihm auf eine Sorte von Einsicht in die Notwendigkeit angekommen ist, die dem Verstand klar macht, dass es das, was er erklärt, geben muss. Die Notwendigkeit der Existenz einer Sache ist allerdings nicht das Resultat des Erklärens, das Erklären schafft vielmehr Freiheit im Umgang mit der erklärten Sache, sondern ist die methodische Forderung, die ganze (!) Welt (!) abzuleiten, in seinen Worten "sowohl das Sein als die Bestimmungen ... der Gegenstände zu beweisen." (Enz. §l)

3. Der Anfang der Logik ist nicht die Logik des Anfangs

Wenn Hegel so jedem wissenschaftlichen Begründen den Mangel andichtet, dass eine Begründung deshalb nicht vollständig sei, weil nicht der Grund des Grundes dargelegt sei - ein Mangel, der gar kein Mangel der Begründung ist, denn entweder stimmt die Begründung oder nicht, zu ihr kommt nichts hinzu, wenn sich zeigt, dass der herausgefundene Grund selbst einen Grund hat - dann fordert er ein Gedankensystem, das die Wirklichkeit auf letzte, für den Verstand nicht weiter hintergehbare und deswegen auch nicht zu relativierende Gründe zurückführt, eine Forderung, die notwendig die Frage nach dem "absoluten Anfang", dem "absoluten Grund" von allem stellt.
Denn wenn Wissenschaft Ableitung ist, dann darf kein Abgeleitetes, "Vermitteltes", ohne seine Ableitung Geltung beanspruchen. Hier bricht sich ein Fanatismus der Wissenschaftlichkeit seine Bahn, der erst im rein methodischen Gedanken der völligen Unvermitteltheit und Unabgeleitetheit, im leeren Gedanken der Ableitbarkeit, worin das Ableiten in seiner bloßen Möglichkeit zusammengezogen ist, seinen Fluchtpunkt erreicht. Hegels methodisches Bedürfnis führt ihn also dazu, die Logik mit dem Problem des Anfangs selbst anzufangen, mit dem Widerspruch eines Grundlosen, das zugleich Grund von allem in nuce sein soll.
Die Erzeugung der 1. Kategorie erfolgt bei Hegel dadurch, dass er darlegt, die Wissenschaft habe selbstverständlich mit dem Anfang (!) anzufangen, indem sie aus der Logik des Anfangs den Anfang der Logik konstruiere. D.h. Hegel analysiert hier nur was es heißt, "anzufangen" und aus diesen Bestimmungen von "Anfang", "anfangen" - getrennt von jedem Inhalt, der anfängt - bastelt er die Anfangskategorien der Logik. Also über den Anfang der Logik nicht nachzudenken, sondern "Anfang überhaupt" zu bedenken, gerade dieser methodische Unsinn erzeugt nach Hegel die ersten objektiven Kategorien der Logik.

"So muss der Anfang absoluter oder, was hier gleichbedeutend ist, abstrakter Anfang sein; er darf so nichts voraussetzen, muss durch nichts vermittelt sein noch einen Grund haben; . .. es ist nur zu sehen, was wir in dieser Vorstellung haben. Es ist noch Nichts, und es soll etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem etwas ausgehen soll; das Sein ist also auch schon im Anfang enthalten. Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts - oder ist das Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist." (WdL, S.73)

Dementsprechend sehen sie auch aus, diese Hypostasierungen des dürftigen Quarks, den man denkt, wenn man "Anfang" denkt: Sein, Nichts, Werden.

Das "reine Sein" ist gemäß dem methodischen Bedürfnis durch und durch negativ bestimmt: es ist das "Un-", "ohne", "-lose", in der Tat nichts als die methodische Anweisung, wie es zu denken sei, genauer, was alles verboten ist zu denken - und es ist eben alles verboten zu denken, man soll denken, aber nichts denken - auf dass man es nicht verfehle. Die erste Kategorie der Logik ist also keine, sondern ein methodisch erzeugtes Universale: die grundlos zu denkende Ableitbarkeit.
Das Nichts wird eingeführt als die Bestimmung des Seins, also als von ihm unterschieden. Der Sache nach sind Bestimmung und Bestimmtes jedoch absolut identisch. Sie sollen jedoch zugleich Unterschiedene sein. Der methodische Denker bereinigt die Schwierigkeit mit einem Kunstgriff: er bemüht das "Etwas" - das hier gar nicht Thema ist, nicht Thema sein darf - um zeigen zu können, dass sein erfundener Unterschied ein- und derselben Sache zwei in der Unterschiedenheit identische Sachen sind.

Beide Seiten jedoch, Sein und Nichts, sind in der Tat dasselbe; ihr Unterschied fällt ganz in das Meinen. Der Versuch, sie als Selbständige festzuhalten, zeigt, dass sie jeweils in das andere "schon übergegangen" sind. Für sich genommen sind sie beide also haltlos, haben keinen Bestand. Dies will Hegel freilich nicht dahingehend verstanden haben, dass sein "Sein" wie sein "Nichts" gleichermaßen Chimären sind, sondern ist deren objektive Bestimmung. "Sie haben keinen Bestand", diese Feststellung über "Sein" und "Nichts" wird als Bestimmung ernst genommen und zu einer objektiven Kategorie gemacht: das Werden. Dieser Fortgang von einem Bestimmungslosen ist nur methodisch zu machen: ganz genauso wie das methodische Bedürfnis sich eine erste Kategorie geschaffen hat, von der es weitergehen muss, - Ableitung total - erzeugt es sich in der Haltlosigkeit und Unselbständigkeit der ersten beiden Kategorien den Übergang: Werden.

Dagegen muß festgehalten werden:
Sein ist nichts und wird auch nicht etwas.