Die Guten ins Töpfchen, 
die schlechten an die Börse ?

von Titus Stahl und Alexander King*

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Die Menschen benötigten „eine Partei, die [...] dafür eintritt, den immer spekulativeren, sozial-, umwelt- und wirtschaftsfeindlichen Charakter des gegenwärtigen Finanzsystems zu verändern“ - das glauben die GenossInnen Bartsch, Claus und Zimmer und bringen in ihrem Leitantrag an den 7. Parteitag der PDS die „realwirtschaftliche Vernunft“ gegen das „Internationale Finanzkapital“ in Stellung. Das hat ihnen nun den Vorwurf eingehandelt, eine solchermassen ausgerichtete Kritik würde ungewollt auch Menschen mit einem völkischen oder strukturell antisemitischen Weltbild ansprechen. Diese Kritik trifft Sozialistinnen und Sozialisten natürlich hart - daß sie der Parteivorstand nicht auf sich sitzen lassen will, war abzusehen.

Bei ihrer Verteidigung schreckten Mitglieder des Parteivorstandes nicht einmal davor zurück, den AntragsstellerInnen vorzuhalten, diese wollten den Parteivorstand oder vielleicht sogar die ganze PDS „in die Tradition der SA“ stellen, sie als völkische Geister denunzieren oder ähnliches. Die inhaltliche Auseinandersetzung über dieses Thema ist hingegen bislang fast völlig ausgeblieben. Sie muß jedoch unbedingt noch vor dem Parteitag beginnen. Es muß und kann schlüssig begründet werden, wieso diese Formulierungen analytisch falsch und gleichzeitig brandgefährlich sind. Hierbei handelt es sich nicht um einen Spleen universitärer Westlinker (sogenannter „Mensa-Genossen“): Die kritische linke Öffentlichkeit beobachtet diese Entwicklung in der PDS seit längerem - teils mit Sorge, teils mit Hohn und Spott. Zu den ersteren mag man den bekannten Journalisten Burkhard Schröder zählen: Im Freitag vom 22.09.200 stellte er unter dem Titel „Doitscher Sozialismus“ einen Vergleich von NPD- und PDS-Parolen an. "Die im kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystem florierende schrankenlose Vermehrung des Geldkapitals durch Subventions-, Steuer-, Kredit- und Zinsprivilegien führt zu gravierenden Fehlentwicklungen der Wirtschaft und muß deswegen eingedämmt werden" - diesem Zitat aus dem aktuellen Parteiprogramm der NPD sieht das „Investieren - nicht spekulieren“ der PDS ziemlich ähnlich.

Eigentlich könnten wir uns ja freuen, wenn unsere Parolen so populär sind, daß die Nazis auf ihren Erfolg aufspringen wollen - daß die NPD PDS-Parolen jedoch ohne Änderung abschreiben und in ihr Weltbild integrieren kann, ist auch ein Grund, nachdenklich zu werden.

Wie der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit
zu einem Weltbild
von Gut und Böse mutiert

Es scheint in einigen Teilen der Linken beträchtliche Verwirrung zu herrschen. Die „Realwirtschaft“ deren Folgen Karl Marx und Friedrich Engels zu ihren Zeiten in Gestalt von Hunger, Not und Kinderarbeit noch deutlich vor Augen hatten, wird heute, da ihre größten Unwirtlichkeiten in den Trikont verlagert wurden, plötzlich zu einem emanzipatorischen Projekt der Moderne....
...wären da nicht noch geheimnisvolle, verschlagene und permanent
menschenfeindlich gestimmte Kräfte: Das internationale Finanzkapital!

Nur auf ihren Profit bedachte Spekulanten ruinieren die ganze Wirtschaft und das auch noch mit Geld, das nicht ihrer eigenen Hände Arbeit entstammt. Für brave Staatsbürger gehört es sich hingegen, ihr Geld in die Produktion zu investieren, nicht etwa des aus der Ausbeutung entspringenden Profites wegen, nein, nur aus moralischer Verpflichtung der „realwirtschaftlichen Vernunft“ gegenüber: In den Chefetagen von DaimlerChrysler, Bosch und VW wälzt man sich des Nachts im Bette, von der Sorge um die Arbeitsplätze getrieben.

Friedrich Engels hat zu diesem Thema schon eine Anmerkung gemacht: „In diesem fortwährenden Auf und Ab muß jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muß Spekulant werden, d. h. ernten, wo er nicht gesäet hat, durch den Verlust anderer sich bereichern, auf das Unglück andrer kalkulieren oder den Zufall für sich gewinnen zu lassen. [...] Und möge sich der ehrliche, „solide“ Kaufmann nicht pharisäisch über das Börsenspiel erheben [...] Er ist so schlimm wie die Fondsspekulanten, er spekuliert ebensosehr wie sie, er muß es, die Konkurrenz zwingt ihn dazu, und sein Handel impliziert also dieselbe Unsittlichkeit wie der ihrige.“ (Friedrich Engels, Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, 1844, MEW, Bd. 1, S. 515-516)

Der Kapitalismus ist Spekulation - das wußten diejenigen schon, die seine sozialistische Theorie begründet hatten und zu deren Zeiten von Globalisierung und internationalen Finanztransaktionen noch recht wenig zu hören war. Die Spekulation entspringt dem Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses: Auf zukünftige Gewinne wird ebenso spekuliert, wie dies der „ehrliche“ Handwerker tut, wenn er Geld für sein Arbeitsmaterial vorstreckt. Die größten Börsenkapitale haben gleichzeitig auch den größten Einfluß auf die realwirtschaftliche Sphäre.

Die allseits verfemte Spekulation besteht darin, daß zukünftige Gewinne im Hier und Jetzt vorweggenommen werden. Sie müssen deshalb später um jeden Preis erzielt werden, da sonst das ganze Gebäude zusammenbricht - das tut es auch dann und wann, wenn die Anteilseigner die Gewinne im Voraus verbraten, die nie wirklich erzielt werden, wie z.B. in der „New Economy“. Die Sorge darum sollte aber nicht diejenige von Sozialistinnen und Sozialisten sein. Was uns interessieren muß : Wie kann die Diktatur des Kapitalverhältnisses welcher Form auch immer über das Leben der Menschen aufgehoben werden ? Durch das produktive Kapital sicher nicht. Wieso also die Unterscheidung ?

Die Unterscheidung zwischen Spekulation und Produktion
als originäre
Ideologie der Marktwirtschaft

„Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu  spüren, wenn sie sehen, was sie dafür kaufen können. [...] Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die anderen auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein“ (Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, Seite 183, Frankfurt, 1988, Hervorhebung T.S./A.K.)

Je weiter sich das Wirken des Kapitals von den „konkreten“ Ursprüngen handwerklicher oder industrieller Verausgabung von Arbeitskraft fortbewegt, desto suspekter wird es dem „gesunden“ Menschenverstand. Das hat nichts mit Erkenntnis zu tun, vielmehr mit „notwendig falschem Bewußtsein“, also Ideologie. Zugespitzt könnte man sagen, daß die Unterscheidung zwischen industriellem und spekulativem Kapital die Ideologie der Marktwirtschaft darstellt.

Selbst zu immer mehr Spekulation im eigenen Leben gezwungen (Stichwort: „Flexibilisierung der Arbeitskräfte“, „Unternehmer der eigenen Arbeitskraft“), wenden sich die Ausgebeuteten gegen diejenigen, die in ihren Augen Initiatoren und Profiteure der Spekulation sind. Im Grunde drückt der Haß gegen die, die "ohne eigene Arbeit“ leben können, doch nur das verdrängte Bewußtsein aus, daß ein Leben, das nicht nur der kapitalistischen Verwertung gewidmet ist, heute schon für alle möglich wäre.

„Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung bedient“ (Theodor W. Adorno, GW, Bd. 3, S. 197) Will die PDS dazu beitragen ?

Eine weitergehende Analyse der schlimmen Folgen einer verkürzten Kapitalismuskritik hat Moishe Postone in seiner Grundlagenschrift „Nationalsozialismus und Antisemitismus“ aufgezeigt: „Formen antikapitalistischen Denkens, die innerhalb der Unmittelbarkeit dieser Antinomie [der zwischen abstraktem und konkretem; T.S./A.K.] verharren, tendieren dazu, den Kapitalismus nur unter der Form der Erscheinungen der abstrakten Seite dieser Antinomie wahrzunehmen, zum Beispiel Geld als „Wurzel allen Übels“. Dem wird die bestehende konkrete Seite dann als das „natürlich“ oder ontologisch Menschliche, das vermeintlich außerhalb der Besonderheit kapitalistischer Gesellschaft stehe, positiv entgegengesetzt. Daß konkrete Arbeit selbst kapitalistische gesellschaftliche Beziehungen verkörpert und von ihnen materiell geformt ist, wird nicht gesehen.[...] So kann das industrielle Kapital als direkter Nachfolger „natürlicher“ handwerklicher Arbeit auftreten und, im Gegensatz zum „parasitären“ Finanzkapital als „organisch verwurzelt“. [...] Kapital selbst - oder das was als negativer Aspekt des Kapitalismus verstanden wird - wird lediglich in der Erscheinungsform seiner abstrakten Dimension verstanden: als Finanz- und zinstragendes Kapital. [...] Diese Form des „Antikapitalismus“ erscheint daher nur so, als ob sie sehnsüchtig rückwärts gewandt sei; als Ausdruck des Kapitalfetischs drängt sie in Wirklichkeit vorwärts. Sie tritt auf im Übergang vom liberalen zum organisierten Kapitalismus“ (Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Diner, Zivilisationsbruch S. 251, Frankfurt/M., 1988)

Es ist also nicht so, daß die Nazi-Parolen, die sich gegen Globalisierung und die multinationalen Konzerne richten, deshalb existieren, weil Sozialismus gerade so hip ist, sondern weil die völkischen Totalitären die „rechte Hand der Globalisierung“ (Slavoj Zizek) darstellen.

Diese Globalisierung hat jedoch keinen „kosmopolitischen“ gar „antinationalen“ Charakter wie von linken und rechten Deutschnationalen gerne behauptet, vielmehr ist sie ein imperiales Konzept der drei großen Wirtschaftsblöcke und geht mit einer Transformation der bürgerlichen Nationalstaaten einher, wie sie zum Beispiel Joachim Hirsch treffend beschreibt. Der völkische Antikapitalismus ist also kein Plagiat der Nazis, nicht eine linke Ideologie, die rechts verkehrt wurde, vielmehr ist er ein originäres Projekt der Faschisten. Schon der NSDAP-Ideologe und geistige Ziehvater Hitlers Gottfried Feder schrieb 1927 vom „Leihkapital“ das „entgegen allen sonstigen irdischen Erfahrungen ohne Mühe und Arbeit durch Zins, Dividende und Rente aus sich selbst gewissermaßen wächst“, so daß „den Werteschaffenden in Werkstatt, Fabrik und Kontor (!) nur karger Lohn bleibe und der Gewinn der Arbeit [...] in die Taschen der anonymen Geldmacht als Zins und Dividende“ fließe. (Feder, das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen, München 1927)

Hitler selbst ergänzte in „Mein Kampf“ bezüglich der „Brechung der Zinsknechtschaft“ als dem „wichtigsten Programmpunkt der Kampfes der deutschen Nation um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit. [....] Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne zugleich mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt die Grundlage einer unabhängigen völkischen Selbsterhaltung zu bedrohen.“ (Hitler, Mein Kampf, München 1939, S. 232f., Hervorhebung T.S./A.K.)

Hier wird ganz klar ausgesprochen, was das Programm der Nazis war und ist: Die Zerstörung der marxistischen Kapitalismuskritik!

Die PDS sucht nach Möglichkeiten, Antikapitalismus zu popularisieren. Das ist gut. Sie muß dabei jedoch der Versuchung widerstehen, eingefahrene verschwörungstheoretische Erklärungsmuster zu bedienen, durch die sie zwar schnell Zuspruch erhalten könnte, die sich aber letztendlich gegen sie wenden werden.

Nochmals: Die PDS steht durch ihre marxistische Tradition in schärfstem Widerspruch zum völkischen Antikapitalismus. Gerade das ist die Basis für unsere Kritik an Formulierungen, die wissenschaftlich schlicht falsch und semantisch einfach brandgefährlich. Der Volksmund ist eben nicht geschult, wie Parteimitglieder, sondern er wird sich eine Kritik, die sich alleine gegen globales Kapital, Kapitalisten, und Spekulation richtet, zu einfach mit „Ausländern, Bonzen und Wucherern“ übersetzen.

44% der West- und 20% der Ostdeutschen sind der Meinung, Juden hätten zuviel Einfluss in der Welt. (nach Jodice, United Germany and Jewish concerns, 1991) In dieser Situation reicht es nicht aus, auf soziale Mißstände aufmerksam zu machen, und zu hoffen, daß sich der Protest schon gegen die richtigen wendet - wir müssen vielmehr lieber einmal zu vorsichtig sein, als einmal ein Stereotyp zu bedienen.

Die Nazi-Zeitschrift Nation & Europa hat aufgerufen, die PDS zu wählen, da sie „derzeit der Pfahl im parlamentarischen Fleisch der Bundesrepublik Deutschland (ist) und (...) gegenwärtig die einzige Partei, die sich gegen die neoliberalitische Globalstrategie wendet“ (nach: Gruber/Ofenbauer, Fetischistischer Antikapitalismus in: Streifzüge 1/1999)

Dazu ist abschließend noch einmal Theodor W. Adorno anzuführen: „Das Zufallsgespräch mit dem Mann in den Eisenbahn, dem man, damit es nicht zu einem Streit kommt, auf ein paar Sätze zustimmt, von denen man weiß, daß sie schließlich auf Mord hinauslaufen müssen, ist schon ein Stück Verrat; kein Gedanke ist immun gegen seine Kommunikation, und es genügt bereits, ihn an falscher Stelle und in falschem Einverständnis zu sagen, um seine Wahrheit zu unterhöhlen.“ (Adorno, Minima Moralia, Frankfurt/M., 1969)

*) Titus Stahl ist Mitglied des PDS-Landesvorstandes Baden-Württemberg
Alexander King ist Sprecher der Kommunistischen Plattform Baden-
Württemberg