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«Zigeuner», «Neger»
Rassismus im italienischen Fussball

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Beschimpfte Sinisa Mihajlovic seinen Gegner Patrick Vieira als «Negerbastard», und hat Vieira ihn zuerst einen «dreckigen Zigeuner» genannt? In Rom sind sich zwei Fussball-Millionäre wie Kindergartenkinder auf dem Sandplatz in die Quere geraten, und daraus entstand ein Krieg mit Worten, wie sie so dastanden nach dem Schlusspfiff in dieser Nase-an-Nase-Haltung, in der es kein Zurückweichen gibt, aber auch keinen Millimeter Spielraum mehr zum Zuschlagen.

Als «das Schlimmste, was ich je auf einem Fussballplatz erlebt habe», schilderte Vieira, Mittelfeldspieler imTeam von Arsenal London und in der französischen Nationalmannschaft, nach dem Champions-League-Spiel zwischen Lazio und Arsenal die Hasstiraden seines Gegenspielers. «Mihajlovic hat mich von der ersten bis zur letzten Minute beleidigt. In Italien werde ich nie mehr spielen.» «Er, er hat angefangen. Ich sehe keinen Grund, mich zu entschuldigen», replizierte Mihajlovic über die Medien.

Lazio-Präsident Sergio Cragnotti hat mittlerweile seinem Personal in dieser Sache einen Maulkorb verhängt, denn an der Börse fallen die Aktien des Klubs, allein sechs Prozent in den letzten zwei Tagen - aber eher deshalb, weil Cragnotti selber im Zusammenhang mit dem gefälschten italienischen Pass seines Stars Juan Sebastian Verón unter Anklage gestellt worden ist. Nun drohte er den Zeitungen, die Lazio als einen Klub von Rassisten hinstellen, mit Gerichtsklagen. Damit bewirkt er genau das Gegenteil. Die Polemik über Rassismus in italienischen Fussballstadien ist voll entbrannt, und Lazio Rom hat, nicht zum ersten Mal, ein Imageproblem als Klub «mit faschistischen Gesichtern», wie die «Daily Mail» titelte.

Als 1992 der Holländer Aron Winter zu Lazio Rom kam, empfingen ihn im Trainingszentrum die riesigen Lettern «Winter raus!», auf Deutsch. Winter, ein Schwarzer jüdischer Abkunft, leugnete aus Angst seine Herkunft, die er jetzt eingestand.

Kaum berührte einer der drei dunkelhäutigen Spieler Arsenals (neben Vieira auch Henry und Kanu) den Ball, brüllte der Chor der organisierten Lazio-Tifosi seine rassistischen Hetzgesänge in die Arena. «Ich habe mich tief geschämt», sagte der italienische Finanzminister Ottaviano Del Turco, ein unverdächtiger Lazio-Anhänger der Linken. «Das nächste Mal stehe ich auf und gehe.»

Der grüne Abgeordnete Paolo Cento verlangt harte Reaktionen des Staates als nur verächtliches Wegsehen. «Diese rassistischen Ausfälle sind ein Problem der öffentlichen Ordnung, nicht nur der sportlichen Kultur. In solchen Fällen müsste das Spiel abgebrochen werden.» Gianni Rivera, die Fussball-Legende des AC Milan in den sechziger und siebziger Jahren, heute Staatssekretär im Verteidigungsministerium, nimmt sich den Ausländer Mihajlovic vor: «Wenn sich einer auf dem Spielfeld so aufführt, fühlen sich die Tifosi auf den Rängen geradezu legitimiert oder aufgefordert, die Spieler mit dunkler Hautfarbe auszubuhen. Geben wir ihnen kein Alibi mehr.»

Riveras Rückkehr in die Fussball-Diskussion hat einen Hintergrund: Er will sich am 20. November als Verbandspräsident bewerben. Der jetzige Amtsträger Nizzola hingegen hat «nichts gesehen, und ich war ja im Stadion». Um Sinisa Mihajlovic, den serbischen Libero und Freistoss-Scharfschützen in der italienischen Meistermannschaft von Lazio Rom, beginnen die Gewissheiten einzustürzen, wie die Donaubrücken Belgrads unter dem Bombardement der Nato. Als fanatischer Anhänger des Diktators Slobodan Milosevic lief er unter die Kurve der Lazio-Ultras und entblösste vor ihnen sein patriotisches Brustbekenntnis, das er auf sein Unterleibchen gesprayt hatte. Als «Tiger» Arkan, der serbische Bandenführer, der als Massenmörder auf der Fahndungsliste Carla Del Pontes stand, in einem Hinterhalt umgebracht wurde, trauerte Sinisa öffentlich um den Freund. Aber Mihajlovic kämpft weiter seinen Kampf, gegen wen auch immer. In Donezk zerschmetterte ihm vor vier Wochen ein Gegenspieler den Oberkiefer und zwang ihn zum Aussetzen.

Dino Zoff, jetzt wieder Vizepräsident von Lazio Rom, nimmt seinen serbischen Krieger in Schutz. «Mit einer internen Sanktion muss er nicht rechnen. Er ist eindeutig provoziert worden.» Die Fernsehzuschauer wären entsetzt, wenn heimliche Mikrophone (nicht nur in Italien) die Nahkampfgespräche zu den Spielszenen übermitteln würden. Es gehört zu einem ungeschriebenen Kodex, dass die Schiedsrichter sich praktisch taub stellen und nur beleidigende Äusserungen hören, die gegen sie selber gerichtet sind. Der Fussballzirkus ist keine Bühne der politischen Korrektheit. Als der Engländer Paule Ince 1996 in Cremona gegen das Publikum demonstrierte, das ihn mit rassistischen Parolen verfolgte, zeigte ihm der Unparteiische die gelbe Karte. Es war seine Frau, die diese Atmosphäre nicht mehr ertrug. Ince kehrte auf die Insel zurück.