Editorial
Das Ende der Unschuld
Die Linke und islamischer Faschismus

von Alfred Fromm

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Regierende, Medien und der sogenannte Normalbürger reden unisono von Terror, wenn sie die Ereignisse vom 11. September charakterisieren wollen. Auf der Linken möchten einige da vorsichtiger sein. Die Veranstalter der Friedensdemo vom 15.9. in Berlin-Mitte weigerten sich, dieses Wort in ihre zentrale Parole aufzunehmen, die da hieß: "Gegen Vergeltung und Krieg". Gemeint waren mit diesem Slogan die möglichen Aktionen der US-Amerikaner gegen die vermuteten Urheber und Unterstützer des 7.000-fachen Mordes an Zivilisten, obwohl bislang niemand wissen konnte, was die internationale Koalition, die die Bush-Administration im Kampf gegen die Verursacher des Attentats schmiedete, eigentlich wirklich vorhat. Argumentiert wurde, die Herrschenden hätten den Begriff Terror zu häufig missbraucht. Zurückzufragen wäre, was haben die Herrschenden noch nicht missbraucht? Für Vergeltung und Krieg gilt das sicherlich in gleicher Weise wie für Terror (lateinisch: Schrecken). Einen Alternativvorschlag wollten die Initiatoren der Kundgebung auch nicht machen. Eine Einschätzung, was das Attentat eigentlich darstellte, blieb aus.

Faktisch demonstrierte man daher also einseitig gegen die USA, die Kritik an den Urhebern des konkreten Verbrechens vom 11.9. blieb damit praktisch aus. Zumindest unterschwellig nährt sich der Verdacht, die Opfer sind diesen Demonstranten ziemlich gleichgültig. Sie sind als Kollateralschaden im Kampf der gedemütigten Welt gegen das globalisierende Imperium zu verstehen. Diese Haltung entspricht nicht nur genau der Position, die Nazi-Mahler zum Ausdruck gebracht hat, sondern sie scheint uns auch symptomatisch für das Unvermögen linksradikalen Denkens zu sein, eine korrekte Analyse des Charakters der heutigen kapitalistischen Welt zu erarbeiten. Im sozialistischen Jargon gesprochen, es wird nicht wirklich zwischen abhängiger und herrschender Klasse unterschieden.

Der Angriff auf das World Trade Center (WTC) war nicht nur ein Angriff auf das Symbol des Globalismus, sondern auch ein Angriff auf ca. 50.000 abhängig Beschäftigte. Niemand hat sich bislang als Urheber bekannt. Es gibt aber Menschen bzw. Organisationen, die sich positiv gegenüber dieser Aktion äußern bzw. verhalten: Nazis und das Al-Qaeda-Umfeld, wobei die Nazis (z.B. Horst Mahler: "eminent wirksam und deshalb rechtens") in diesem Fall als Trittbrettfahrer einzuschätzen sind. Christopher Hitchens hat bezüglich dieses Vorgangs den Begriff "Faschismus mit islamischem Gesicht" geprägt. Auch US-amerikanische Rechtsextremisten, wie die religiösen Fundamentalisten Jerry Falwell und Pat Robertson (vehemente und einflussreiche Wahlunterstützer des Präsidenten), zeigen Verständnis für das Verbrechen, sie sehen in dem Attentat ein göttliches Signal zur Bestrafung der USA, die nichts gegen Libertinage, Abtreibungen, Homosexualität etc. täten. Weil es so irre klingt, wollen wir Falwell hier zitieren: "Ich glaube wirklich, dass die Heiden und die Abtreibungsbefürworter, die FeministInnen, die Schwulen und Lesben, die das als alternativen Lebensstil sehen, die ACLU, die People for the American Way, alle, die versucht haben, Amerika zu säkularisieren  - ich zeige mit dem Finger in ihre Gesichter und sage 'Ihr habt geholfen, dass das geschehen ist'". Robertson haut in dieselbe Kerbe, er bejammert die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Kirche und fügt hinzu: "Wir haben Gott beleidigt auf der höchsten Ebene unseres Regierungssystems. ...Gott der Allmächtige entzieht uns seinen Schutz".

Unseres Erachtens reicht es nicht aus, sich mit den Toten von Manhattan usw. "solidarisch" zu erklären. Was heißt denn das? Den Tod von Menschen kann man nur bedauern und betrauern, solidarisch kann man nur mit Lebenden sein. Sind unsere Berliner Friedensfreunde solidarisch mit den Angehörigen der Toten, mit denjenigen, die als nächste im Visier der Faschisten stehen? Wenn ja, wie will man solidarisch sein?

Auf der Kundgebung vor dem Roten Rathaus war zu vernehmen, die USA seien schlimme Finger, sie hätten selbst viele Verbrechen begangen. Dies ist ohne Zweifel richtig, wo aber, bitte schön, blieb die Analyse des Faschismus, der hinter dem Attentat steckte? Vor und während des Zweiten Weltkriegs steckte die Linke vor demselben Dilemma, wie sollte sie sich gegenüber einem Konflikt zwischen kapitalistisch-imperialistischen Ländern verhalten, auf der einen Seite die bürgerlich-demokratischen Mutterländer des Kolonialismus und die USA, auf der anderen die faschistischen Axis-Mächte? Die Linke entschied sich größtenteils zunächst für den Pazifismus. Erst als die Sowjetunion von Nazi-Deutschland überfallen wurde, änderte sich das. Nur hartgesottene Anhänger Bordigas blieben dabei, keinen Unterschied zwischen bürgerlich-demokratischen und faschistischen Regimen machen zu wollen. Wir trend-Leute bekennen, die sozialen und Freiheitsrechte sowie die Frauenemanzipation in Berlin, Paris, London oder New York, die sauer genug erkämpft wurden, gegenüber millenaristischen Fanatikern in Kabul oder Kandahar als verteidigungswürdig einzuschätzen. Die Debatte muss um die Mittel geführt werden, mit denen das erreicht werden kann.

Im Golf-Krieg und im Kosovo-Krieg versuchten die Herrschenden die Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg zu missbrauchen und begründeten ihr Eingreifen mit dem Argument, Hussein bzw. Milosevic seien jeweils der neue Hitler. Das war durchsichtig. Die Linke hatte sofort erkannt, beim Golfkrieg ging es den USA keineswegs um die kuweitischen Menschen, sondern ums Öl, ums Geschäft und im Kosovo wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Das Resultat dieser Kriege ist bekannt, es ist die ausbleibende Demokratie in Kuweit, die weitere diktatorische Herrschaft Husseins im Irak und die der UCK im Kosovo, die um keinen Deut besser ist als die serbische, völkisch bis auf die Knochen. Die Situation des Massakers in Manhattan ist eine andere, sie erfordert eine neue Lagebeurteilung. Interessanterweise bleibt nunmehr übrigens der Vergleich zwischen bin Laden und Hitler aus.

Es ist aber nicht verwunderlich, dass sich diese neue Lage in unterschiedlichsten Beschreibungen auf den Seiten des Partisan.net widerspiegelt. Es überwiegen zwar die traditionell pazifistischen Argumente, die teilweise mit unreflektierten Antiamerikanismen einhergehen, es gibt aber auch andere, die sich mit dem Phänomen des islamischen Faschismus beschäftigen oder aber schlicht den Schulterschluss mit der bürgerlichen Demokratie formulieren (z.B. Daniel Ortega für die nikaraguanischen Sandinisten).

Einen Sonderfall stellen die Bahamas-Leute dar. In ihrer antideutschen Rage kommen sie zu Formulierungen, die ihrerseits als äußerst fragwürdig einzustufen wären. Bahamas veröffentlicht im Netz bei Nadir in Hamburg. Der trend hat ihre Stellungnahme zum Attentat als eine besonders kontroverse mit aufgenommen. Das hat heftige Kritik verursacht. Für diese Kritik haben wir großes Verständnis, meinen aber, selbst in diesem Fall keine Zensur ausüben zu sollen. Bahamas ist kein Teil der Partisan-Gruppe und daher anders zu bewerten als diejenigen, die vor mehr als zwei Jahren innerhalb des Partisan.net versuchten, querfrontstrategisch völkisches Gedankengut (z.B. Rabehl-Texte) zu verbreiten. Damals haben wir uns von diesen Leuten getrennt. Wer glaubt, Bahamas sei auf dem Wege ins Völkische und gehöre nicht mehr in linke Zusammenhänge, muss das bei Nadir vortragen. Texte dazu veröffentlichen wir natürlich gern.

Im Partisan.net befasst sich redaktionell besonders Infopartisan und trend mit den fraglichen Ereignissen. Die SDS-Website (www.sds.partisan.net) bietet ebenfalls exemplarische Positionen, so von Gretchen Dutschke und Günter Langer. Für weitere Analysen, Stellungnahmen und Meinungen empfehlen wir insbesondere www.thenation.com, www.counterpunch.org und www.commondreams.org.  

 

Nachtrag vom Säzzer

Texte aus dem linken Spektrum zusammengestellt von INFOPARTISAN
(Stand 30.9.2001)

Hervorragend dokumentiert auch DIE LINKE SEITE die aktuelle Debatte bzw. die aktuellen Ereignisse.

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