Der Terrorkrieg gegen die USA – die Gegengewalt der Ohnmacht

Amerika ruft den ”War against Terrorism” aus – Europa sagt: ”Ja, aber...!”

von Red. GegenStandpunkt

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1.

Als am 11.09. das Pentagon und das World Trade Center getroffen bzw. zerstört wurden, da galt in Deutschland und dem Rest Europas eine Sprachregelung, die neben ”Entsetzen” und ”Betroffenheit” über das Ausmaß der Zerstörung und die Anzahl der Opfer in erster Linie den ”Schulterschluss mit unseren amerikanischen Freunden” betonte. Schröder in seiner ersten Regierungserklärung am ”Tag danach”: ”Ich habe ihm [Bush] auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert. [...] Ich habe noch gestern Abend mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac und Ministerpräsident Jospin, mit dem britischen Premierminister Blair [...] gesprochen. Wir sind uns in der Bewertung einig, dass diese Terrorakte eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeuten.” Diese Einmütigkeit der Europäer in der Solidarität zu ihrem Seniorpartner ist ja auch kein Wunder: Weltweit stehen die USA als Garanten ihrer Weltordnung für die politische und ökonomische Geschäftsgrundlage gerade, von der vor allem auch die europäischen Mitmacher profitieren. Eine solche Weltordnung erfordert einen beträchtlichen Aufwand an Gewalt, eine Aufgabe, für die in erster Linie die USA zuständig sind. Immer, wenn es um die – im US-Verständnis – ”Drecksarbeit” geht, versteht sich aber gerade Deutschland auf die Kunst, dazu eine Position der vornehmen Distanz einzunehmen und sich als eine Macht zu präsentieren, die natürlich alles viel geschickter und ”mit friedlichen Mitteln” in Ordnung gebracht hätte. Dieses Deutschland, das in Wahrheit Trittbrettfahrer amerikanischer Ordnungsstiftung ist, präsentiert sich dann als eine mäßigende Kraft, deren ”Angebote” den betroffenen Staaten doch viel eher einleuchten müssten – ”Angebote”, die natürlich auch nichts anderes beinhalten, als sich mehr an den politischen Intentionen Deutschlands auszurichten und ihm neue Geschäftsmöglichkeiten zu eröffnen. Auf diese Art und Weise haben sich Deutschland und die EU – unter dem Schutzschirm Amerikas – in aller Welt ausgebreitet und sich zum ernsten Konkurrenten Amerikas hochgearbeitet. Darum ist auch sehr verständlich, dass sich Schröder und Blair als Mitbetroffene der Anschläge bezeichnen und ihre ”Solidarität” beteuern: Wenn die Abschreckungsfähigkeit Amerikas beschädigt wird, die auch die Grundlage für die Machtentfaltung und ökonomische Kraft der Juniorpartner darstellt, dann sind auch letztere geschädigt. Der seitens Amerikas ausgerufene ”War against Terrorism” ist also auch ihre Sache.

2.

Mit der ganzen souveränen Arroganz der Weltsupermacht interpretiert die amerikanische Politik einen Angriff auf die USA  als eine "Kriegserklärung an die" gesamte "freie Welt", bei dem es nicht bloß um eine Schädigung der amerikanischen Macht gegangen sein soll, sondern gleich um einen Anschlag auf die heiligsten Werte der zivilisierten Menschheit wie Freiheit, Gerechtigkeit und "unseren way of life" überhaupt.. Das will der deutsche Kanzler nicht bestreiten; vielmehr fordert er als Konsequenz aus dieser Deutung der "Attack on America", dass dann die Antwort eine des westlichen Bündnisses sein muss und nicht ein amerikanischer Alleingang, bei dem die NATO-Partner lediglich assistieren dürfen. Selbstverständlich weigert sich Deutschland nicht, beim "Krieg gegen den Terrorismus" unter Führung der USA  mitzumachen. Aber gerade unter Berufung auf die von Washington eingeforderte Zuständigkeit der NATO gemäß Artikel 5, der den Bündnisfall wegen eines Angriffs von außen auf das NATO-Mitglied USA vorsieht, gestattet sich der Kanzler ein paar gutgemeinte Bedenklichkeiten unter befreundeten Bündnispartner.

Schröder verdeutlichte am 19. September in seiner Regierungserklärung die nach dem ersten Schock und Entsetzen über den Anschlag auf die Weltführungsmacht wiedergewonnene nationale Einsicht, dass man mit den  Amerikanern in einem Boot sitzt, aber auch als deren Konkurrent: ”Bei diesen Entscheidungen lassen wir uns einzig von einem Ziel leiten, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes inmitten einer freien Welt zu sichern..” Zunächst also – nach der natürlich allfälligen Solidaritätsadresse und der Betonung der Freundschaft – die Feststellung, dass Deutschland seine eigenen Interessen hat, auf die Schröder in allen – vor allem natürlich den existentiellen – Fragen pocht. Und für die gesamte ”freie Welt” macht sich Schröder gleich mit-zuständig. Und weiter: ”Natürlich: Jedes Recht korrespondiert mit Pflicht. Aber umgekehrt gilt: Auch mit einer Bündnispflicht korrespondiert ein Recht. Und das heißt: Information und Konsultation.” Schröder besteht also darauf, dass Deutschland sich bei aller Freundschaft und Dankbarkeit zu Amerika nicht zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines amerikanischen Feldzugs degradieren lassen will, dessen Ziele und Mittel – und damit auch dessen eventuelle Folgen für alle Mitmacher – alleine die USA bestimmen. Mit ”Information” und ”Konsultation” fordert er eine Mitbestimmung für Deutschland und Europa ein. ”Zu Risiken, auch im Militärischen ist Deutschland bereit, zu Abenteuern nicht. Diese werden von uns dank der besonnenen Haltung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt und sicher auch nicht verlangt werden.” Im ersten Satz traut der Bundeskanzler dem amerikanischen Präsidenten Abenteurertum zu, er kann sich also amerikanische Reaktionen vorstellen, die Deutschland vor das Problem stellen, mit den Konsequenzen eines von Amerika geführten Krieges leben zu müssen. Das könnte die deutsche Sicherheitslage negativ beeinflussen, ohne dass Deutschland darüber mitbestimmt. Schröder unterstellt Amerika – unmittelbar nach der Beteuerung seiner ”Solidarität” –einen ziemlich starken Drang zu ”Abenteuern”, die durch deutsche Mitwirkung vermieden werden müssen. Zugleich weiß ein Schröder aber auch, dass er von den Beschlüssen Amerikas abhängig ist, dass er aus eigener Kraft eine solche ”besonnene Haltung” Amerikas nicht herstellen kann. Mit der Feststellung im zweiten Satz, dass von Deutschland auch gar keine Abenteuer verlangt seien, tut er so, als sei die gerade so eingeforderte Mitbestimmung Deutschlands bereits gegessen. Unterstellt ist hierbei, dass das Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa eindeutig verteilt ist: Wenn Amerika einen ”Kreuzzug gegen den Terrorismus” nicht nur beschließt, sondern auch beginnt und durchführt, dann kann es das weitgehend aus eigener Machtvollkommenheit tun. Für Gewaltaktionen jeder Größenordnung besitzen die USA die entsprechenden Gewaltmittel selbst und sie sind für die von ihnen ausgerufenen Kriege nicht unbedingt auf die militärische Unterstützung ihrer Juniorpartner angewiesen. Lieber wäre ihnen allerdings, wenn die Bündnispartner sie in ihrem Krieg unterstützen, denn auch die überlegene amerikanische Macht tut sich viel leichter, wenn sie auf die politische Rückendeckung und die Benutzung z. B. Deutschlands als “logistischer Drehscheibe” zählen kann. Das weiß natürlich auch ein Schröder ganz genau und fordert für seine Unterstützung Mitbestimmungsmöglichkeiten bei den Amerikanern ein.

3.

Nach viel Betroffenheit und Entsetzen und ”Schulterschluss mit Amerika” machen sich in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritische Einwände breit. Da werden Professoren und sonstige Experten mit hämischen Befunden vorgeführt, dass die USA sich diese Anschläge doch aufgrund ihrer vielfältigen, weltweiten Machtentfaltung selbst zuzuschreiben hätten. Was sich erst anhört wie die Suche nach objektiven Gründen für die Feindschaft, aus der solche Anschläge erwachsen, entpuppt sich schnell als moralische Begründung für euro-imperia­listische Einsprüche: Wer nämlich die ganze Zeit nur erzählen will, dass die Amis doch auch Dreck am Stecken haben, wer also nur diverse Missetaten gegeneinander aufrechnen will, den interessieren in Wahrheit nicht objektive Gründe, sondern nur Schuldfragen. Und die interessieren ihn auch nur – besser gesagt: er erfindet sie sich –, weil er sich selbst als Schiedsrichter darüber einsetzen will, und zwar als ein Schiedsrichter, der moralisch sowohl über die Terroristen als auch über Amerika um einiges erhaben ist. Das ist Anti-Amerikanismus aus einer nationalen Gesinnung heraus: Damit wollen Euro-Nationalisten Amerika eine Teilschuld zuschreiben und ihm die Berechtigung absprechen, aus den Anschlägen Ausmaß und Mittel für die fällige Reaktion abzuleiten.

Einen Gipfel dieses deutschen Anti-Amerikanismus’, besser: eines von Deutschland maßgeblich bestimmten Euro-Nationalismus, markiert der frisch vom Altenteil reanimierte Peter Scholl-Latour. Der klagt mit seiner geballten Expertenkompetenz für nahe und ferne Reisfelder das flächendeckende Versagen amerika­nischer Außenpolitik inkl. ihrer Geheimdienste an und spricht Amerika die Lösungskom­petenz für das Programm ”Freie Welt kontra Terrorismus” ab. Er hält die amerikanisch dominierte Weltordnung für abgewirtschaftet und deswegen europäische Weltordnungskompetenz für überfällig. Die Lösung heißt für ihn: endlich ein einiges Europa sowie die zugehörige strategische Atombewaffnung. Der Gedanke ist imperialistisch eindeutig: Die Weltordnung von Kapitalismus und Demokratie braucht eine starke Macht zur Absicherung derselben. Diese Macht soll zukünftig nicht mehr amerikanischer, sondern europäischer Herkunft sein. Dafür ist natürlich auch nach innen einiges fällig: wenn Scholl-Latour ”das Ende der Spaßgesellschaft” fordert und gegen die ”Amerikanisierung der Welt” hetzt, dann plädiert er für die für ein solches Programm notwendige Kriegsbereitschaft im deutschen Volk und anderswo in Europa. Natürlich schießt er damit über das derzeit seitens der europäischen Politik formulierte Ziel hinaus. Andererseits aber denkt er nur das konsequent zu Ende, was mit dem Programm der Einigung Europas und den damit verbundenen Weltordnungsansprüchen längst angelegt ist.

Siehe hierzu auch die GegenStandpunkt Artikel:
 “Die Osterweiterung der EU. Ein weiterer Schritt der EU auf dem Weg zum Euro-Imperialismus” (1/98), “35 Jahre EG ‑ "Wirtschafts‑ und Währungsunion" ‑  "Politische Union" Was ist "Europa", was hat es vor? Vom Staatenbündnis zur Staatsgründung (Teil I & II 1/92, 3/92)
 

 

Editoriale Anmerkung: Diese Analyse des GegenStandpunkt-Verlags wurde in Radio Lora am 24. September 2001 gesendet.