Antiglobalisierungsbewegung in Barcelona,
Beobachtungen um die Gegenmobilisierungen zum (abgesagten) Weltbanktreffen am 23.6.2001
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Auch in Spanien hat sich in letzter Zeit ein breites Spektrum von Gruppen und Einzelpersonen zusammengefunden, um auf die unterschiedlichste Art und Weise ihren Protest gegen die famose ‘Globalisierung’ auszudrücken.  

Vorgeschichte

Schon in den frühen 90iger Jahren machte in der Medienöffentlichkeit eine sogenannte “Bewegung für 0,7%” auf sich aufmerksam, deren wesentliches Anliegen es war, auf die Erfüllung eines UNO-Beschlusses zu dringen, wonach die industrialisierten Länder 0,7% ihres Bruttosozialproduktes zur ‘Entwicklung’ der weniger industrialisierten Länder abführen sollten. Es war dies eine Bewegung hauptsächlich aus dem Studentenmilieu, geführt von Politprofis aus dem damals dann auch entstehenden NGO-Spektrum. Innerhalb kürzester Zeit wurde ihnen allgemeines Interesse  und Wohlwollen auch von Politikerseite zu Teil, die endlich die vergnügungssüchtige und jedem politischem Engagement entsagende Jugend auf dem Besserungspfad wähnte. Zwar gab es außer Schulternklopfen und leeren Versprechungen am Ende kein greifbares Resultat zu vermelden, aber ein Anfang war gemacht: Die ‘öffentliche Meinung’ war sensibilisiert worden, die Elendsverhältnisse in weiten Teilen der Welt und insbesondere die Bürgerkriege im nahen Ex-Jugoslawien waren nun Tagesthema und es verging kaum kein Tag ohne Aufrufe für Hilfeleistungen an Hungernde und Leidende. Ein regelrechtes NGO-Gründungsfieber griff um sich und fand massive Unterstützung gerade aus dem akademisch gebildeten Kreis der Jugend, gesponsert und (co-)finanziert aus privaten, staatlichen und kirchlichen Mitteln.

Angesichts massiver Jugendarbeitslosigkeit und mangelnden festen Arbeitsverhältnissen bot ein (wenn auch nur vorübergehender) Job bei einer der neuen NGOs außerdem die Chance, sich ‘nützlich’ zu machen und den Eltern nicht mehr ganz so schwer auf der Tasche zu liegen und wer weiß, ....dem Curriculum vitae kann’s auch nicht schaden.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass die Veranstalter der 1992 in Barcelona ausgetragen Olympiade, dieses Aufflammen von Engagement durchaus auf ihre Mühlen zu lenken vermochten, indem sie ein “Freiwilligen-Corps“ von Jugendlichen ins Leben riefen, die hauptsächlich während, aber auch nach dieser von allseitigem sozialen Konsens getragenen Veranstaltung sich um mehr “Bürgersinn” in der Stadt bemühen sollten (weniger Alkoholkonsum in Diskos, Anti-Drogenkampagne, Sauberkeit der öffentlichen Straßen und Plätze, u.a.). 

Zwar gab es in Spanien schon seit Jahren diverse Solidaritätsgruppen, getragen vorwiegend von Emigranten aus  lateinamerikanischen und (nord)afrikanischen Ländern und zentriert um die dortigen politischen und sozialen Verhältnisse, vom Umfang und Bekanntheitsgrad her gesehen und außerdem meist älteren Generationen angehörend, erlauben sie aber keinen Vergleich zu den neuen NGO-Gruppen.

Es überwog bei  ersteren (wie auch anderswo) eher die politische Denunziation von Gewaltverhältnissen und Menschenrechtsverletzungen, der bei den NGOs sehr starke karitative Zug fehlte in diesen Gruppen weitgehend. 

Mit dem Bekannt werden der Aufstandsbewegung in Chiapas und deren Aufruf zu einer “Internationale gegen den Neoliberalismus” änderte sich die Situation rapide. Wie wohl in kaum einem anderen europäischen Land entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit eine von unzähligen Gruppen getragene Solidaritätsbewegung, in der Mitglieder ‘traditioneller’ Soli-Gruppen und viele junge Leute aus und um das neue NGO-Spektrum zusammen fanden, vermischt mit Personen aus anderen politischen Zusammenhängen (linke Gewerkschaftler, CNT/CGT-Anhänger, diverse autonome Gruppen und Persönlichkeiten, etc.) und verstärkt nicht zuletzt durch die sich gerade in den Metropolen Madrid und Barcelona ausbreitendende Hausbesetzerbewegung, die in Barcelona mit der Räumung des besetzten Zentrums „Cine Princesa“ eine neue Dimension erreichte.

So war es denn auch kein Zufall, dass das “Zweite Internationale Treffen gegen Neoliberalismus und für die Menschheit” 1997 auf spanischem Boden stattfand, auf dem es, in einer eigentümlichen Mischung aus Pfadfinderlager, Diskussionsforen zu unterschiedlichsten Themenkomplexen und Happening, zu einem regen Gedankenaustausch kam, wobei hier den besetzten Häuser sowohl als logistische Basis für Vorbereitung und Durchführung, als auch als Multiplikatoren eine entscheidende Rolle zukam. Etwa zeitgleich hatte sich auch in mehreren Orten, hauptsächlich aber in Madrid, erste Gruppen um das Thema “Gegen das Europa des Kapitals” gebildet, die für diverse europäische Märsche gegen Prekarisierung und Arbeitslosigkeit mobilisierten und Arbeitszusammenhänge zu diesem Thema schufen. Das Thema “Arbeit” war denn auch eines der zentralen Diskussionsthemen auf dem 2.Internationalen Kongress gegen Neoliberalismus, und führte in der Folgezeit zu nicht uninteressanten Debatten zwischen Arbeitsloseninitiativen und diversen politischen Zirkeln.

Als ein Ergebnis dieser Debatten entstand dann 1999, ausgehend von Barcelona, die Kampagne „Brechen wir das Schweigen“ (Rompamos el silencio) die in mehreren Orten versuchte, die kapitalistische Alltagsmisere zentriert um das Thema Arbeit/Prekarisierung aus dem Schatten des Schweigens herauszubefördern.

Andererseits sah sich sowohl das traditionelle ‘linke’ Spektrum aus dem Umkreis des Wahlbündnisses IC/Els Verts (Zusammenschluss von Ex-Kommunisten der katalanischen PSUC und diversen Öko-Gruppen und Personen), als auch deren intellektuelle Ratgeber um die Zeitschrift “mientras tanto” bemüßigt, sich zunehmend für diese Entwicklungen zu interessieren und ihre ideologischen Konzepte von  “neuen Bürgerrechten”, “Arbeit für Alle” und “Demokratisierung” nationaler und internationaler Institutionen zu verbreiten. 

Die Antiglobalisierungsbewegung

Spätestens nach der internationalen Demonstration in Prag, an der über 1000 Menschen aus Spanien teilnahmen,  kam es dann auch in Spanien zur eigentlichen Gründung einer “Antiglobalisierungsbewegung”, nachdem vorher schon spanische Gruppen und Einzelpersonen auf den diversen Gipfeln und Gegentreffen der späten 90iger und Anfang des Jahres 2000 präsent waren (u.a. in Porto Alegre).

Zwei, bzw. drei politische Hauptströmungen zeichneten sich ab: Da ist zum einen die “Widerstandsbewegung gegen die Globalisierung” (MRG), ein mehr lockerer, netzförmiger Zusammenschluss verschiedenster Gruppen und Personen mit einer politischen Plattform und basierend auf dem Versammlungsprinzip. Sie definieren sich explizit als ‘gewaltfreie’ Gruppierung und sehen es als ihre Hauptaufgabe an, “...gegen die ökonomische Globalisierung  und das ‘Einheitsdenken’ zu kämpfen.” Die Gruppe wird als Instrument verstanden, um “...lokalen Kämpfen eine globale inhaltliche Ausrichtung zu geben.”

Auf ihre Initiative hin wurde die Kampagne “Gegen die Weltbank, Barcelona 2001” ins Leben gerufen.

 Zeitlich später formierte sich dann auch ein spanischer Ableger der Organisation ATTAC, deren Hauptanliegen in der Besteuerung internationaler Finanzoperationen besteht, um so die ‘Entwicklung’ der armen Länder voranzutreiben (Tobin-Steuer). Ihre Hauptsprecher verfügen auch hierzulande über Publikationsmöglichkeiten in der Wochenzeitung “Le Monde Diplomatique”. 

Als das MRG gegründet wurde, waren dort auch explizit antikapitalistische Positionen vertreten, besonders aus dem Umfeld der Hausbesetzerbewegung. Die Festlegung auf strikte ‘Gewaltfreiheit’ und eine zunehmende Politprofessionalisierung von Seiten bestimmter Organisationsvertreter (CGT, trotzkistische Gruppen,...) trieb einige dann aber bald dazu, eine eigene, antikapitalistische Strömung zu organisieren. Dies schlug sich auch in der Herausgabe eines eigenen Publikationsorgans, “Estatotfatal”(Alles ist fatal/), nieder. Innerhalb dieses ‚Zusammenhangs‘ machte sich aber recht bald eine weitverbreitete Schwäche radikaler Strukturen in Barcelona bemerkbar: Von einem tatsächlichen Arbeitszusammenhang lässt sich nur schwer sprechen, vielmehr fächert sich das Spektrum in eine Vielzahl von Kleingruppen und „Interessegruppen“ (grupos de afinidad) auf, die fast nur zu gemeinsamen technischen Absprachen in der Lage, bzw. willens sind – statt einem ‚Miteinander‘ dominiert oft ein ‚Nebeneinander‘. Insofern war die Herausgabe der Zeitung, als Forum für bestimmte thematische Gebiete zur Vorbereitung und Durchführung „Antikapitalistischer Wochen“ ab Mai 2001 ein erster Versuch, hier verschiedenste Elemente zusammenzuführen. Nichtsdestotrotz wurden die verschiedenen Themenbereiche in den seltensten Fällen kollektiv von allen Beteiligten diskutiert und selbst die Eigendefinition als „Antikapitalistischer Widerstand“ war wohl eine einsame Entscheidung ein paar Weniger, die dem Rest de facto ‚aufgedrückt‘ wurde (vgl. hierzu im Anhang: „Die Wiederkehr der Kolonne Durruti“). Insgesamt sah es dann so aus, dass Teile der Gruppe sich mehr um die inhaltliche Vorbereitung zur Organisierung von Debatten während antikapitalistischer Wochen (z.B. Kritik des Geredes von ‘Zivilgesellschaft und Bürgerrechten’, Rolle der Erziehung, etc.) im Vorfeld der Mobilisierung kümmerte, wohingegen einige wenige den Moment gekommen sahen, endlich den Worten ‚Taten‘ folgen zu lassen sich mehr der ‚Planung‘ von Aktivitäten zum eigentlichen Demo-Termin widmete.

 Eine Überraschung

Mit dem Näherrücken des geplanten Weltbanktreffens weitete sich die Bewegung aus. Fast täglich konnte man über Internet neue Solidaritätsbekundungen und neue Veranstaltungstermine auch außerhalb der Metropole Barcelona nachlesen, und die ‘Sogwirkung’ ging sogar soweit, dass sich selbst die Jugendorganisationen fast sämtlicher im katalanischen Regionalparlament vertretener  Parteien (mit Ausnahme der Madrider  Regierungspartei PP) dazu genötigt sahen, zumindest ihre verbale ‘Solidarität’ zu bekunden.

Das Ergebnis dieser Entwicklung war die Bildung einer gruppenübergreifenden Koordinierungsstelle, die sowohl das “Gegentreffen” als auch die Gegendemonstration organisierte.

Erklärtes Ziel war erst einmal nur, eine breite Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die Ablehnung der Weltbankpolitik massenwirksam auf die Strasse zu bringen – von Verhinderung wurde m.W. nie laut gesprochen.

Dann die große Überraschung: Die Weltbank sagt das Treffen mit der Begründung ab, dass in Barcelona eine ‚ordentliche‘ Durchführung angesichts „internationaler Aufrufe zur Gewalt“ nicht gewährleistet werden könne und Mann bedaure die dadurch hervorgerufene „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. Die offizielle Politik vergießt (Krokodils)Tränen und beteuert fürs Publikum, dass von ihrer Seite das Treffen mit allen Garantien rechnen könne. Von Seiten der Globalisierungskritiker wurde dies nun einfach flugs als Erfolg ihrer Mobilisierung innerhalb der ‚zivilen Gesellschaft‘ gefeiert und, da der ganze Organisationsapparat schon auf vollen Touren lief, an der Gegenkonferenz und Demonstration festgehalten. Ganz so einfach dürfte das aber so nicht gewesen sein: 

Barcelona gilt spätestens seit der Olympiade bei seinen Verwaltern und auch im internationalen Städteranking als ein Modell für einen gut funktionierenden gesellschaftlichen und institutionellen Konsens, was die ‚Modernisierung‘ der Stadt angeht. Ziel ist es, mittels gezielter Eingriffe in den urbanen Raum die Stadt zum größten Dienstleistungs- und High-Techzentrum des Mittelmeerraums auszubauen. In riesigen Werbekampagnen feiern sich die Stadtoberen (Koalition aus PSC=Sozialisten, IC/Els Verts>siehe oben und ERC=republikanische Katalanisten) und protzen damit, die Stadt zur „größten Boutique der Welt“ herzurichten. Nach der Olympiade 92 benötigten die Stadtverwalter ein neues, griffiges Motto, um die Bevölkerung für weitere Modernisierungsschübe zu mobilisieren. Neuester Hit ist jetzt ein „Forum der Kulturen“ für das Jahr 2004, auf dem sich die Stadt als weltoffene Tribüne für alle drückenden Menschheitsfragen feiern und in Form neuer städtebaulicher Maßnahmen auch entsprechende Betondenkmäler setzen lässt.

Außerdem stehen demnächst Wahlen für das autonome katalanische Parlament an, bei denen sich die in Barcelona tonangebenden Sozialisten reelle Chancen ausrechnen, die katalanistische Regierungskoalition aus dem Sattel zu heben. Alles in allem also ein Panorama, wo sich Imageverluste zu handfesten politischen und sozialen Konsequenzen ausweiten können.

Der nach wie vor bestehende innergesellschaftliche Konsens wäre noch brüchiger geworden, wenn zu den sich häufenden Auseinandersetzungen mit Hausbesetzern, Emigrantenbewegung und diversen Nachbarschaftsbewegungen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des neuen Stadtgefühls noch nicht so recht anfreunden wollen, auch noch eine internationale Demonstration mit möglichen Sachschäden und mehr dazu gekommen wäre – von den Auswirkungen auf den Tourismus als eine der Haupteinnahmequellen der Stadt ganz zu schweigen. Das sich mühsam erworbene Image einer relativ ‚toleranten‘ Ordnungsbehörde im Umgang mit diversen Straßenprotesten, die geschickte Handhabung von Zuckerbrot und Peitsche gegenüber den Hausbesetzern (fast alle bisher stattgefunden Demonstrationen größeren Kalibers der Hausbesetzer kamen bis vor kurzem so gut wie ohne eine sichtbare massive Polizeipräsens aus, mittlerweile aber wird ganz massiv versucht, die Bewegung zu kriminalisieren), all das hätte wohl bei einem stattgefunden Weltbanktreffen der Vergangenheit angehört. Stellt man weiterhin in Rechnung, dass es bis dato vor allem die rechtskonservative Regierungspartei PP (Partido Popular) und ihr Ableger in Katalonien war, die versuchte mit ‚Law und Order‘-Parolen Wählerstimmen und Sympathie auf ihre Seite zu ziehen, so hätte sowohl für die Stadtoberen als auch für die gegenwärtig in Katalonien regierenden Katalanisten (die aber immerhin die Madrider Regierung mit an die Macht gehievt haben) ein polizeilicher Belagerungszustand wie in Seattle, Prag oder Stockholm nun gar nicht ins Konzept gepasst.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Vermutung, dass das Rathaus, bzw. die Regionalregierung selber hinter den Kulissen auf eine Aussetzung des Weltbankgipfels gedrungen hat, ist so unwahrscheinlich nicht. Ging es doch auch in diesem Falle nicht um eine Zusammenkunft demokratisch gewählter, also im allgemeinen Bewusstsein legitimierter ‚Volksvertreter‘, sondern nur um ein Treffen von internationalen Geldbürokraten. Die Blamage hielt sich also in Grenzen. 

Auf Seiten der Weltbankkritiker wurden nun die schon weit fortgeschrittenen Planungen in die Wege geleitet, mit einer Modifikation: statt sich weiter den Kopf  über eine mögliche ‚Belagerung‘ des Gipfeltreffens zerbrechen zu müssen, wurde jetzt die Devise ausgegeben, dass im Anschluss an die gemeinsame Demonstration nun die Börse belagert, bzw. massenweise ‚besucht‘ werden sollte.

 Die generell weitverbreitete verkürzte Kapitalismuskritik eines Großteils der GlobalisierungskritikerInnen destillierte hier einmal mehr eine spezifische Form aus:

Da die ‚Hauptverantwortlichen‘ für die Misere dieser Welt unbedingt personell fixiert werden mussten, diese nun aber nicht mehr greifbar waren, sollte daher die örtliche Vertretung des ‚unproduktiven Kapitals‘ aufs Korn genommen werden. Weit davon entfernt die generelle Inwertsetzung von Mensch und Naturbedingungen durch Lohnarbeit und Kapitalakkumulation zum Angelpunkt einer radikalen Gesellschaftskritik zu nehmen und diese dann exemplarisch an den eigenen, tag-täglichen Lebensverhältnissen zu präzisieren, beließ man es lieber dabei, sich entweder auf den frommen Weihnachtswunsch von einer „Demokratisierung“ und „Humanisierung“ zu kaprizieren, oder aber, was selbst noch für weite Teile der antikapitalistischen Strömung zutrifft, gefiel man sich darin, abstrakt die eigene ‚Unversöhnlichkeit‘ mit dem „System“ kund zu tun. Worin diese aber besteht/bestehen könnte, ist wohl selbst den meisten Beteiligten immer nur als ein „mehr“ (demokratischer, solidarischer, egalitärer, etc.) der allseits herrschenden Phrasen vorstellbar.

Zwar gab es auch Versuche, die Debatte um ‚Globalisierung‘ auf einer kritischeren Ebene anzusiedeln (siehe Anhang: „Die Rückkehr der Kolonne Durruti“ und das „Manifest für Gratisgeld“), insgesamt jedoch versandete selbst im Spektrum der Hausbesetzer und der antikapitalistischen Strömung jede weiterführende Debatte im Zuge der allgemeinen Hektik der Organisationsvorbereitungen, bzw. konnte mangels Interesse nur im kleinen Kreis geführt werden. 

Auf der Straße

Als eine Art Vorlauf, bzw. Testfall für die zentrale Demonstration am 25.6. konnte eine Woche vorher ein „Reclaim the streets!“ – Umzug durch die Barceloneser Innenstadt angesehen werden:

Ca. 1000 ausgelassene DemonstrantInnen blockierten stundenlang zentrale Verkehrsadern in der Innenstadt, produzierten in einem öffentlichen Brunnen ein Pressefoto würdiges Nacktbadespektakel zu Techno-Klängen und Trommel-Rhythmen und enteigneten sozusagen „im Vorbeigehen“ an einem Messe-Bücherstand diverse Bücher und machten sich damit ein Gratisgeld-Geschenk. Andere TeilnehmerInnen wiederum verschönerten eine Edelboutique mit Sprühereien und chlorhaltigem Putzmittel, mit dem Hinweis darauf, dass diese Boutique nur anorexische Kleider im Angebot hat.

Auffallend war wieder die bis dato bekannte ‚Zurückhaltung‘ der Ordnungskräfte; nur am nächsten Tag konnte man in der Presse nachlesen, dass die oben erwähnten Aktionen besonders bei den konservativen Parteien wieder einmal einen empfindlichen Nerv getroffen hatten. Es erging ein Aufruf an die Ordnungshüter, dergleichen in einer Woche nicht noch einmal durchgehen zu lassen. 

Am 22.6. fand dann die Auftaktveranstaltung unter freiem Himmel im Zentrum von Barcelona statt, mit allerlei ‚Prominenten‘ (u.a. Susan George) und einigen Sprechern von ImmigrantInnen.

Von der TeilnehmerInnenzahl her nicht schlecht besucht, zeichnete sie sich aber dadurch aus, dass erstens trotz, bzw. wegen eines rhetorisch-kämpferischen Stils, die Inhalte einmal mehr auf der Strecke blieben und zweitens die antikapitalistische Fraktion durch ihre fast 100 prozentige Abwesenheit glänzte.

Den einzigen ‚Misston‘ in die allseitige Harmonie brachten bestenfalls noch Rufe nach „Papiere für alle!“ (papeles para todos) von Seiten der EmigrantInnen hinein, die sich in großen Teilen mit den erreichten ‚Kompromissen‘ nach den letzten Kirchenasyl/besetzungen immer noch nicht so recht anfreunden wollen. Der folgende Tag gehörte dann ganz den Diskussionsforen, die in intensivster Vorarbeit von den AktivistInnen auf das übliche Konsensniveau herabgebracht worden waren.

Zur gleichen Zeit tagten die beiden CNT-Fraktionen in einem anderen Stadtteil und hielten dort ihre antikapitalistischen Tage ab. Den Versuchen einer „Traurigkeitskommission“, die sich in die allgemeinen Vorbereitungen miteingeschaltet hatte und versuchte, durch diesen provokativen Namen und einem Kurzmanifest im Internet (und anderswo?) den rituellen Charakter der Veranstaltung und die platte Dichotomie von Freund und Feind in Frage zu stellen, waren ebenso wenig ein greifbarer Erfolg beschieden, wie einem schon Wochen vorher aufgetauchtem Flugblatt in Besetzerkreisen, dass dazu aufgerufen hatte sich nicht ‚globalisieren‘ zu lassen. 

Die ‚unitäre‘Demonstration am 25.6. auf dem Passeig de Gracia (Nobelallee mit vielen Banken und Boutiquen und Sitz der Börse) begann zunächst so, wie es auch allgemeiner Konsens selbst unter den Antikapitalisten war: es sollte ein festliches Ereignis sein, denn immerhin hatte man/frau ja auch etwas zum Feiern – die Buhmänner waren nicht gekommen.

Innerhalb der Demo-Vorbereitungskommission hatte man aber wohl doch dem offensichtlichen Frieden nicht ganz vertraut, bzw. vermutet, dass es wohl nicht nur eine Art des Feierns, nämlich ihre Ringelpitzmitanfassen-Form gibt. Händeringend wurde noch bis zuletzt nach AktivistInnen gesucht, die in Form von ‚künstlerischen Events‘ direkt vor der Börse und auch anderswo, jedwede ‚Spannungssituation‘ verhindern sollten. Die Demonstration hatte aber kaum begonnen, da krachten schon die ersten Schreiben – die Schaufenster der Deutschen Bank.

Während der Zug sich schon in Bewegung gesetzt hatte (ca.25.000), befand sich an dessen Ende ein Block mit ca. 100 ‚Tutte Bianche‘ (erst kurz vor der Demo ins Leben gerufen) und ein buntes Häuflein von allerlei Vermummten und Teilnehmern ohne besondere textile Kennzeichnung.

Im Verlauf der Demo Richtung Börse und nahe gelegenem Abschlusskundgebungsplatz krachte es dann noch öfters; so ziemlich alle auf dem Boulevard gelegenen Bankfilialen und Modeboutiquen wurden von einer relativ kleinen Gruppe von max.50 Personen entglast und mit diversen Sprühparolen bedacht. In der Nähe der Börse waren massive Polizeieinheiten mit modernstem Euro-Antiaufstandsmitteln (zum ersten Mal bekam man hier Wasserwerfer zu Gesicht) positioniert und die Börse selbst hermetisch mit Gittern und Polizeiketten abgeriegelt. Erst hier kam es zu vereinzelten Versuchen, sich mit der Polizei anzulegen, die aber von Demonstrantenseite selbst abgeblockt wurden. Unbehelligt erreichte der Zug den Plaza Catalunya, wo dann die Abschlusskundgebung stattfand. Aber auch hier waren starke Polizeikräfte konzentriert und diese änderten nun plötzlich ihre Taktik. Wie mittlerweile zweifelsfrei feststeht und durch Zeugenaussagen und Pressefotos belegt und dokumentiert, provozierte ein teilweise maskierter Trupp von Zivilpolizisten einen für viele bis dahin unbekannten brutalen Schlagstock- und Tränengaseinsatz in Kombination mit Gummigeschossen und löste die Abschlusskundegebung damit auf, die in voller Panik  auseinander lief.  Völlig unbeteiligte Passanten mussten um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten, Bilanz: ca.50 Verletzte und mehrere Dutzend vorläufige Festnahmen. Eine nachmittags angesetzte Extra-Demo der CNT wurde dann ohne viel Federlesens sofort aufgelöst und quer durch die Altstadt von knüppelnden Polizeitrupps bis zum Sitz der Anti-Globalisierungskoordinationstelle im Museum für zeitgenössische Kunst verfolgt. Es war wohl nur der massiven Präsenz von Presseleuten an diesem Ort zu verdanken, dass es nicht noch zu weiteren Prügelorgien, bzw. zur Zerstörung des Indymedia-Pressezentrums kam. 

Die für den folgenden Tag angesetzte Belagerung der Börse wurde daraufhin von den VeranstalterInnen abgesagt, es kam nur noch zu einigen symbolischen Aktionen (u.a. eine Versammlung vor dem Polizeirevier, in das die Festgenommenen gebracht worden waren) und naturgemäß war der Polizeieinsatz, bzw. die Sachbeschädigungen nun das Tagesthema. Auffallend dabei, die fast durchwegs ‚positive‘ Berichterstattung der Presse über die Demonstration und die Denunziation der Polizeiübergriffe und Provokationen und nicht die übliche Hetze gegen die ‚Gewalttätigen‘. Ob da wohl der Polizeiknüppel und die Tränengasschwaden unerwartete pädagogische Effekte bei den anwesenden Presseleuten hervorgerufen hatten? Die Polizei und die ihr übergeordnete Behörde (das Madrider Innenministerium vertreten durch ihre lokale ‚Zivilgouverneurin‘) rechtfertigten natürlich ihr Vorgehen mit dem Hinweis auf die Aktionen der ‚Entglaser‘ und mit der ‚technischen‘ Unmöglichkeit, diese schon während  der Demo zu verhaften, da sie sich mit den anderen DemonstrantInnen so vermischt hätten, dass eine klare Trennung von ‚Gewaltbereiten‘ und ‚Friedlichen‘ nicht machbar gewesen war.  Die Polizeiprovokation auf der Kundgebung, sowie das Mitmischen von getarnten Zivilpolizisten bei den Entglasungsaktionen wurde natürlich geleugnet, immerhin mussten sie aber zugeben, dass es zur ‚normalen‘ polizeilichen Aktivität gehört, selbst unter den Vermummten präsent zu sein.  Offizieller Anlass für den brutalen Einsatz sei ein Angriff von Vermummten auf  die am Abschlusskundgebungsplatz stationierten Polizeikräfte gewesen, sowie der Versuch, das dort gelegene Makro-Kaufhaus „El Corte Inglés“ zu beschädigen.

Dem widersprachen vehement alle von der Presse und von Einzelpersonen geäußerten Beobachtungen, sodass selbst bis in die politische Parteienlandschaft hinein, die Einsetzung einer Untersuchungskommission gefordert wurde, um diesen „unangemessenen“ Polizeiansatz zu untersuchen. In den Pressekommuniques der Globalisierungskritiker tauchte, rhetorisch nicht ungeschickt, dann auch nur noch die Polizeiprovokation auf, die übliche Distanzierung von aller ‚Gewalt‘, von wem sie auch kommen möge, trat damit in den Hintergrund und zumindest für ein paar Tage sah es so aus, als hätten die Ordnungshüter ein Eigentor geschossen und würden sich in der Defensive befinden. Eine Woche später gelang es dann noch einmal ca.5000 Personen für eine Soli-Demo für die noch Inhaftierten und gegen die zunehmende Polizeibrutalität zu organisieren. 

2:0 also für die GlobalisierungskritikerInnen in Barcelona?

Auch in diesem Falle mag der bloße Augenschein trügen und ein Blick hinter die Kulissen von Interesse sein: Wie weiter oben schon angedeutet, gibt es in Spanien eine spezifische Polizeistruktur.

Der Madrider Innenbehörde untersteht direkt die „Nationale Polizei“, die im ganzen Staatsgebiet operiert und vornehmlich nur in Städten eingesetzt wird. Dazu kommt dann noch die berüchtigte „Guardia Civil“, ein paramilitärischer Polizeikörper vor allem auf dem Land, mit eigener Militärgerichtsbarkeit. In den Städten tummelt sich dann noch jeweils die „Guardia Urbana“, die den jeweiligen Rathäusern unterstellt ist und die bspw. in Barcelona auch über eigene Bereitschaftspolizeitruppen (aber ohne größere Knüppelerfahrung) verfügt. In Euskadi und Katalonien kommt  noch die jeweilige autonome Polizei hinzu, die aber in Katalonien noch mit beschränkten Befugnissen arbeitet und erst im Aufbau begriffen ist (als Ersatz für die Guardia Civil und als Objektschutzpolizei); sie untersteht der Regionalregierung. Bei allen größeren Demonstrationen kommt in den Städten vorwiegend nur die Nationale Polizei zum Einsatz, die außerdem über berüchtigte ‚Sondereinheiten‘ verfügt. Zurecht wurde bei den Demovorbereitungen auf einer Internetseite daraufhingewiesen, dass die spanische Polizei (etwa im Vergleich zur deutschen) kaum Erfahrung mit Greiftrupps, Kesseltaktik, Spalierspießrutenlaufen, Videoüberwachung und dergleichen Feinheiten polizeilicher Technik hat, sondern eher ‚Grobes‘ bevorzugt: Draufknüppeln und/oder sich die „gefährliche Menge“ mit Distanzwaffen vom Leibe halten (Gas und Gummigeschosse). Insofern sind den offiziellen Polizeiverlautbarungen durchaus Glauben zu schenken, dass sie nicht in der Lage waren, zum „vorgesehenen Moment“ einzugreifen, bzw. die dafür notwendige Provokation zu starten (wahrscheinlich kurz vor der Börse, wo sich die Haupteinsatzkräfte befanden). Da nun aber der angerichtete Sachschaden förmlich nach einer Dingfestmachung von ‚Tätern‘ schrie, musste man eben so tun als ob... auch auf die Gefahr hin, gerade den ‚Friedlichen‘ eins überzuziehen. Dass dies dann aber so plump und offensichtlich geschah, lag tatsächlich  an den oben beschriebenen ‚technischen‘ Beschränktheiten der hiesigen Polizeikräfte. Nicht von ungefähr ist es dann wohl einem Herrn Schily im Gefolge von Genua, Stockholholm, etc. in den Sinn gekommen, lautstark nach einer europaweiten inneren Eingreiftruppe zu schreien, die mit solcherlei „Unprofessionalität“ aufzuräumen weiß – wie gehabt: am teutschen Wesen soll die Welt genesen.

Gleichzeitig sollte aber nicht vergessen werden, dass die  National-Polizei in Barcelona, bzw. ihre Vorgesetzten in Madrid durchaus ihre Gründe hatten ein paar ‚Denkzettel‘ auszuteilen:

Zum einen war die Zivilgouverneurin in Barcelona schon öfter ins Schussfeld der Kritik geraten, gerade was ihre Methoden gegenüber HausbesetzerInnen und EmigrantInnen angeht, sie gilt als Hardlinerin und ist wohl mit Leib und Seele eine eifrige Verfechterin der „Zero-Tolerance“.

Diese Haltung ist nun aber, wenn auch nicht total entgegengesetzt, so doch genügend konträr zu der bisherigen der Rathausoberen, die eher geneigt sind, sich ein liberales Image zu verpassen und flexibler mit der „öffentlichen Ordnung“ umzugehen. Nimmt man nun noch die nie endenwollenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen Zentral- und Regionalregierung (als Vertreter eines wenn auch gemäßigten „peripheren Nationalismus“) und die zwischen Rathaus und Regionalregierung hinzu, dann ergibt sich ein etwas komplexeres Bild: Es ist nicht auszuschließen, dass die Madrider Behörde von vornherein ein Signal sowohl in Richtung DemonstrantInnen als auch in Richtung Rathaus und Regionalregierung setzen wollte, nach dem Motto: „Der Herr im Haus sind wir und außerdem sind wir es unserer Wahlklientel gerade auch in Katalonien schuldig, endlich mal ein Machtwort in Sachen „Sicherheit und Ordnung“ auszusprechen, da augenscheinlich weder Rathaus noch Regionalregierung dafür die nötige Garantie bieten. Es muss endlich Schluss sein mit von Eta inspirierter Straßengewalt (sprich Hausbesetzer) und straflosen Kirchenbesetzungen illegaler Hungerleider (sprich EmigrantInnen)!“ Schlussendlich stehen außerdem bald Regionalwahlen an, in denen sich die katalanische PP nicht unberechtigte Hoffnungen machen kann, am rechten, gemäßigteren Rand der  bestehenden katalanistischen Regierungskoalition CiU/CDC Wahlstimmeneinbrüche zu erzielen.

Ein gerütteltes Maß von innerer Eigendynamik bei der National-Polizei, die gerade in Katalonien eher geduldet denn herzlich begrüßt wird (ihr Hauptkommissariat ist vielen noch deutlich als Folterzentrum aus frankistischen Zeiten in Erinnerung) und sich oft aus ‚auswärtigen‘ Polizisten zusammensetzt und die wohl in letzter Zeit desöfteren ihre ‚Probleme‘ gerade mit der relativen ‘Duldung‘ der Hausbesetzer hatte, wird man ebenso wenig außer Acht lassen dürfen wie die jedem Polizeikörper inhärente allgemeine Verselbständigungsdynamik, sich von politischer Kontrolle unabhängig zu machen. Für letzteres spricht u.a. ein rechtlich völlig ungedeckter Polizeiüberfall (aber nicht der erste seiner Art) während des Genua-Gipfels auf eines der emblematischsten besetzten Häuser in Barcelona – das „Casa de la Montaña“ (die sozialen Zentren waren auch schon  vor dem abgesagten Weltbankgipfel bevorzugtes Ziel polizeilicher Ermittlungs- und Repressionsmaßnahmen als potentielle Treffpunkte der „Gewalttäter“).

In wüstester Landsknecht-Manier wurde den dort wohnenden AktivistInnen handgreiflich vorgeführt, dass man sie, die Gunst der Stunde nutzend (die Polizei waren gerade dabei, ein in der Nähe liegendes anderes besetztes Haus ‚legal‘ zu räumen), schon seit längerem als „Chaoten“ in der Kartei hat und dass man diese auch mit nicht ‚rechtsstaatlichen‘ Mitteln zu aktualisieren weiß. 

Insgesamt aber, vor allen Dingen nach den Erfahrungen von Stockholm und Genua, lassen sich international , unabhängig von der politischen Couleur der jeweils Regierenden, mindestens ähnliche Reaktionsmuster auf die anwachsende Anti-Globalisierungsbewegung feststellen, insofern ist da Barcelona kein Sonderfall: Wenn schon nicht offen verbieten (selbst diesen Versuch startete man, wegen Formfehler dann aber juristisch abgewiesen, kurz vor dem 25.6.) , so doch sie soweit terrorisieren, dass Teilen von ihnen die Lust am Demonstrieren vergeht, bzw. sie sich gemäß dem Prinzip „Teile und Herrsche“ in das Schema von ‚Friedlichen‘ und ‚Gewalttätigen‘ pressen lassen, Entsolidarisierung also als Vorbedingung für gesellschaftliche Anerkennung und Aufnahme in den politischen Zirkus als ernstzunehmende ‚Verhandlungspartner‘. Gerade in Spanien gibt es da jede Menge Erfahrungen, wie die bis dato sehr erfolgreiche ‚zivile‘ und polizeiliche Mobilisierung gegen Eta und Umfeld und seit neuestem die verstärkten Bemühungen, gerade Teile der Hausbesetzer bzw. GlobalisierungskritikerInnen in den gleichen Terrorismussack zu stecken, gezeigt haben. 

Inwieweit es schon, spätestens seit Prag, europa-, bzw. weltweite Absprachen und Koordinationen der jeweiligen Polizeibehörden in dieser Richtung gibt, läßt sich wohl immer erst im Nachhinein belegen, nichtsdestotrotz ‘outete‘ Innenminister Schily mit seinem Ruf nach einer europaweiten inneren Eingreiftruppe nicht nur sein urteutsches Gemüt, sondern sprach wohl vielen seiner Eurokollegen aus der Seele, zumal die Embryonalformen solch einer Landsknechtschaft seit Schengen schon längst nicht mehr nur leeres Papier geblieben sind: Der beschleunigte Ausbau einer „Europol“ (gegründet schon 1995) ist spätestens seit dem Gipfeltreffen der europäischen Polizeibehörden am 2.2.2001 in Madrid(!) in vollem Gange. Spanien kommt dabei schon seit Jahren eine Vorreiterrolle zu. Mit einem der härtesten „Antiterroristen-Gesetze“ ganz Europas bewaffnet, langer Tradition und Erfahrung im Aufbau paramilitärischer Gruppen (GAL), Infiltration von Agenten in ‚subversive Zusammenhänge‘ und einer nach wie vor bestehenden Folterpraxis haben sie es sich nicht nehmen lassen, diese Gesetze mittlerweile auch auf Jugendliche ab 16 Jahren anzuwenden und seit neuestem europaweit „den Terrorismus im Zusammenhang mit anarchistischen Gruppen“ zu ‚erforschen‘. 

Ausblick

Die aktuellen Repressionsmaßnahmen nur in Verbindung mit einer sich ausbreitenden, in erster Linie ‚nur‘ im symbolisch-moralischen Bereich operierenden Antiglobalisierungsbewegung zu sehen, wäre aber, angesichts eines zunehmenden ‚Modernisierunskollapses‘ und der daraus erwachsenden Unsicherheiten und Gefahren für die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, ein zu beschränkter Blick. 

Speziell in Spanien, als immer noch nachzügelndem Mitglied der  EG, stehen in nächster Zukunft gravierende soziale Veränderungen an, die über das ‚normale‘, in Deutschland bekannte Maß von Prekarisierung, sozialer Verelendung und Ausgrenzung und daraus resultierender ‚Spontangewalt‘ in ihren widersprüchlichsten Formen schon jetzt - und in Zukunft noch mehr – hinausgehen (werden). 

Hierzu zum Abschluss nur einige Stichpunkte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

 Ø       Aktuell eines der Länder mit höchstem Prekären-Anteil bei Beschäftigten (v.a.D. Frauen und Jugendliche) in EG
Ø       sklavenähnliche Arbeits- und Lebensverhältnisse für viele EmigrantInnen
Ø      
Beschäftigung, nach kurzer „Boomphase“, wieder rückläufig
Ø      
akute Wohnungsnot und immense Immobilienpreisentwicklung
Ø      
nicht geringer werdender technologischer Abstand zu den Euro-Kernländern und dadurch produziertes wachsendes Außenhandelsdefizit, sprich Schwächeln der Staatsfinanzen
Ø      
Krise traditioneller Wirtschaftssektoren (Landwirtschaft, Fischerei, u.a.) durch vermehrte Billigkonkurrenz und Lebensmittelvergiftung (u.a.Schweinepest)
Ø      
Drohender Verlust von Eurogeldern, vor allem durch Euroosterweiterung, auf denen aber ein Gutteil des vergangenen ‚Wachstums‘ und ‚Modernisierung‘ beruhte.
Ø      
Krise der großen lateinamerikanischen Länder trifft Spanien sehr direkt, da ihre wenigen Multis (Banken, Telefongesellschaft) gerade dort investiert haben
Ø      
erster  Anlauf eines „Volksaktionärskapitalismus“ durch Krise in „neuem Markt“ und in LA vorerst gescheitert>Vernichtung von Sparvermögen
Ø      
ungebremste Privatisierung ehemals staatlicher Dienstleistungen>Verteuerung, Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, verstärkte ‚Pannen‘ bei Versorgung (Gesundheit, Erziehung, Elektrizität, Wasser)
Ø      
Klimaveränderung gefährdet besonders Küstengebiete (wo sich Bevölkerung und Wirtschaftsaktivitäten konzentrieren) und in Spanien speziell: treibt Versteppung im Inland voran
Ø      
zunehmende politische Querelen zwischen verschiedenen und sehr ungleichmäßig ‚entwickelten‘ Regionen (bzw. ‚Nationalitäten‘) über Verteilung von Ressourcen (Geld und Wasser) mit zunehmendem Unmut (z.B. Massendemonstrationen gegen nationalen Wasserplan)
Ø      
traditioneller Konflikt zwischen zentralem Nationalstaat und periferen Nationalismen (Euskadi und Katalonien) nur vorübergehend ‘stillgelegt‘, kann bei entsprechender politischer und wirtschaftlicher Konjunktur verschärft wieder auftreten

Zu all dem konnten die GlobalisierungskritikerInnen auch in Spanien bisher relativ wenig sagen, konzentrierte sich ihre Kritik bisher doch hauptsächlich auf Auswirkungen in den absoluten Verliererländern des neuesten Schubs kapitalistischer Durchdringung des Globus. Die Verhältnisse vor der eigenen Haustür dagegen wurden nur allzu oft als das im Grunde Erstrebenswerte für die dortigen Opfer empfohlen, bzw. diese sollten bestenfalls einer leichten Kurskorrektur mit den allseits bekannten Mitteln (mehr) Geld und (mehr) Demokratie unterzogen werden. Es verwundert daher nicht, dass die Hauptvertreter dieser Richtung, nämlich ATTAC, zunehmend von den etablierten Parteien (vgl. Sozialisten in Frankreich) und internationalen Institutionen umworben werden, erkennt man doch bei ihnen noch am ehesten Fleisch vom eigenen Fleische. Im Grunde ist schon jetzt überdeutlich sichtbar, dass sie auch in Spanien der bevorzugte Gesprächspartner sein werden, ob nun Tobin-Steuer oder Besteuerung der Waffenexporte (Idee französischer Sozialisten), ihre Integration in den herrschenden Konsens ist allein schon durch die absolute Harmlosigkeit ihrer Forderungen eine ausgemachte Sache.  

Komplizierter gestaltet sich das Verhältnis bei dem eher auf einen moralisch-ethischen Impetus setzenden Teil der Bewegung. Nicht zuletzt war es ihm zu verdanken, der die herrschenden Institutionen in Legitimationsnöte getrieben hat und diese ‚zwang‘ sich einer ‚öffentlichen‘ Debatte zumindest dem Schein nach zu öffnen. Die Grenzen dieses Vorgehens sind aber – nicht erst seit Genua – voraussehbar. Von den herrschenden Institutionen und der eigenen Logik nach zur ‚Konkretheit‘ gezwungen, wird auch bei diesem Teil der Bewegung der jetzt noch bestehende Überschuss an „Utopischem“ (eine Welt ohne Kriege, Hunger und ethnischer und patriarchaler Ausgrenzungen) sich entweder in pseudokonkrete wirtschaftsdemokratische Rezepte aus der Mottenkiste der alten Sozialdemokratie und des verblichenen Keynsianismus verwandeln, oder aber sich zum zynischen Begleiter staatlicher Elendsverwaltung mausern, wie dies gerade die bundesdeutschen Grünen in In- und Außenpolitik vormachen.

Spätestens im März 2002, auf den geplanten Gipfeltreffen - u.a. auch in Barcelona  - der EU in Spanien (es hat dann den Vorsitz) wird sich zeigen, inwieweit gerade in antikapitalistischen Zusammenhängen, die Auswertung der Ereignisse in Barcelona und auch in Genua zu einem koordinierteren und, warum nicht, auch intelligenteren Vorgehen führen wird. Aktuell sieht es eher ein wenig danach aus, dass sich vorerst mal wieder vieles zum x-ten Mal auf eine ‚Antirepressionstanzveranstaltung‘ hinbewegt.  

Antikapitalismus?

Was ist das eigentlich? Sind es nicht eigentlich gerade Gruppen innerhalb des Anti-Globalisierungsspektrums mit einer solchen Selbstkennzeichnung gewesen, die wahren Vorantreiber der Bewegung, ohne deren ‚militante‘ Aktionen die ‚Bewegung‘  schon längst von der (zumindest Medien-)Bildfläche verschwunden wäre, bzw. in die traditionellen Parteien und die ausschließlich karitativen NGOs integriert worden wäre? Schwierige Frage, aber leider fallen durch ein So-Fragen viele wesentliche Elemente einfach unter den Tisch, z.B.:

Ø       worin unterscheiden sich viele Antikapitalisten eigentlich von der moralisch-ethischen Fraktion, außer in der „Entglasungsfrage“und ihrer mehr martialischen Verkleidung (Kampfrhetorik und dazugehörige Textilien)?

Ø       Sind nicht ihre antikapitalistischen Diskurse oft genauso abgedroschene Phrasen, deren inhaltlicher Gehalt genauso viel oder wenig mit den aktuellen Verhältnissen, bzw. deren Überwindung zu tun hat wie dies bei den anderen Fraktionen der Fall  ist?

Ø       Beschränkt sich ihre Agitation nicht auch in den meisten Fällen auf eine bloße Aufzählung von schlimmen Fakten, die angeblich schon für sich selbst sprechen, ohne sich der Mühe von umfassenderen Analysen zu unterziehen, geschweige denn die Beschränktheit positivistischer ‚Aufklärung‘ beim Adressaten (wer immer das auch sein mag) in Rechnung zu stellen?

Ø       Entstammen nicht trotz  diverser ‚Dekonstruktionsversuche‘ noch jede Menge Diskurselemente gerade der ‚Militanten‘ einfach nur der ‚heroischen‘ Phase der III.Internationale, dh. des militanten Sozialdemokratismus (z.B. Kapitalismus als Verschwörung, bzw. Privilegiensicherung der oberen Zehntausend gegen den Rest der Menschheit) ?

Ø       Hat nicht die Pseudokonkretheit von ‚militanten‘ Aktionen nicht etwa den gleichen Effekt wie die der Geldpfuscherapologeten und Demokratisierungsfans, nämlich die, ein soziales Verhältnis auf Personen, bzw. Institutionen zwangsreduzieren zu wollen mit der darin eingeschlossenen Gefahr, Weltverschwörungstheorien à la Antisemitismus einen leichten Anknüpfungspunkt zu bieten?

 Viele Fragen (rhetorischen Charakters) und wahrscheinlich doch keine homogenen, allgemeingültigen Antworten . Im Anhang zwei Dokumente, die je auf ihre Art versuchen, auf einige der obigen und andere Fragen eine, wenn auch nur vorläufige Antwort zu geben, bzw. eine Problematisierung darstellen und in jeweils verschiedenen Diskussionszusammenhängen hier in Barcelona entstanden sind: „Die Rückkehr der Kolonne Durruti“ und das „Manifest für Gratisgeld“ 

Das erste Dokument entstand direkt zu den Debatten innerhalb der antikapitalistischen Fraktion zur Vorbereitung der Demo am 24.6.

Das zweite ist schon etwas älteren Datums und stammt aus einem schon seit Jahren bestehendem Zusammenhang, der in jüngster Zeit mit diversen, der  „Kommunikationsguerilla“ entlehnten Initiativen ans Licht der Öffentlichkeit getreten ist. Mehr Infos dazu unter: www.sindominio.net, >Oficina 2004/Dinero gratis

Noch eine letzte Bemerkung zum dort gebrauchten Konzept „Gratisgeld“:

Trotz früherer Zweideutigkeiten ist wohl für jeden ersichtlich, dass es sich hier nicht um die auch bei bundesdeutschen Linken so beliebte Forderung nach einem Existenzgeld oder dergleichen geht.

Der Ansatz ist ein ganz anderer (soweit ich ihn kapiert habe): Ausgehend von einer überall präsenten ‚Obszönität‘ des Geldes, das unser aller Leben durchherrscht, ist dessen Macht evtl. nur dadurch beizukommen, in dem man es selbst ‚überbietet‘. Dies soll mit dem (offenkundigen) Paradoxon ‚Gratisgeld‘ geleistet werden. Zentral ist dabei das  Verständnis des Geldes als „Code“ und nicht (wie in der wertkritischen Analyse im Gefolge von Marx) als ‚Realabstraktion‘.

Wer mehr wissen will, lese halt einfach mal nach. 

Hier noch einige nützliche links zum Thema ‚Antiglobalisierung‘ in Spanien: 

  Ø       www.nodo50.org/barcelonatremola/
Ø      
www.barcelona.indymedia.org
Ø      
http://habitat.aq.upm.es/boletin/n15/arfer.html
Ø      
http://www.nodo50.org/reclaim/home2.htm
Ø      
http://www.pangea.org/mrg/
Ø      
http://www.nodo50.org/bcn01/
Ø      
http://www.alasbarricadas.net/bcn2001/

Barcelona, den 8.9.2001

ANLAGE 1

Manifest für Gratisgeld  

Bereits vor langer Zeit ist der Himmel herabgestürzt. Bereits vor langer Zeit hat die Nacht von uns Besitz ergriffen und wir sind zur Nacht geworden. Ich sehe das Licht des Nachbarn erleuchtet und weiß niemals, wer er/sie ist. Die Kritik an der Arbeit war immer eine essentielle Achse der gesamten Politik, die subversiv sein wollte. Die Kritik ging immer von einem bestimmten Ort aus: eine andere Form der sozialen Organisation, ein anderes Leben... Jetzt hat uns der Ort verlassen. In der Tat, viele haben uns verlassen. Nur die Hoffnung blieb nach wie vor bei uns. Sie mußten wir abtöten. Danach fühlten wir uns leichter und wir konnten den Flug beginnen. Den Flug direkt in Richtung eines Horizontes, wo es Wasser gibt. Und eines Horizontes, wo es Feuer gibt. Feuer und Wasser, um diese Welt zu zerstören. Tatsächlich verdient es diese Welt nur zerstört zu werden, damit mein Lebenwollen möglich ist, das unser Lebenwollen ist. Die Politik der Nacht ist kein Lichtstrahl in der Dunkelheit: sie ist eine Schlange, die auf der Lauer liegt, zum Angriff geeignet, weil sie in keinem Moment aufgehört hat anzugreifen. Dich zum Beispiel. Deine Sicherheiten, die der Sauerstoff deines Blutes sind, der dein Herz schlagen lässt. Deine Wahrheiten, die Papierschiffe sind, die in deinem Gehirn umhersegeln, immer kurz davor unterzugehen. Deine Lieben, die nichts weiter sind als eine lächerliche Fotografie eines Sonnenuntergangs. Die Politik der Nacht verspricht nichts, was du nicht bereits wüsstest. Nein, wir sterben nicht am Leben. Unser Leben ist ein Abenteuer in einem Freizeitpark. Wir wissen, wann es begann und welches Ende es nehmen wird.  In dieser Welt ist das einzige Abenteuer, unser Lebenwollen herauszufordern und diese Welt zu zerstören. Eine Welt, die keiner Träne würdig ist/ keine Träne verdient. Weil die Wirklichkeit zu widerlich ist. Unter ihren Achselhöhlen breitet sich eine nicht enden wollende Vorstadtsiedlung aus, die einen Fluss von stinkendem Schweiß in das Meer erbricht. Zwischen ihren Beinen findet ein nie endender, grausamer Krieg statt: alle gegen alle. Während von oben Gott lacht und ab und an jemanden mit seinen Händen hinabstößt. Nach unten. Bis er in seiner eigenen alltäglichen Misere versinkt und nicht mehr atmen kann. Die verfaulten Kadaver bleiben der Sonne ausgesetzt und in ihnen wimmelt es voller Fliegen. Im Herzen/ Im Arsch der Hölle, wo niemand aus der Erstarrung erwachen kann, arbeiten wir bei Neonlicht. Lebend sterben wir während eines Tages der kein Ende hat. Wir proben den Tod. Seit Jahrhunderten haben wir nicht mehr den feuchten Luftzug gespürt, der die Äste des blühenden Mandelbaums bewegt. Es gibt kein Draußen. Nur diese obszöne Realität, die nichts versteckt. Wir selbst sind von der Angst verschlungene Schatten, die auf der Suche nach einem Freund spazieren gehen. Die Angst ist die Botschaft. Die Realität ist obszön, weil sie nicht aufhört, Geld zu fressen. In ihre Vagina stecken wir Münzen, um ein wenig Ruhe hinsichtlich der Zukunft zu haben. Es fällt uns schwer zuzugeben, dass es keine Zukunft gibt. Die Realität scheißt Geld und wir laufen eilends herbei, die Brotkrümel zu suchen. Wann wagen wir es, ihr ihre eigene Niederträchtigkeit entgegen zu schleudern?  

Die Ökonomie ist ein großes Kasino,  
in dem das Roulette entscheidet, Minute für Minute, den Preis des Lebens  
Und ich, jeden Tag verschiebe ich meinen Tod,
während der Nasdaq - Index fällt  
wie auch der Fahrstuhl.  
Wenn ich doch nur eines Tages endlich den Grund erreichen/ankommen könnte!

  Die Freiheit ist ein Gefängnis am Rande des Meeres  
Wenn alles mich fesselt,  
Wenn die Tür, die sich öffnet, nicht nach draußen führt,  
Wenn meine Träume Alpträume sind, die kein Ende haben,  
Wenn das einzige Fenster, das ich habe, der Fernseher ist. Warum habe ich es gekonnt?  
Von woher habe ich die Kraft genommen, um es zu denken? 

Gratisgeld

Das Geld ist ein Code: Geld haben/kein Geld haben. Dieser Unterschied lässt die Wiederholungsmaschine, genannt Realität, funktionieren. Nichts entkommt dieser Differenz, alles wird zu ihr zurückgeführt...und so (re)produziert sich die Geldordnung, d.h. die Ordnung. Und nichts passiert, nie passiert etwas. Die Gewalt des Geldes schließt aus und zwingt zur Arbeit. Das Gratisgeld dagegen blockiert diesen Code und greift die Realität an. Das Gratisgeld ist eine lebende Münze. Es ist eine Münze, weil es das Ergebnis eines seltsamen Austausches darstellt: Enteignung von Waren, Umleitung der Kapitallogik...Lebend, weil es durch die Art und Weise, wie wir es uns geben, einen Sieg darstellt gegen die Angst und gegen die Einsamkeit. Als lebende Münze, die es ist, unterwirft sich das Gratisgeld niemals dem Code. Deshalb fordert man es nicht, man setzt es durch. Genauer: wir geben uns Gratisgeld. Und wir können das immer machen, auch wenn wir Gefangene unser selbst sind. Obwohl wir es nicht sehr gut erklären können, so langt es doch, es zu wollen. Der Augenblick, den ich dir anbieten will, ist ein transparenter Stein aus Licht, der kein Geräusch verursacht, wenn du ihn in den See wirfst. Aber diesen Augenblick gibt es nicht. Ich kann dir nur Gratisgeld geben. Geliebte/r, nimm meine Hand! Die Erfahrung des Gratisgeldes erzeugt Schmerzen. Aber welche Erfahrung, die authentisch ist, ist nicht  schmerzhaft? Die lebende Münze schreibt sich in unseren Körper ein, aber sie macht uns auch mutiger und auch freier. Sie erbricht das Sein, das wir sind. Ich möchte mich nicht gern entfernen. Fliehen wir dahin, wo ich dir in die Augen blicken kann. Lassen wir nichts zurück, außer diesem unseren Leben, das außerstande ist, uns zu folgen. Der Stein, der von der Kälte verletzt ist, wird uns die Antwort nicht geben können. Das Geld stinkt nach Tod. Und weil es tot ist, ist es akkumulierbar. Das Gratisgeld befreit uns von dem Geld. Der Himmel ist herabgestürzt und verheddert sich zwischen meinen Beinen, damit ich nicht mehr gehen kann. Wenn die Realität verrückt geworden ist, müssen wir wahnsinnige/rasende/maßlose Konzepte erfinden. Das Gratisgeld gehört uns nicht: es ist allen und gleichzeitig niemandem. Es ist ein Schrei des Ekels gegen die Welt. Es ist ein Kriegsruf gegen diese Welt. Es ist der Schrei des Lebenwollens.

ANLAGE 2

Der folgende Text erschien während der Vorbereitungen der antikapitalistischen Wochen im Vorfeld des geplanten Weltbanktreffens in Barcelona. Diese waren Ausdruck der Mobilisierung radikaler Zusammenhänge rund um die besetzten sozialen Zentren. Ziel war es, jenseits des offiziellen Termins im Juni, zusammen zu kommen und zu versuchen, eigene Inhalte in Abgrenzung zu den reformistischen Bündnisaktivitäten nach innen zu formulieren und nach außen zu tragen. In etwa einem Dutzend Arbeitsgruppen wurden Aktionen und Diskussionen zu Themen wie Hausbesetzung, Arbeit, Gender, Zivilgesellschaft, Ökologie, Erziehung usw. veranstaltet, mit mehr oder weniger bescheidener Außenwirkung.

Dieser Text bezieht sich neben seinen allgemeinen Aussagen konkret auf das Ansinnen einzelner Zusammenhänge, am 1. Mai eine „reale Konfrontation“ zu beginnen.

Die Wiederkehr der Kolonne Durruti
Barcelona, April 2001 

Der Kalender der im Weltraum verlorenen Astronauten der Globalisation erfordert aufs Neue unsere Aufmerksamkeit. 

Diesmal ist es im Juni an Barcelona, dem Ort der Olympischen Spiele `92, das Banquette für einige hundert Aparatchiks der Weltbank vorzubereiten, samt ihrem noch umfangreicheren Anhang von Sicherheitsspezialisten, Wortverdrehern und roboterhaften Kopfzerbrechern. 

Die andere Seite, jene der Professionellen des Antiglobalisationsspektakels, bereitet mit Eifer ihre Inszenesetzung vor: Seminare, Gegengipfel, pazifistische Demonstrationen für die Steuerung, Falsifikation und Destruktion jeglicher möglichen Möglichkeit von Bewegung jenseits eines Reformismus innerhalb des Rahmens des herrschenden Systems – aber schauen wir mal... 

Wo sind wir? 

Die subversive “Szene” der besetzten sozialen Zentren in Barcelona ist eine noch sehr junge Blüte im metropolitanen Dschungel, sie hat sich langsam und mit Vorsicht während der vergangenen Dekade verbreitet. Es gab Momente der Schönheit, beleuchtet von der mediterreanen Sonne mit einem Lächeln und  frustige Tage des Nebels – aber es gab keine lange dunkle Nacht.

Ausgehend von einigen besetzten Häusern wurde begonnen, sich mehr in das „Soziale“ einzuflechten. Das “Cínema Princesa” (ein großes soziales Zentrum, das mehrere Monate des Jahres `96 im Herzen Barcelonas existierte) eröffnete die Metamorphose in soziale Zentren (von denen zur Zeit ca. 15 bis 20 existieren), das “2. Encuentro” (das zweite internationale Treffen gegen den Neoliberalismus `97) erweiterte den Blick auf Orte jenseits der metropolitanen Realitäten, “Trenquem el silenci” (soziale Kampfwoche „Durchbrechen wir das Schweigen“ `99) markierte eine radikale Orientierung der Kampagnen gegen die Misere und Prekarität ... außerdem gab es in den letzten Jahren mehrere Versuche der Wiederaneignung von Geschichte und der Suche nach Referenten aus der Autonomia, Solidaritätskampagnen mit den kämpfenden Gefangenen, Verbindungen mit den Papierlosen und dem Beginn einer Ausweitung der Gegeninformation ... Es existiert mehr Infrastruktur und Wissen über die Stadt: das Barcelona des Jahres 2001 ist nicht vergleichbar mit dem Barcelona `92, die radikale Szene ist in der Lage zu stören! 

Wer sind wir? 

Mit Sicherheit können wir das nicht in einigen Phrasen ausdrücken – das wird immer zu oberflächlich bleiben, jedeR von uns ist eine kleine Welt für sich. Was uns eint, ist eine Art radikaler Suche jenseits vom kapitalistischen und sexistischen System. Wir wollen weder Hierarchie noch Nation, wir widersetzen uns dem Rassismus und Antisemitismus – wohlwissend um die Widersprüchlichkeiten bis in uns selbst hinein. Wir kritisieren grundsätzlich die Konzepte des Wertes, der Zeit und des Geldes. Wir haben keine Lust zu arbeiten, nicht eine Minute in unseren Leben. Wir wollen die Liebe, das Vergnügen, die Kostenlosigkeit und den Potlatch ...

Du kannst dir vorstellen, daß wir mehr Fragen als Antworten haben. 

Was wollen wir? 

Uns würde die Kreation tausender  Kolonnen Durrutis gefallen und die Wiederanknüpfung an die umherschweifenden Träume der Amazoninnen, verstehst du? Mit anderen Worten: Wir wollen alles und jetzt!  

Wo ist der Weg? 

JedeR kann und sollte bei sich selbst anfangen, mit dem Wissen darum, daß wir ohne Kollektivität und soziale Bewegung begrenzt sind, die Welt in uns zu kreieren.  

Die Antiglobalisationspiste: Nach Seattle haben die Professionellen der Fälschung eine Art Mythos von einer “Bewegung des globalen Widerstandes” ersonnen. Sie haben damit begonnen, Autobahnen und Hochgeschwindigkeitstrassen zu schaffen für ihr Denken von einem etwas gerechteren und besser kontrollierbaren Kapitalismus. Sie beziehen sich mit ihren Reformwünschen auf einen öffentlichen Sektor innerhalb der Gesellschaft. Sie haben Diskurse geschaffen, die von “Alternativen” bis zum Pseudoradikalen reichen und dabei jegliche profunde Kritik an den Pfeilern des Systems vermieden. Die theoretischen Fundamente des neuen Reformismus sind die Konzepte der Citoyenne (der Zivilgesellschaft) und des Kommunitarismus (1). Von den Mafias der linken Parteien und mehr oder minder großen Gewerkschaften, den Militanten der trotzkistischen Gruppen, den “ATTAC’s” , “MRG’s” (movimiento de resistencia global) bis hin zu wohlwollend intentionierten Leuten, wollen sie uns ihren echt geilen Weg des Kampfes verkaufen. Während sie politischen Nutzen aus den Straßenkämpfen ziehen, bieten sie sich als Transmissionsriemen des Kampfes an – das Kapital erfindet nicht, es eignet sich an! 

Wir müssen diese vorbereiteten Pisten verlassen, um die Kritik an den Fundamenten des Systems zu finden und einen diffusen und subversiven Antagonismus zu kreieren. Wie können wir unsere holprigen Pfade verlassen, um den hegemonialen Diskurs der “Zivilgesellschaft” zu zerstören? Wie können wir dieses Ziel erreichen, ohne in das typische radikale Sektierertum zu verfallen und unser Ghetto als letzte Kampfbasis zu glorifizieren? Wie können wir versuchen unsere Kritik so zu formulieren , daß sie viele Herzen erreicht?

Mit Nachhalt insistieren wir darauf, daß es keine reale weltweite soziale Bewegung gibt. Charakteristikum jeder Bewegung ist, daß sie jegliches Kalkül auseinandernimmt. Eins und eins ist mehr als zwei – und so fangen die Verhältnisse an zu tanzen! 

Was sich uns präsentiert, ist ein Konglomerat von Kampagnen und Aktionen,  fokussiert um den Mythos des (anti)globalen Widerstandes. Jegliche radikale Mobilisierung in Barcelona im Mai und im Juni müßte sich auf intelligente Art und Weise von den Formen und dem Inhalt der Projekte der Professionellen der “alternativen Politik” absetzen. 

Auf der Nationalstrasse ins Paradies: Wir haben die national-revolutionären Kämpfe satt, seien sie baskisch, katalanisch, korsisch oder sonstwie ...  Die Halluzination jeglicher nationaler Perspektive als Gegensatz zum Prozeß der Globalisierung ist völlig ahistorisch und blind gegenüber dem grundsätzlichen Funktionieren von Kapitalismus und Patriarchat. Wir kritisieren von Grund auf diese politischen Projekte zur Erlangung der Macht, oder der Partizipation an Ihr; sie haben nichts zu tun mit dem sozialen Krieg und dem antipatriarchalen Kampf. 

Das Scheitern des Versuchs der ETA für eine “2. transición” (2) in Euskal Herria, markiert eine jeden Tag schwerer zu ertragende Situation. Es scheint, daß die ETA kein anderes Mittel hat, als zu versuchen die Gewaltspirale zu erhöhen, um voranzukommen in der Konstruktion eines nationalen Projektes. So spielt ETA eine nützliche Rolle in der “Strategie der Spannung” der (Madrider) Zentralregierung – so werden nicht mehr faschistische Attentate wie in anderen Zeiten benötigt.

Die Blutspuren dienen exzellent den Inszenierungen mit der Beteiligung hunderttausender Personen. “Todos juntos contra la violencia” (“Alle gemeinsam gegen die Gewalt”) und “Ya basta!” sind die Versionen des Konzeptes der Macht für das öffentliche Bewußtsein. Der allgemeine Konsens zu diesem Thema hat ein bis vor Jahren unvorstellbares Niveau erreicht, das bis zu aktiven Kollaboration mit der policía nacional bei Umfragen von Tür zu Tür reicht. 

Im Gegenverkehr: Dieser Konsens ist die Basis für eine harte Repression in Euskal Herria nicht nur gegen die Abertzalen (baskische Linksnationalisten). Die Mythen des bewaffneten Kampfes und der “kale borroka” (des Straßenkampfes) als Ausdruck des Widerstandes haben zur Ausbreitung von gewisser Sympathie geführt. Aber im Zentrum des Blickfeldes der Repression zu stehen, heißt nicht automatisch Solidarität.

Die bloße vergleichbare Handlung, z.B. die Schaufensterscheiben einer Bank einzuwerfen, sagt nichts aus über ihre Motivation. Eine radikale Aktion, eine polizeiliche Provokation, eine faschistische Attacke oder eine Dummheit können sich möglicherweise in der selben Form ausdrücken. Für sich allein darf die direkte Aktion nicht fetischisiert werden. 

Der Aktionismus ist oft begleitet von der Faszination für die Gewalt. Von den Titelbildern der CDs bis hin zu den Motiven der bedruckten T-Shirts tauchen subkulturelle Vulgaritäten wie “Mata nazis” (tötet Nazis), “Fuck the police” etc. auf. Wir sind nicht einen Millimeter pazifistisch, aber weniger noch gemeine Mörder oder verbale Vergewaltiger! Die notwendige Selbstverteidigung hat wenig zu tun mit der Glorifizierung von Gewalt. 

“... Gründe für den Gebrauch von Gewalt als Waffe hat es immer an jedem beliebigen Ort und unter allen beliebigen Umständen gegeben. Ausreichende Gründe für den Gebrauch von Gewalt hat es für gewöhnlich fast Allerorts und unter wechselnden Umständen gegeben. Gründe, die den Gebrauch von Gewalt notwendig machen, hat es fast nirgends und in seltenen Umständen gegeben...” (Diskussionspapier: “Wieviele Leben werden die Katzen haben?”) (3). 

Weiterhin ist die Gewalt substantieller Teil des patriarchalen Systems. Wenn das Attribut “antisexistisch” mehr sein will als nur ein Modeaufnäher, müßten wir diesen Punkt reflektieren. Wir haben während der Aktivitäten mehr als genug Machos in Aktion gesehen. 

Die Sackgasse? Ein Schritt zurück: Nach der Demo vom 12. Oktober 1999 wurde in einem Reflexionspapier festgestellt:

“Nichts zu feiern. Das wurde gesagt, geschrieben und gesprüht mit Verweis auf jenes Kalenderdatum des 12. Oktobers (4). Nichtsdestotrotz wurde die Gegenfeier gemacht. Es ist so, daß der Kalender beladen ist mit jenen Daten, die sich (gegen)feiern lassen, so wie etwa: der 1. Mai, 20. Januar, ...., oder Sant Jordis, 11. September, 18/19. Juli, 28. Oktober, oder die Konsumweihnachten, oder etwa jene Empfänge, Treffen, Konferenzen, Bälle, Gipfel der VIPs. Je mehr Radikalität oder kämpferischen Anstrich man diesen Tagen geben kann (und das “kämpferischste” ist nicht das radikalste), die Demonstrationen die gemacht werden, oder gemacht werden könnten, suchen eine zweifelhafte Aufmerksamkeit, die nicht aufhört vom Kalender bestimmt zu sein; was keine andere Sache ist wie ein Herzschrittmacher, dessen Ticken ein “jetzt muß es sein” hervorbringt, bei gleichzeitig ziemlicher Abhängigkeit von der medialen Effektivität. Letztendlich bedeutet die Gegenfeierlichkeiten zu feiern, einen unselbständigen Schritt zu machen, und sich gleichzeitig berechenbar zu machen, das Wann und das Wie von Aktionen betreffend. Und um es  abzuschließen, letztlich als punktuelle Anekdote - mit schlechtem Beigeschmack - im Kalender des `alles kommt wie es kommen muß´, mit dem Wissen, um Zugang zu den Medien zu erlangen, muß man ihn erzwingen, muß man die Realität des Spektakels durchbrechen -  “a lo casseur” (5) würde Pujol (katalanischer Präsident) sagen. So kann es sein, daß wir nichts zu feiern haben, auch nicht die Gegenfeierlichkeiten, oder manchmal ja und manchmal nein. Nach alledem werden wir zusammenfassend entscheiden: was, wie, wann, wo und warum wollen wir, bzw. können wir machen? Oder werden wir irgend etwas machen, weil etwas müssen wir ja machen. ... (“Cuántas vidas....”) 

Was sagt Durruti? 

Ohne die Kritik an der Arbeit, am Rassismus, an der Hierarchie und an der strukturellen und patriarchalen Gewalt zu benennen, werden wir schwerlich ein Projekt kreieren, das in der Lage sein könnte, mit allem zu brechen. Es wird kein Platz sein für ein duales Konzept des “Wir und Sie”, sondern die Gegensätzlichkeit befindet sich in jeder und jedem von uns. Das individuelle Wollen ist notwendig, aber nicht ausreichend...

Ohne die Funktionsweise im Allgemeinen und die Widersprüche innerhalb des Kapitalismus und des Patriarchats zu analysieren, werden wir nichts von dem Prozeß der Globalisierung verstehen.

Ohne die Wiedererrichtung der Barrikaden des Mai `37 sind wir dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen.   

Die 1001 Wege der Metropolis 

„ ... Wir stellen fest, daß es große Schwierigkeiten gibt zu kommunizieren, sich in den sozialen Zentren auszutauschen; man beabsichtigt in eine ganze Anzahl von Problemen einzusteigen, die uns kollektiv betreffen, aber immer wieder verschwinden sie oder sie werden vermieden ( es wird sich generell im Kreis gedreht); man ist immer noch nicht in der Lage, Plena zu machen und viele Versuche von kollektiver Reflexion verlaufen sich ohne Kontinuität, die Leute leiden unter einer Art „multiaktivistischer Schizophrenie“ (machen viele Sachen zur gleichen Zeit), manchmal bis zur physischen und mentalen Erschöpfung, Verantwortung wird nicht übernommen, in den Versammlungen wiederholt sich immer dasselbe (Diskussionstext: „Gemeinsames Nachdenken über das, was uns passiert ist“) (6).

Auf jeden Fall werden wir nicht zu Hause bleiben, die Mobilisierungen und Debatten während des Mai und des Juni dieses Jahres haben eine eigene Bedeutung für die radikale „Szene“ in Barcelona (7). Im letzten Jahr konnten wir kollektiv keine gemeinsame Kampfwoche wie ´99 vorbereiten, weil gleichzeitig ein Hyperaktivismus in anderen Zusammenhängen existierte. Jetzt interessiert viele von uns ein gemeinsamer Focus im Verlaufe einiger Wochen. 

Die Aktionen zwischen 24. und 28. Juni bewegen sich in einer anderen Dynamik. Es existieren sehr unterschiedliche Sichtweisen zu diesen Tagen. 

Individuell kannst du denken, „eine Scheiße werdet ihr mich sehen in Barcelona“ (Resümee des Papiers: „Antiglobalisier dich und ich sag dir, wer du bist“) (8), als kollektive Perspektive wäre es die Ignoranz der möglichen sozialen Prozesse innerhalb einer antikapitalistischen Kampagne und eine gefährliche Fraktionierung.  

Es scheint, daß das Pogramm für eine kombative Gegenfeierlichkeit schon ziemlich festgelegt ist. Die Suche nach „einer realen und nicht verbalen Konfrontation“ um den Kapitalismus zu zerstören, markieren den Rhythmus der „resistencia anticapitalista“. Die Musik ist der Punk von immer, mit seinen Riten des machistischen Tanzes. Was fehlt sind die Leute, die eine solche Fiesta ertragen und ein gutes Erste Hilfe Team, um die Kopfschmerzen währenddessen und danach auszuhalten. Weder gefällt es uns besonders an der Vorbereitung eines limitierten Pogramms von zwei Monaten Widerstandsspektakel teilzuhaben, noch während der ganzen Zeit den selben Rhythmus zu tanzen. Auch wollen wir danach nicht die Lieder des „alle gemeinsam gegen die Repression“ singen und im selben Stil die nächste Fiesta des EU-Gipfels im März 2002 vorbereiten, um danach ein weiteres mal zu singen ... 

Alle sozialen Parameter indizieren Ungewißheit und Unsicherheit. Es zeichnet sich die reale Gefahr eines Kreislaufs Aktion – Reaktion – Repression ab und eine Konfrontation mit schwer vorhersehbaren Konsequenzen, die Experten der öffentlichen Sicherheit werden schon ihr Repertorium für den Anfang der Partie vorbereitet haben. Für keine Seite wird ein Wechsel der Verhaltensweisen leicht sein. Trotz der sich wiederholenden Klagen über die „Kriminalisierung der sozialen Bewegung“ haben das Rathaus und die katalanische Regierung bislang für ein Konzept der Integration optiert. Mal sehen was passieren wird mit der Ankunft tausender AktörInnen von außerhalb, mit ihren andersartigen Akzenten des Kampfes ... Für das Umfeld der sozialen besetzten Zentren gibt es einiges mehr zu verlieren als nur die Ketten, aber zur gleichen Zeit einiges mehr zu gewinnen als eine mythische Schlacht gegen die Globalisierung. 

Vielleicht haben wir genügend Versuche von Konfrontation in den letzten Jahrzehnten gesehen und zu Vieles scheitern. Selten kann es nützlich sein, eine Schlacht mit den Sicherheitskräften zu suchen, und niemals wird es das sein, wenn es nicht eingebunden ist in einen Prozeß jenseits eines „resistencialismo“ (Widerstandskults)

Und Vorsicht: wir bewegen uns im Terrain der Strategie der anderen Seite! Normalerweise ist es die Macht, die Konfrontation sucht, wohlwissend Schlachten in militärischer Art und Weise zu gewinnen. Wo reflektieren sich die Erfahrungen der Vergangenheit, die vielen Fragen und Zweifel die wir haben? Konfrontation: Für was ...? Wie ...? Wir müssen die Unterdrückungsverhältnisse überwinden, nicht die Aufstandsbekämpfungseinheiten der Unterdrücker bekämpfen! 

In „Seattle“, „Prag“ und  „Nizza“ waren die radikalen Inhalte fast abwesend. Das Kombative drückte sich in Form von Blockaden, Sabotage und Straßenkampf aus. Jegliche Kampagne der bloßen Wiederholung um die Medienöffentlichkeit zu erreichen, erscheint uns zu begrenzt.  

Es fehlt daran, eine kritische Praxis und eine praktische Kritik zu verbinden, um eine neue Qualität von sozialem Kampf zu kreieren. Wenn die Versuche isoliert bleiben, das Schweigen zu durchbrechen, gegen den Kapitalismus zu widerstehen, das „dinero gratis“ zu schaffen („Gratisgeld“- Kampagne), die Gegeninformation und die Kommunikationsguerilla auszuweiten, für Papiere zu kämpfen, soziales Zentrum zu machen, besetzend zu leben, infragestellen, reflektieren, neue Sprachen zu erschaffen, ..., werden wir schwerlich zu einer massiven Subversion der alltäglichen Misere gelangen.  

Es bestehen verschiedene Ausdrucksformen der Wut. Unsere eigene Unvorhersehbarkeit ist gleichzeitig auch Teil unsere Stärke. Während der ganzen Zeit sollten wir Möglichkeiten gemeinsam zu reden und zu handeln suchen. Wir appellieren an die Verantwortlichkeit und die Akzeptanz  für unsere Unterschiedlichkeiten, gleichzeitig gemeinsame und verschiedene Wege suchend. Warum nicht permanent die verschiedenen Repertoires von Aktionen mischen? Warum nicht an allen möglichen Orten der Metropole spielen, die Vorhersehbarkeit von erwarteten Schlachten vermeidend? Warum nicht das Corte Ingles (Kaufhauskette mit Symbolcharakter) mit tausenden von Leuten besetzen, anstatt an den Ort des Weltbanktreffens zu gelangen? Nichts ist langweiliger als ein Widerstand ohne Phantasie!  

Was träumen die Amazoninnen? 

Ohne Kollektivität werden wir nicht in der Lage sein, die Separation als Prinzip zur Erhaltung des patriarchalen Systems aus dem Eis zu schmelzen.

Ohne soziale Bewegung werden wir weder Isolation und Separation  überwinden, noch Kollektivität kreieren.

Ohne grundlegende Reflexion werden wir kein explosives Potential für die nächste soziale Bewegung (er)schaffen.

Ohne den Austausch unterschiedlicher Erfahrungen werden wir nicht grundlegend reflektieren.

Ohne die Kreation einer neuen Sprache werden wir nicht unsere Erfahrungen austauschen.

Mit deiner Kreativität werden wir nicht alleine träumen ....

Die Untersuchungskommission über die Wiederkehr der Kolonne Durruti

 

 1   für eine grundlegende Kritik siehe den Text “L’impasse citoyenniste”, Kontakt: en attendant, 5 rue du Four, 54000 Nancy, France

 2   hier: nach der ersten Umwandlung am Ende der siebziger Jahre zur Demokratie, steht dieser Begriff sinnbildlich für eine (geheime) Verhandlung und Abwicklung von Veränderung

 3   “Cuántas vidas tendrán los gatos?”  u.a. in der Zeitschrift “La Lletera A” Nr. 58 zu den Ereignissen vor, während und nach dem 12. Oktober 1999 in Barcelona

 4   in der Kontinuität des frankistischen “Tages der spanischen Rasse” stehender nationaler Feiertag

 5   dieser Begriff bezieht sich auf schaufensterscheibeneinwerfende und randalemachende (Vorstadt-) Kids in Frankreich

 6   „Pensando juntas sobre que nos ha pasado“ ein Papier aus einem Diskussionszyklus im besetztem Zentrum La Hamsa, im Mai 2000

 7   während der Wochen vor dem geplanten Weltbanktreffen fanden antikapitalistische Wochen mit vielfältigen  Diskussionen und Aktionen statt.

 8   „Antiglobalízate y te diré quien eres“ Frühjahr 2001

Editoriale Anmerkung:
Diese drei Texte wurden dem trend im September zur Veröffentlichung übersandt.


Date sent: Sat, 8 Sep 2001 20:56:27 +0200 (CEST)
From: Wilhelmine Bebida <wbebida@yahoo.de>

Subject:
barcelona01
To: info@trend.partisan.net


hy, als anhang ein text zu den

"antiweltbankmobilisierungen" im juni 01 mit zwei anlagen.