Kommunikationsguerilla im Zeitalter der neuen globalen sozialen Bewegungen

Interview mit der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe, Sonja Brünzels und Luther Blissett

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Von Wu Ming Yi (Roberto Bui)
anläßlich der italienischen Ausgabe
des Handbuchs der Kommunikationsguerilla
im Februar 2001

Zuerst erschienen bei DeriveApprodi unter dem Titel: autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe, Luther Blissett, Sonja Brünzels: Communicazione-guerriglia. Tattiche di agitatizione gioiosa e restistenza ludica all'oppressione. Prefazione di Wu Ming Yi (Roberto Bui)

Seit dem Erscheinen des Handbuchs der Kommunikationsguerilla hat sich vieles verändert: Sowohl in der Art und Weise, wie sich Machtverhältnisse konstituieren, als auch im politischen Protest dagegen. Eine der wesentlichen Veränderungen der letzten Jahre besteht in den globalen Anti-Globalisierungsprotesten, die neue politische Formen hervorgebracht haben. Die Mechanismen der Kontrollgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung und ihre Konsequenzen für politische Aktionsmethoden zu beschreiben steht noch aus; im folgenden Interview soll es vor allem darum gehen, welche Rolle Kommunikationsguerilla für die neuen vernetzten und mit Labeln agierenden Kampagnen und Aktionsformen spielen kann.

1) Ihr habt dieses Handbuch vor mehr als drei Jahren geschrieben. Meint ihr, daß Theorie und Praxis der Kommunikationsguerilla, wie sie im Buch beschreibt, noch gültig sind, nachdem sich mit der neuen globalen Bewegung (Seattle, Davos, die globalen Aktionstage, der "Italienische Frühling", die Noborderkampagne) die Bedingungen des Kampfes etwas verbessert haben?

Selbst jetzt, wo eine neue globale Bewegung in Gang kommt, gibt es immer noch die lokale Praxis im grauen Alltag. Nach den begeisterternden Aktionstagen, den großen Schlachten und Solidaritätswellen geht man in nach Hause in die Städte, Stadtteile oder Dörfer zurück, wo sich nichts geändert hat - kleinkarierte Verwaltungen, Bullen und andere Unannehmlichkeiten. Die bestehenden Machtverhältnisse sind nicht einfach verschwunden. Doch es sieht so aus, als beginne derzeit ein Prozeß der Neuformierung. Wenn es stimmt, daß sich die heutige Gesellschaft im Übergang zur sogenannten Kontrollgesellschaft (Gilles Deleuze: Postskriptum über Kontrollgesellschaften & Negri/Hardt: Empire) befindet, dann könnte es sogar noch wichtiger werden, unser subversives Potential auf der lokalen und 'molekularen' Ebene zu schärfer, zielgerichteter zu machen.
Als wir das Buch zusammenstellten, haben wir den Schwerpunkt auf Interventionen gelegt, die nicht von Massenmobilisierungen abhängig sind. Wir haben den Eindruck, dass die neue globale Bewegung eine Reihe neuartiger Qualitäten hat: Sie knüpft mittels zeit- und ortunabhängiger Kommunikation internationale Netzwerke, sie entdeckt Organisationen wie die Welthandelsorganisation (WHO) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) quasi als bereitstehende Symbole für die kapitalistische Neuorganisation weltweiter Machtbeziehungen und für neu entstehende Formen von Zwang. Neu sind auch eine Reihe Interventionsformen, die sich von früheren sozialen Bewegungen und Massenmobilisierungen unterscheiden. Die Arbeiterbewegung und die traditionelle Linke artikulierten sich in ordentlichen Demonstrationszügen; Teile der Friedensbewegung stellten sich als schmuseweiche Kuschelbewegung dar, die Autonomen verwechselten allzuoft militante Konfrontationen mit Inhalten, liberale Humanisten gegen "Ausländerfeindlichkeit" neigen dazu, ihrer Betroffenheit durch Lichterketten Ausdruck zu verleihen. In der gegenwärtigen globalen Bewegung ist dagegen ein Stil spürbar, der viel Ähnlichkeit hat mit dem, was wir unter dem Begriff "Kommunikationsguerilla" zusammengefaßt haben: Man denke an das "Guerilla Gardening"-Happening in London am 1. Mai 2000, das Reclaim the Streets als Beitrag zum globalen Aktionstag inszenierte oder an Aktionen während der OECD Proteste im Juli 2000 in Bologna, als Marsmenschen Straßen blockierten und die Leute von Ya Basta! und Tute Bianche in gepolsterten weissen Overalls ihre ersten Übungen in defensiver Konfrontation durchführten.
Fakes und Spaßguerilla-Interventionen sind auch ein Bestandteil der Grenzcamp-Aktionen, die vom Europäischen Noborder Netzwerk koordiniert werden. Zum Beispiel wurde 1999 in Zittau an der polnisch-deutschen Grenze ein Denkmal für den unbekannten Menschenhändler enthüllt oder es gründete sich unlängst ein deutscher Interessensverband von Schleusern. Und die europäische Kampagne gegen Abschiebungen per Flugzeug nutzt Fakes, Camouflage und unsichtbares Theater, um die entsprechenden Fluglinien durch Imageverschmutzung anzugreifen.
In den Metropolen ist bei den AktivistInnen eine richtiggehende Welle von Energie spürbar. Große Demonstrationen, neue Protestformen, und vielleicht auch der Netzhype (huh - sie organisieren sich über das INTERNET!) haben diese Bewegung in die bürgerlichen Medien gebracht. Die Informationstechnologie hat es leichter gemacht, ein weltweites Kommunikationsnetzwerk zu schaffen, und sie ermöglicht schnelle Kommunikation innerhalb der Aktivistinnenszene. In diesem Sinn hat sich etwas getan, zumindest im Bereich der Repräsentation (jede weiß, daß es eine neue, weltweit verbundene soziale Bewegung gibt), die wieder viele Menschen auf die Straße bringen kann. Im Alltag hingegen sind wir weniger zahlreich als die Bilder der Massendemos von Seattle, Washington, London etc. glauben machen. Hier sind wir nach wie vor auf die molekularen Taktiken der Kommunikationsguerilla angewiesen, auf Aktionen, die jeder vorbereiten kann, und zwar ohne die Unterstützung von Tausenden von AktivistInnen. Die großen Mobilisierungen sind Sternstunden im Aktivistenkalender, aber sie sind an Events gebunden und stellen für den Alltag folglich keine Möglichkeiten zur Verfügung. Hier sind Aktionen vom Typ Kommunikationsguerilla wirksame Interventionen in den öffentlichen Raum vor Ort-nicht nur, um flexibel auf Repressionen, Ausgrenzungen und Kontrollversuche zu reagieren, sondern auch zu unserem eigenen Vergnügen und gegen die Frustrationen, denen wir in der Alltagsnormalität ausgesetzt sind.

Zwar sind die Bedingungen für Widerstand wohl tatsächlich besser geworden. Doch leider haben wir nicht den Eindruck, daß der Wandel der sozialen und ökonomischen Machtbeziehungen sich zu unseren Gunsten vollzieht. Gleichzeitig wirft die neue globale Bewegung Fragen über die Nutzung von Kommunikationsguerilla und Prioritäten politischer Artikulierung auf.
Es ist die Frage, wie die Taktiken der Kommunikationsguerilla bei Massenveranstaltungen zu nutzen wären. Kommunikationsguerilla will die Regeln der Normalität entstellen und den hegemonialen Diskurs herausfordern. Die neue globale Bewegung greift Neoliberalismus und ökonomische Globalisierung an. Kommuniktionsguerilla könnte dazu beitragen, die Legitimität und den quasi natürlichen Status des gegenwärtigen Kapitalismus in Frage zu stellen. Die globalen Mobilisierungen sind abhängig von "Polittouristen" aus der ganzen Welt, von Leuten, die ihre eigenen Widerstandspraxen mitbringen. Doch man darf die politische Arbeit nicht auf formale Fragen reduzieren. Vielfach ist es für Kommunikationsguerilla besonders notwendig, klare politische Positionen für sich selbst zu formulieren; nur so ist es möglich, eine in sich stimmige und überzeugende Kommunikationsguerilla-Aktion vorzubereiten. Das ist natürlich dann nicht so einfach, wenn sehr viele unterschiedliche Protestgruppen sich anläßlich eines Events zusammenfinden. Die Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen der Proteste gegen die Weltbank in Prag 2000 haben gezeigt, daß die Zusammenarbeit in Differenz noch viel Arbeit fordern wird.

Vor vier oder fünf Jahren interessierten wir uns für Kommunikationsguerilla, weil wir darauf bestehen, daß Gegeninformation nutzlos ist, wenn niemand sie hören will - und zu dieser Zeit interessierte sich niemand groß für irgendeine breitere soziale Bewegung. Heutzutage tauchen die Journalisten massenweise bei den den globalen Aktionstagen und den Vorbereitungen dazu auf. Gut möglich, daß sie sich nur für das Spektakel, die "story" interessieren. Aber das Interesse der bürgerlichen Medien ist unübersehbar - besonders deutlich in London vor dem ersten Mai 2000, als jeden Dienstag Kameraleute von Medien und Polizei vor der Kneipe auftauchten, in dem Reclaim the Streets seine wöchentlichen Treffen abhielt. Die große Frage ist, ob wir in der Lage sein werden, den Spieß umzudrehen, so daß es schwierig für sie wird, die alten Gegensätze zu affirmieren - militante Terroristen auf einer Seite, Recht und Ordnung auf der anderen. Kommunikationsguerilla könnte eine Möglichkeit sein, das zu erreichen.

Als wir das Buch geschrieben haben, hatten wir das Gefühl, daß sich für so etwas wie Gegeninformation nicht mal mehr die radikale Linke besonders interessierte. Heute scheint es ein Revival von Gegeninformation zu geben - die Sache wird geradezu sexy, vielleicht teilweise aufgrund des web-hypes. Eine neue Form von Öffentlichkeit entsteht in und um das Internet. Die Explosion von Independent Media Centers in der ganzen Welt (30 davon auf vier Kontintenten und 9 Ländern entstanden allein in den ersten 10 Monaten nach Seattle) und die eindrucksvolle Zahl von Besuchen auf diesen Seiten verweisen auf ein Bedürfnis der Aktivistenszene, sich an der Produktion und Nutzung von Gegeninformation zu beteiligen. Oft ist damit die Phantasie verbunden, daß Informationen im Netz eine unbeschränkte globale Leserschaft finden - obwohl der größte Anteil der Indymedia-Nutzerinnen sehr wohl aus den Aktivisten selbst bestehen mag. Indymedia ist bei weitem nicht das einzige Medium im Netz, das Gegenöffentlichkeit verbreitet - A-infos, Nadir in Deutschland (zum Zeitpunkt des Interviews waren die Pläne zur Gründung einer deutschen Indymedia-Website noch nicht bekannt, d.Ü.), sindominio in Spanien, die Webmagazine der Grenzcamps und die Seite der deportation-alliance sind nur wenige Beispiele. Auch die schnelle Entstehung von Gegeninformations-Webseiten in Österreich seit der Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ zeigt, daß Gegenöffentlichkeit als eine Form politischer Artikulierung wieder wichtiger geworden ist. Das heißt nicht, daß Kommunikationsguerilla jetzt überflüssig geworden ist - im Gegenteil. Die Zunahme von Gegeninformation in Österreich ging Hand in Hand mit einer Zunahme von Kommunikationsguerilla-Interventionen.

2) Gibt es irgendeine Gruppe oder politische Bewegung, die nach der Veröffentlichung des Handbuchs entstanden ist, und deren Aktivitäten eurer Beschreibung von Kommunikationsguerilla entsprechen?

Klar, viele! Zu viele, um alle aufzulisten. Manche Gruppen von People's Global Action nutzen Fälschungen bzw. Camouflage (z.B. in London: Evading Standard für J18, Maybe für M2K und Financial Crimes für S26). Das Europäische Noborder Netzwerk wurde schon erwähnt, mit den europaweit vernetzten Anti-Abschiebungskampagnen und den Serien von Grenzcamps. In beiden Bereichen werden Fakes, Unsichtbares Theater, Imageverschmutzung und vieles mehr eingesetzt. Die deportation-alliance ist ein gutes Beispiel dafür, wie Kommunikationsguerilla internationalisiert werden kann. Unter dem Dach einer gemeinsamen Webpage arbeitet jede Kampagne auf ihre Art entsprechend der lokalen oder nationalen Diskurse. Gleichzeitig tauschen sie ihre Erfahrungen und Ideen aus. Nicht unterwähnt bleiben soll die Deportation-Class-Kampagne, bei der Klartext- und Kommunikationsguerilla-Aktionen eng miteinander verwoben sind.
Die bundesweiten Innenstadtaktionen in Deutschland 1997 kritisierten die Privatisierung von öffentlichem Raum und die Tendenz, unerwünschte Stadtnutzer rauszuschmeißen. Es wurde keine nationale Großdemo organisiert, sondern viele kleine diskursentstellende Interventionen von Hamburg bis München.
Die österreichische Bewegung gegen die konservativ/neofaschistische Regierung nutzte Massenmobilisierungen, aber man plaziert auch gerne mal eine Torte ins Gesicht eines unerfreulichen Politikers, deklariert Straßenparties als Folklore oder entwendet die Webpage der FPÖ.
In Deutschland wurde die rassistische Unterschriftenaktion der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mit einer Fake-und Camouflage-Kampagne beantwortet, die durch einfache E-Mails mit dem Hinweis auf eine Adresse zur Versendung einer Word-Datei verbreitet wurde. Die "falschen" Unterschriftenlisten verlangten für die Konservativen genau die Behandlung, die diese für "Ausländer" gefordert hatten: Sprachkurse, kulturelle Bildungsprogramme zur besseren Integration in die zivilisierte Gesellschaft, und so weiter (Logisch, daß ihre rassistischen Unterstützer auf den Straßen nicht in der Lage waren, zu lesen, was sie unterschrieben und so zu Tausenden die falschen Listen unterschrieben.)
Wir haben noch von vielen anderen Interventionen gehört, die mit Methoden der Kommunikationsguerilla vorgehen- Gegenmittel gegen den Gewaltvirus, die bei einem öffentlichen Rekrutengelöbnis der Bundeswehr in Stuttgart auftauchten, Bußprozessionen zur 'Unterstützung' schwulenfeindlicher katholischer Fundamentalisten, psychische Angriffe gegen rassistische Polizeiwachen usw.

3) Gibt es eine Gruppe oder politische Strömung, von der ihr bedauert, sie nicht ins Buch aufgenommen zu haben?

Natürlich beansprucht unsere Sammlung nicht den Status DER vollständigen Enzyklopädie der Kommunikationsguerilla. In den letzten Jahren haben wir eine ganze Menge interessanter Gruppen kennengelernt. Manche haben das, was wir Kommunikationsguerilla nennen, praktiziert lange bevor wir überhaupt angefangen haben, darüber nachzudenken.
Für ihre Verdienste in der Popularisierung der Kunst des Tortenwerfens muß unbedingt die Biotic Baking Brigade genannt werden. Erst durch unsere Rundreisen anläßlich der Buchvorstellung haben wir "Reclaim the Streets" kennengelernt, und es hat eine Weile gedauert, bis wir den Party-Stil der Subversion kapiert haben. Heute würde diese Form urbaner Intervention definitiv im Buch auftauchen.
Drei weitere Gruppen sollen erwähnt werden - eine agiert in einer provinziellen Stadt in Deutschland, eine andere in größeren Städten in Spanien, eine dritte im virtuellen Raum.
Das Buero für angewandten Realismus in Ludwigshafen ist eine Truppe von Hasadeuren, die so gelangweilt von ihrer Stadt waren, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als ihr Unterhaltungs-Programm selbst zu machen. Manchmal zeigt sich das in Do-it-yourself Kunstausstellungen, bei denen alle eingeladen sind, ihre eigenen Kunstwerke mitzubringen, manchmal ist es ein maodadaistisches Schattentheater über den Langen Marsch inklusive wunderbar wiederverwertbarer Mao-Zitate. Manchmal werden sie politisch und führen Turniere für Krocket, ihr Lieblingsspiel, durch, und zwar ausgerechnet in denjenigen Parks, aus denen Punks und Trinker von der Polizei vertrieben werden - was die Behörden in eine dumme Situation bringt. Schließlich ist es nicht einfach, festzustellen, ob es eine Ordnungswidrigkeit ist, wenn anständige Bürger in Abendkleidung (manchmal geschlechtsmäßig nicht ganz eindeutig) sich mit Punks und Obdachlosen mischen, Champagner trinken in einer Zone, in der Alkohol verboten ist, und ein respektables Rasenspiel auf der verbotenen Grünfläche spielen. Die angewandten Realisten erfinden ständig Formen kritischer kultureller Artikulierung in einer Industriestadt, in der sonst die Chemie nicht stimmt.
Fiambrera Obrera (des Arbeiters Vesperdose) in Spanien ist eine weiter Gruppe, die eine visuelle Herangehensweise an die Lächerlichkeiten und Ärgernisse des Alltags mit der Haltung erfahrener Aktivisten verbindet. Ihre Kampagne gegen Spekulation und Vernachlässung eines Stadtteils in Sevilla begann damit, daß Hundescheiße mit kleinen Fähnchen markiert wurde, auf denen das leicht aber wirksam veränderte Logo der Stadt zu sehen war - einfach, witzig und wirkungsvoll. Mit dieser Einführung hatten sie eine wiedererkennbare Identität für weitere Interventionen geschaffen.
Die meisten LeserInnen des Handbuchs kennen wahrscheinlich RTmark. Eine ihrer Aktivitäten war die Beteiligung an der Schlacht gegen den Internet-Spielzeugvertrieb etoys.com, in der sie Kommunikationsguerilla im virtuellen Raum betrieben. Sie attackierten mit Erfolg eine Firma, die in der immateriellen Ökonomie des netzbasierten Geschäfts situiert ist, indem sie eine unbehagliche Atmosphäre unter etoys.com Aktionären verbreiteten. Dies reichte aus, um den Wert der etoys.com Aktion um 70 % zu drücken. RTmark treten als Unternehmen der Neuen Ökonomie auf, ihr "lokaler Raum" ist der diskursive Ort der Neusprache der Konzerne, die sie auf bewundernswerte Weise kopieren und für ihre eigenen Zwecke nutzen.
Aber auch das sind wiederum nur einzelne Gruppen, sicher gibt es noch viele andere, zu denen wir eben bislang keinen Kontakt gefunden haben.

4) Habt ihr nach dem Erfolg des Handbuchs einen Einfluss eurer Arbeit auf deutsche Aktivisten wahrgenommen? Hat die deutsche Szene die Logik und die Erkenntnisse eures Katalogisierens verstanden?

Dank unserer unermüdlichen Anstrengungen ist nun die Revolution auf den Weg gebracht. Ohne Scheiß: Ein Buch wird nie im Leben die Haltung einer ganzen Szene verändern. Klar waren manche Diskussionen mit traditionellen PolitaktivistInnen in den letzten Jahren eher langweilig - wenn du 15 Jahre lang Demos organisiert und Flugblätter verteilt hast, ist es nicht unbedingt offensichtlich, warum du auf einmal im Marsmenschen-Outfit Straßen blockieren, oder dich mitten auf dem Marktplatz splitternackt ausziehen solltest - direkt vor einer Bullendivision oder einer Gruppe von Burschenschaften, die archaische Rituale durchführen. Und noch weniger läßt sich für viele nachvollziehen, warum gestylte Interventionen in die kulturelle Grammatik eine zutiefst politische Bedeutung haben können und mitunter wirksamer sind als die traditionelle Klartextinformation traditioneller politischer Bewegungen.
Die Frage nach der Wirkung des Buches können wir nicht beantworten, sie ist ja vielleicht auch die Frage nach der Henne und dem Ei: War unser Buch Anstoß für Aktionen oder kam es einfach in einer Zeit, in der auch andere wieder stärker über derlei Aktionsformen nachdachten. Es läßt sich aber feststellen, daß viele Gruppen hierzulande mit Kommunikationsguerilla experimentieren, zum Beispiel bei den Protesten gegen die Expo in Hannover oder bei der "Spackparade" am 30. November 1999 (Seattle) in Berlin (Besitz macht schön, Schönheit macht reich! Ordnung, Ordnung, Ordnung!) Sagen wir mal - wir haben den Ansatz "Kommunikationsguerilla" zu einem Zeitpunkt aufgegriffen, zu dem viele (Polit)aktivisten nach Möglichkeiten suchten, ihre langweilige und frustrierende Praxis der späten 80er und frühen 90er Jahre zu überwinden, und zu dem viele Gruppen anfingen, mit neu-alten Formen zu experimentieren und sich dabei auf Kunst, Performance, Theater, Parties bezogen.
Es gab sicher Gruppen, die das Buch dazu nutzten, solche Möglichkeiten zu diskutieren oder weiterzuentwickeln, oder ihre Ideen in politischen Artikulationsweisen umzusetzen. Aber man sollte das Buch nicht auf diese Weise betrachten. Wichtig war uns tatsächlich, ein Handbuch zu machen, das andere wieder weiternutzen und weiter entwickeln können; es ist eben ein Handbuch, das ein Stück weit einfach nur zusammenstellt und systematisiert hat, was viele Leute und Gruppen in vielen Jahrzehnten an politischen Methoden jenseits des Klartexts entwickelt haben. Wir haben diese politischen Formen Kommunikationsguerilla genannt, aber sie waren schon vor dem Buch da und es wäre blödsinnig, alle Aktionen in diese Richtung jetzt immer wieder auf das Erscheinen des Buchs zu reduzieren.

Editoriale Anmerkung:
Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.copyriot.com/unefarce/no5/interview.html