LeserInnenbriefe 

Ausarbeitung eines neuen Theorierahmens

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Von: FrankUhl221166@aol.com 
Datum: Thu, 11 Oct 2001 17:14:16 EDT
Betreff: Zu "Trotzkismus ohne Mythen" von Robert Steigerwald
An: info@trend.partisan.net

Bezeichnend in Robert Steigerwalds Artikel ist es, daß mit keinem einzigen  Buchstaben darauf eingegangen wird warum es die Stalinisten als notwendig  erachteten, nach deren politischen Isolation innerhalb weniger Jahre die  Linke Opposition innerhalb der Bolschewiki physisch zu liquidieren, mit dem  Gipfel der Moskauer Prozesse 1936-38 und der Ermordung Trotzkis 1940. Wenn  doch die theoretischen Grundlagen nun doch so falsch waren, wären sie leicht  auf theoretischem Weg zu widerlegen gewesen. Es erklärt auch keineswegs,  warum Trotzkis Schriften bis zum Zusammenbruch der stalinistischen  Bürokratien verboten waren.

Weiterhin wird nicht darauf eingegangen, der Verfasser wird wissen warum,  welche Folgen die katastrophale Politik der Komintern nach Lenin hatte, die  Erdrosselung etwa der Revolution in China, sowie die Unterstützung der  spanischen Faschisten durch die Stalinisten, vor allem welche  Klasseninteressen dem zugrundelagen. Wenn Trotzki Konterrevolutionäres im  Zusammenhang mit dem deutschen Faschismus angedichtet wird, stellt sich die  Frage welche Bedeutung der Hitler-Stalin-Pakt in eben diesem Zusammenhang  besitzt.

Die Politik der Stalinisten entsprach nahtlos und bruchfrei den Interessen  der Bürokratie und des Kleinbürgertums der Sowjetunion, und nicht etwa den  Interessen der sowjetischen Arbeiterklasse.

Zehn Jahre nach Marx' Tod war es den Theoretikern der Sozialdemokratie  gelungen, seine Schriften an die Perspektive der Sozialreform anzugleichen.  Lenin ereilte ein noch schlimmeres Schicksal, seine sterblichen Überreste  wurden einbalsamiert, sein theoretisches Vermächtnis wurde gefälscht und in  eine bürokratisch sanktionierte Staatsreligion umgemodelt. Bei Trotzki war so etwas nicht möglich, seine Schriften und sein Handeln  waren zu präzise und konkret in ihren revolutionären Implikationen.

Trotzkis Leistung bestand in der Ausarbeitung eines neuen Theorierahmens, der  den neuen sozialen, ökonomischen und politischen Komplexitäten gerecht wurde.  Es war nichts Utopisches an Trotzkis Ansatz. Er entsprang vielmehr einer  tiefen Einsicht in die Auswirkungen der Weltwirtschaft auf das  gesellschaftliche und politische Leben. Eine realistische Herangehensweise an  die Politik und die Erarbeitung einer wirkungsvollen revolutionären Strategie  hingen davon ab, daß die sozialistischen Parteien vom objektiv gegebenen 
Primat des Internationalen gegenüber dem Nationalen ausgingen. Dies  erschöpfte sich nicht im Eintreten für internationale proletarische  Solidarität. Ohne ein Verständnis ihrer wesentlichen, objektiven Grundlage in  der Weltwirtschaft, und ohne die objektive Realität der Weltwirtschaft zur 
Grundlage des strategischen Denkens zu machen, würde der proletarische  Internationalismus ein utopisches Ideal bleiben, das keinen inneren  Zusammenhang zu Programm und Praxis national basierender sozialistischer Parteien aufwies.