Aus dem Buch Autonomie im Arbeiterkampf
Die Rehberger

Subkultur der Berliner Erdarbeiter um 1840

von Norbert Bartnik & Frieda Born
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Einleitung

Die folgende Untersuchung beruht auf einer Staatsexamensarbeit, die aufbauend auf Thesen Negt/Kluges (1) und Vesters (2) den Zusammenhang zwischen den Zerfall aufklärerisch verstandener bürgerlicher Öffentlichkeit und den Organisationsbestrebungen der Arbeiterklasse im Jahre 1848 am Beispiel Berlins aufzeigt. Schwerpunkt der folgenden Ausführungen ist der Nachweis einer Qualität von Öffentlichkeitsformen, die im Berlin des Jahres 1848 für die Volksbewegung im Gegensatz zu den bürgerlichen und sich herausbildenden proletarischen Vermittlungsinstitutionen unmittelbaren Gebrauchswert hatten.

Ein Gesichtspunkt der Kritik an der Arbeit Negt/Kluges besteht darin, daß nach Herausarbeitung von "proletarischer Öffentlichkeit" als politischer Qualität, die sich gegen die Zerstörung spontan artikulierter Interessen und Bedürfnisse durch die vielfältigen Apparate indirekter Politik sperrt, keine nähere historische Bestimmung erfolgt, so daß "proletarische Öffentlichkeit" schließlich nur als idealtypisches Modell jenseits aller historischen und aktuellen Prozesse angesiedelt bleibt, wobei unklar ist, welche Alternativen sich praktisch zur Zerstückelung unmittelbarer Interessen durch die Hierarchien der Apparate und Theorien stellen. Tatsächlich ist "proletarische Öffentlichkeit" in den traditionellen Arbeiterorganisationen durchweg nur negativ zu bestimmen am Grad der Bemühungen der herrschenden Klasse um "Isolierung, Aufspaltung, Verdrängung, Tabuisierung, Assimilation" (3) des proletarischen Lebenszusammenhangs, während sich ein positiver Nachweis nur aus den Aktionsformen sogenannter Randgruppen rekonstruieren läßt, die aus dem bürgerlichen Integrationsrahmen herausfallen.

K.H. Roth hat in seinem Buch "Die andere Arbeiterbewegung" den Versuch unternommen, die militanten und auf Autonomie von den traditionellen Arbeiterorganisationen zielenden Aktionsformen der Arbeiterbewegung, die sich seit Mitte der 60er Jahre in den südeuropäischen Staaten und ansatzweise auch in der BRD herausbildeten, historisch aufzuarbeiten und ihre klassenspezifische Grundlage in den unterprivilegiertesten, am stärksten ausgebeuteten "lumpenproletarischen" Schichten aufzuzeigen. Er setzt dabei allerdings zu einem Zeitpunkt an, als wesentliche Energien der deutschen Arbeiterbewegung bereits innerhalb des Organisationsrahmens von SPD und Gewerkschaften kanalisiert waren und unorganisierte, militante Organisationsformen eine vergleichsweise geringe Bedeutung hatten. Ausgangspunkt dieser Kanalisierung von revolutionären Energien ist der Entstehungsprozeß der Arbeiterbewegung, dessen Ergebnis mit der Etablierung der SPD zugleich eine der größten Niederlagen darstellt, wenn man, statt allein die Organisationsleistung als Kriterium der Vergegenständlichung von Lernprozessen zu betrachten, die Frage danach stellt, was im Verlauf der Entstehungsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung an Inhalten, Kampfformen, Erfahrungen unterdrückt und verdrängt wurde.

Diese Elemente stellten innerhalb der Volksbewegung des Jahres 1848 in Berlin die vorherrschenden dar, es bedurfte des vereinten Vorgehens von feudalstaatlichem Gewaltapparat, bürgerlichen Vermittlungsinstanzen und reformistischer Arbeiterorganisation, sie scheinbar schon endgültig aus dem Bewußtsein zu verdrängen.

Anders als in den meisten anderen europäischen Industriestaaten, wo sich aus dem Entwicklungsprozeß der Arbeiterbewegung trotz vieler Brüche die Entwicklung syndikalistischer und anarchistischer Strömungen bis in die Gegenwart verfolgen läßt, bildete sich in Deutschland innerhalb von kurzer Zeit mit der SPD und ihrer Adaption des Marxismus eine dominierende Organisationsform zur Vertretung von Arbeiterinteressen heraus, die in ihren Strukturen den Mechanismen bürgerlicher Öffentlichkeit nachgebildet, nicht nur die Erfahrungen der als "Lumpenproletariat" diffamierten, außerhalb der Partei stehenden Massen ausschloß, sondern ebenso die Artikulation umfassender Interessen ihrer Mitglieder soweit einengte, daß sie schließlich ihrer schichtmäßigen Zusammensetzung nach zunehmend zum Organ einer gewaltsamen Umsturz ablehnenden Arbeiterinteligenz wurde.

Die Frage, warum sich in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, wo frühsozialistische und frühkommunistische Ideen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielten, schon relativ früh mit der "Arbeiterverbrüderung" und dann mit der SPD einen hierarchisch gegliederte Organisation mit langfristig formulierter politischer Perspektive und Verzicht auf unmittelbare revolutionäre Aktionen herausbildete, läßt sich nur grob erklären aus der spezifischen "deutschen Misere". Die politische Schwäche der deutschen Bourgeoisie und ihr spätestens 1848 vollzogenes Bündnis mit dem "kapitalisierten" preußischen Junkertum zwang die Arbeiterbewegung zu einem Zwei-Fronten-Krieg und zur Trennung zwischen politischen Kampf, der gegen den Feudalismus gerichtet zur Etablierumg der bürgerlichen Republik führen sollte, und Durchsetzung direkter materieller Forderungen gegen das Bürgertum.

Diese Trennung begünstigte sowohl die schon in der "Arbeiterverbrüderung" vorhandenen Vorstellungen von der Möglichkeit eines friedlichen Ausgleichs mit der Bourgeoisie als auch ein Zwei-Phasen-Modell von der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse erst nach vollzogener bürgerlicher Revolution und damit einhergehend die Verpflichtung zum Stillhalten, zum Verzicht auf Mobilisierung, des seit dem März 1848 vorhandenen revolutionären Potentials , das sich um die Früchte des Barrikadenkampfes betrogen sah.

Zugleich deutete sich damit auch ein Verzicht auf die Herausbildung alternativer Lebensformen an. Die von der Arbeiterverbrüderung geleistete Verankerung bürgerlicher Ordnungsvorstellungen im Bewußtsein der Arbeiter -besonders prägnant in den häufigen Aufrufen zu Disziplin, Sauberkeit, Pünktlichkeit -half entscheidend mit bei der Durchsetzung der kapitalistischen Fabrikmoral. Überreste der alten, weitgehend ungeregelten Lebensweise der Handwerker, die im Bewußtsein der Arbeiter als Widerspruchspotential gegen die Entfremdung hätten wirken können, wurden eher verdrängt als genutzt und konnten nur in die Aktionsformen der am wenigsten angepaßen Arbeiter-schichten eingehen.

1. Die Heterogenität der Arbeiterklasse als Grundlage spezifischer Strategien und Kampfformen

Berlin war seit Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts zum Zentrum der in den Provinzen, insbesondere in Schlesien, verelendeten Handwerker geworden, denen es jedoch auch hier nur zum geringsten Teil gelang, ihren Lebensunterhalt aus selbständiger Arbeit zu decken, die meisten waren als Hilfsar-beiter und Tagelöhner den Schwankungen des Marktes ausgesetzt, nur den qualifiziertesten gelang der Aufstieg in die Schicht der relativ gut bezahlten Maschinenbauer und Buchdrucker. Diese ausgeprägte Heterogenität der Arbeiterklasse ist bedingt durch den Verlauf der "industriellen Revolution". Die einzelhandwerklich, verlagsindustriell, manufakturell und fabrikindustriell produzierenden Arbeiter unterscheiden sich jedoch nicht nur objektiv, das heißt bezüglich ihrer Stel-lung im Produktionsprozeß oder zu den Produktionsmittel und der Art ihrer Entlohnung, sie reproduzierten ebenso sub-jektiv, in ihren Verkehrsformen untereinander, Ausgrenzungsmechanismen.

Den Fabrikarbeitern stehen die Handwerksgesellen und Kleinmeister gegenüber, die den Unterschied von Lebenseinstellungen und Gewohnheiten den ersteren gegenüber bewußt hervorheben: "Mit Ausnahme der Arbeit in der eigentlichen schweren Industrie, dem Bergbau, der Eisen- und Maschinenbauindustrie, wurde die Fabrikarbeit von den handwerksmäßig arbeitenden Gesellen mit Geringschätzung angesehen... Für den Handwerksgesellen galt der Fabrikarbeiter als unterwertig, und als Arbeiter bezeichnet zu wer-den, statt als Geselle oder Gehilfe, betrachteten viele als persönliche Herabsetzung." (4)

Die Gruppe der Fabrikarbeiter ist in sich wiederum differenziert nach gelernten und ungelernten Arbeitern, wobei die erste Kategorie einerseits die im Fabriksystem eingegliederten ehemaligen Handwerker erfaßt, andererseits aber auch die innerhalb der fabrikindustriellen Produktion oder den aufkommenden Gewerbeschulen qualifizierten Arbeiter bezeichnet; die letzten unterliegen noch branchenspezifischen Unterscheidungen: "Unter den Arbeitern der Stadt Berlin bildeten die Maschinenbauer und die Buchdrucker gewissermaßen die tonangebenden, um nicht zu sagen aristokratischen Elemente." (5) Die ungelernten Arbeiter sind ebenfalls gespalten: "alle die ungelernten Industriearbeiter, die in den Kleiderfabriken der Kleinstädte arbeiten, (machen) einen in ihrer Gesinnung wie Lebensführung noch viel haltloseren, sozusagen degradierten Eindruck als diejenigen, die in Großbetrieben und größeren Orten arbeiten." (6) Die genannten Gruppen sind sind subjektiv wie objektiv zu unterscheiden von dem sogenannten Lumpenproletariat, wobei die Subsumierungskriterien in der entsprechenden Literatur unterschiedlich sind.

Im Folgenden umfaßt der Begriff Lumpenproletariat: die Masse der arbeitslosen , demoralisierten und kriminalisierten Proletarier; die Erdarbeiter, die Eisenbahnarbeiter ohne Wohnsitz und häufig ohne Familienbezug, sowie die sich als Saisonarbeiter verdingenden Tagelöhner. Grund für die allgemeine Geringschätzung dieser Schicht ist ihre geringe Qualifikation sowie die Tatsache, daß bei solchen Arbeiten meist Strafgefangene eingesetzt wurden. Wesentlicher erscheint jedoch die Begründung, daß sich die Arbeiter mit der Diskriminierung des Lumpenproletariats "gegen ein Abgleiten in diese unterste Schicht mit allen Kräften zu wehren" (7) suchten.

Die bekannte Schematisierung der traditionellen materialistischen Geschichtsschreibung, die dem Lumpenproletariat grundsätzliche Unfähigkeit zur Herausbildung von Klassenbewußtsein zuschreibt und sich mit der Abwertung von Diebstahl und Plünderungen als "kriminell" auf das Niveau bürgerlicher Eigentumsideologen begibt, wird deutlich bei der Einschätzung der Berliner "Kartoffelrevolte" von 1847. Als Folge von Mißernten und steigender Arbeitslosigkeit hatte sich die Not der arbeitenden Bevölkerung ins Unerträgliche gesteigert. Die Kartoffelpreise wurden von Bauern und Zwischenhändlern maßlos hoch gesteigert, bis es zu einer spontanen Explosion der Volkswut kam; Arbeiterfrauen griffen zur Selbsthilfe: es kam zu Plünderungen der Kartoffel und Brotbestände auf dem Gendarmenmarkt. Die Aktionen wurden von einer spontan sich zu-sammenrottenden Masse "welche zum großen Teil aus Weibern bestand" (8) -denn diese hatten für die Reproduktion zu sorgen -getragen und nach der Plünderung der Marktbestände in Bäcker- und Fleischerläden der Stadt fortgesetzt. Nach erbitterten Kämpfen mit Gendarmen und Militär wurde die Bewegung schließlich niedergeschlagen. Als Maßstab der Beurteilung der spontanen Aktionen ist hier nicht die Frage zu setzen, ob das Bewußtsein vom antagonistischen Wi-derspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat als Kontrollinstanz fungierte, entscheidend ist der vollzogene Lernschritt vom individuellen Diebstahl, der seine Grenzen meist in den Mauern der Gefängnisse und Arbeitshäuser fand, zur kollek-tiven Plünderung, die zwangsläufig durch das Eingreifen der Staatsmacht weiterreichende Zusammenhänge für den ein-zelnen praktisch begreifbar macht.

Die Politik der Arbeiterführer, das negativ eingeschätzte Lumpenproletariat aus der organisierten Bewegung auszugrenzen, wird von Wilhelm Reich scharf kritisiert: "Wenn zwei Menschen, A und B hungern, kann sich der eine fügen, nicht stehlen und betteln oder verhungern; der andere jedoch kann sich eigenmächtig Nahrung verschaffen. Eine weite Schicht des Proletariats lebt nach den Prinzipien von B. Es wird "Lumpenproletariat" genannt. Wir teilen keineswegs die romantische Bewunderung für die Verbrecherwelt, aber die Sache erfordert Klarheit. Welcher der beiden früher genannten Typen hat mehr Elemente von Klassengefühl in sich? Stehlen ist noch kein Zeichen von Klassenbewußt-sein; eine kurze Überlegung zeigt aber trotz unseres inneren, moralischen Sträubens, daß derjenige, der sich den Gesetzen nicht fügt und stiehlt, wenn er verhungert, also noch Willen zum Leben äußert, mehr Energie zur Auflehnung in sich trägt, als derjenige, der sich stillschweigend auf die Schlachtbank des Kapitalismus legt. Wir halten fest, daß das Grundproblem einer korrekten Psychologie nicht das ist, weshalb ein Hungernder stiehlt, sondern gerade umgekehrt das, wes-halb er nicht stiehlt..." (9)

Wesentliches Element der Volksbewegung des Jahres 1848 war jener Rest von Autonomie, Kreativität und Genußfähigkeit, der, aus den untergehenden feudalen Beziehungen stammend, notwendig war, um innerhalb des neuen Systems wenigstens annähernd authentisch bestehen zu können. Der in Deutschland seit ca. 1830 massiv einsetzende Prozeß der Herausbildung des "freien" Lohnarbeiters stieß auf den Widerstand der sich gegen ihre Dequalifizierung zur Wehr setzenden bäuerlichen und handwerklichen Massen, ein Widerstand, der von teilen der materialistischen Geschichtsbetrachtung als "bewußtlos", "ziellos", "rückwärtsgewandt" bezeichnet, faktisch ein treibendes Element bei der Konstitutiierung von Öffentlichkeitsformen mit Gebrauchswert für die Volksbewegung darstellte.

Der geschilderte Widerspruch zwischen den Anfängen der organisierten Arbeiterbewegung und den lumpenproletarischen Randgruppen" wird daher wesentlich bestimmt durch den Grad der Unterwerfung unter die neu entstandenen produktionsbedingungen. Die Angleichung der proletarischen Organisationsformen an Grundmuster bürgerlicher Öffentlichkeit und damit einhergehend ihre Unwirksamkeit in den entscheidenden Kämpfen des Jahres 1848 leitet sich her aus der Anpassung an die Normen des Fabriksystems und die bürgerliche Rationalisierung von Fortschritt. In diesem Zusammenhang gesehen gewinnen die Kämpfe bestimmter Arbeiterschichten gegen das Akkordsystem, Arbeitsverweigerung und Maschinenzerstörung einen ganz anderen Stellenwert.

2. Die Rehberger -Kampfformen und Gegenkultur der Erdarbeiter

Die Statistiken über die im Berliner Barrikadenkampf vom 18. März 1848 Gefallenen (10) weisen fast nur Handwerker und Lohnarbeiter aus, ebenso beweisen die Zeitungsberichte, daß das Bür-gertum die Kämpfe nur passiv unterstützte. Um so eifriger erwiesen sich die Bemühungen des Bürgertums um Absiche-rung bestimmter Positionen gegenüber der faktisch trotz des Sieges unangetastet gebliebenen Macht des feudalen Staates in den Wochen nach dem 18. März, wobei schließlich ein Arrangement getroffen wurde, das einzig den Interessen der Bourgeoisie dienlich war: Einsetzung einer bürgerlichen Regierung (gebildet von den Großindustriellen Camphausen und Hansemann), Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Einführung einer Bürgerwehr, von der die Arbeiter ausdrücklich ausgeschlossen blieben.

Die Entschädigungen für die kämpfenden Arbeiter umfaßte Unterstützungskassen für Angehörige der gefallenen "Barrikadenhelden", Gründung von Wohltätigkeitsvereinen für die Notleidenden und die vom Magistrat organisierte Beschäftigung Arbeitsloser bei öffentlichen Arbeiten. Wie sehr das Bürgertum befürchtete, die Arbeiter könnten aus ihrem Anteil an den Kämpfen weitergehnde Forderungen ableiten, zeigen die Versöhnungs- Beschwichtigungsversuche nicht nur der eindeutig an den Interessen der Bourgeoisie orientierten Zeitungen, sondern auch zahlreicher kleinbürgerlicher Demokraten, die Aufrufe an die Arbeiter erließen, Ruhe und Ordnung zu respektieren und auf den gesetzmäßigen Weg zu vertrauen, durch den letztlich ihr Elend beseitigt werde. Die Spenersche Zeitung bringt diese Bemühungen auf den Begriff: "Die Revolution, deren Segen wir euch, Ihr braven heldenmütigen Armen, am meisten zu danken haben, war not-wendig, um die Tyrranei zu stürzen, aber jetzt ist die Revolution vorbei. Wir sind frei geworden. In der Freiheit ist der rohe Kampf Verbrechen, in der Freiheit kämpft man mit der Waffe des Geistes, der Wahrheit." (11)

Derartige Apelle bewirkten jedoch angesichts der Notlage der breiten Masse, die immer wieder zu "Krawallen" und Plünderungen führte, wenig; die sich im Revolutionsjahr durch Abwanderung vieler Unternehmer und mangelnder Investitionsneigung immer mehr verschärfender Arbeitslosigkeit konfrontierte die gerade erst durch den Kampf der kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten zur Macht gelangten Bourgeoisie mit einem ständigen Unruheherd. Nach Pariser Vorbild, wo nach der Februarrevolution die Arbeitslosen zur Erfüllung öffentlicher Arbeiten in Nationalwerkstätten zusammengefaßt wurden, stellte der Berliner Magistrat Arbeitslose (ca. 4-6000 Mann) für einen Tageslohn von anfangs 12,5 Silbergroschen für Erd- und Kanalarbeiten außerhalb Berlins ein. Im Verhältnis zu der vom Bürgertum intendierten Ausschaltung dieses die Stabilisierung seiner Herrschaft gefährdenden Unruhefaktors war die wirtschaftliche Effektivität der zu leistenden Arbeit äußerst gering. Die Erkenntnis der Absurdität ihrer Arbeit, die zum Teil nur darin bestand, Sandhügel abzutragen, um sie an anderer Stelle wieder aufzuschichten, förderte bei den Beschäftigten schnell das Bewußtsein, daß der ihnen bezahlte Lohn im Grunde genommen nur ein Beste-chungsgeld für die Nichtbeteiligung an Straßenunruhen darstellte.

Die Folge davon war die Reduzierung der Arbeitsleistung oder totale Arbeitsverweigerung, was sie des öfteren mit den städtischen Aufsehern in Konflikt geraten ließ. Insbesondere die sogenannten Rehberger, etwa 1500 Arbeitslose, die in einem Vorort Berlins an den Rehbergen zum Ausroden von Bäumen und dem Abtragen von Sandhügeln beschäftigt wurden, erlangten einen legendären Ruf, sowohl aufgrund ihrer Beteiligung am Verlauf der revolutionären Ereignisse als auch aufgrund ihrer Widerstandsformen gegenüber Aufsehern und der des öfteren gegen sie eingesetzten Bürgerwehr. Eine historisch genaue Einschätzung ihrer Rolle geben zu wollen, ist nahezu unmöglich, da sie sowohl in der reaktionären, als auch in der demokratischen Presse wegen ihrer angeblichen Faulheit und ihres zügellosen Lebenswandels angegriffen und karikiert wurden.

Generell jedoch kann die Beschreibung, die der kleinbürgerliche Demokrat Paul Börner gibt, im wesentlichen als richtig angesehen werden: "Sollte ein Baum ausgerodet werden, so wurde um ihn eine niedliche Laubhütte gebaut, um das Graben geschützt gegen die heißen Strahlen der Sonne vornehmen zu können. Nur sehr langsam nach homöopathischen Prinzipien erfolgte sein endlicher Fall. Bei dem Abtragen der Sandhügel ging man mit nicht minderer Sorgfalt und Vorsicht zu Werke. Genau wurde die Zahl der Karren bestimmt, die bei schwerer Strafe niemand, aus allzugroßem Fleiß, überschreiten durfte." (12) Das Auftreten der Erdarbeiter, ihr Widerstand gegen die Schachtmeister, die Aneignung des gefällten Fichtenholzes als Lohnzuschuß, die Forderung nach Lohnerhöhung wurden von Magistrat zunächst geduldet. Die in den Monaten in Berlin noch stark revolutionäre Stimmung, das Bemühen, die Arbeiter, die im Barrikadenkampf für die Errichtung bürgerlicher Machtpositionen gekämpft hatten, zu besänftigen, veranlaßte das Bürgertum zunächst nachzugeben. Indessen taten die Erdarbeiter häufig genau das Gegenteil von dem, wofür sie bezahlt wurden: statt sich eine Meile von Berlin herauszuhalten, beteiligten sie sich als tragendes Element an allen Kampfaktionen.

"Man sah sie häufig von Morgen bis zum Abend in drohenden Haufen vor dem Berliner Rathaus, Lohnerhöhungen fordernd oder irgend eine Beschwerde führend; in dem politischen Club traten einzelne Be-gabte unter ihnen zuweilen als Redner auf und ergänzten den mangelnden Ausdruck ihrer Rede durch die vielsagende Mimik ihres Knotenprügels; des Abends förderten sie ihre politische Bildung durch Teilnahme am berühmten Lindenclub; bei festlichen Umzügen erschienen sie in ihrer Gesamtheit mit der von der Sonnenhitze und dem Staub der Rehberge ver-bleichten Trikolore..." (13)

Die Spaltung der Erdarbeitrer glaubte man vor allem deshalb leichter bewerkstelligen zu können, da sie an den verschiedenen Baustellen rings um Berlin beschäftigt waren. Die Erdarbeiter von den Rehbergen erwiesen sich jedoch so weitsichtig zu erkennen, daß sie erfolglos bleiben mußten, wenn es nicht gelang, die Forderung nach einem festen Tageslohn unter allen bei Erdarbeiten Beschäftigten durchzusetzen. Da die am Plötzensee Beschäftigten sich unter dem Druck der Aufseher weigerten, den Akkord aufzugeben, beschlossen die Rehberger, dasselbe mit Gewalt zu erzwingen.

"Am 6. (April 1848) nachmittags setzte sich von den Rehbergen her ein langer Arbeiterzug , verstärkt durch Kanalarbeiter vom Halleschen Tor, in Bewegung und rückte, einen Tambour und Fahnenträger voran, dem Lager des Feindes zu. Die Rehberger behielten in dem Kampf die Oberhand, der Akkordarbeit war ein Ende gesetzt."(14) Erst im Mai konnten nach massiven Einsatz der Bürgerwehr an einzelnen Baustellen der Widerstand der Arbeiter gebrochen werden, die dann vor der Alternative standen, entweder Akkordarbeit zu akzeptieren oder entlassen zu werden.

Einzelne Republikaner erkannten das revolutionäre Potential der Erdarbeiter und zogen ihrerseits zu zu den Rehbergen hinaus, um die dort Beschäftigten bei besonderen Anlässen zu Hilfe zu rufen. G. A. Schlöffel, der die Rehberger im Arbeiterkomitee vertrat, verteilte dort unentgeltlich einen großen Teil seines "Volksfreundes". Gegenüber dem versöhnlichen Kurs des von Born geleiteten Zentralkomitees, zielte Schlöffel auf die Weiterentwicklung der Revolution, "indem er offen aussprach, daß dies nur durch Gewalt zu erzielen sei". (15)

Während ein großer Teil der demokratischen Clubredner in den Versammlungen immer wieder zur Besonnenheit mahnten, um das Bündnis mit dem Bürgertum nicht zu gefährden und die gutbezahlten Maschi-nenbauer in einem Flugblatt ihre Hochachtung vor dem bürgerlichen Eigentum bekundeten, wofür sie mit ihrer Eingliederung in die Bürgerwehr belohnt wurden, artikulierte Schlöffel die Interessen der Arbeiterschicht, welche die geplanten behördlichen Maßnahmen zur Abhilfe der materiellen Not aufgrund ihrer verzweifelten Lage nicht abwarten konnte, und nicht bereit war, auf die langfristige Gratifikation, die die Arbeiterorganisation in Aussicht stellte, zu hoffen, sondern vielmehr zu einer sofortigen radikalen politischen Veränderung drängte.

Produkt dieser Haltung sind die turbulenten Aufzüge vor Kleiderläden und Möbelläden, gegen die sich die "Volkswut" besonders richtete, wenn die eigene materielle Notlage als Folge des wucherischen Zwischenhandels verstanden wurde. Einen hohen Grad von Organisierung der Interessen spiegeln die Aktionen gegen den Brotwucher wider; nachdem am 16. April in einer Zeltenversammlung Selbsthilfemaßnahmen gegen den Brotwucher beschlossen waren, zogen in den folgenden Tagen Arbeitertrupps mit Wagen vor die Bäckerläden. In jedem Laden wurde das Brot gewogen, untergewichtige Brote wurden mit einem Vermerk an die Laden-tür genagelt, was zum Boykott des Bäckers aufrief. Bei manchen, welche große Brote gebacken hatten, wurde eine lo-bende Bemerkung an die Ladentür geschrieben und die versammelte Volksmenge brachte ein Lebehoch auf den Bäcker aus.

Der sich im Zuge der verschiedenen Selbsthilfemaßnahmen verschärfende Konflikt mit der Bürgerwehr führte zu einem verstärkten Ruf nach einer wirklichen Volksbewaffnung, dem scheinbar durch Bildung des Maschinenbauerkorps entsprochen wurde. Der Zeughaussturm am 14. Juni, an dem das Zentralkomitee und andere Arbeitervereine keinen organisatorischen Anteil hatten (der handwerkerverein trat den Volksmassen sogar als Ordnungspolizei entgegen), ist Ausdruck der spontanen Auflehnung unorganisierter, wohl überwiegend lumpenproletarischer Schichten, denen das Bürgertum, aus begründeter Furcht vor deren Militanz, die Bewaffnung verwehrte.

Zu den schärfsten Kämpfen zwischen Arbeitern und Bürgerwehr kam es am 16. Oktober. Die auf dem Köpenicker Feld zu Kanalarbeiten beschäftigten Arbeiter hatten -ob nun, wie Springer bemerkt, durch Aufwiegler angestiftet (16) oder aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren -eine vom Magistrat im Kanalbett aufgestellte Pumpenmaschine zerstört, die gerade durch ihren Einsatz einen Fortgang der Arbeiten ermöglicht hätte.Daraufhin wurden an der Arbeitsstätte Bürgerwehreinheiten stationiert, die die Arbeiter beaufsichtigen sollten.

Nach den zeitgenössischen Berichten entwickelte sich die Auseinandersetzungen aus einem Mißverständnis heraus: die Arbeiter wollten, nachdem sie die Entwicklung eines neuen Schachtes festlich begonnen hatten, der Bürger-wehr ein "Hurrah" bringen, was deren Mitglieder als Attacke auslegten und einen Arbeiter beim Gegenangriff verletzten. Als dessen Kollegen sich daraufhin mit Knüppeln und einigen Flinten bewaffneten, gab die Bürgerwehr Feuer, elf Arbei-ter und ein Bürgerwehrmann fielen. Die Arbeiter richteten sich nun auf einen längeren Kampf ein, zwei Barrikaden wur-den errichtet und die Erdarbeiter aus allen Vororten zusammengerufen.

Das Bürgertum mußte seine "besten" Kräfte aufbieten, um eine Ausdehnung des Kampfes zu verhindern. Beim Volk beliebte Demokraten wie Waldeck, Berends, Volksredner wie Karbe und Lindenmüller versuchten die Arbeiter von weiterem Kampf abzuhalten, der demokratische Klub sowie die Linke der Nationalversammlung drangen auf Versöhnung zwischen Arbeitern und Bürgern; nach entspre-chender Öffentlichkeitsarbeit (Petitionen, feierliche Grabreden etc.) gelang es schließlich, den Riß zwischen beiden Klassen wieder zu überkleistern." Charakterristisch für die Haltung der Maschinenbauer und ihren traditionellen Vermittlerrollen bei Konflikten zwischen Bourgeoisie und Arbeitern ist die folgende Erklärung: "Wir Maschinenbau-Arbeiter als eherne Stütze des demokratischen Fortschritts (erklären) offen und fest entschlossen: Bei dem Ausbruch eines neuen Kampfes zwischen Bürgern und Arbeitern stellen wir uns sämtlich unbewaffnet, als Schutz- und Trutzwehr der brüderlichen Einigkeit zwischen den kämpfenden Parteien und nur über unsere Leichen führt der unglückliche Weg zum Bruderkampfe. Wagt aber die Reaktion einen offenen Kampf gegen die gute Sache der Freiheit, dann Bürger und Arbeiter! stehen wir bewaffnet mit euch in einer Reihe!" (17)

Da sie zumeist keinen festen Wohnsitz hatten, siedelten sich die Rehberger in der Umgebung ihres Arbeitsplatzes in selbstgebauten Hütten an, womit die Voraussetzung für die Entstehung einer in der zeitgenössischen Presse oft illustrierten Gegenkultur geschaffen war. Insbesondere im Kladderadatsch, einer satirischen Zeitschrift radikaldemokratischer Gesinnung wurde der Rehberger mit seinem Motto "Müßiggang hat Gold im Mund und Morgenstund ist aller Laster Anfang" zum zum Identifikationssymbol für eine antibürgerliche, antikapitalistische Haltung. Kennzeichnend für die aus diesem Lebens- und Arbeitszusammen-hang entwickelten Kampf und Aktionsformen ist die Ablehnung aller bürgerlichen Institutionen wie Parlament und Ver-ein, die ihren Ausdruck findet in der Persiflierung parlamentarischer Spielregeln; wie sich z. B. die "Versammlung" der Eckensteher im "souveränen Linden-Club" einen formellen Rahmen gab, so erließen die Rehberger eine Verfassung, wählten eine Regierung, verteilten Posten. Ihre Teilnahme an den von Mai bis Juni mißliebigen Politikern dargebrachten Katzenmusiken ist ebenfalls verbürgt, zumal sich unter ihnen ein eigenes Orchester mit Streich- und Zupfinstrumenten herausgebildet hatte, das sowohl zur Unterhaltung während der Arbeit als auch Abends zum Tanze aufspielte. Das abenteuerliche Erscheinungsbild der Rehberger wird in vielen zeitgenössischen Karikaturen verarbeitet, in denen sich deutlich die Angst des Bürgertums vor dem Proletariat widerspiegelt. So werden die Rehberger immer als übergroße, grobe Ge-stalten mit den breitkrempeligen Hüten der Republikaner und mit riesigen Knüppeln dargestellt, meist noch mit einer Kümmelschnapsflasche in der Tasche.

Während der Berliner Magistrat einerseits das revolutionäre Potential der Erdarbeiter unterdrücken mußte, um Ruhe und Ordnung auf den Straßen zu garantieren (19), so wurde er gleichzeitig gezwungen, die Notwendigkeit der aus Steuermitteln aufgebrachten Lohnaufwendungen vor den Bürgern zu leggitimieren. So gab der Magistrat, als die Erdarbeiter für höhere Löhne in den Streik traten und Umzüge durch die Stadt veranstalteten, zunächst nach und erhöhte den Tagessatz zunächst auf 15 Silbergroschen. Gleichzeitig wurde aber der Druck bezüglich der Arbeitsleistung verschärft; auf den Rehbergen wurde eine große schwarze Tafel aufgestellt, mit der Ermahnung, die Arbeiter sollten "fleißiger werden und ihren Lohn durch anhaltende Arbeit sich auch zu verdienen suchen" (20). In einer sofort eingerufenen Versammlung berieten die Rehberger Maßnahmen gegen diesen Angriff des Magistrats. "Am Abend bildeten sie einen feierlichen Zug, die Tafel wurde heruntergenommen und in einen improvisierten Sarg gelegt, der von sechs Mann getragen wurde. Das Orchester ging ihm voran. Unter feierlicher Melodie bewegte sich die Menge durch das souveräne Gebiet. Endlich war man einem schnell hingestellten Grabe angekommen, der Präsident sprach eine rührende Leichenrede, dann senkte man man den Sarg hinein und warf schnell einen Grabhügel auf. Ein pfahl mit einer Tafel wurde daneben gestellt, diese enthielt die Inschrift: "hier liegt der Berliner Magistrat begraben!" Zwei Wochen hindurch mußte täglich ein Rehberger Schildwache stehen." (21)

Börner berichtet auch von einem Landwehr-Einsatz auf den Rehbergen: schon während des Aufmarsches weigerte sich die Mehrzahl der Einheit, die Gewehre scharf zu laden; als ihnen die Erdarbeiter nicht den erwarteten bewaffneten Widerstand leisteten, sondern mit Schnapsflaschen entgegenkamen, deren Inhalt sie mit den Soldaten teilen wollten, kam es zu Verbrüderungsszenen, die sich schließlich in einem, die ganze Nacht hindurch dauernden, Fest fortsetzten.

Die praktizierten Aktionsformen erscheinen originell und fantasievoll; dem formellen Charakter obrigkeitlicher Öffentlichkeit (das Aufstellen der Tafel mit den Arbeitsbestimmungen) wird eine Pseudoform (die Trauerfeier, der Begräbnisakt, das Aufstellen der Schildwache) entgegengestellt und damit eine viel wirkungsvollere Absage an die behördlichen "Verhaltenszumutungen" erteilt, als es je in einer Resolution hätte geschehen können. Der Begräbnisakt birgt zudem noch einen besonderen Aussagegehalt, da Bestzungsfeierlichkeiten in dieser Zeit eine vom Bürgertum überstrabazierte Versöhnungsprozedur darstellten. Generell kann man sagen, daß diese Aktionen allein von lumpenproletarischen Schichten und den sie unterstützenden kleinbürgerlichen Intellektuellen getragen wurden, daß sie jedoch für die organisierte Arbeiterbewegung atypisch sind und sich gegen deren besonnene und nüchterne Politik sperren; der sich in ihnen manifestierende Ansatz von Gegenkultur, die Fantasie, zu kämpfen und neuen Verhaaltensformen zu entwickeln, wird nicht aufgehoben in die Organisation, bleibt damit den Angriffen bürgerlicher Öffentlichkeit überlassen.

3. Schlöffel und Born als Exponenten zweier Flügel der Berliner Arbeiterbewegung

Die Spaltung der Berliner Arbeiterbewegung schon in ihrem Entstehungsprozeß mußte sich auf die folgenden Abwehrkämpfe gegen die hereinbrechende Restauration lähmend auswirken: auf der einen Seite ein legalistischer, auf friedliche Reformen drängen-der Flügel, zurückgezogen aus den Straßenkämpfen in die Exklusivität der diversen branchenspezifischen Vereine der Arbeiterverbrüderung, auf der anderen Seite eine militante Straßenbewegung, schichtenspezifisch nicht klar einzugren-zen, aber dominiert von Arbeitslosen und den bei öffentlichen Arbeiten beschäftigten Erdarbeitern, im Verlauf des Jahres zunehmend desorientiert durch Verrat oder Verhaftung der befähigsten Volksführer. Die Äußerungen Stefan Borns und G. A. Schlöffels (22), der beiden exponiertesten Sprecher beider Flügel, kennzeichnen sie trotz ihrer vornehmlichen Einwir-kung auf die Tageskämpfe als Träger von Ideen und Positionen, die über die unmittelbaren Konstellation der Berliner Revolutionsereignisse hinausweisen.

So kann Born, der im Frühjahr 1848 als Emissär des Bundes der Kommunisten nach Berlin kam, jedoch in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Das Volk" die neue Lehre pragmatisch verkürzt, indem er die Durchsetzung der materiellen Interessen der Arbeiter von der politischen Perspektive der revolutionären Machteroberung trennt, sowohl seinen Organisationsbestrebungen als auch seiner publizistischen Arbeit nach als Vorläufer späterer sozialdemokratischer Positionen bezeichnet werden.

Auf der anderen Seite steht Schlöffel, dessen Aufsätze im "Volksfreund" deutlich das utopische Potential der Frühsozialisten, aber auch Einflüsse Proudhons und Blanquis widerspiegeln. Sicher stimmt etwas an Borns Kritik, der den "Volksfreund" in einem Brief an Marx als "pathetisch grobianisch, in ökonomischen Fragen unwissend" (23) bezeichnet; Schlöffel fehlte eine klare Erkenntnis der sich durchsetzenden kapitalistischen Wirtschaftsweise, er wandte sich nur pauschal gegen "Geldsäcke" , die das vom Volk Erarbeitete verprassen, erkannte jedoch schon frühzeitig, als Born noch einem Bündnis mit dem Bürgertum das Wort redete, daß sich schon längst ein anderes Bündnis "noch auf den Barrikaden von Berlin" (24) vollzogen hatte, das zwischen Bourgeoisie und Junkertum. Der umfassende Angriff Schlöffels gegen die sich vollziehende Verschmelzung aller Institutionen der alten feudalen Gesellschaft und der neuen bürgerlichenund insbesondere die Handhabung des feudalstaatlichen Gewaltapparates durch das Bürgertum gegenüber der Volksbewegung begründet zugleich die Forderung nach einer neuen wirklichen Revolution durch das Volk. Die Lebendigkeit der Straßenbewegung erklärt sich gerade aus ihrer Ablehnung , ihre unmittelbaren Bedürfnisse nach dem Etappenmodell Borns auf den Tag zu verschieben, an dem die bürgerliche Klasse voll ausgebildet sei und man nun endlich zum Kampf gegen sie antreten könne.

Nach Born ist die direkte Aktion, wenn überhaupt, dann erst in dem Moment gerechtfertigt, wo sich innerhalb der Arbeiterklasse das Bewußtsein ihrer historischen Mission durchgesetzt habe. Die Entstehung von Klassenbewußtsein wird auf den subjektiven Entwicklungsprozeß innerhalb der Organisation beschränkt; erst die von der Organisation getragenen Aktionen werden zu klassenbewußten erklärt. Über die Bildungsarbeit der einzelnen Basisgruppen soll das Bewußtsein der Arbeiter gehoben und dadurch das Werden der Klasse "für sich" vorangetrieben werden. Alle Aktivitäten der Arbeiter sollen in den Aufbauprozeß der Organisation assimiliert werden. Spontane Kämpfe mit nur kurzfristigen Erfolgsaussichten sollten zurückgestellt werden zugunsten der Stabilisierung der Organisation in der bestehenden Gesellschaft.

Born schreibt am 11. Mai an Marx: "Ich halte es (das Proletariat) deshalb, wo es nur möglich ist, von unnnützen Krawallen, organisiere aber überall die zerstreuten Kräfte zu einer starken Macht. Ich stehe an der Spitze der Arbeiterbewegung. Die Bourgeois haben Vertrauen zu meinem Verwaltungstalent, sie sehen nicht, daß ich die Arbeiter verbinde und dahin wirke, daß kein blinder Lärm geschlagen werde." (25)

Charakteristisch ist die Distanzierung Borns vom Lumpenproletariat als Träger von Plünderungen und Krawallen; in einem programmatischen Artikel der Verbrüderung führt er aus, daß "nur diejenigen der Freiheit würdig und fähig (sind), sie zu gebrauchen, die sie erlangen wollen... Das ist uns klar, daß es innerhalb des vierten Standes auch noch Abstufufungen gibt, die je nach ihren Verhältnissen schneller oder langsamer zur Freiheitgelangen, oder die ganz und gar aufgerieben werden... wir (müssen) uns wieder gestehen, daß es ein schöner Traum ist, leider nur ein Traum, der das Menschenherz ehrt, wenn wir daran denken, es könne uns möglich sein, die Klasse der Gesellschaft, welche durch Laster und Verbrechen auf den Namen Mensch kaum mehr Anspruch nehmen kann, wieder aufzurichten und zu nützlichen Geschöpfen zu erheben." (26)

Während die Organisationsbestrebungen der Arbeiterverbrüderung hauptsächlich auf die Gruppe der qualifizierten Fabrikarbeiter und die Schicht der proletarisierten Handwerker abzielten, wurden die ungelernten Arbeiter, Tagelöhner und Arbeitslose diskriminiert. In Abgrenzung zu ihnen wird "eine proletarische Moral" entwickelt, deren Verhaltensanweisungen in den "Zehn Beboten der Arbeiter" fixiert werden: die Arbeiter sollen keine Müßiggänger unter sich dulden, sollen immer anständig gekleidet sein, "in Ehren leben"; Moralvorstellungen, welche die Emanzipationsbewegung des Bürgertums als Idee propagierte, fließen als Ideologie in die Programmatik der Arbeiter-bewegung mit ein. Zwei Adressen sollen hier ausführlich zitiert werden, die am Anfang der Organisierung der Berliner Arbeiter standen und jede für sich Ausdruck eines bestimmten schichtenspezifischen Interesses sind, auf der einen Seite, das von Stefan Born formulierte Programm des Zentral-Comtes für Arbeiter, auf der anderen Seite die offensichtlich von Schlöffel verfaßten Forderungen der Tagelöhner.

Born schildert zunächst das Bewußtwerden der Arbeiter über ihre eigene Stärke, die dem eben zur Macht gelangten Bürgertum Angst einzuflößen beginnt. Doch ihm geht es vor allem darum, dem Bürgertum diese Angst zu nehmen, die Rohheit und das Ungestüm bestimmter Arbeiterschichten zu entschuldigen, verständlich zu machen. Das Wissen um die eigene Mündigkeit begründet nicht die Forderung nach Zerstörung der bürgerlichen Machtpositionen: "Wir nehmen unsere Angelegenheiten selbst in unsere Hände, und niemand soll sie uns wieder entreißen. Aber neben diesem Gefühl unserer Stärke wissen wir auch, daß es in unserem Vaterlande noch keines-wegs zwei scharf getrennte Volksklassen: Kapitalisten und Arbeiter gibt, sondern daß in demselben sich noch andere Ele-mente geltend machen, die weder der einen noch der anderen dieser Klassen ganz angehören, sich immer noch eine be-deutende Stellung erhalten haben. Wir wissen, daß das deutsche Volk in seiner geschichtlichen Entwicklung abhängig ist von der Entwicklung der Völker, die diesen Prozeß schon durchgemacht, daß in einem Volke, wo es zwar Arbeiter, Arme, Bedrückte und Belastete, aber noch keine arbeitende Klasse gibt, auch keine Revolution von einer solchen zuerst ausgehen kann. Wir wissen sehr wohl, daß wir bei dem unklugen Versuche, einer neuen Revolution in die sehr nahe Gefahr kommen würden, alles das noch zu verlieren, was wir eben erst errungen, und Deutschland in eine Anarchie zu versetzen, in welcher aber, wissen wir es wer? zur Herrschaft gelangen kann. Hier begegnen sich unsere Interessen mit den Interessen der Kapitalisten, wir wollen beide den Frieden, wir müssen ihn wollen..." (27) Born versteht die Arbeiterorganisation in erster Linie als Ordnungsmacht, die zusammen mit dem Bürgertum die errungenen Freiheiten gegen die Reaktion verteidigen soll; innerhalb des Schutzes einer zu schaffenden liberalen Verfassung soll sich die Organisation der Arbeiter vollziehen bis "wir es dahin bringen, daß wir als Arbeiterklasse, als eine Macht im Staate dastehen." (28)

Anders die Adresse der Tagelöhner, die ausdrücklich auch die neuen Machthaber, die reichen Bürger, attackiert und die Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze herausstellt: "Auch wir, die wir der letzte Stand sind, auf dessen gekrümmten Rücken der Druck einer ungerechten Ordnung der Dinge lastet, wir, auf die jene Bauherrn und die ganze Klasse der Reichen wie auf tote Maschinen und den Pöbel des Pöbels herabsehen, auch wir erheben uns nach den Tagen des Kampfes stolz, um eine würdigere Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, Weiset uns nicht vornehm zurück Ihr Männer, die Ihr Euch berufen fühlt am wahren Wohle des Volkes zu arbeiten, uns, die wir schwitzend die Steine zu den Palästen der Reichen herbeitragen, die wir das Straßenpflaster ebnen, auf dem sie in ihren Staatswagen einherfahren; denn wahrlich wir sind entschlossen, diese Pflastersteine wieder aufzureißen, wenn es gelten wird, gegen die Feinde der Freiheit, gegen die hartherzigen Bedrücker der Arbeiter hinter den Barrikaden zu kämpfen. Glaubt es, wir werden es nicht dulden, daß unsere Brüder in Friedrichshain umsonst oder nur für solche Dinge geblutet haben, die den Reichen etwas mehr Stimme neben ihren König einräumen. Auch wir wollen endlich eine menschenwürdige, eine freie Stellung einnehmen. Wir können dies aber nur, wenn wir nicht die schlecht besoldeten Soldaten drückender Herren sind, wenn wir um einen kargen Bissen Brot uns so abarbeiten müssen, daß es den meisten unmöglich ist in ihrer Muße der Bildung des Geistes zu pflegen, oder als freie Staatsbürger sich um die öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern. Nein, wer nicht weiß woher er seine ersten Bedürfnisse befriedigen soll, dem helfen alle Landtage und Verfassungen der Erde nichts. Unsere, der Armen Not ist es aber wieder, an der alle Staatskünstler, die für die politischen Liebhabereien der Reichen sorgen, verbluten werden. Wenn das Faß voll ist, so läuft es über; dessen erinnert Euch, wenn einst die gewaltige Sturmglocke läutet, die dem Stande der Arbeiter, dem Volke, was von dem Kummer erzogen und von der Not zu Grabe geleitet wird, daß nie in seinem Leben lernt, was Leben heißt, die diesem Volk das Zeichen der Befreiung geben wird. Ihr werdet verblendet unsere Forderungen überhören und uns zum Handeln zwingen. Ihr wolltet alles retten und dem Volke nichts gönnen! Ihr werdet alles verlieren und das Volk wird seine ganze Freiheit erlangen. -Wir fordern für jetzt, um schnell zu helfen, einen Lohn, bei dem wir leben können; im Sommer für 12 Stunden 20 Sgr. und im Winter für 10 Stunden 17 ½ Sgr. -Es ist wahrlich nicht unbillig was wir verlangen. Es ist immer noch hart genug, seinen ganzen Tag , die 12 Stunden, wo die Sonne scheint, um 20 Silberstückchen zu verkaufen, die kaum unsere Familie vor dem Hunger schützen. Es ist immer noch hart genug, bei einer Arbeit sein Lebenlang zuzubringen, die den Geist tötet und das Leben zur Qual macht, während die, welche in die Wiege der Reichen gebettet wurden, durch ihre hohen Schulen zu einem Leben voll Lust, Scherz und ohne Anstrengung vorbereitet werden. Wißt Ihr nicht, daß gerade die niedrigsten Arbeiten die teuersten sein sollten, weil sie die qualvollsten und langweiligsten sind? Wir wollen Hand in Hand gehen mit Euch andern Arbeitern und Kampfgenossen, wir knüpfen unsere Sache an die Eurige und versprechen uns von dem aufrichtigen, mutigen und entschlossenen Wirken des Volks- und Arbeiterausschusses auch Abhülfe unserer bittern Not. -Werfet nicht den Stein auf verirrte Brüder, die ihre Verzweiflung an Leidensgefährten auslassen, weil es ihnen gelang, etwas mehr zu verdienen. Die Schuld an solchen Verwirrungen, wer trägt sie, als unsere Dränger? Euch aber Ihr Brüder ermahnen wir Euern Haß auf diese zu wenden, die einzig und allein Euer Elend verschulden." (29)

Eine kurz darauf erschienene zweite Adresse der Tagelöhner, unterzeichnet von einer Arbeiterkommission wieder mit Schlöffel als Sprecher, wendet sich als Ergänzung der ersten gegen Akkordarbeit und Lohndrückerei durch Heranziehung fremder Arbeiter. "Die zweite Versammlung drang auch energisch auf eine Bewaffnung der arbeitenden Klassen. Nicht wehrlos wollen wir unser Leiber preisgeben den Kugeln, die uns vielleicht diesmal nicht allein von der Linie, sondern von dem Heer der Reichen drohen. Dank der sauren Arbeit unseres unterdrückten Standes ist unsere Haut hart, aber doch noch nicht kugelfest geworden gegen die Angriffe einer Partei, die allein aus einem Kampf Nutzen ziehen will, den wahrlich wir, nicht sie ausgefochten haben." (30) Die Notwendigkeit der Volksbewaffnung wurde insbesondere deshalb hervorgehoben, weil die Bürgerwehr schon in den ersten Monaten nach dem 18. März gegen Volksversammlungen, Katzenmusiken und streikende Erdarbeiter eingesetzt wurde. In der zitierten Adresse der Tagelöhner klingt bereits die Forderung nicht nur nach materieller Besserstellung, sondern nach einer völlig neuen Organisation der Arbeit an.

In einer aufgrund seiner Verhaftung unvollendeten Artikelserie über die "Organisation der Arbeiter und der Arbeit führt Schlöffel diesen Zusammenhang weiter aus, wenn er offenbar in Anknüpfung an Charles Fourier die Arbeit als ein notwendiges Übel bezeichnet, "denn sie ist eine Fesselung der wechselnden Nei-gungen des Menschen an eine bestimmte Beschäftigung. Es gibt nur wenige Arbeiten, die nicht ermüden, weil sie unauf-hörlich sich verändern, dies sind die rein geistigen, schöpferischen Beschäftigungen." (31)

Entsprechend der angenehmen und unangenehmen Arbeiten, wobei der Grad der Monotonie und Gleichförmigkeit der Arbeit einen entsprechend höheren Lohn bestimmt. Der Titel der im "Volksfreund" erschienen Artikelserie kennzeichnet schon Schlöffels Ausspruch: enger Zusammenhang zwischen ökonomischem und politischem Kampf, d. h. keine Isolierung der arbeiterorganisation außerhalb des Produktionsbereichs in Form etwa einer politischen Partei, sondern Entwicklung von Kämpfen in Wechselwirkung der Arbeiterassoziationen auf Betriebs- und Branchenebene. Die spätere Arbeiterverbrüderung betrachtete den Aufbau von Arbeiterassoziation als Möglichkeit, durch direkten Gütertausch unter Umgehung des Zwischenhandels Machtpositionen der Arbeiter im bürgerlichen Staat zu schaffen, entsprechende Versuche mußten notwendig scheitern, weil die kleinen Gewerbetreibenden, die überhaupt nur noch über ihr Produkt verfügen konnten, neben der kapitalistischen Großproduktion ohne Bedeutung waren.

Schlöffel betonte demgegenüber schon im Frühjahr 1848, daß von "einer vertragsmäßigen Ausgleichung bestehender Notstände (...) im höchsten Fall nur vorläufig die Rede sein (darf)", nur eine Radikalkur könne helfen: "Was heißt es die Arbeiter zu organisieren -Eine geschlossene Partei aus ihnen zu machen, um durch sie die Möglichkeit der Organisation der Arbeit zu erkämpfen. Die Organisation der Arbeit ist aber die Vernichtung der Geldmacht des Kapitals. Eine Organisation der Arbeiter hat nur in dieser Richtung einen Sinn." (32) Die Organisation der Arbeit, und damit meint auch Schlöffel die Errichtung von Arbeiterassoziationen, soll und kann nicht neben der kapitalistischen Wirtschaft und in friedlicher Konkurrenz zu ihr bestehen, sondern an ihrer Stelle. Ebenso wie die Idee der Arbeiterassoziationen greift Schlöffel frühsozialistische Modelle von Volkskreditanstalten und Nationalwerkstätten auf, ohne damit jedoch die Illusion zu teilen, eine schrittweise Umgestaltung der bürgerlichen in eine sozialistische Gesellschaft zu erzielen, solange die Frage der Staatsmacht nicht gestellt ist.

Die Organisation der Arbeit wird von Schlöffel der Anarchie der kapitalistischen Produktion entgegengesetzt, die gerade im Berlin des Jahres 1848 bei der Masse der nicht absetzbaren Produkte einerseits Arbeitslosigkeit und Hungrsnöte andererseits hervorrief. Der jetzige Staat bedeute "ein allgemeines Rauben und Übervorteilen unter dem Kaperbrief des Eigentums." (33) Entsprechend begreift Schlöffel das Eigentum als Grundübel und stellt das in den bürgerlichen Verfassungen verbriefte Eigentumsrecht in seinen historischen Zusammenhang: "Das Recht ist den Revolutionen unterworfen, die eben das Volk unternimmt und täglich unternehmen kann, sei es friedlich oder nicht friedlich; das "Recht" ist ein Abkommen der Gesellschaft nach ihren jeweiligen Bedürfnissen." (34) Unter den gegenwärtigen Verhältnissen zeige sich jedoch, daß das Eigentum den gesellschaftlichen Bedürfnissen zuwiderlaufe, insofern es die Verelendung der Masse zugunsten des Überflusses einer Minderheit bewirke. In diesem Moment sei sei auch seine Rechtsgrundlage hinfällig. Im Gegensatz zu den Vorstellungen einer universellen Gütergemeinschaft differenziert Schlöffel Eigentum ausdrücklich zwischen Besitz, der "in den üblichen Bedürfnissen des Menschen besteht" (35) und Kapital, das er als Eigentumsmaschine kennzeichnet.

Das Kapital degradiere den Arbeiter zum "freizügigen Sklaven", zum "Mittel, um wie sie sagen, aus dem Kapitale die Zinsen herauszuschlagen." (36) Entsprechend sei es unmöglich, durch materielle Umverteilung, etwa durch den vom Magistrat begründeten Wohltätigkeittfonds, aber auch durch Lohnerhöhungen allein das Elend der arbeitenden Klasse zu beseitigen, weil "es nicht hilft, wenn ein bißchen Kapital aus einer Hand in die andere geht, sondern um dasÜbel bei der Wurzel anzupacken, müsse man die zerstörende Kraft des Kapitals gänzlich vernichten, das Kapital dürfe dann nicht mehr die Früchte der Arbeit verzehren, sondern die Arbeit allein müsse ihren gerechten Lohn verlangen." (37)

Die Erkenntnis der Unmöglichkeit eines friedlichen Ausgleichs begründete Schlöffels Stellung zur Gewalt. Er hebt hervor, daß, abgesehen von kleineren Handwerksbetrieben, in denen die Meister durch die Konkurrenz der Industrie ohnehin tendenziell der Verelendung preisgegeben seien, "im großen und ganzen die Gesellschaft unversöhnlich geteilt ist in die beiden Feldlager ARBEIT und ARBEITEN LASSEN. Hier hilft kein Vergleich, kein Friede, keine Bewilligung, hier hilft nur eins, daß die Arbeit siegt und das Arbeitenlassen für immer verschwindet. Hier kämpft Partei gegen Partei, Recht gegen Unrecht, der Vorteil der Masse gegen das Vorrecht einzelner, eine Idee gegen den Eigennutz. Hier kommt nicht her, Ihr unzeitigen Agenten der Ruhe; Ihr Präsidenten mit dem Friedensfähnlein, um zu versöhnen, was nimmer vereinigt werden kann." (38)

Am 11. Mai 1948 wurde Schlöffel wegen eines Artikels im "Volksfreund", indem er zum Sturz des Ministeriums Camhausen aufgerufen hatte, wegen versuchten Aufruhrs zu einer sechsmonatigen Festungsstrafe verurteilt. Es war dies der erste Preßprozeß nach der Aufhebung der Zensur am 18. März. Das Bürgertum hatte erkannt, daß die Gefahr für seine Herrschaft nicht von den reformistischen Arbeitervereinen, sondern von der radikalen Straßenbewegung ausging, deren Führer es unter Anwendung des Aufruhrparagraphen aus dem feudalen Landrecht unschädlich zu machen suchte. Nach dem Zeughaussturm im Juni 1848 wurden weitere revolutionären Arbeiter und Studenten verhaftet und zu langjährigen Festungsstrafen verurteilt.

4. Zum Verhältnis von Spontanität und Organisation

Der Entstehungsprozeß proletarischer Öffentlichkeit im Revolutionsjahr 1848 in Berlin wird bestimmt vom antikapitalistischen Kampf der Unterklassen; bestimmend für den Charakter der öffentlichkeit sind Massenaktionen, spontane massenhafte Demonstrationen, Volksversammlungen.

Militante Aktionen gegen obrigkeitliche Gewalt, gegen Militär und Bürgerwehr, gegen Maschinensystem, Fabrikdisziplin und kapitalistische Marktwirtschaft tragen teilweise noch einen restaurativen Charakter und spiegeln die Heterogenität der Arbeiterinteressen wider; aus der Organisation Kampferfahrung heraus entwickeln sich jedoch langsam Ansätze bewußter Kollektivität.

In den Auseinandersetzungen mit kapitalistischen Verhaltensanforderungen, in der Erfahrung der Atomisierung, Fremdbestimmung und Verdinglichung menschlicher Beziehungen, entwickelt die Arbeiterklasse spezifische Kommunikations- und Organisationsformen. Deren Analyse ergibtzwei Grundtypen: zum einen die Gruppen der Tagelöhner, Erdarbeiter, ländlicher Heimarbeiter und kriminalisierter Arbeitsloser, die nach den Barrikadenkämpfen der Märztage, trotz anfänglicher Zugeständnisse der Bourgeoisie und der Konfliktvermeidungsstrategie des Magistratsdurch spontane und militante Aktionen hervortraten, die Weiterführung des revolutionären Kampfes verbunden mit der Forderung nach Bewaffnung der Arbeiter prpagierten und durch Aktionen wie dem Zeughaussturm initieren wollten. Kennzeichnend für diese Gruppe ist ihr informeller Charakter, Spontanität und Militanz verbunden mit der Tendenz zur Autoritätsbindung: die Kommunikation nach innen wie nach außen läuft hauptsächlich über Führerfiguren, nur über diese vermag sich Kontinuität als integratives Moment der Bewegung herauszustellen. Die Fixierung an Autoritäten läßt die Gruppe leicht zum Spielball demagogischer Interessen werden.

Aufgrund ihrer Produktionsweise -Arbeit im Freien; in Kleingruppen, selbständige Arbeitseinteilung -sind die "posi-tiven" Elemente des Fabriksystems wie Kooperation; Koordination, physische Nähe; Disziplin, affektive Beherrschung und Tendenz zum Egalitarismus nicht oder erst in Ansätzen; ihre psychische Disposition ist geprägt durch tradierte patriarchalische Strukturen, die Affekte sind relativ undiszipliniert.

Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften sperrt sich diese Gruppe gegen Organisationsbestrebungen der Arbeiterintelligenz und wird von dieser wiederum ausgegrenzt. Die Arbeiterintelligenz, die sich aus städtischen Handwerkern und der Schicht der qualifizierten Fabrikarbeiter zusammmensetzt, bringt als stabilisierendes Moment der Arbeiterbewegung die innerhalb des industriellen Milieus entwickelte Einstellung der Besonnenheit, Nüchternheit und affektiven Disziplinierung mit ein. Ihr in der Schule der Handwerkervereine und deren Nachfolgeorganisationen akkumuliertes Wissen -der theoretische Einfluß der Frühsozialisten und die Lehren von Marx und Engels -bestimmten die organisierte Bewegung und deren politische Zielsetzung.

Stephan Born, als Prototyp eines Arbeitsintelligenzlers, vermag die positiven Elemente der Fabrikdisziplin zu nützen für die Organisationsarbeit; zugunsten des zentralistischen, überregionalen Aufbaus der Organisation treten jedoch Massenaktionen, Spontanität und Militanz zurück, die Sprengkraft der autonomen Bewegung wird domestiziert zugunsten disziplinierter und kontinuierlicher Arbeit in der Organisation.

Anmerkungen

(1) Öffentlichkeit und Erfahrungen...
(2) Die Entstehung des Proletariats als Lernprozeß
(3) Negt/Kluge S. 66
(4) August Bebel, Aus meinem Leben, I. Band, Stuttgart 1910, S. 49
(5) Stefan Born, Erinnerungen eines Achtundvierzigers, Leipzig 1898, S. 122
(6) Moritz W. T. Bromme, Lebensgeschichte eines modernen Fabrikarbeiters, Leipzig 1905
(7) Richard Woldt, Die Lebenswelt des Industriearbeiters, Leipzig 1926, S. 1
(8) Adolf Streckfuß, Berliner März 1848, Berlin 1848, S. 21
(9) Wilhelm Reich, Was ist Klassenbewußtsein, S 16 f.
(10) Literatur zur Geschichte der 48er Revolution:

Eduard Bernstein, Die Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung, Bd. I, Berlin 1907
K
arl Obermann, Deutschland 1815-1849
Max Quarck, Die erste deutsche Arbeiterbewegung, Leipzig 1924, neu aufgelegt Glashütten/TS. 1970

(11) Spenersche Zeitung, 7. 4. 48
(12) Paul Boerner, Erinnerungen eines Revolutionärs, Leipzig 1920
(13) Robert Springer, Berlins Straßen, Kneipen und Clups im Jahre 1848, Berlin 1850, S. 62
(14) Adolf Wolff, Berliner Revolutionschronik, 3 Bd. 1850-54, Bd. 2 , S. 115
(15) Streckfuß, op. cit., S. 210
(16) Springer, op. cit., S. 210
(17) Flugblatt der Maschinenbauer, zit. Nach Bernstein, op. cit., S. 67
(18) Kladderadatsch, Organ von und für Bummler, Berlin, Jg. 1848
(19) Insbesondere mußte die Funktionstüchtigkeit der Bürgerwehr unter Beweis gestellt werden, da seitens der Regierung aber auch aus dem Bürgertum selbst, Stimmen laut wurden, die die Wiedereinsetzung des Militärs forderten. Die Bürgerwehr selbst spielte bei ihrem Einsatz insbesondere die Katzenmusikanten anfangs eine lächerliche Rolle, einzelne Einheiten wurden sogar entwaffnet und und verjagt.
(20) Boerner, op. cit., S. 267
(21) Ebd.
(22) Schlöffel war im Frühjahr 1848 nach Berlin gekommen. Zuvor hatte er in Heidelberg studiert und war dort relegiert wurden. Nach seiner Verhaftung Ende April 1848 verbüßte er vier Monate seiner Festungsstrafe, bis es ihm gelang zu fliehen. Er nahm an den Kämpfen in Ungarn und in Baden teil, wo er im Juni 1849 fiel.
(23) Zit. Nach Quarck, op. cit., S. 84
(24) Engels, Revolution und Konterrevolution, S. 73
(25) Zit. Nach Quarck, op. cit., S. 84
(26) Die Arbeiterverbrüderung, Okt. 1848
(27) Wolff, op. cit., Bd. II, S. 147 f.
(28) op. cit.
(29) op. cit., S. 148 f.
(30) op. cit., S. 149
(31) Volksfreund Nr. 5, 19. 4. 1948
(32) op. cit.
(33) op. cit.
(34) Volksfreund Nr. 7, 6. 5. 1848
(35) op. cit.
(36) op. cit.
(37) Volksfreund Nr. 4, 15. 4. 1848
(38) op. cit.

Editorische Anmerkung

Der Text ist eine Spiegelung von:
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