Wohin mit der Globalisierungskritik?
16 Thesen zu einem abzubrechenden Experiment

Von Heiner Langer

10/03
 
 
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Mit der Gründung von Attac Deutschland ist die Mehrheitslinke in den Bann der globalisierungskritischen Bewegung geraten. Diese, mit Orten wie Prag, Göteborg, Genua, Davos, Florenz verbunden, treibt Menschen in Massen auf die Strassen. Die Mehrheitslinke, nach dürftigen Jahren der Defensive, schließt sich entwöhnt an die ersehnte Bewegung an. Und Attac, die den Anspruch erhebt, das Zentrum der Bewegung zu markieren, scheint die ideale Ansprechpartnerin. Im Vorfeld des Krieges gegen den Irak schließlich wird die globalisierungskritische Bewegung zu einen Kristallisationspunkt der neuen Friedensbewegung. Attac ist vorerst zur hegemonialen Macht der Mehrheitslinken geworden. Wie soll man damit weiter umgehen? Die folgenden Thesen problematisieren die Rolle der globalisierungskritischen Bewegung, d.h. von Attac und der mit ihr kooperierende Mehrheitslinken, anhand von Äußerungen und Handlungen der Führung wie auch des Fußvolks. Ihr Fazit: sie sind zu einer Gefahr für die Perspektiven der Linken geworden.

1.  
Attac Deutschland ist, entgegen ihrer Eigenpropaganda, von ihrer Gründung an bis zum heutigen Tage keineswegs eine entschieden linke Bewegung. Attac ist eine Gründung einiger NGO und linker Intellektueller. Es gelang ihr aber, sich als radikal zu präsentieren. Die NGO sind die Totengerippe früherer Bewegungen. Ihre Forderungen bewegen sich im Rahmen der bürgerlichen Ordnung. Sie sind oft abhängig von öffentlichen Förderungen und nicht in allen Fällen unverdächtig, von den besonderen Zwecken staatlicher Außenpolitik unbeeinflusst geblieben zu sein.

Die Dominanz der NGO in Attac führt im Hinblick auf die verbandsinterne Demokratie zu Auffälligkeiten. Der „Koordinierungskreis“ bereitet, unbeschadet der allfälligen basisdemokratischen Rituale, anstehende Entscheidungen so gründlich vor, dass die wirkliche Basis davon erfährt, wenn ihre Akklamation eingeholt wird. Schon bei der Aktionskonferenz zur Gesundheitsreform 2002 in Heidelberg konnte man davon einen guten Eindruck gewinnen, um so mehr im Umfeld der gemeinsamen Erklärung mit DGB und VENRO. Das Resultat sind oft (wie in beiden Fällen) Positionen, die sich hart am mainstream bewegen. Gegen die „Heidelberger Erklärung“ zur Gesundheitspolitik z.B. war das SPD-Wahlprogramm 2002 beinahe radikal.

2.  
Attac konnte radikal aussehen, indem sie den Ruhm von Genua usurpierte. Die linke Reputation von Attac ist das Produkt einer Vereinnahmung. Gleichzeitig diskreditiert (die tendenziell staatstragende) Attac habituell genau die militanten Formen der Bewegung, denen die Tage von Genua ihre Legende verdanken.

Dass Attac damals noch weit davon entfernt war, innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung so etwas wie eine Führungsrolle zu spielen, zeigte sich, sobald sie von den wirklichen TrägerInnen der Bewegung und ihren Aktionen sich distanzierte. Diese Politik lässt ihren Willen deutlich werden, nicht genehme Formen der Aktion auszugrenzen bzw. von den Ordnungskräften ausgrenzen zu lassen. Überhaupt ist ihre Tendenz auf Vereinnahmung, nicht auf Pluralismus gerichtet. Attac versucht permanent, jede Strömung zu diffamieren, die sich ihrem Kommando nicht unterstellt. Getragen wird das durch das bis zur Arroganz reichende Sendungsbewusstsein ihrer AktivistInnen, welches ihnen ermöglicht, GegnerInnen auf der linken nicht als GegnerInnen, sondern als SaboteurInnen einer vorgeblich „gemeinsamen Sache“ zu behandeln. Der Appell an falsche Gemeinsamkeiten dient der Reklamation von Deutungsmacht, letztlich der Denunziation der abweichenden Meinung. Gerade die fade, angeblich basisdemokratische Sauce von Konsens, die über alles gegossen werden muss, ermöglicht die Einebnung radikaler Positionen zu Gunsten der „Position, hinter der sich alle sammeln können“.

3.  
Attac benutzt die Bewegung der Aktiven als Verhandlungsmasse am grünen Tisch. Sie bezieht gleichzeitig ihre Glaubwürdigkeit aus dem Versprechen, genau dies nicht zu tun. Die Führung desavouiert damit die basisdemokratischen Illusionen der Basis. Linke Basisbewegung zu sein, müsste heißen, sich z.B. auf die Seite der Arbeitenden zu stellen statt auf die Seite noch so standortnationalistischer Gewerkschaftsführungen. Schon gemeinsame Erklärung mit DGB und VENRO hat gezeigt, dass Attac sich Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften auf Basis von diskreten Absprachen auf Bundesvorstandsebene vorstellen kann. Sie will nicht durch Entfaltung maximalen Drucks auf der Strasse wirken, sondern unter Wahrung der existierenden Machtverhältnisse den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Veränderung soll niemandem wehtun, am allerwenigsten denen, die sich in ihrem Ausbleiben gut eingerichtet haben. Es drängt sich dabei der Eindruck auf, dass für solches Vorgehen der Führung gerade amorphe Positionen erforderlich sind. Attac hat mit den autoritären Strukturen der „Zivilgesellschaft“ jedenfalls erkennbar nicht nur kein Problem, sondern fühlt sich dort offenbar genau am richtigen Ort. Sie ist es nämlich auch.

4.  
Attac selbst hat und propagiert ein absolut unkritisches Staatsverständnis. Sie will einen „Primat der Politik über die Ökonomie“ errichten. Spätestens in einem Zeitalter, in dem die nationale Politik in freier Entscheidung die Entmachtung der Demokratie gegenüber den Märkten betreibt, sollte die Frage in den Blick geraten, ob (bürgerliche) Staatlichkeit nicht definitiv Teil des Problems statt Teil der Lösung ist. Die Linke jedenfalls war sich immer bewusst, es beim Kampf um mehr Gerechtigkeit neben dem Kapital u.a. mit dem Staat zu tun zu haben. Attac dagegen fällt weit hinter den Stand von Staatskritik zurück, den die Linke einmal erreicht hatte.

Attac ist damit geeignet, die Bewegung, deren Zentrale sie sein möchte, einerseits zu spalten und andererseits ihr den staatskritischen Stachel zu ziehen. Dafür wird sie bündnisfähig für linke Populisten (und Veteranen bei der Verteidigung des nationalen Wohlstands an den Schengener Grenzen) wie Chevenement und Lafontaine. Damit stellt sich Attac auf die Seite des bürgerlichen Staates in dem Moment, als er, von der Geschichte überholt, endgültig zur Plage wird.

Dagegen hilft auch nicht das gelegentlich vorgebrachte Bekenntnis zur „Global Governance“. Diese ist im Höchstfall so demokratisch wie Attac und von der Bereitschaft der Staaten abhängig, Macht abzugeben. In jedem Falle wird auf den guten Willen der Staaten vertraut, welchen bei notorischen Gewaltapparaten zu unterstellen etwas schlicht ist. Die gelegentliche Glorifizierung von „Global Governance“ macht, wie bei dem von den Linken geliebten Weltstrafgerichtshof, keinen Versuch, die politische Tendenz solcher Veranstaltungen zur Kenntnis zu nehmen: dass die USA diesen z.B. ablehnen, gilt als Beweis ihrer ungeheuren Arroganz, statt als wohlweisliche Weigerung, sich im u.a. von der EU ausgelegtem Netz zu verfangen. Aus all den Wortmeldungen der rechtschaffen erbosten publizistischen Hilfstruppen der EU spricht nur eine ungeheure Ahnungslosigkeit, die in ihrer festen Entschlossenheit mit Aufklärung nicht mehr wegzukriegen ist.

5.  
Dem reduzierten Staatsverständnis liegt ein verkürzter Begriff von Ökonomie zugrunde. Kritisiert wird nicht der Kapitalismus, sondern die „Globalisierung“. Die Kritik an den Verhältnissen reduziert sich auf Kritik am Freihandel und an den „Finanzmärkten“. Diese wurden, nach einer idyllischen Vergangenheit, offenbar „entfesselt“ und müssen nun wieder mühsam in ihre „dienende Rolle“ zurückgeführt werden, um ihre „gesellschaftliche Funktion“ zu erfüllen. Diese Re-Regulierung unter staatlicher/öffentlicher Kuratel bzw. bei Attac France sogar „De-Globalisierung“, das heißt die Wiederermächtigung des Nationalstaats. Ist diese vollbracht, soll weitere Reformarbeit wieder ermöglicht worden sein. Dass hinter der scheinbar böswilligwillkürlichen „Entfesselung der Märkte“ eine nicht hintergehbare Notwendigkeit der kapitalistischen Ökonomie stehen könnte (die auch das Verdikt über eine künftige progressive Rolle des nationalen Staates bedeuten könnte), scheint als Idee fern zu liegen. Das geht bei manchen ansonsten klugen Linken soweit, den Aufstieg des „Neoliberalismus“ mit geschickter Personalpolitik bei den Zentralbanken der 1970er adäquat erklärt zu glauben.

6. 
Nachdem Rolle des Staates und Funktionsweise der Ökonomie grundsätzlich schon falsch bestimmt sind, ist eine falsche Sicht auf das internationale Geschehen schon fast unvermeidbar. Die Stoßrichtung auf das Finanzkapital und die positive Orientierung auf den bürgerlichen Staat führen zu einer grundlegenden Verkehrung der wirklichen Zusammenhänge. Nicht nur das: damit werden die wirklich zu kritisierenden Verhältnisse unsichtbar. Nicht die Subsumption der Menschen unter Kapitalverhältnis und Staatlichkeit geraten ins Visier; sondern die Weltordnungsmacht, die für den Kapitalismus und seinen Weltmarkt unabdingbar sind, wird kritisiert. Hinter möglichst ausdauernder Kritik an ihr verschwindet der Kapitalismus einfach. Die Linke hat aber bisher noch keineswegs ausreichend diskutiert, ob die Verhältnisse des globalen Kapitalismus durch Parteinahme gegen seine Weltordnungsmacht überhaupt angreifbar sind, oder ob dadurch (den Erfolgsfall unterstellt) nicht einfach ein Auseinanderfallen der globalen Ökonomie (oder dessen, was davon noch steht) riskiert wird. Nicht einmal die Fragestellung scheint bekannt zu sein.

7.  
Attac sieht jedoch ihre theoretischen Defizite überkompensiert durch den Erfolg. Diesen misst man nach Medienpräsenz und nach Stückzahl mobilisierter Menschen. Aus dem Blick gerät der Verlust linker Substanz bei der Anbiederung an die Normen einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Noch schlimmer: Die Strategie des „Abholens der Leute da, wo sie stehen“ und kritiklos übernommene Irrtümer in der Theorie führen dazu, dass verkürzte Theorie und unpolitisches Oberflächenbewusstsein massenwirksam zusammenfallen und sich auch noch gegenseitig bestätigen. Attac traut sich offenbar zu, die mobilisierten Menschen später auch mit Bildungsarbeit in eine linke Bewegung einbinden zu können. Das Risiko, durch Freisetzung unkontrollierbarer Protestpotentiale eine Massenbasis für antiamerikanisch unterfütterte, nationalistische Politik vorzubereiten, wird offenbar nicht gesehen.

8.  
In der globalisierungskritischen Bewegung sind Versatzstücke antisemitischen Denkens unterwegs, die zum Teil fahrlässig unkritisiert geblieben, teils unaufhebbar endemisch sind. Ein ökonomisches Denken, das in der „Globalisierung der Finanzmärkte“ und einem von „Gier“ und „Habsucht“ der „Spekulanten“ getriebenem Kapitalismus die Ursache für den gegenwärtigen ökonomischen Druck sieht, ist strukturell verwandt mit den Tendenzen, die im Zins den Grund der Ausbeutung und der Profitökonomie sieht. Nicht der Mehrwert ist in dieser Sicht Wurzel des Profits und des Zinses, sondern die Zinsforderungen des „Finanzkapitals“ zwingen das „Realkapital“, Profit zu erzielen und Arbeitskraft auszubeuten. Solches Denken war und ist verwandt mit dem Antisemitismus. Dieser existiert in der Gegenüberstellung von konkreter Ordnung, gewachsener „Kultur“ einerseits und westlicher Zivilisation andererseits ebenso wie in der Gegenüberstellung von nationaler Arbeit einerseits und wurzellosem, nicht gemeinnützlichem „internationalem Finanzkapital“ andererseits. Es scheint nicht hinreichend klar zu sein, dass eine offene Flanke gegenüber dem Antisemitismus der Preis ist für die Bündelung des „vagen Unbehagens am Kapitalismus“. Ebenso rächt sich die kritiklose Akquisition von Vorzeigedenkern der alten (1968er) Linken, die ihre z.T. überholten Analysen bruchlos fortschreiben, ohne die Fähigkeit zu einer Kritik solcher Denkformen aufzubringen; ja, oft auch nur die Herausforderung zu erkennen.

9.  
Wachstumskritik und Wohlstandskritik sind ökologisches und moralisches Seitenstück einer fehlerhaften Kritik des Kapitalismus. Wachstum ist, in einer bei ÖkologInnen beliebten Lehre, etwas an sich sinnloses und gefährliches, aber der Ökonomie aufgezwungenes. Als Ursache solcher Übel des Kapitalismus erscheint nicht die grundsätzliche Verfasstheit der Gesellschaft, sondern die „Profitdominanz“ und die „Wohlstandsgesellschaft“, oder auch der Egoismus der Einzelnen. Neben die offene Flanke zum Antisemitismus tritt hier vor allem Bedürfniskritik und Hinwendung zum Echten und Einfachen; ist doch als Vehikel des schädlichen Wachstums die „künstliche“ Erzeugung immer neuer Bedürfnisse ausgemacht. Das kann dann zwanglos mit Kritik am „American way of life“ verknüpft werden, oder mit Hollywood-Kritik, wie bei Attac France, die für den französischen Film eintritt. Diese (latent nationalistische) Wohlstandskritik, von der Kritik an der „Spaßgesellschaft“ bis hin zu spontanen Mahnwachen vor McDonalds (wie anlässlich der Sommerschule von Attac in Marburg 2002), trägt zwar dazu bei, den AktivistInnen ihr Gefühl menschlicher Überlegenheit über die konsumierende Menge zu erhalten, aber zum Glück nicht dazu, ihr verdientes schlechtes Ansehen bei dieser Menge zu verbessern.

10.  
Eine Globalisierungskritik, die auf den Finanzmärkten die Hauptakteure des gegenwärtigen Kapitalismus sieht, bringt es nicht fertig, die Rolle Europas in diesen Prozessen richtig zu würdigen, und läuft Gefahr, einem linken Nationalismus zu verfallen. Europa und seine Staaten, zu denen Attac sich grundsätzlich positiv verhält, treiben seit den 1990ern eine aggressive Politik auf den Weltmärkten. Deutschland hat in diesem Prozess die verhängnisvollste Rolle gespielt, was allein „Stabilitätskultur der DM“ und Lohnstückkostendumping betrifft. Viel von dem, was angeblich die Globalisierung ausmacht, ist der Aufholjagd der EU und Deutschlands geschuldet.

So wäre die Riestersche Rentenreform als Beitrag zur Herausbildung eines binneneuropäischen Finanzmarktes und damit als Teil einer Strategie europäischer Kapitalien zu würdigen gewesen. Ebenso wäre ein Wort zu sagen gewesen über den Sinn der Lohnstückkostensenkungen der 1990er und den Zusammenhang von Einsparungen bei Sozialleistungen mit Aufrüstung, oder dem von „Stabilitätskultur“ und Maastrichtkriterien mit dem Versuch, den Euro gegen den Dollar als Reservewährung zu etablieren. Stattdessen wurde mit Vorliebe sich ergangen über die „Überstülpung des amerikanischen Modells“ eines ungehemmten Egoismus über die europäischen Sozialstaaten. Die Versuche von EU-Staaten, zusammen mit Staaten des Trikont in Seattle eine Front gegen die USA zu bilden, wurden begrüßt statt beargwöhnt. Aber was soll man anderes von einem Verein erwarten, der ernsthaft ankündigt, Europa zu einem Gegenentwurf zu den USA machen zu wollen?

11.  
Statt die Rolle der EU und ihrer Staaten und Kapitalien) ausreichend zu kritisieren (als den Hauptfeind im eigenen Land), machen die GlobalisierungskritikerInnen in den USA die Garanten der Weltordnung fest, deren ökonomische Seite die Globalisierung sei. Die Weltordnung, die durch den tendenziellen „Zerfall“ staatlicher Souveränität existiert, ist ihnen suspekt. Ihre falsche Bestimmung der Rolle von Staaten lässt sie den alten (schon immer falschen) ImperialismusBegriff als Synonym zu ihrer Globalisierung verstehen. Das verbindet sich mit einer falschen Analyse des Dollar als Weltgeld, der ebenso wie die USÖkonomie als von der militärischen Vormacht der USA abhängig gesehen wird (anstatt umgekehrt die militärische Macht von der ökonomischen Fähigkeit, sie zu unterhalten). Damit erhält die mystische Weltordnung einen Ort: die USA, deren „Hegemonie“ den Prozess der Globalisierung erzwinge. (Ob sich damit GATS wirksam kritisieren lassen wird? Man darf gespannt sein.) Die sehr reale Ambivalenz zwischen der Wahrnehmung nationalen US-Interesses und global kapitalistischen Gemeininteresses (Aufrechterhaltung einer Weltordnung) fällt aus dem Blick. Dies lässt das Ansinnen, andere kapitalistische Staaten (z.B. Deutschland) mögen die Kosten der Weltordnung mittragen, dort als empörende Ungerechtigkeit erscheinen, wo sich für Linke jede nationale Parteinahme verböte.

12.  
Neuerdings äußerte sich die falsche Analyse des Weltgeschehens in der Erklärung des IrakKrieges als „Kampf um Öl“. Auch jenseits der mobilisierungsträchtigen Phrase wird davon ausgegangen, in dem Krieg ginge es um die Sicherung des Zugangs der USA zum Öl und deren „Herrschaft“ im Nahen Osten. Nicht die immanent gewaltsame, aber marktförmige Verfasstheit der Weltmärkte, z.B. für Öl, deren Teil das Baath-Regime war, gerät ins Visier dieser Kritik, sondern die Störung eines status quo. Da die weltweite Ordnung nicht verstanden wird als Kapitalismus, als marktförmiger Prozess, sondern nur entweder als finanzielle Abhängigkeit oder als gewaltförmiger Zugriff (profaner ausgedrückt: als Wucher oder als Raub), fokussiert sich die Kritik auf die scheinbaren Akteure dieses Prozesses im Nahen Osten, die USA und Israel.

Es wird dabei gar nicht einmal mehr der Versuch gemacht, den Krieg, wenn es sich mit ihm denn so verhält, zu unterscheiden von einem Weltordnungskrieg. Und das mit Grund: bisher wurde noch jedes Mal, sogar im Kosovo, amerikanische Erdöl-Interessen als Kriegsgrund vermutet (etwa die berüchtigte Pipeline, ein wahres „Monster vom Loch Ness“ des Antiimperialismus). Das ökologische und wachstumskritische Bewusstsein kann offenbar nur den Konflikt um die knappe Ressource, den Treibstoff des frevlen Treibens hienieden, als zureichende Ursache für Kriege anerkennen. Gleichzeitig scheint auch der Begriff Imperialismus wieder anwendbar zu werden; die Unterschiede zwischen einem Krieg der USA gegen den Irak (und sei es „um Öl“) und z.B. den deutschen Gelüsten im I. Weltkrieg, Belgien zu annektieren, verschwinden einfach. Nicht jedoch verschwindet das Bewusstsein der florierenden deutschen Handelsbeziehungen und/oder Direktinvestitionen: eine bei Attac organisierte IG Metall-Gliederung erklärte der Presse durch ihren 1. Bevollmächtigten, sie werde eine Friedensdemonstration organisieren, weil durch den Krieg etliche exportabhängige Betriebe gefährdet seien. Soll man das so kommentieren: Die Interessen des deutschen Kapitals sind gefährdet, seine Fußtruppe muss auf die Strasse?

13.  
Die diesjährige Friedensbewegung teilte mit Attac das Eintreten für den Nationalstaat. Weitab der mitmenschlichen Sorge, dass niemand durch Krieg Schaden nehmen solle, stellte die Friedensbewegung in der Krise der Souveränität sich auf die Seite des Nationalstaats mit einer Vehemenz, die man sich für eine bessere Sache gewünscht hätte; etwa gegenüber der UCK im Kosovo oder ihrer alliierten Hilfstruppen, oder gegenüber dem Terrorregime der PA unter Arafat. Aber diese neuentdeckte Liebe zum Nationalstaat funktioniert nur gegen die „Weltordnung“, nicht gegen die Banden des völkischen Stammeskriegertums; speist sie sich doch in Deutschland aus demselben Gedanken, der Selbstbestimmung der „Völker“ (d.h. der Herrschaft aggressiver Ausgrenzungskollektive mit Zwangsmitgliedschaft). An Parolen jedenfalls wie „Tod allen Juden“, solange sie von palästinensischen Nationalisten benutzt werden, scheinen sich manche Friedensfreundinnen nicht wirklich zu stören.

Woraus die Friedensbewegung außerdem noch gemacht war, das kriegte man raus, ohne allzu tief in der Volksseele graben zu müssen: es gibt eine Projektion der keineswegs als solche erlebten Befreiung von der deutschen Volksgemeinschaft (samt ihrer Bombennächte) auf die Situation im Irak. Die Köpfe der Friedensbewegung vermieden zwar ängstlich jeden Antiamerikanismus, ja geben sich betont antinational; aber sie wußten trotzdem, welche Emotionen die Bewegung zusammenhielten (alle ihre Prominenten sagten es fast täglich).

14.  
Die Positionen der globalisierungskritischen Bewegung sind anschlussfähig für die extreme Rechte, nicht etwa weil diese hinterlistigerweise originär linke Positionen besetzte oder weil diese Positionen nicht antinational genug verpackt wären, sondern weil sie rechten Positionen strukturell verwandt sind. Aufgrund eines im Grunde staatsbejahenden Denkens ist es Attac unmöglich, eine Grenze zum offenen Nationalismus zu definieren. Die mangelnde Distanz zu den Implikationen des „Antiimperialismus“, die verkürzte Sicht auf die kapitalistische Ökonomie, die Vorliebe der ÖkologInnen fürs Wurzelhafte und gegens Künstliche tun den Rest. Die Neue Rechte versucht nicht, ein fremdes Schiff zu entern, sie will sich nur abholen, was schon ihrem Zugriff verfallen ist. Und sie ist in vielen Punkten ein Produkt genau der Widersprüche der Linken, deren bloße Anhäufung die Globalisierungskritik (und Attac) ist.

15.  
Was Fußvolk, Aushängeschilder und Großintellektuelle der Bewegung angeht, ist sie dem Anspruch nach im guten Sinne (und tatsächlich im schlechten Sinne) eine Sammlungsbewegung. Jede Tendenz, die je an ihren Widersprüchen zugrundegegangen ist, darf ihr überlebtes Wesen in Attac einbringen. So trifft man in der Ideologie von Attac alle Fehler der alten („neuen“) Linken in seltsamen Paarungen auf: leninistische Theorien von Staat und Weltmarkt, Forderungen eines gerade gescheiterten Reformismus vereinen sich mit Kommunitarismus, Nationalstaatsnostalgie, kulturellem Konservatismus und Lebensschutz in allen seinen Spielarten zu gespenstischen Tänzen. Wer schon in den 1970ern Marx nicht verstanden hat, darf „politische Ökonomie“ treiben; wer an der Spitze der SPD dem Druck der Medien nicht gewachsen war, gilt als werbeträchtiges Aushängeschild; NGO organisieren Basisdemokratie, EtatistInnen machen Internationalismus, Kulturkonservative formulieren radikale Politik, und „Linksruck“ und SAV, zwei boshafte Karikaturen auf die versunkene Welt der K-Gruppen, geben das Fußvolk. Auch aus den Fußkranken der Weltrevolution lässt sich also doch noch ein recht imposanter Trupp machen.

16.  
Weder Attac noch die neue Friedensbewegung bieten auch nur entfernt eine emanzipatorische Perspektive, sondern verdunkeln die wirklichen Zusammenhänge, blenden das aus, was an den Verhältnissen wirklich kritisiert werden muss, und verweisen als einziges auf den status quo bzw. auf die Restauration des national regulierten Kapitalismus. Eine trostlosere Perspektive lässt sich für Linke nicht denken. Mit der neuen Friedensbewegung verdunkelte eine (unfreiwillige) Allianz aus Mehrheitslinker, Standortnationalismus und Bundesregierung jede Perspektive für wirklich linke Politik. Eine solche müsste bei einer Kritik von Staat und Kapitalismus ansetzen. Eine Mitarbeit von Linken in der globalisierungskritischen Bewegung hat heute keinen positiven Zweck mehr. Nur noch, das Abgleiten zu offenem Nationalismus (wie z.B. bei Attac Polen schon fast geschehen) verhindern zu wollen, kann gelten. Das Experiment selbst ist gescheitert. Globalisierungskritik ist nicht zu Kapitalismuskritik zu radikalisieren, sie ist vielmehr perspektivlos im Effekt und rückschrittlich dem Grunde nach.

Schlimmer noch ist, dass seit der Friedensbewegung Globalisierungskritik endgültig zu einem staatsnahen Thema zugerichtet ist. War es schon bei einer Amerika freundlichen Regierung gefährlich, dass sich am Krieg gegen den Irak eine Massenbewegung entzündete, so ist es verheerend, wenn dies unter einer Regierung geschieht, die gewillt ist, sie als Antrieb für weltpolitische Profilierung gegen die USA zu nehmen. Eine Regierung, die laut und unter dem Beifall von Teilen der Friedensbewegung über eine Achse Moskau-Berlin-Paris nachdenkt, zeigt, dass sie das antiamerikanische Ressentiment, das ihr dargebracht wird, auch zum Wohle des deutschen Kapitals zu nutzen versteht. Bedenkt man, dass Freiheit und Demokratie hierzulande mit Waffengewalt importiert werden mussten, und nimmt man die anderen Zeichen eines gesellschaftlichen roll back zur Kenntnis, dann beginnt man die Tragweite der Abkehr vom Westen zu ahnen, die so eingeleitet werden könnte (ironischerweise von derselben Regierung, die 3 Jahre zuvor gerade die Hinwendung zum Westen als das einzig zulässige Ziel der Revolte von 1968 proklamiert hatte). Zu fürchten ist, dass im Windschatten einer „eigenständigen“ Außenpolitik als Friedenspolitik und mit Unterstützung einer informellen großen Koalition im Inneren das Kapital die Gunst der Stunde nutzen und im Innern Sozialabbau, nach Außen deutsche Größe in bisher neuen Dimensionen durchsetzen kann. Mittelfristig bedingen sich beide Tendenzen ohnehin gegenseitig. Die gegenwärtige Stimmung, der traurige Konformismus von Teilen der deutschen Linken und die Umstände würden diesem nationalen Projekt Erfolg versprechen, solange es sich hinter dem Antiamerikanismus und dem latenten Antisemitismus dieser Gesellschaft verstecken könnte. Dann kämen diese Monate des Frühjahrs 2003 einem neuen 1989/90 gleich. Und die globalisierungskritische Bewegung hat, vermittelt durch Attac, katalysiert durch den "deutschen Frieden", die Schrittmacherin gespielt.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir Ende September vom Autor mit der Bitte um Veröffentlichung.