Auf Streik antwortet Gegenstreik: Drei Wochen lang herrschte bei der in
Marseille ansässigen Schiffahrtsgesellschaft SNCM (Société nationale Corse
Méditerranée) ein höchst angespanntes Klima. Erst am vorigen Donnerstag
begann die Wiederaufnahme der Arbeit, und der aufgewirbelte Staub fängt an
sich zu legen.
Die SNCM beschäftigt 2.400 Mitarbeiter (von denen 816 in Korsika
wohnhaft
sind) und fährt von Marseille aus die Häfen der Mittelmeerinsel, aber auch
Algier, Tunis oder Oran an. |
8. Oktober 2004 /
Bonn
»Algerien - Frontstaat im globalen Krieg?«
Politischer Islamismus und Neoliberalismus am Fallbeispiel Algerien.
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Sabot, Breite Str. 76, 53111 Bonn. Veranstaltet von Antifa
Bonn/Rhein-Sieg, Buchladen Le Sabot, Verein zur Förderung politischer
Bildung und Kultur e.V., AK Kultur & Politik an der Uni Bonn. |
Die SNCM beschäftigt 2.400 Mitarbeiter (von denen 816 in Korsika
wohnhaft
sind) und fährt von Marseille aus die Häfen der Mittelmeerinsel, aber auch
Algier, Tunis oder Oran an. Anfang September begann die "Gewerkschaft der
korsischen Arbeiter" (der STC, "le Syndicat des travailleurs corses"), die
den insularen Nationalisten nahe steht, einen Ausstand. Nachdem dieser zum
völligen Zusammenbruch des Schiffahrtsverkehrs mit Korsika geführt hatte
und
die Gesellschaft jeden Tag 300.000 Euro kostete, unterzeichnete die im
Staatsbesitz befindliche SNCM mit Rückendeckung der Pariser Regierung
am
vorletzten Sonntag (19. September) ein Abkommen mit dem STC. Dieser Text
enthält die Zusage, zukünftig "bei gleicher (technischer) Kompetenz und
Eignung" bevorzugt auf Korsika ansässige Beschäftigte anzustellen, um "das
Ungleichgewicht auszugleichen".
Die <corsisation des emplois> ("Korsierung der Arbeitsplätze") ist eine
alte
Forderung korsischer Nationalisten und aus ihrer Sicht eine Antwort
darauf,
dass die Insel lange Jahre durch den Zentralstaat wirtschaftlich
vernachlässigt wurde. Tatsächlich waren auf Korsika lange Zeit kaum
nennenswerte Privatunternehmen ansässig, und der französische Zentralstaat
versucht die Insel nicht wirtschaftlich zu entwickeln, da sie als
Reservoir
zur Rekrutierung von Soldaten und von Siedlern für die Kolonien diente.
Dagegen wurden Beamte aus dem übrigen Frankreich auf Stellen in Korsika
eingesetzt, da deren Rekrutierung landesweit erfolgte; daher rührt diese
alte Forderung. Später freilich erhielt sie eine zunehmend "ethnische"
Färbung, zumal sich in den letzten Monaten ein äußerst aggressiver
Rassismus
gegen auf Korsika ansässige Marokkaner und Algerier austobt. (Am 18.
September hat es die erste stärkere Gegenmobilisierung dagegen gegeben,
mit
einer großen Saalkundgebung in Corte.)
Eine "ethnische Bevorzugungsklausel" sei das, schimpfte ein Teil der
französischen Presse, vor allem der konservative,
französisch-nationalistische "Figaro" und ein bisschen auch die
linksliberale "Libération" (aber weit weniger die Pariser Abendzeitung "Le
Monde", deren Herausgeber Jean-Marie Colombani selbst Korse ist). Ähnlich
äußerte sich als "Dissident" in den Reihen der Regierung der
Staatssekretär
im Wirtschaftsministerium, Patrick Devedjian, der sich an "Debatten über
die
Herkunft unter der (nazideutschen) Besatzung" erinnert fühlte und das
Abkommen als "unvereinbar mit den rechtlichen Fundamenten unseres Staates"
bezeichnete. Dagegen unterstützten die Mehrheit des Regierungskabinetts,
das
Amt des Premierministers ("das Prinzip des Diskriminierungsverbots ist
nicht
verletzt") und der für Transport und Schiffahrt zuständige Staatssekretär,
der Wirtschaftsliberale François Goulard, den Text.
Heftige Kritik an dem Abkommen zwischen dem Staatsunternehmen und dem
STC
übten auch die anderen Gewerkschaften, allen voran die CGT, die mit großem
Abstand die stärkste (und Mehrheits-)Gewerkschaft bei der
Schiffahrtsgesellschaft darstellt. Sie bezeichneten das Abkommen als
"diskriminierend" und "kommunitaristisch". Die die CGT (sowie die
Gewerkschaft FO, die hinzufügte, es handele sich um einen "Bruch mit den
republikanischen Prinzipien") forderte den französischen Staat dazu auf,
es
zu annullieren. Freilich unterstützte die CGT-Sektion des Bezirks
Haute-Corse (Nordkorsika) das Abkommen. Im Jahr 1977 hatte es ein Abkommen
mit einer vergleichbaren Regelung, zur bevorzugten Einstellung von jungen
Korsen, zwischen der regionalen CGT und dem Energieversorger EDF gegeben;
damals ging es freilich nur um Arbeitsplätze innerhalb der Region Korsika,
während die Schiffahrtsgesellschaft SNCM auch außerhalb der Insel tätig
ist
und ihren Hauptsitz in Marseille hat. Insofern unterscheidet sich die
Regelung von 1977 von dem neuen Abkommen.
Dessen Unterzeichner konterten den Vorwurf "ethnischer Bevorzugung"
damit,
dass das vereinbarte Kriterium der Wohnsitz und nicht die Abstammung sei.
Auf dieses Argument stützte sich auch Transport-Staatssekretär François
Goulard ("Das Wort <Wohnsitz> schließt eine ethnische Interpretation des
Abkommens aus, aber man muss bei seiner Umsetzung vorsichtig sein"). Der
STC
machte ferner geltend, den Kritikern des Abkommens gehe es nur darum,
"eine
fett gemästete Marseiller Lobby zu verteidigen, die seit 30 Jahren die 85
Prozent der Arbeitsplätze monopolisiert". Dem Argument widerspricht
freilich
die Tatsache, dass derzeit ein Drittel der Beschäftigten bereits in
Korsika
wohnt; die Befürworter der Vorzugsregel, die vom STC ausgehandelt wurden,
betrachten das freilich als zu wenig, da die Schiffahrtsgesellschaft SNCM
einen Gutteil ihrer Einkünfte aus dem Verkehr mit Korsika beziehe.
Seit Montag voriger Woche, dem 20. September, streikten alle
Gewerkschaften
am SNMC-Hauptstandort Marseille gegen das Abkommen und seine
Vorzugsklausel.
Freilich ging es dabei wohl auch nicht nur um hehre republikanische Werte,
sondern um eine Verteidigung des Beschäftigungsstandorts Marseille.
Ihr Arbeitskampf konnte dem Unternehmen die Zusage abringen, alle
derzeit
bei der SNCM Beschäftigten mit befristeten oder Zeitarbeits-Verträgen,
"unabhängig von ihrem Wohnsitz", jetzt in Festanstellung zu übernehmen.
Damit wurde eine Antwort in Form einer sozialen Spielregel, statt einer
auf
Herkunft oder Wohnsitz basierenden Regel, gegeben, was wohl nur begrüßt
werden kann.
Die beteiligten Gewerkschaften betrachteten das als Erfolg, der
faktisch die
"Korsen zuerst"-Klausel über den Haufen werfe. Am letzten Donnerstag wurde
bei der SNCM überall die Arbeit wieder aufgenommen.
Editorische Anmerkungen
Diesen Artikel schickte uns
der Autor am 25.9. 2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.
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