„Karstadt muss schließen“ – aber ist das der Skandal?

Von der Redaktion AndersGesehen
10/04

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Karstadt muss über 70 Warenhäuser schließen, mehrere Tausend Arbeitsplätze sind bedroht, eine Verödung der Innenstädte droht.... Solche oder ähnliche Schre­ckensmeldungen waren in den letzten Tagen zu hören.

Nun ja - ganz unberechtigt sind diese Sorgen ja nicht – schon gar nicht für die Mit­arbeiter von Karstadt-Quelle. Und als Karstadt-Kunde werden Sie in Zukunft viel­leicht weitere Wege zum Einkaufen haben.

Andererseits: wann waren Sie denn zum letzten Mal bei Karstadt? Wenn Sie nicht gerade zu der immer kleiner werdenden Schicht der „Besserverdienenden“ gehö­ren, die noch nicht so genau auf den Preis gucken müssen – dann werden Sie sich doch sicher überlegen, ob Sie ihre Glühbirne, Jacke oder Bratpfanne einfach bei Karstadt kaufen oder nicht vielleicht doch das nächste Aldi-Sonderangebot abwar­ten – oder ob die alte Jacke nicht vielleicht doch noch ein Jahr länger hält....

Millionen Leute machen das genauso. Deswegen ist Karstadt ja in der Krise. Denn Kaufhäuser leben nun mal vom Geld ihrer Kunden, und wenn die keins mehr haben, steht es auch um die Kaufhäuser schlecht – genauer gesagt: um deren Mitarbeiter. Denn die Familie Schickedanz und andere Anteilseigner von Karstadt-Quelle wer­den schon dafür sor­gen, dass aus ihrem Geld auch weiterhin mehr Geld wird. Wenn das die Umsätze nicht mehr hergeben, dann wird der Karstadt-Konzern eben ein wenig „verschlankt“ – und schon gibt es wieder ein paar tausend Arbeitslose mehr, und die verbleibende Belegschaft muss für weniger Geld mehr leisten. Und wenn das Geschäft dann immer noch nicht klappt, investieren Schickedanz & Co. ihr Geld eben woanders und machen auch noch die restlichen Kaufhäuser dicht – dann veröden eben ganze Innenstädte.

Doch warum haben die Leute kein Geld? Wie kann es sein, dass es in einem  der reichsten Länder, in dem die Arbeitsproduktivität so hoch ist wie noch nie, immer mehr   Leu­ten am Notwendigsten fehlt – während die Kaufhäuser gleich­zeitig auf riesigen Waren­bergen sitzen blei­ben? -

Im Grunde ist es doch nichts Neues: die Wa­ren sind gerade für die, die sie am dringends­ten bräuchten, am allerwenigsten gedacht. Wir leben schließlich in einer „Marktwirt­schaft“ – und da ist auch ein Warenhaus kein Wohltätig­keitsverein, son­dern ein Unternehmen. Und ein Unternehmen existiert nun einmal nur so­lange, wie sich seine Eigentümer daran berei­chern können. Des­wegen bleiben von dem Kar­stadt-Sortiment all diejenigen ausgeschlossen, die dafür nicht mehr bezahlen können, als Kar­stadt bezahlt hat.

Das gilt nicht nur für Kaufhäuser, sondern auch für Produktionsbetriebe. Auch dort wird nicht für die Versorgung Bedürftiger produ­ziert, sondern für die Bereicherung der Betriebsei­gentümer. Dazu gilt es, Marktan­teile zu erobern, die Konkurrenz zu unterbieten – und gleichzeitig die Produktions­kosten so niedrig zu halten, dass noch ein Profit herausspringt. Diese Aufgabe ha­ben die Manager seit jeher mit Bravour gemeistert – durch Rationalisierung, unbe­zahlte Arbeitszeitverlängerung und Auslagerung von Produktionsstätten in Billig­lohnländer.

Das Ergebnis ist: in Deutschland gibt es mittlerweile Millionen von Arbeitslosen – und gleichzeitig wird denen, die noch Arbeit haben, immer mehr Leistung für immer weniger Lohn abverlangt!

Die Bundesregierung ist offenbar entschlossen, diesen Wahnsinn durch die Reform­agenda 2010 noch weiter zu treiben. Erklärtes Ziel ist der Ausbau von Deutsch­lands Spitzenstellung auf dem Weltmarkt. Die Unternehmer sollen möglichst hier statt im Ausland ihre Geschäfte machen und Steuern zahlen, und dafür bietet man ihnen bestmögliche Standortbedingungen. So entlastet die Regierung die Unter­nehmer von den „Lohnnebenkosten“, kürzt die bisher damit bezahlten Sozialleis­tungen (Ge­sundheitsreform!), senkt im Rahmen der Hartz IV-Gesetze die Leis­tun­gen für Langzeitarbeitslose, verpflichtet diese dazu, jeden noch so schlecht be­zahlten Job anzunehmen – und dadurch denen, die noch Arbeit haben, Konkur­renz zu ma­chen. Dieser Druck auf Arbeitslose erleichtert es den Unternehmern wie­derum, ihrerseits Lohnsenkungen durchzusetzen.

Die Pleitewelle im Einzelhandel, aber auch in der Gastronomie, im Dienstleistungs­sektor, überhaupt in allen Geschäftsbereichen, die für den Weltmarkt keine Rolle spielen, die Verödung ganzer Städte oder Stadtteile – all das sind nur die zwangs­läufigen Folgen dieses Reformwerks. Soll man nun darüber klagen – oder wäre es nicht angebracht, sich um die Ursachen dieser ganzen Misere zu kümmern?

Ist es nicht höchste Zeit, der gesetzlich verord­neten Verarmung der Bevölke­rung den Kampf anzusagen – einer Verarmung, die darauf abzielt, dass „unsere Wirtschaft“ auch weiterhin die Bereicherung ihrer Eigentümer und Deutsch­lands Spitzenplatz auf dem Welt­markt sichert und nicht der Versorgung der Menschen dient?

Editorische Anmerkungen

Dieses Flugi wurde von der Gruppe  AndersGesehen  am 9.10.2004 erstellt und uns zur weiteren Verbreitung überlassen.

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