Wie Günther Grass auf den Hundt gekommen ist

von Peter Nowak
10/04

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Auch wir sind das Volklautete die Überschrift eines Aufrufs, mit dem sich Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur am vergangenen Freitag auf einer ganzen Seite in der Süddeutschen Zeitung hinter die Hartzreformen stellten.

Der Wirtschaftsberater Roland Berger hat es eigentlich ebenso wenig wie BDI-Präsident Michael Rogowski und Dieter Hundt vom Arbeitgeberverband nötig, solche Aufrufe zu unterzeichnen. Sie verfügen doch wesentlich effektivere Methoden um ihre Interessen zu Gehör zu bringen. Denn bisher war doch der mit seiner Unterschrift beglaubigte Appell die
Waffe der mit viel Moral und wenig Macht versehenen Intellektuellen. Der Nobelpreisträger Günther Grass, der Filmemacher Jürgen Flimm und der Musiker Marius-Müller Westernhagen, die ebenfalls darauf bestehen, auch das Volk zu sein, haben schon manche Aufrufe gegen das Böse in der Welt unterschrieben. Günther Grass könnte sicher mit den Appellen, die er im Laufe seines Lebens unterschrieben hat, die Räume seiner Villen tapezieren.

Moralische Empörung ist schließlich das Kennzeichen eines engagierten Intellektuellen. Eine gute Bestätigung für eine solche Aktivität war lange Zeit ein Ausschlussverfahren aus der SPD. Über dem ewigen Sozialdemokraten Günther Grass, der schon Mitte der 60er Jahre Wahlkampf für Willy Brand gemacht hatte, spotteten manche vor 30 Jahren, der würde alles für ein SPD-Auschlußverfahren ehrenhalber tun. Doch die Partei wollte ihm diese Freude nie machen. So trat der Schriftsteller Anfang der 90er Jahre  ehrlich empört über die von der SPD mitverabschiedete Asylgesetzgebung ganz freiwillig aus seiner Mutterpartei aus. Inzwischen ist zwar das Asylrecht noch rigider geworden, aber Grass hat sich mit der SPD schon längst wieder versöhnt.

Jahrelang hat der edle Streiter mit seinen Unterschriften in der Regel den Schulterschluss mit den kleinen Leuten gesucht und den Regierenden mal gehörig die Meinung gegeigt. Doch der Vorrat an moralischer Empörung scheint bei Grass zur Neige gegangen zu sein. Am Jugoslawienkrieg, an dem Deutschland führend beteiligt war, hatte er wenig auszusetzen. Als aber die USA in dem Irak eingriff, war Grass wieder an vorderster Front gegen diesen Krieg, der nicht im deutschen Interesse war. „Hart bleiben Kanzler,“ riefen viele damals Schröder zu.

Das ist auch in Kurzform die Aussage des Aufrufs, mit dem Grass jetzt gemeinsam mit Dieter Hundt und Michael Rogowski den Standort Deutschland verteidigt.

„Wir arbeiten in diesem Land. Wir zahlen Steuern in diesem Land. Wir haben das Jammern über Deutschland satt. Deswegen unterstützen wir Bundeskanzler“, heißt es im dem Aufruf. „Nur Demagogen, die ihre Zukunft hinter sich haben, reden dem Volk nach dem Maul“, meinen 61 mehr oder weniger prominenten Herren und eine Dame. Diese Satz klingt so, als hätte da noch jemand ein Hühnchen mit Oscar Lafontaine zu rupfen. Warum hat eigentlich nicht auch Bundeskanzler Schröder unterschrieben? Sein ehemaliger Wirtschaftsminister und Lafontaine-Gegenspieler im ersten rot-grünen Kabinett Werner Müller ist schließlich auch mit an Bord.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 5.10.2004 zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Er ist am 4.10.04 bei Telepolis erschienen.