Front National, NPD und DVU
Rechtsextreme in Austausch und Konkurrenz

Von Bernhard Schmid, Paris
10/04

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In holperigem Deutsch zeigt man sich begeistert: "Saxe ist gut! noch einmal" (Schreibweise im Original), so lautet der Titel eines Kommuniqués, das der französische Front National am Tag nach dem Wahlerfolg der NPD im deutschen Bundesland Sachsen ­ französisch Saxe ­ auf seiner Mailingliste an die Parteigänger und Sympathisanten verschickte.  

Damit ist der FN von Jean-Marie Le Pen eine der wenigen "etablierten" rechtsextremen Großparteien in Europa, jedenfalls in Westeuropa, die offene Sympathien für die neonazistische NPD zeigen. Andere rechtsextreme Parteien mit einem halbwegs bedeutenden Wähleranteil blieben da dann doch lieber auf Abstand. Im FN-Kommuniqué dagegen ist von einem Erfolg der "nationalen, den kleinen Leuten verpflichteten und sozialen deutschen Rechten" die Rede. Mit genau denselben Worten (droite nationale, populaire et sociale) bezeichnet der Front National sich seit seiner Gründung im Oktober 1972 gewöhnlich selbst.  

Auf diese Weise hat der FN östlich des Rheins einen neuen Bündnispartner gewonnen. Traditionell hatte er zu der, allzu braunen, NPD eher Abstand gewahrt und zunächst auf die erfolgreicheren "Republikaner" (REPs) gesetzt. Von 1989 bis 1994 hatten der französische FN und die REP-Abgeordneten eine gemeinsame Fraktion im Europaparlament gebildet; auch Vertreter des italienischen MSI hatten ihr zunächst angehört, die aber wegen der verbalen Ansprüche deutscher REPs auf "Südtirol" alsbald empört auszogen. Nachdem der Niedergang der "Republikaner" begonnen hatte und im April 1998 die DVU einen Wahlerfolg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erzielt hatte, schwenkte der FN auf den Gerhard Frey-eigenen Wahlverein als neuen Bündnispartner um; Le Pen und Frey trafen sich im Juni 1998. Inzwischen wird offenkundig auch die NPD, die seit den jüngsten Wahlen mit der DVU verbündet ist, nicht mehr länger als anrüchig betrachtet.  

Offene Strukturfragen  

Aber die Strukturfragen, die die deutschen rechtsextremen Parteien beschäftigen und mitunter zerreißen, stellen sich auch für die franzöische extreme Rechte mit ihrer faktischen "Einheitspartei". Soll man um Bündnisse mit konservativen Kräften werben, auf den längerfristigen Erwerb von "Salonfähigkeit" setzen - oder eher als Kraft des "Protests gegen das System" diffuse Ausdrücke gesellschaftlicher Unzufriedenheit zu bündeln versuchen? Auf diesem strategischen Widerspruch hatten dereinst die erfolgreichen REPs herumzubeißen: Der 1994 ins Amt gekommene Bundesvorsitzende Rolf Schlierer favorisierte die erstgenannte Variante, sein Vorgänger Franz Schönhuber eher die zweitere. In Frankreich hat Le Pen, der Schönhuber zum großen Vorbild wurde, faktisch den Richtungsentscheid für die zweitere Option getroffen.  

Eine andere wichtige Frage bildet jene nach der Rolle des "starken Manns" an der Spitze. Ohne einen solchen vermag eine rechtsextreme Partei kaum auszukommen, wenn sie Erfolg haben will; in diesem Sinne ist die NPD als Kader- und Aktivistenpartei, in der dem Bundesvorsitzenden keine allzu herausragende Rolle zufällt, eher die Ausnahme. Aber eine allzu starke Konzentration auf die "Führer"persönlichkeit, gar eine weitgehende Personifizierung der Partei kann ihrerseits schädlich sein. Denn sie hemmt jede "Bewegungs"dynamik, sofern der "starke Mann" ­ ängstlich darauf bedacht, keinen Kader als möglichen Konkurrenten hochkommen zu lassen ­ keine halbwegs zu eigenständigem Denken fähigen Parteifunktionäre aufbaut, sondern sich wie DVU-Chef Gerhard Frey lieber mit Clowns umgibt, die als Abgeordnete in den Parlamenten bestenfalls für Heiterkeit sorgen.  

Die Problematik spitzt sich in den letzten Jahren für den Front National zu. Traditionell hatte die französische rechtsextreme Partei eigentlich keine Schwierigkeiten damit, über vorzeigbare Kader zu verfügen. Denn ein bedeutendes Potenzial an Rechtsintellektuellen war vorhanden, das etwa auf die Mobilisierung der Ultrarechten während des Algerienkriegs (1954-62) sowie die späteren intellektuellen Umtriebe der "Neuen Rechten" (Nouvelle Droite) zurückzuführen ist. Doch nachdem der ehemalige Chefideologe und "Nummer Zwei" der Partei, Bruno Mégret, 1998 den alleinigen Führungsanspruch des Chefs erst auf versteckte Weise und dann offen in Frage gestellt hatte ­ auch aufgrund eines strategischen Richtungskonflikts: Mégret trat tendenziell für Regierungsbündnisse nach italienischem Muster ein ­ ist Le Pen misstrauisch geworden. Mit einsetzendem Altersstarrsinn ist der inzwischen 76jährige in jüngster Zeit darauf bedacht, nur noch seine persönliche Macht zu sichern und, sofern möglich, in näherer Zukunft auf seine jüngste Tochter Marine zu übertragen. Letzteres Ansinnen aber, das auf dem Parteitag in Nizza im April 2003 offenkundig wurde, hat jetzt zu heftigen Abwehrreaktionen auch seitens "altgedienter" Parteifunktionäre geführt. Diese haben unter anderem Angst davor, die von den Medien hofierte Anwältin und Mittdreißigerin, die selbst geschieden und wieder verheiratet ist, könne den FN auf zu "modernistische" Positionen zu Themen wie "Moral", Familie und Abtreibung führen.  

Der innerparteiliche Streit beim FN spitzt sich zu  

Der persönliche Konflikt zwischen Le Pen und der seit Mitte der 70er Jahre beim FN aktiven Altfunktionärin Marie-France Stirbois, die sich im Frühjahr bei der Aufstellung der Listen zu den Europaparlamentswahlen übergangen fühlte, hat jetzt zu einer erheblichen Zuspitzung des innerparteilichen Machtkampfs geführt. Stirbois fand dabei Unterstützung beim Kopf des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels und Erzfeinds von Marine Le Pen, Bernard Antony, sowie bei Jacques Bompard, dem einzigen FN-Bürgermeister in Frankreich. Ende August fanden gar, zeitlich parallel zueinander, zwei "Sommeruniversitäten" für die Parteikader statt: Die eine, traditionell unter Jean-Marie Le Pens Vorsitz stehende in Enghien-les-Bains (bei Paris), und die andere unter den Fittichen von Jacques Bompard in dem von diesem regierten südfranzösischen Städtchen Orange. An beiden Sommerakademien nahmen je rund 300 Pesonen teil, mit einem leichten zahlenmäßigen Vorteil für die "Orangisten".  

Die Le Pens ­ Vater und Tochter ­ schäumten. Auf Betreiben namentlich von Marine, die den Noch-Parteichef offen zu härterem Vorgehen anstachelte, versuchte Jean-Marie Le Pen auf zwei Sitzungen des "Politischen Büros" des FN, die Widerspenstigen Bompard und Stirbois aus dem obersten Führungsgremium ausschließen zu lassen. Doch erstmals musste er vor den innenparteilichen Widerständen zurückweichen: Viele Kader, darunter der "loyale" Generalbeauftragte (délégué général) der Partei, Bruno Gollnisch, sprachen sich gegen die geforderte Sanktion aus. Am 28. September war es dann soweit, das "Urteil" fiel: Bompard wird befristet für sechs Monate, Stirbois für drei Monate vom Politbüro ausgeschlossen. Doch eine für den FN unerhörte Neuerung trat ein: Die Betroffenen machten offen, vor laufenden Fensehkameras, gegen die "ungerechte" Ausschlussmaßnahme Front und verschafften ihrem Unmut Luft.  

Le Pens innerparteiliche Autorität scheint so angegriffen wie nie. Gleichzeitig hat Bompard, als derzeitiger Anführer der innerparteilichen "Dissidenten", erstmals auch programmatische Vorschläge zur Zukunft der Partei skizziert. In einem längeren Interview mit der Pariser Abendzeitung "Le Monde" vom 31. August legte er seine Vorstellungen dar. Demnach ist "die Zeit der Duce, der Großen Steuermänner vorbei. Der Führer, der Caudillo, der Conducator, all das ist vorüber." Jacques Bompard schwebt so etwas wie eine tief verwurzelte, von der kommunalen Ebene her aufgebaute "Widerstands"bewegung der weißen und katholischen Bevölkerungsgruppe gegen die übrigen Gruppen und vor allem gegen die Einwanderer vor: "Besser (wäre es), morgen eine Gemeinschaft von einer Million Männern und Frauen mit ihren eigenen Schulen, ihren Ausbildungsstätten, ihren Netzwerken gegenseitiger Hilfe zu haben, als eine formlose Masse von 5 Millionen Wählern und gleichzeitig nur 2.000 Aktivisten." Man könnte diese Vision als den Versuch des Aufbaus einer Apartheidgesellschaft "von unten" bezeichnen. Die derzeitige innerparteiliche Praxis, befürchtet Bompard, trage nicht genug zur Verankerung einer solchen gesellschaftlichen "Bewegung" bei.  

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 6.10. 2004  in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.