Rechtsradikaler Wahlerfolg in Norwegen

von Jean-Yves Camus
10/05

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 Bei den Parlamentswahlen am 11.September 2005 gab es zwei Sieger: die Sozialdemokraten und die rechtspopulistische Fortschrittspartei unter ihrem Führer Carl I. Hagen. Während die sozialdemokratische Norwegische Arbeiterpartei (DNA) ihre Verluste von vor vier Jahren wieder wettmachen und sich um 8,4% auf 32,7% steigern konnte, profitierte die rechtsradikale Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei) – FrP – vom massiven Einbruch der bisher regierenden Konservativen (Hoyre), die nur noch auf 14,1% (-7,1%) kamen und der Christlichen Volkspartei (KFP), die auf 12,5% (- 5,7%) absackte. Die FrP legte um 7,5% auf nun 22,1% zu. Damit ist sie gegenwärtig die stärkste rechtsradikale Partei in Europa und mit Abstand die größte Oppositionspartei in Norwegen...

... Die künftige Regierungskoalition wird nämlich aus der sozialdemokratischen Arbeiterpartei DNA, der Sozialistischen Linkspartei SVP (8,7%; minus 3,7%) und der grün-liberalen Zentrumspartei SP (6,5%; + 0,9%) bestehen und über 87 Mandate (gegen 82 für die Opposition) verfügen. Die Rote Wahlallianz Rød Valgallianse (RV), die 1973 als Wahlliste von der Kommunistischen Arbeiterpartei AKP(ml) gegründet wurde und sich 1991 in eine eigenständige Partei verwandelte, konnte von den deutlichen Verlusten der Sozialistischen Linkspartei nicht profitieren. Sie erhielt 32.365 Stimmen und stagniert bei 1,2%, womit sie ein Mandat (das es bei ca. 1,7% gegeben hätte) wiederum knapp verfehlte. Die Kommunistische Partei Norwegens (NKP) erhielt ganze 1.066 Stimmen (0,0%). Einen detaillierten Überblick über das Wahlergebnis gibt es in englischer Sprache unter http://en.wikipedia.org/wiki/Norwegian_parliamentary_election,_2005

Während die Sozialdemokraten ihren Stimmengewinn durch eine Revision ihres bisherigen Neue Mitte-Kurses erzielten (interessanterweise unter demselben Parteichef und kommenden Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg) und nun plötzlich gegen weitere Privatisierungen, für den Ausbau der Altenpflege, des Bildungssektors und für höhere Steuern eintreten, punktete die Fortschrittspartei mit Ausländerfeindlichkeit und dem Versprechen, die umfangreichen Erdöleinnahmen verstärkt für „soziale“ Zwecke auszugeben. So soll der Benzinpreis um 40% gesenkt und u.a. Altenheime für norwegische Rentner im sonnigen Spanien gebaut werden. Die allgemeine Wirtschaftspolitik soll nach Ansicht von Carl Hagen & Konsorten allerdings neoliberal bleiben. Zu den politischen und sozialen Hintergründen dieses Höhenflugs der Rechtspopulisten interviewte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 14.9.2005 den Experten für Rechtsradikalismus in Europa, Jean-Yves Camus.

INTERVIEW:

„Der soziale Bruch lässt die extreme Rechte anwachsen“

Jean-Yves Camus erläutert, warum die xenophobe Partei bei den norwegischen Wahlen an zweiter Stelle liegt.

ANNA MARIA MERLO – PARIS

Die Linke hat die Parlamentswahlen in Norwegen gewonnen. Der Wahlausgang ist allerdings durch ein anderes Ergebnis gekennzeichnet: Die rechtsextreme Fortschrittspartei wird zur zweitstärksten Partei des Landes. Jean-Yves Camus, Experte für die extreme Rechte in Europa (zu seinen Büchern zählen „Le Front National“ und „L’Extreme droite aujourd’hui“ - “Die extreme Rechte heute“ -, beide bei Milan erschienen), analysiert diese neue Situation.

Wie ist es möglich, dass die extreme Rechte in Norwegen, einem weit entwickelten Land, das der Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen bei der menschlichen Entwicklung an die erste Stelle setzt, auf dem zweiten Platz landet ?

„Nicht nur, dass die Fortschrittspartei auf dem zweiten Platz landet, sie ist auch mit großem Vorsprung die stärkste Partei der Rechten. Es stimmt, dass Norwegen als das Land betrachtet wird, wo man auf der Welt am besten lebt. Man sollte aber nicht vergessen, dass es mit anderen westlichen Ländern mit hohem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein Charaktermerkmal teilt: die Zunahme der Kluft zwischen der Mehrheit der Bevölkerung, die reicher wird und einer Minderheit, die verarmt. Man muss deshalb hervorheben, dass in Norwegen ein tiefgreifend wirtschaftsliberales Programm in Kraft ist, auch als die Sozialdemokraten ((bis 2001)) an der Macht waren. Das heißt auch mit der Sozialdemokratie gibt es Leute, die ausgegrenzt werden. In Norwegen existiert Armut. Sie betrifft Rentner, Alte, allein stehende Frauen mit Kindern, die arbeitslos oder fast arbeitslos sind. Und auch die Immigranten. Ein Teil der Bevölkerung profitiert nicht von der Zunahme des Reichtums des Landes.“

Gibt es eine norwegische Besonderheit,
die das Anwachsen des Rechtsextremismus erklärt ?

„Ja, es gibt einen sehr spezifischen Punkt. Norwegen verdient am Erdöl, aber die große Mehrheit der Erdölgewinne wird, auf Beschluss der Regierung, an der Börse platziert und auf den Finanzmärkten investiert. Dies geschieht, um die Zukunft der nachfolgenden Generationen zu sichern, da die Norweger wissen, dass das Erdöl eines Tages erschöpft sein wird und man mit den sinkenden Einkünften fertig werden muss. Das heißt der Staat investiert nicht soviel ins Soziale, wie er könnte. Die Fortschrittspartei war (zusammen mit der alternativen Linken) die einzige Partei, die im Wahlkampf dafür eingetreten ist, dass ein größerer Teil der Einkünfte aus dem Erdöl im sozialen Bereich investiert wird. Das ist ein Argument, das sich ausgezahlt hat.“

Aber warum sind die Stimmen dann nicht an die extreme Linke gegangen, die dasselbe forderte ?

„Norwegen ist ein ziemlich konservatives Land, ländlicher als Schweden oder Dänemark. Der Einfluss der Religion ist stark. Neben einem urbanen Sektor, der dem Eindruck entspricht, den wir von den Skandinaviern haben (eher solidarisch gegenüber der 3.Welt, für den Wohlfahrtsstaat…) existiert ein sehr konservativer Teil. Außerdem teilen in diesem Land Rechte wie Linke die ökologischen Sorgen. Und schließlich erlebte das sozialdemokratische Modell, das lange an der Regierung war, einen Verschleiß der Macht, mit einer sozialdemokratischen Partei, die – in die Mitte-Linke verschoben – sich immer mehr auf die Führung der Tagesgeschäfte konzentrierte.“

Aber die Fortschrittspartei verbindet diese soziale Besorgnis mit dem Ultraliberalismus.

„Gewiss. Für die Fortschrittspartei darf es kein Recht auf Arbeit mehr geben. Der Arbeits- / Tarifvertrag soll direkt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgehandelt werden, ohne Mindestlohn, ohne Begrenzung der Arbeitszeit etc.. Diese Position ist für die neue Generation der extremen Rechten repräsentativ, die ultra-wirtschaftsliberal ist, aber zugleich fordert, dass der Staat ein bisschen mehr Umverteilung betreiben soll.“

Wie können diejenigen, die sich von den ökonomischen Vorteilen ausgegrenzt fühlen, meinen, dass sie durch ein ultra-wirtschaftsliberales Programm gewinnen können ?

„Sie denken, dass sie gegenüber den Immigranten gewinnen. Sie denken, dass sie – wenn die Immigranten rausgeschmissen wurden – eine Arbeit finden werden. Die neue extreme Rechte ist eine Kombination aus drei Tendenzen: Populismus, Ultra-Wirtschaftsliberalismus und Xenophobie ((Fremdenfeindlichkeit / Fremdenangst)), in Norwegen (genau wie anderswo) mit einer Schicht Sozialem oben drüber gestreut, über die auch der alte Faschismus verfügte. Das norwegische Wahlergebnis wird anderswo keine großen Auswirkungen haben, da Norwegen nicht in der Europäischen Union ist. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass diese neue extreme Rechte sehr viel gefährlicher ist als die Erben des alten Faschismus, der fast nicht mehr existiert.“

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am  24.09.2005  bei Indymedia.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover