Betrieb & Gewerkschaft
USA: Die Spaltung des AFL-CIO


von Lee Sustar
10/05

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Auf dem jüngsten Kongress des US-amerikanischen Dachverbands der Gewerkschaften AFL-CIO in Chicago vom 25. bis 28.Juli sind die drei größten Gewerkschaften aus dem Verband ausgetreten. Sie bildeten zusammen mit vier weiteren die Koalition »Change to Win«.

Damit haben mehr als ein Drittel des 13 Millionen Mitglieder zählenden AFL-CIO (Jahresbudget: 120 Millionen Dollar) den Verband verlassen. Die ausgetretenen Gewerkschaften sind die Dienstleistungsgewerkschaft Service Employees International Union (SEIU), die Transportarbeitergewerkschaft Teamsters Union und die Beschäftigten im Einzelhandel United Food and Commercial Workers (UFCW) wollen einen rivalisierenden Verband aufbauen, der den 50 Jahre alten Verband AFL-CIO praktisch lahm legen wird.
Der Vorsitzende der SEIU, Andrew Stern, rechtfertigte die Spaltung damit, sie sei nötig, um die 87% Lohnabhängigen in den USA zu organisieren, die keiner Gewerkschaft angehören. Stern organisierte seine eigenen Pressekonferenzen in Chicago und sprach über die Herausforderungen, vor denen die Lohnabhängigen stehen — in der Hoffnung einen Kontrast zum schwerfälligen AFL-CIO-Kongress zu schaffen.

Tatsächlich begleitete das inszenierte Treffen des neuen Verbands die übliche Parade von Politikern der Demokratischen Partei. Eine erfreuliche Ausnahme bildete die Verabschiedung einer Resolution, die den raschen Rückzug der US- Truppen aus dem Irak forderte — sie brachte die überwältigende Mehrheit der Delegierten hinter sich. Das war das Ergebnis der monatelangen Arbeit der Initiative US Labor Against the War.

Die Differenzen zwischen den beiden rivalisierenden Verbänden sind geringer, als beide Seiten zugeben wollen. Jerry Tucker, früherer ein oppositioneller Funktionär der United Auto Workers, meinte, beide Seiten hätten es darauf abgesehen, die Art »Sozialpartnerschaft« zu retten, die die Unternehmer schon seit drei Jahrzehnten ablehnen.

Die Führung des AFL-CIO antwortete auf die Spaltung mit einer Reihe von bürokratischen Maßnahmen: die ausgetretenen Gewerkschaften wurden aus den lokalen und bundesstaatlichen Gremien ausgeschlossen.

Einige verglichen diese Abspaltung mit dem militanten Congress of Industrial Organizations (CIO) der 30er Jahre, doch sagt der Vergleich mehr über die geschickte Propaganda der SEIU als über die Realität. Der CIO wurde 1935 von dissidenten Führern der American Federation of Labor (AFL) gegründet, um sich an die Spitze einer Rebellion der Basis zu stellen, die im Jahr zuvor zu Generalstreiks in Minneapolis, Toledo und San Francisco geführt hatte.

Die jetzige Spaltung hingegen findet inmitten der größten Flaute von Streikaktivitäten seit den späten 40er Jahren statt. Auf beiden Seiten bemühen sich Gewerkschaftsführer nach Kräften, die Verhältnisse so zu lassen, indem sie Druck auf Mitglieder ausüben, dass sie Stellenkürzungen und Einbußen bei Löhnen und Sozialleistungen in Milliardenhöhe hinnehmen.

So ist bspw. der Vorsitzende der UFCW, Joe Hansen, Sterns neuester Verbündeter, für eine Reihe miserabler Tarifabkommen im Lebensmittelhandel nach der Streikniederlage gegen die drei größten Unternehmen der Branche im vergangenen Jahr in Südkalifornien verantwortlich. Hansen ist der Mann, der im dramatischen Streik von 1985/86 in der

Fleischverpackungsfabrik Hormel in Austin, Minnesota, die gewählte Führung des UFCW-Bezirks P-9 absetzte und anschließend Zugeständnisse an das Management aushandelte. Nach wie vor ist er »stolz« auf seine Rolle in diesem Streik und sagte in einem Interview: »Es ist mir zu verdanken, dass es in der Fabrik immer noch eine Gewerkschaft gibt.«
Hansens Methode, die Streikkasse der Gewerkschaft zu schonen und lieber Konzessionen zu machen, wird von Gewerkschaftsführern auf beiden Seiten geteilt. Konzessionen durchzusetzen, damit die »Sozialpartner« profitabel bleiben, bedeutet zwangsläufig, dass die Erwartungen der Gewerkschaftsmitglieder gesenkt und diese demobilisiert werden, statt sie für die Organisierung neuer Mitglieder zu gewinnen.

Wenn die Gewerkschaften die Zugeständnisse nicht stoppen können — wie jüngst wieder die Abschaffung der Pensionsfonds bei United Airlines, die Halbierung der Löhne bei Autozulieferern und das Ende einer erschwinglichen Krankenversicherung für Beschäftigte in Lebensmittelläden —, warum sollten dann nicht gewerkschaftlich Organisierte das Risiko eingehen, wegen des Beitritts zur Gewerkschaft entlassen zu werden?

Wenn Teamster-Präsident James Hoffa bereit war, den Streik der Angestellten der Lebensmittelläden im südlichen Kalifornien zu sabotieren, indem er den Gewerkschaftsmitgliedern erlaubte, Läden zu beliefern, in denen Streikbrecher arbeiteten, warum sollten relativ gut bezahlte Lkw-Fahrer von Wal-Mart seiner Gewerkschaft beitreten?

Kein Geld mehr für den AFL-CIO

Sein wirkliches Motiv für die Abspaltung offenbarte Hoffa, der jüngst einen internen Bericht über Mafiaumtriebe bei den Teamsters unterdrückt hat, als er wiederholt die 10 Millionen Dollar Jahresbeitrag erwähnte, die die Teamsters nun nicht mehr an die AFL-CIO zu bezahlen haben.

Der Disput zwischen AFL-CIO-Präsident John Sweeney und Stern, Hoffa und Konsorten dreht sich denn auch um die relativ geringfügige Frage von Beitragsrückzahlungen durch den Dachverband an die Einzelgewerkschaften. Stern und Hoffa kritisieren zwar den AFL-CIO zu Recht dafür, dass sie zu viel Geld in die Demokratische Partei pumpen, gleichzeitig betonte Stern aber auf einer Pressekonferenz, seine Gewerkschaft leite mehr Geld an die Demokraten als der AFL-CIO — das ist wohl kaum ein Signal für politische Unabhängigkeit.
Gewiss ist mehr Geld für die Organisation von entscheidender Bedeutung. Doch selbst wenn es mehr Geld gibt, werden die fatalen Methoden, die dabei angewandt werden, nicht überwunden. In der einen Gewerkschaft ist der Organisator vielleicht ein gut bezahlter Angestellter, in der anderen ein junger Idealist, der frisch vom College kommt und bereit ist, für wenig Geld 18 Stunden am Tag zu arbeiten. Aber das grundlegende Herangehen ist dasselbe — die hauptamtlichen Organisatoren werden von den Gewerkschaftsfunktionären an der kurzen Leine gehalten, auch dann wenn die Mitglieder an der Basis gegenüber ihrer Gewerkschaft verbittert sind, weil sie es versäumt, sich gegen die Angriffe der Unternehmer zu wehren.

Die SEIU hebt sich sich durch öffentlichkeitswirksame strategische Organisierungskampagnen hervor: Gestützt auf die örtliche Bevölkerungen übt sie auf Unternehmer Druck aus, dass sie sog. »Card- check«-Abkommen unterzeichnen, bei denen das Management die Gewerkschaft im Betrieb anerkennt, wenn eine einfache Mehrheit der Belegschaft Mitgliedsausweise unterzeichnet hat.

Auf lokaler Ebene hat das gelegentlich funktioniert, nun scheinen Stern und Hansen diese Methode gegen Wal-Mart einsetzen zu wollen. Sie meinen wohl, sie könnten mit einer abgespaltene Fraktion einer Arbeiterbewegung, die sich auf ihrem Tiefpunkt der letzten 80 Jahre befindet, einen frontalen Angriff gegen den größten und bösartigsten gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgeber des Landes starten.

Gegen Stern und die »Change to Win«- Koalition hat der Rest der Gewerkschaftsbürokratie die Reihen um Sweeney geschlossen. Aber wenn Sterns Appell für einen »Wandel« hohl klingt angesichts seiner Kumpanei mit Figuren wie Hoffa und Hansen, so gilt dasselbe für Sweeneys Aufruf zur Einheit im »Haus der Arbeit«.

Der AFL-CIO-Kongress wurde von Leuten dominiert, die in der Hierarchie ihrer Gewerkschaften aufgestiegen sind, weil sie als Ja-Sager und - Sagerinnen abweichende Auffassungen rücksichtslos unterdrückt haben.

In den folgenden Wochen und Monaten wird auf die Gewerkschaftsmitglieder und die Aktiven in der Arbeiterbewegung Druck ausgeübt werden, sich dem einen oder anderen Lager anzuschließen. Man wird dafür sorgen müssen, dass die Spaltung an der Spitze nicht die Bewegung an der Basis zerreißt.

Editorische Anmerkungen

Der Text stammt von http://socialistworker.org  und wurde übersetzt von Hans- Günter Mull. Es handelt sich um eine Spiegelung von
http://members.aol.com/sozrst/0509131.htm  

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