Leidenschaftliches Ringen um gemeinsame Perspektive - Netzwerk Linke Opposition wahrt die Einheit

 von Edith Bartelmus-Scholich

10/06

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Am 3.10.06 tagte das Netzwerk Linke Opposition in Felsberg bei Kassel. Das bundesweite Treffen diente der Abstimmung nächster gemeinsamer Schritte im Parteibildungsprozess von WASG und Linkspartei.PDS, der Beschreibung einer gemeinsamen Perspektive als gesellschaftliche linke Opposition und der Schaffung von demokratischen Strukturen im Netzwerk.

An der Tagung in Felsberg nahmen ca. 100 Netzwerker aus 14 Bundesländern teil. Etwa 75% der Teilnehmenden arbeitet aktiv in der WASG. Darüber hinaus waren ehemalige WASG-Mitglieder, Mitglieder der Linkspartei.PDS, Mitglieder sozialistischer Gruppen, wie des RSB und der Marxistischen Initiative sowie Aktive aus sozialen Bewegungen nach Felsberg gekommen. Begrüßen konnte das Netzwerk Linke Opposition in Felsberg auch Rainer Spilker, der als Mitglied des Bundesvorstands der WASG eingangs den Stand des Parteibildungsprozesses referierte und kritisch einordnete.

Im Vorfeld des Treffens hatte sich in öffentlicher Diskussion bereits abgezeichnet, dass im Netzwerk ähnliche Einschätzungen der bisherigen Ergebnisse im Parteibildungsprozess aus WASG und Linkspartei.PDS bestanden, es aber unterschiedliche Vorschläge zur Perspektive linker Opposition in der zukünftigen Linkspartei gibt. Scharf war die öffentliche  Kontroverse  um die Frage geführt worden, ob ein Eintritt und eine Mitarbeit in der zukünftigen Linkspartei auch dann sinnvoll sei, wenn die Fusion im Sommer 07 nicht unter definierten Mindestbedingungen durchgeführt werde. Gegenüber standen sich die VerfechterInnen der  auf einem Regionaltreffen in NRW beschlossenen Erklärung "Für eine glaubwürdige neue linke Partei" und ihr Anspruch bei Nichteinhaltung "Roter Linien" auf den Aufbau einer alternativen politischen Kraft zu orientieren sowie die von der SAV-Bundesleitung und Teilen der isl vertretene Auffassung, auch unter ungünstigen Bedingungen, könne es für Linke Sinn machen, in der neuen Linkspartei mitzuarbeiten, nicht aber eine Alternative dazu aufzubauen.

Erschwert wurde die Konsensbildung dadurch, dass sich eine in etwa gleiche Frontstellung bei den Vorschlägen für eine demokratische Verfassung des Netzwerks darstellte. Mit dem u.a. von Mitgliedern der Redaktion Linke Zeitung eingebrachten Antrag "Strukturen für das Netzwerk Linke Opposition: Radikaldemokratisch, solidarisch, pluralistisch, dezentral und offen!" wurde vorgeschlagen, eine Koordinierung ohne eigenes politisches Mandat zu wählen. Die Willensbildung im Netzwerk sollte auf Treffen und über einen aufzubauenden Rat stattfinden. Dem gegenüber forderte die SAV-Bundesleitung die Wahl eines Sprecherkreises mit eigenem politischen Mandat.

In Felsberg zeigte sich dann, dass die Gemeinsamkeiten im Netzwerk Linke Opposition doch die Unterschiede bei weitem übertreffen. Es bestand große Übereinstimmung, dass einer dingungslosen Fusion von WASG und Linkspartei.PDS keinesfalls zugestimmt, sondern, dass dagegen gemeinsam gekämpft werden müsse. Weit gehende Einigkeit bestand auch darüber, dass so genannte "Rote Linien" als Mindestbedingungen für die Zustimmung zur Fusion eingehalten werden müssen. Hierzu gehört, dass die Partei neu gegründet werden soll und es die vollständige Trennung von Amt und Mandat resp. Amt und wirtschaftlicher Verflechtung auch für Delegiertenämter geben soll. Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge werden kategorisch abgelehnt, ebenso Beteiligungen an Regierungen, die Sozialabbau oder die Absenkung von tariflichen Standarts im öffentlichen Dienst betreiben. Die Bundeswehr soll nicht im Ausland und nicht im Rahmen der inneren Sicherheit im Inland eingesetzt werden. Zudem soll sich die neue Partei kämpferisch in gewerkschaftliche und soziale Auseinandersetzungen einbringen.

Sprengkraft lag vor allem in dem Streit um die Perspektive des Netzwerks Linke Opposition für den Fall, dass die "Roten Linien" nicht gehalten werden können. Die zentrale Frage war, ob es sinnvoll sei, schon zum jetzigen Zeitpunkt für diesen Fall eine Orientierung auf den langfristigen Aufbau einer neuen politischen Kraft gegen den Neoliberalismus vorzunehmen. Die Unnachgiebigkeit mit der diese Auseinandersetzung geführt wurde, zeigt, dass niemand von den Anwesenden daran glaubt, dass die "Roten Linien" durchsetzbar sind. Da die SAV-Bundesleitung und Teile der isl als weitest gehenden Kompromiss nur die Streichung  der Textpassage "Für den Fall, dass in diesen Punkten kein Konsens in den Verhandlungen zu Stande kommt, werden wir auf dem Bundesparteitag 07 und in der Urabstimmung für den Erhalt der WASG kämpfen. Wir fordern daher alle Kritiker und Kritikerinnen auf, nicht aus der WASG auszutreten, sondern uns zu helfen. Bereits ausgetretene Mitglieder bitten wir, ihre Entscheidung zu überdenken. Sollte dann auch ein Erhalt der WASG nicht durchsetzbar sein, werden wir gegen jede politische Partei, die öffentliches Eigentum privatisiert, Sozialabbau betreibt und tarifliche Standards bzw. Löhne absenkt, eine politische Kraft als Alternative aufbauen. Schon heute gibt es da, wo die Linkspartei.PDS "mitregiert" Platz für eine Partei links von ihr." aus dem Antrag "Für eine glaubwürdige neue linke Partei" anboten, standen schließlich zwei politische Leitanträge gegeneinander. Für den Fall, dass der Antrag "Für eine glaubwürdige neue linke Partei!" angenommen werden sollte, kündigten Michael Aggelidis und Aaron Amm von der Bundesleitung der SAV eine Spaltung des Netzwerks an.
Nach heftigem Kampf siegte dann doch noch die politische Vernunft. Nachdem mit 62,5% Stimmenmehrheit der Beschluss gefasst wurde, dass der Antrag "Für eine glaubwürdige neue linke Partei!" Grundlage der Antragsberatung werden sollte, wurden Kompromisse wieder möglich. Die Antragsteller des mehrheitsfähigen Antrags übernahmen zusätzliche Aspekte zum Selbstverständnis der neuen Partei aus dem unterlegenen Antrag und vervollständigten damit das linke Profil der neuen Partei. Die heftigst umstrittene Textpassage wurde ergänzt durch die beiden dem gegnerischen Antrag entnommenen Sätze:"Als ein Netzwerk bringen wir AktivistInnen zusammen, die aus der möglichen Fusion von L.PDS und WASG wahrscheinlich unterschiedliche praktische Schlussfolgerungen ziehen werden. Unsere Kooperation wird nicht davon berührt, ob die Netzwerk-UnterstützerInnen einen Eintritt in eine fusionierte Partei ausschließen oder darin Möglichkeiten zu linker Oppositionsarbeit sehen." Der so abgeänderten Leitantrag wurde schließlich bei zwei Gegenstimmen und ca. 12 Enthaltungen angenommen.
Damit waren die ärgsten Klippen in Felsberg umschifft. Mit der Annahme des Antrags "Strukturen für das Netzwerk Linke Opposition: Radikaldemokratisch, solidarisch, pluralistisch, dezentral und offen!" bei nur 17 Gegenstimmen zeigte sich, dass die überwältigende Mehrheit der Versammlung dem vorgeschlagenen Modell einer Rätedemokratie im Netzwerk mehr Vertrauen entgegenbringt als der Schaffung eines Sprecherrats mit eigenem politischen Mandat.

Wenig Kontroverse gab es dann bei der Beratung der übrigen Anträge. Mit wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen wurde zu den Herbstaktionen des DGB am 21. Oktober aufgerufen und gleichzeitig eine kontinuierliche Mitarbeit im "Bündnis 3. Juni" der sozialen Bewegungen beschlossen. Einstimmig bei nur zwei Enthaltungen wurde gefordert, dass die Beteiligung der Linkspartei.PDS an der neoliberale Programme umsetzenden Landesregierung in Berlin vor Zusammenschluss von WASG und Linkspartei.PDS zu beenden sei. Diese Forderung soll auch gemeinsam beim Bundesparteitag der WASG im November durchgesetzt werden.

Die Bereitschaft die Einheit des Netzwerks aufrecht zu erhalten und auch zukünftig zusammen zu arbeiten, schlug sich dann auch in der Wahl einer Koordinierung ohne eigenes politisches Mandat nieder. Von der zu diesem Zeitpunkt noch aus 83 Teilnehmenden bestehenden Versammlung wurden in geheimer Wahl folgende neun GenossInnen auf ein Jahr  in den Koordinierungskreis gewählt: Susanna von Oertzen aus Niedersachsen (64 Stimmen / 78,0%), Edith Bartelmus-Scholich aus NRW (60 Stimmen / 73,2%), Charlotte Ullmann aus Hessen (55 Stimmen / 67,0%), Peter Weinfurt aus NRW (48 Stimmen / 58,5%), Michael Hammerbacher aus Berlin (47 Stimmen / 57,3%), Mario Sperling aus Berlin (46 Stimmen / 56,0%), Dieter Elken aus Brandenburg (44 Stimmen / 53,7%), Heino Berg aus Bremen (39 Stimmen / 47,6%) und Augusto Yankovic aus Baden-Württemberg (38 Stimmen / 46,3%). Die gewählte Koordinierung wird die Beschlüsse der Konferenzen in Kassel (20. Mai 06) und Felsberg (3.10.06) vertreten und das Netzwerk weiter aufbauen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von LINKEZEITUNG

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