Das hat es noch nie gegeben! Circa 150 Lohnabhängige haben eine
Woche lang gestreikt, um ihre Arbeitskollegen in Schutz zu
nehmen, die Sans papiers (also sich «illega» in Frankreich
aufhaltende Immigranten) sind. Ihr Ausstand ist seit Montag
vormittag vorläufig zu Ende. Aber die zur Zeit 22 betroffenen
Sans papiers werden durch die Ortsleitung des Gewerkschaftsbunds
CGT in Massy-Palaiseau (rund 10 Kilometer südlich von Paris)
versteckt, nachdem die Polizei am Ende vergangener Woche
unmittebar anzurücken drohte. Nach wie vor halten sie ihre
Protestbewegung aufrecht, ebenso wie ihre Arbeitskollegen ihre
Forderungen auch weiterhin unterstützten. Am gestrigen Dienstag
um 11 Uhr organisierten die Sans papiers und ihre Unterstützer
eine Pressekonferenz vor dem Betrieb. Dabei kam auch Prominenz,
in Gestalt von Persönlichkeit aus der (linken) Politik und den
sozialen Bewegungen. Die Solidarität beginnt sich zu
organisieren.
Ort des Geschehens ist « Modeluxe », eine Grobwäscherei
in Chilly-Mazarin. Diese Pariser Vorstadt liegt benachbart zu
Massy und, 3 Kilometer weiter, zu der Unterbezirks-Hauptstadt
Palaiseau ; alle drei Städte gehören zum Département Essonne
(Hauptstadt Evry), der das südliche Pariser Umland umfasst.
Die Grobwäscherei
bearbeitet die Handtücher und Bettwäsche von Luxushotels der
französischen Hauptstadt. «Wenn Sie ab jetzt in einem Luxushotel
übernachten, dann wissen Sie wenigstens, wer Ihre Leintücher
gewaschen hat» erklärt deshalb der Ortsvorsitzende der CGT
ironisch. Modeluxe gehört aktuell dem britischen Konzern
Sunlight. Der Betrieb beschäftigt 160 Lohnabhängige, die alle
den gesetzlichen Mindestlohn SMIC (rund 1.250 Euro brutto und
kaum 1.000 Euro netto) verdienen, ohne Lohnzuschläge und ohne
13. Monatsgehalt.
«Illegale» Situation als Erpressungsinstrument
Unter den Beschäftigten befand sich lange Zeit rund ein Viertel,
die «Papierlose» waren, also keine gültige Aufenthaltstitel in
Frankreich besaben.
Viele von ihnen arbeiten nunmehr schon seit 5 Jahren im Betrieb.
Die Mehrheit der Beschäftigten insgesamt, ob mit oder «ohne
Papiere» (im o.g. Sinne), stammen aus Mali. Dabei hat die
Tatsache, dass die «legalen» und die «illegalen» Einwanderer
unter den Lohnabhängigen des Betriebs oftmals Landsleute sind,
die Solidarisierung wahrscheinlich erleichtert. Allerdings ist
ein solches Verhalten aktiver Solidarität, wie es jetzt zu Tage
trat, dennoch bisher eine Ausnahmeerscheinung. In anderen Fällen
ducken sich jene Einwanderer, die selbst von «Papierproblemen»
nicht betroffen sind, oftmals dann, wenn es hart auf hart kommt;
oder sie verfechten gar eine Mentalität im Sinne von: «Der
letzte, der (legal nach Frankreich) herein kam, macht die Tür
hinter sich zu.» In diesem Falle nun lief die Sache völlig
anders ab.
Die Situation der «Papierlosen», die nach dem Stand der
Gesetzgebung des bürgerlichen Staates legal nicht arbeiten
dürfe, diente dem Betrieb (wie in so vielen Fällen) als
Flexibilisierungsinstrument. Alle Sans Papiers im Betrieb waren
in einer Nachmittagsschicht zusammen gruppiert, die an 6 Tagen
in der Woche arbeiten musste, gegenüber 5 Tagen pro Woche für
die übrigen Beschäftigten. Und während die Beschäftigten in den
anderen Schichten das Recht auf eine Kaffeepause hatten, gab es
für die Sans papiers-Schicht keine Pausen, sondern nur maximal
das Recht zum Aufsuchen der Toilette. Eine 26jährige Arbeiterin
«ohne Papiere» bezeugt im Übrigen in ‘Libération’
(Mittwochsausgabe), dass sie bereits zwei Verwarnungen erhalte
haben, deshalb, weil sie «zu lange auf der Toilette
geblieben» sei. Die unbezahlten Überstunden häuften sich, wobei
dieses Problem allem Anschein nach auch die übrigen
Arbeiter/innen in dem Betrieb betroffen hat.
Das Unternehmen wusste nach Aussagen aller Beteiligten
(Gewerkschaft und «papierlosen» Beschäftigten, aber auch in der
Presse zitierten leitenden Angestellten), dass die Betroffenen
keine gültige Aufenthaltserlaubnis besaben.
Bei Einstellungen wurde –- sofern klar wurde, dass kein
Aufenthaltstitel vorgelegt werden konnte, wie das Gesetz es
prinzipiell bei Aufnahme einer Beschäftigung erfordert, oder
aber dass dieser offenkundig falsch war –- stattdessen eine
Kopie vom Steuerbescheid und vom (ausländischen) Pass verlangt,
um über eine Adresse und ein Foto zu verfügen. Denn im
Unterschied zu den Ausländerbehörden erkennen die französischen
Finanzämter die Sans papiers durchaus an: Steuern bezahlen
dürfen sie nämlich...
Scheinheiliges Legalisierungs-Versprechen
Im
Dezember 2004 kam es zu einer Polizeirazzia in dem Unternehmen,
auf der Suche nach «illegalen ausländischen» Arbeitskräften.Aber
das beherzte Eingreifen der CGT sorgte für den Abbruch der
Razzia und verhinderte, dass es zu Verhaftungen und in der
Konsequenz zu Abschiebungen kam. Der Betrieb verpflichtete sich
gegenüber den Beschäftigten, sich aktiv für die
«Regularisierung» der Betroffenen (d.h. die Legalisierung ihres
Aufenthalts) bei der Präfektur einzusetzen – indem sie ihnen
eine Beschäftigungsgarantie mit begründeter Nachfrage nach
ausländischen Arbeitskräfte gebe und dadurch einen legalen
Aufenthaltsgrund schaffe. Die Sans Papiers erklärten sich
ihrerseits dazu bereit, die eventuellen Kosten, die dem Betrieb
dafür anfallen könnten, von ihrem Lohn abziehen zu lassen. Im
April 2005 lieferte Modeluxe den Behörden also eine Liste, auf
der 42 Sans papiers unter ihren Beschäftigten namentlich
identifiziert wurden. Die Präfektur (d.h. die juristische
Vertretung des Zentralstaats im Département, die auch die
Ausländerbehörde umfasst) reagierte, indem sie zwar den
Betroffenen keine Aufenthaltspapiere gab, wohl aber diese beim
Betrieb weiter arbeiten lieb.
In kompletter Illegalität, jetzt mal aus Sicht ihres eigenen
Gesetzeswerkes... aber im Wissen von Behörden, Betriebsleiter
und aller Beteiligten.
Doch in den letzten Monaten begann die Situation sich zu ändern
Der Betrieb soll nach offiziellen Angaben verkauft werden, und
der Übernehmer (so heibt
es seitens von Modelux) wolle keine Sans papiers und damit
potenziell verbundene Scherereien vorfinden. Ab dem Frühjahr
2006 fingen die Angehörigen der Sans papiers-Schicht an, vom
Betrieb neu eingestellte Mitarbeiter auszubilden bzw.
einzuarbeiten. Aber der Direktion ging es darum, dass die neu
eingearbeiteten Beschäftigten die «Illegalen» nach einiger Dauer
ersetzen sollten.
Unterdessen befanden sich noch 22 Sans papiers unter den
Beschäftigten, da zwanzig andere inzwischen abgesprungen sind:
Sie arbeiten nicht mehr im Betrieb, befinden sich nicht mehr in
Frankreich oder an einem anderen Ort, fühlten den Boden unter
ihren Füben
zu heib
werden etc. etc. Unter ihnen erklärte die Präfektur sich dazu
bereit, 4 (von 22) zu «regularisieren». Aber wie aus einem
Artikel der Nachrichtenagentur AFP, der (redaktionell
überarbeitet) am Dienstag abend gegen 21 Uhr auf der Homepage
von ‘Le Monde’ publiziert wurde, hervor geht, soll die Direktion
selbst diese 4 gegenüber den Behörden ausgesucht haben. Sie habe
diejenigen Beschäftigten bestimmt, die «aufgrund spezifischer
Funktionen im Betrieb nicht kurzfristig ersetzt werden können»,
mit diesen Worten zitiert die Agentur den CGT-Ortsvorsitzenden
Raymond Chauveau.
Im
Laufe des September 2006 ging die Unternehmensleitung daran,
«illegale ausländische» Mitarbeiter wegen ‘faute grave’ zu
kündigen. Dieser Begriff bezeichnet eine Verfehlung oder einen
Disziplinarverstob,
der schwerwiegend genug ist, dass er eine fristlose Entlassung
(ohne Einhaltung der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen
Kündigungsfristen) rechtfertigt. Die Begründung bestand im
angeblichen «Vorlegen gefälschter Papiere» bei der
Personalabteilung anlässlich der Einstellung.
Daraufhin traten «nahezu sämtliche» (AFP) der rund 160
Beschäftigten in den unbefristeten Streik gegen diese Mabnahme.
Dabei erhielten sie Hilfe und Unterstützung vom CGT-Ortsverband
Massy-Palaiseau. Diese Ortsverwaltung gehört seit längerem zu
den mit Abstand kämpferischsten der CGT, die eine mehrjährige
Tradition der aktiven Unterstützung und Verbindung mit der Sans
papiers-Bewegung aufweist. (Unter anderem hängt das anscheinend
auch mit der Präsenz von Aktivisten einer maoistischen Partei,
des PCOF, in der örtlichen CGT zusammen.)
Doch am Freitag voriger Woche erzielte die Direktion des
Unternehmens einen für sie günstigen Entscheid des Gerichts in
der Bezirkshauptstadt Evry. Dieses legitimierte einen
Polizeieinsatz, um die Wäschekarren zu entfernen, die sich im
Hof des Betriebs zu stauen anfingen, sowie um die
«betriebsfremden Personen» (also die Angehörigen des
CGT-Ortsverbands Massy-Palaiseau) zu entfern. Am Ende der
vergangen Woche schien das Anrücken der Polizei unmittelbar zu
drohen, und damit die Festnahme sowohl der «betriebsfremde»
CGT-Aktivisten als auch und vor allem der hauptbetroffenen Sans
papiers. Die CGT Massy-Palaiseau entschied deshalb, den Betrieb
mit den Hauptbetroffenen zu verlassen und diese unter ihren
Schutz zu nehmen.
Am
Montag früh im Morgengrauen beschloss eine Vollversammlung der
übrigen Beschäftigten, die Arbeit vorläufig wieder aufzunehmen.
In einer Vereinbarung mit der Betriebsleitung konnten sie
herausholen, dass der Betrieb 3 der 5 bestreikten Wochentage
bezahen muss (zur Erinnerung: in Frankreich gibt es kein
Streikgeld, und wer streikt, bezahlt selbst in Form von
Lohnverlust!). Ihre Forderunge halten die Arbeiter aufrecht,
sowohl was die «Regularisierung» ihrer «papierlosen» Kollegen
betrifft als auch ihre eigenen Arbeitsbedingungen. Dazu zählen
die Löcher im Dach, die nicht zur Verfügung gestellte
Arbeitskleidung, die unbezahlten Überstunden und die unverschämt
niedrigen Löhne.
Am
Dienstag um 11 Uhr vormittag organisierte die CGT eine
Pressekonferenz vor den Toren des Betriebs. Im Publikum
befanden sich u.a. die französische KP-Vorsitzende Marie-George
Buffet, der Präsidentschaftskandidat der LCR (undogmatische
Trotzkisten) und SUD Post-Gewerkschafter Olivier Besanceno ; der
Generalsekretär der Antirassismusbewegung MRAP Moulout Aounit ;
die Gewerkschafterin der ehemaligen CFDT-Linken (jetzt eine
eigene Gewerkschaft unter dem Namen SNU) unter den Beschäftigten
der Arbeitsagentur Claire Villiers (seit 2004 parteilose, aber
auf einer Bündnisliste der KP gewählte Regionalparlamentarierin
in Paris ; mehrere Parlamentarier/innen der KP und der
Sozialdemokratie ; sowie AktivistInnen der CGT und der
Arbeitslosenbewegung AC ! Die Solidaritätskampagne fängt an sich
zu organisieren, es wird um finanzielle Unterstützung sowie um
Unterschriften um eine Petition nachgesucht.
KONTAKT :
(Campagne pour les salariés de Modelux)
Union Locale CGT de Massy-Palaiseau
14 chemin des femmes
(F) 91300 MASSY
Telefon 0033 – 1 – 69 32 15 76
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am 11.10.06
überlassen.