Betrieb & Gewerkschaft
Erst Subventionen abkassiert, dann geschlossen: Motorola schließt sein Werk in Flensburg

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10/07

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Der US-Handyhersteller Motorola hat die Schließung der Logistik-Sparte in Flensburg beschlossen. Schleswig-Holsteins  Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) bestätigte am 27. August entsprechende Berichte. Von der Schließung sind  700 Arbeitsplätze betroffen. Sie sollen nach Aachen verlagert werden. Somit bleiben am Standort Flensburg nur noch gut 200 Beschäftigte in der Verwaltung, in der Handy-Entwicklung und im Service.

Die Motorola-Handys für den europäischen Markt sollen ab Anfang nächsten Jahres beim kanadischen Unternehmen Cinram in Alsdorf bei Aachen programmiert, verpackt und verschickt werden. Dem Bericht zufolge laufen die Verhandlungen darüber schon seit Wochen. Die Löhne in Flensburg seien wesentlich höher als dort, heißt es aus dem Flensburger Werk. Außerdem sei der Aachener Standort näher an den wichtigen Kunden und den großen Flughäfen. Allen betroffenen Mitarbeitern solle ein Arbeitsplatz an dem neuen Ort angeboten werden. 

Weitere 300 Stellen bei Zulieferern in Gefahr

Doch auch die noch verbleibenden rund 200 Arbeitsplätze gelten nach Einschätzung von Branchenexperten langfristig als bedroht. Letztlich könnte von ehemals mehr als 3.000 Stellen keine einzige im Motorola-Werk in Flensburg übrig bleiben. Die IG Metall befürchtet, dass der US-Konzern nicht länger als zwei weitere Jahre an dem Standort bleiben wird, denn das Werk solle verkauft werden. Dieser Ansicht ist auch der Betriebsratsvorsitzende Dieter Neugebauer.

Außerdem könnten nach Einschätzung der IG Metall bei Zuliefer-Firmen Stellen abgebaut werden. Für Motorola arbeiten dem Bericht zufolge in Flensburg rund zehn Firmen, die in Spitzenproduktionszeiten Leiharbeiter zur Verfügung stellten. Aufgrund des rückläufigen Geschäfts habe eine Leiharbeitsfirma in diesem Jahr bereits 200 Mitarbeiter entlassen, so die Gewerkschaft. Das Flensburger Arbeitsamt geht davon aus, dass weitere 300 Beschäftigte bei Dienstleistern und Zulieferbetrieben ihren Arbeitsplatz verlieren werden.  

Carstensen: "Ein Schlag ins Kontor"

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) reagierte auf die angekündigte Schließung mit Enttäuschung. Eine solche Entscheidung sei "bitter und bedauerlich". "Wir werden alles tun, um die Folgen für den Standort Flensburg abzufedern", sagte er. Am Wochenende hatte Carstensen noch gemeinsam mit Austermann bei einer Reise in die USA versucht, die Konzernspitze umzustimmen. Die Landesregierung hatte dem US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmen finanzielle Hilfe angeboten, sollte der Standort in Flensburg erhalten bleiben. "Wir waren bereit, bis an die Schmerzgrenze des finanziell und rechtlich Machbaren zu gehen", sagte Carstensen. Die Gespräche seien "ein Schlag ins Kontor gewesen".  

Bürgermeister: Aachen keine echte Alternative

Flensburgs Oberbürgermeister Klaus Tscheuschner reagierte überrascht. Motorola habe jüngst eine drei-jährige Standortgarantie abgegeben. "Wir durften bis zuletzt davon ausgehen, dass Motorola zu seinem Versprechen stehen wird." Er machte keinen Hehl aus seinem Ärger über die Informationspolitik. "Es ist unverantwortlich und unverständlich, wenn Motorola jetzt 650 qualifizierte, motivierte und äußerst flexible Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit schickt. Denn das Angebot, mit den Arbeitsplätzen in das mehr als 600 Kilometer entfernte Aachen zu ziehen, ist für die in unserer Region verwurzelten Mitarbeiter keine ernsthafte Alternative."  

Kritische Stimmen aus dem politischen Lager

Ähnlich wie Carstensen sprach auch der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfaktion, Johannes Callsen, von einem "harten Schlag für die Region Flensburg und den Landesteil Schleswig". Die Flensburger SPD-Landtagsabgeordnete Ingrid Franzen sagte: "Motorola liefert damit den traurigen Beweis für die Machtlosigkeit von Politik, dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn Missmanagement und Fehleinschätzungen der Märkte zu Gewinneinbußen im Konzern führen, wird trotz massiver öffentlicher Förderung ausgegliedert, verlagert, entlassen." Der FDP-Landtagsfraktions-Vize Heiner Garg sagte, er hoffe, dass die Entscheidung Motorolas nicht auf besseren Förderversprechen der Landesregierung Nordrhein-Westfalens beruhe. "Denn ein Subventionswettlauf zwischen westdeutschen Bundesländern wäre genauso schädlich wie einer zwischen ost- und westdeutschen Ländern."

"Es ist schäbig", sagte der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner. Für Klaus Matthiesen, Geschäftsführer der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiREG, ist es nicht nachvollziehbar, "einen gewachsenen Standort mit qualifizierten und hochmotivierten Mitarbeitern auf diese Art fallen zu lassen".

 Die Vorsitzende des SSV im Kieler Landtag, Anke Spoorendonk, sagte mit Blick auf eventuelle Stellenangebote in Dänemark: "Für die allermeisten der Betroffenen gilt: lieber einen Arbeitsplatz in Apenrade als in Aachen. Mit der Förderung zielgerichteter Sprachkurse könnte die Landesregierung mit verhältnismäßig geringen Mitteln den Motorola-Mitarbeitern kurzfristig neue berufliche Perspektiven eröffnen." Sie forderte Konsequenzen für die Wirtschaftsförderung und erklärte für den SSW: „Wir meinen, dass sich die  Wirtschaftspolitik in Zukunft darauf konzentrieren muss, die Gründung, den Ausbau und die Ansiedlung kleinerer und mittlerer Unternehmen zu fördern. Denn nur diese Unternehmen sind in der Region verwurzelt, und wir wissen ja aus den Erfahrungen der letzten Jahre, dass gerade kleinere innovative Firmen neue Arbeitsplätze schaffen können. - Natürlich muss es in Schleswig-Holstein auch  weiterhin internationale Unternehmen geben, aber die öffentliche Förderung der Ansiedlung global agierender Konzerne muss künftig viel kritischer betrachtet werden.“

Der Landtagsfraktionschef der Grünen, Karl-Martin Hentschel, forderte die Landesregierung auf, für die zukünftige Förderpolitik Konsequenzen zu ziehen. "Fördergelder des Landes dürfen nur noch in solche Unternehmen fließen, die auch Forschung und Entwicklung betreiben. Forschungs- und Entwicklungsabteilungen lassen sich nicht einfach verlagern." Niedergang des einst modernsten Handy-Werkes in Europa. Die Grünen wiesen darauf hin, dass es sich bei Cinram, wohin die Flensburger KollegInnen wechseln können, um alles andere als ein soziales Musterunternehmen handelt. Cinram hat eine Belegschaft von ca. 1.400 Arbeitnehmern, davon 700 Leiharbeitnehmer. Im Internet sind auf einem Diskussionsforum zu Cinram Beiträge von Arbeitnehmern gesammelt, wo über schlechte Arbeitsbedingungen und Stundenlöhne von 5 Euro pro Stunde berichtet wird. Bei den Festangestellten von Cinram gelten die IG BCE-Tarifverträge (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) und ein Haustarifvertrag. Neue Mitarbeiter bekommen danach 1.325 EURO brutto bei einer 40-Std-Woche, d.h. Stundenlohn 7,88 Euro. Da ist im Industriebereich ein Dumpinglohn.

Der Handy-Hersteller hatte im Frühjahr mitgeteilt, die Flensburger Fertigung nach Asien zu verlagern. Von dieser Entscheidung waren rund 230 Mitarbeiter betroffen. Das Flensburger Motorola-Werk war 1998 als modernstes Handy-Werk Europas in Betrieb genommen worden. Zeitweise arbeiteten dort mehr als 3.000 Beschäftigte. Bereits im Herbst 2003 waren von damals 1.800 Mitarbeitern 600 entlassen worden, weil die Produktion weitgehend nach China verlagert wurde.  

Motorola in Flensburg: Erst an Top, dann Flop

Im Flensburger Motorola-Werk sind zu besten Zeiten mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Das Land Schleswig-Holstein subventionierte den Handy-Hersteller seit dem Jahr 1994 mit 26 Millionen Euro. Eine Chronologie der Entwicklungen:  

1. Oktober 1998: Motorola erweitert für mehr als 200 Millionen DM (102 Millionen Euro) seine Handy-Fertigung in Flensburg. Mit Produktionsbeginn Anfang 1999 arbeiten rund 2.000 Mitarbeiter im Werk.

17. August 1999: Motorola kündigt an, wegen der starken Nachfrage nach Mobiltelefonen in den folgenden zwölf Monaten die Zahl seiner 2.400 Beschäftigten in Flensburg um 800 erhöhen.

20. September 2000: Aufgrund geringerer Nachfrage drosselt das Werk in Flensburg seine Produktion um gut zehn Prozent.

6. Dezember 2000: Motorola kündigt an, 400 der gut 3.000 Stellen abzubauen, es verlassen jedoch mehr Mitarbeiter das Unternehmen.

24. April 2001: Nach Spekulationen über eine Schließung bleibt der Standort Flensburg von Umstrukturierungen verschont.

25. Januar 2002: Motorola streicht in Flensburg wegen der rückläufigen Handy-Nachfrage 240 Arbeitsplätze. Rund 100 Mitarbeiter kommen in anderen Bereichen des Motorola-Werks unter.

13. Februar 2003: Motorola baut in Flensburg rund 200 Stellen ab. Grund sei ein geringerer Aufwand bei der Handy-Montage.

16. September 2003: Motorola kündigt an, dass von Anfang 2004 an rund 600 Arbeitsplätze in Flensburg abzubauen. Eine Teilproduktion werde nach China verlegt. Flensburg bleibt Produktionsstätte für UMTS-Handys und Versandzentrum für Europa. Damit sind in der Fabrik noch rund 1.200 Mitarbeiter tätig.

13. Januar 2004: Motorola zahlt staatliche Fördergelder in Millionenhöhe zurück. Als Auflage für die staatlichen Subventionen sollten mindestens 2000 Mitarbeiter beschäftigt werden.

8. Dezember 2006: Motorola prüft in Flensburg eine mögliche Auslagerung der Tätigkeiten an einen Fremdanbieter.

26. April 2007: Im Motorola-Werk fallen 230 Arbeitsplätze weg, weil die Fertigung der UMTS-Geräte nach Asien verlagert wird. Zudem soll die Sparte Logistik und Transport mit mehreren Hundert Mitarbeitern ausgelagert werden.

24. August 2007: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (beide CDU) reisen kurzfristig in die USA um Krisengespräche mit der Konzernspitze zu führen.

28. August 2007: Medienberichten zufolge schließt Motorola seine Logistik-Sparte in Flensburg und verlagert den Bereich nach Alsdorf bei Aachen (Nordrhein-Westfalen). 700 Mitarbeiter sind betroffen. Später bestätigt die Kieler Landesregierung das Vorhaben des US-Konzerns.

29. August 2007 Auch Motorola selbst bestätigt jetzt die Umstrukturierungspläne. Nach Aufsichtsrat und Betriebsrat werden die Mitarbeiter informiert.

Editorische Anmerkungen

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