Musik macht Kinder intelligenter und sozial kompetent
Wider die Privatisierung von Bildung

von Hartmut Barth-Engelbart
10/07

trend
onlinezeitung

Der folgende Text enthält eine Reihe wissenschaftlich abgesicherter Argumente für die Beibehaltung und den weiteren Ausbau eines musischen Schwerpunktes in den allgemeinbildenden Schulen. Der Beitrag ist nach innen wie nach außen gerichtet. Er soll bestärken und ermutigen, besonders dann, wenn versucht wird Kernunterricht und Leistungsfächer auf der einen, musische Fächer, AG's und entsprechende außerunterrichtliche Aktivitäten auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen.

Mit dem Kampfruf nach dem "schlanken Staat" werden Schulen, aber auch schon Kindertagesstätten und Kindergärten die notwendigen Stellen, die notwendigen Qualifizierungen, die notwendigen Ausstattungen für die musische Bildung der Kinder verweigert und gestrichen. So wie in Hessen unter den Wolffs-Gesetzen der gleichnamigen Kultusministerin die Mogelpackung Unterrichtsgarantie/Vertretungspool/Unterricht-PLUS mit Hilfe von unqualifiziertem und/oder unterbezahltem Personal voll gepackt und zu 50% mit heißer Luft gefüllt wird - so wird auch in anderen Bundesländern kräftig an allen Ecken gekürzt, besonders an denen, die als "nicht zum Kerngeschäft gehörig" deklariert werden: Musik, Bildende Kunst, Sport, Theater und viele Kreativ-AGs, soweit sie davor in der von den Kultusministern organisierten Unterbesetzung überhaupt noch zu realisieren waren.

Besonders deutlich wird das am Beispiel des Musikunterrichts, der oft in Ganztagsangeboten - als Kompensation für vormittägliche Streichungen - nachmittags von Ehrenamtlern, Musikvereinen, Musikschulen auf Honorarbasis (oder auch gar nicht) angeboten wurde. Eltern, die auf Musikunterricht bestehen, werden dann - soweit es ihr Einkommen zulässt - das aus den Schulen heraus gekürzte Angebot privat aufsuchen: private Musikschulen, die JugendKunstschule usw.

Es ist überall das Gleiche: Gute (Aus-)Bildung gibt es nur für Reiche!

Die zu "events" (kommt von eventuell) verkommenen Kurzauftritte der Musik- und KunstpädagogINNen, die in der Lokalpresse stürmisch zwecks Punktsiegergatterung im Schulranking von den Schulleitungen (= Management eines Dienstleistungsunternehmens) präsentiert werden, haben für KleinKunstunternehmer im Werkauftrag den Vorteil, dass sie in den staatlichen BasisVersorgungsschulen ihre Bezahlkundschaft akquirieren können. Dafür müssen sie aber auch zum Dumpingpreis in der Schule auftreten!

In absehbarer Zeit wird sich dann wohl eine nach Sparten sortierte private Bildungsversicherung (mit Musik wird's etwas teurer) auf dem Bildungsmarkt tummeln: nach obligatorischer Haftpflicht, kommt demnächst die zur Schulpflicht passende private Bildungspflichtversicherung bestimmt.

Die folgenden Zitate beweisen, was das Kürzen bei Musik und die geschilderte Privatisierung des Musikunterrichts für die Entwicklung der Kinder bedeuten:

"Der Paderborner Musikpädagoge Hans Günther Bastian hat in einer wissenschaftlichen Langzeitstudie herausgefunden, dass intensives Musizieren in den ersten vier Schuljahren die Intelligenz steigern kann. Während sich die ABC-Schützen bei ihrer Einschulung nicht wesentlich in ihren Intelligenzquotienten unterschieden, erzielten über 50% der musikorientierten Schüler eineinhalb Jahre später überdurchschnittliche Ergebnisse bei Intelligenztests. In der Vergleichsgruppe waren es nur 38%." (aus "Amadeo" F/S 1998, Gruner&Jahr)

"Der Abbau des Musikunterrichts an deutschen Schulen ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung mit schlimmen mittel- und langfristigen Folgen für den Wirtschafts- und Kulturstandort Deutschland." (Dr. Peter Hansen-Strecker, Präsident des deutschen Musikverlegerverbandes in der Zeitschrift "Das Musikinstrument")

"Musik macht Kinder intelligenter und sozial kompetent."

"Verstärkte Musikerziehung hilft vor allem Schülern mit hohen Konzentrationsdefiziten. Kreativität und Leistungsvermögen steigen signifikant bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen."

Trotz des zu Ungunsten der klassischen "Leistungsbereiche" verschobenen Stundendeputats geht der für Musik vermehrte Zeitaufwand "ganz eindeutig nicht zu Lasten der allgemeinen schulischen Leistungen."

Im Gegenteil: "Der prozentuale Anteil der Kinder mit überdurchschnittlich guten Leistungen ist in der musikbetonten Grundschule sogar oft höher als in der herkömmlichen Grundschule. Dies gilt für die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch."

Und die zuletzt zitierten Sätze, die sich lesen wie Wunschträume einer Notgemeinschaft deutscher MusikerzieherInnen, die angesichts der Stundenreduzierungen in ihrem Bereich nach Argumenten gegen den herrschenden kultusministeriellen Trend suchen, stammen aus einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mitfinanzierten Langzeitstudie. Unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Günther Bastian (Universität Frankfurt/ Main und Paderborn) untersuchte ein Forscherteam an 30 Berliner Grundschulen die "Musik (-erziehung) und ihre Wirkung" (als Buch erschienen bei Schott Musik International /2001).

Bastian steht mit seinen Forschungsergebnissen und seinen Forderungen nicht allein und fordert deshalb, dass in allen Bundesländern Grundschüler die Chance erhalten, neben einem mindestens zweistündigen Musikunterricht in der Schule ein Instrument zu erlernen und in einem Ensemble zu musizieren.

Schulversuchs-Ergebnisse aus der Schweiz

Unterstützt werden seine Thesen und Forderungen durch die Psychologin Maria Spychiger, vom Pädagogischen Institut der Universität Freiburg (Schweiz) Sie begleitete einen eidgenössischen Schulversuch, in dem der Hauptfachunterricht zugunsten des Musikunterrichts um mehrere Wochenstunden reduziert wurde. Im Abschlußbericht schreibt Spychiger: "Über alle Klassen gemittelt, erbrachten die 'musikalischen Versuchskaninchen' trotz eingesparter Hauptfachstunden keine geringere Leistung als die Kontrollklassen. Im Gegenteil: Beim Lesenlernen in der Grundstufe zeigte sich ein besonders deutlicher positiver Zusammenhang." (aus "Persönlichkeitsentfaltung durch Musikerziehung", Josef Scheidegger / Hubert Eiholzer)

Ergebnisse langjähriger Praxis an Wiener Hauptschulen

Ähnlich lautende Ergebnisse werden aus den Wiener Hauptschulen mit besonderem musikalischem Schwerpunkt berichtet, die seit über 24 Jahren erfolgreich arbeiten. Der Leiter einer solchen Hauptschule, Direktor Walter Kern, verglich mehrere Jahre lang die Leistungen von SchülerInnen in Klassen mit und ohne musikalischen Schwerpunkt. In einem detaillierten Bericht schreibt er: "Nach vier Jahren war der Notendurchschnitt in den Musikklassen - bei gleichen Lehrern - um 0,7 bis 0,8 besser, und das, obwohl die Kinder hier durch den Schwerpunkt Musikunterricht zwei Wochenstunden mehr Unterricht hatten und zusätzlich Übungszeit für das Instrument, das für diesen Schultyp Pflicht ist, aufwenden mussten." ( Psychologie heute, 7/97)

Forschungsergebnisse aus den USA

Amerikanische Wissenschaftler um die Psychologin Dr. Frances Rauscher (University of Wisconsin) und den Physiker Dr. Gordon Shaw (University of California) haben herausgefunden, dass Musikunterricht die Intelligenz von Kindern um ein Vielfaches besser fördert als EDV-Unterricht (ohne damit etwas gegen frühe Informatik-Übungen zu sagen): "Wesentliche Grundlagen für mathematisch-naturwissenschaftliche Schulfächer, nämlich Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit analytisch zu denken, sind allein durch Musik eindeutig verbessert worden", heißt es dazu in einem Bericht der renommierten US-Zeitschrift für Musikerziehung, NAMM Playback (4/97). Und weiter: " Ihren Studien zufolge wird bereits durch frühe Erfahrungen bestimmt, welche Gehirnzellen sich mit anderen vernetzen, bzw. welche absterben werden. Diese neuronalen Verbindungen sind für alle Formen der Intelligenz verantwortlich. Daher wird das Intelligenzpotential eines Kindes nur dann ausgeschöpft, wenn es bereits in der frühen Kindheit die notwendigen stimulierenden Erfahrungen macht. Kultusminister und Pädagogen sollten in ihren Lehrplänen berücksichtigen, dass Musikerziehung und Musizieren den Intellekt stimulieren und langfristig eine akademische Leistungssteigerung herbeiführen."

Soziale Kompetenz und Reflexionsfähigkeit erheblich verbessert

Die oben genannten Studien in Berlin, in der Schweiz und in Österreich haben außerdem ergeben, dass Kinder mit ausgedehnter Musikerziehung besser in der Lage sind, aus Erfahrungen zu lernen, Transferleistungen zu erbringen und Situationen des Alltags adäquat zu erfassen und zu beurteilen. In den Grundschulen mit musisch-musikalischem Schwerpunkt ist die Zahl der ausgegrenzten Kinder deutlich geringer als in den über 6 Jahre mit erforschten konventionellen Grundschulen. Und schließlich beweisen die Studien eine Erhöhung der kommunikativen Kompetenz durch erweiterte Musikerziehung in ethnisch einheitlichen wie in multi-ethnischen Schulen. Nicht selten sind Musik und das Musizieren in allen seinen Formen (wie auch die Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich der bildenden Kunst) die ersten und oftmals einzigen Wege, die unsere Kinder miteinander wie mit LehrerInnen ohne große Schwellenängste gemeinsam begehen können. Hier gehen sie die ersten Schritte aufeinander zu. Dieses Medium ermöglicht die unmittelbare emotionale Erfahrung von Selbstwert, von Akzeptanz, von Aufgehobensein und Aufgefangenwerden in einer sonst (oft noch) fremden und nicht selten bedrohlich wirkenden Umgebung.

Ergo: wer im kreativ-musischen Bereich den Unterricht, die Mittel, die Stellen für FachlehrerInnen und die Fortbildungsmöglichkeiten streicht, der verhindert letztendlich Entwicklung und Entfaltung von Begabung bei unseren Kindern, der raubt ihnen bewusst Lebenschancen, die dann nur denen vorbehalten bleiben, deren Eltern das nötige Kleingeld haben.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir am 2.10.2007 vom Autor. HaBE ist Grundschullehrer und Kinderchorleiter, außerdem Schriftsteller, Lyriker, Musiker, Liedermacher, Sänger und Grafiker. Weitere Infos über ihn siehe: www.barth-engelbart.de.vu