Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nic Sarkozy überall
Der Präsident jetzt auch als Film-, Literatur- und Überhaupt-Held

10/07

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Sachbücher. Mindestens zwei dicke Comicbände. Einen Filmauftritt. Und jetzt auch noch ein literarisches Portrait. Man findet fast alles über Nicolas Sarkozy, unterschiedlichen Stils und unterschiedlicher Genres. Vielfältig ist die Literatur- und kulturindustrielle Produktion, die sich seit einigen Monaten rund um die Figur des neuen französischen Präsidenten rankt. Das hatte es so in der Vergangenheit noch nie gegeben, jedenfalls nicht unter den Verhältnissen der bürgerlichen Republik. Napoléon Bonaparte, mit dem Sarkozy hin und wieder gern verglichen wird und in dessen Nähe er sich bisweilen selbst gern rückt, spielte da noch mal in einer anderen Liga.  

‚Human Bomb’ 

Am vergangenen Dienstag Abend strahlte der Sender France2, der öffentlich-rechtliche zweite Kanal des französischen Fernsehens, den Spielfilm Human Bomb aus. In der Hauptrolle, und unbestreitbar positiv als strahlender Superheld dargestellt: Nicolas Sarkozy. Gespielt wird Sarkozy von dem Schauspieler Frédéric Quiring, der nach Auffassung der meisten Betrachter seine Rolle „glaubwürdig“ spielt. Um Missverständnissen vorzubeugen: In dem Film geht es zwar, wie der Titel unterstreicht, um eine „menschliche Bombe“. Bei selbiger handelt es sich allerdings nicht um den notorisch hyperaktiven Politiker Nicolas Sarkozy, auch wenn dessen Wutausbrüche im engeren Kreise seiner Berater inzwischen im ganzen Land berühmt-berüchtigt sind.  

Vielmehr handelt es sich um die Nachstellung der Geiselnahme in einem Kindergarten im Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine, im Mai 1993. 46 Stunden lang hatte sich dort der von Schulden überhäufte und depressive Informatiker Eric Schmitt mit Sprengstoff ausgestattet verschanzt. Der Mann drohte damit, sich selbst und die Kinder einer Vorschulklasse in die Luft gehen zu lassen, falls man ihm nicht 100 Millionen damalige Francs aushändige. Nicolas Sarkozy war damals der, junge und ehrgeizige, Bürgermeister des Nobelvorts Neuilly. Und er ging persönlich mit Eric Schmitt, der sich damals nur mit dem Kürzel HB – für human bomb – zu erkennen gab, verhandeln. Die Nation verfolgte den Verlauf des Geiseldramas gebannt auf ihren  Fernsehbildschirmen. Damals traten einige der tatsächlichen oder vermeintlichen Charakterzüge Sarkozys, der zu jener Zeit auch bereits Regierungssprecher im Kabinett von Edouard Balladur war, hervor: eine Vorliebe für Action, eine Spur kaltbültiger Unverfrorenheit und ein direktes Zugehen auf den Gegner oder den, den es psychologisch zu beeinflussen gilt. Auge in Auge.  

Ach ja, das Ende der damaligen Affäre? Der Geiselnehmer lieb bereitwillig einen Teil der Kinder frei. Kurz darauf wurde er mit Betäubungsmitteln, die Schmitt durch Feuerwehrleute in dem von ihm ständig georderten Kaffee verabreicht worden waren, in den Tiefschlaf versetzt. In diesem Zustand – der dadurch getestet wurde, dass man die in seiner Nähe befindlichen Kinder Möbel lautstark hin- und herrücken lieb - wurde er durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei getötet. Aus nächster Nähe und mit drei Kopfschüssen. Eine regelrechte Hinrichtung eines zu dem Zeitpunkt Wehrlosen, wie Kritiker meinten, die seit damals nicht verstummen mögen? Oder die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass der Mann doch noch aufs Knöpfen drückt, wie der Todesschütze sich rechtfertigt? Der Film lässt die Frage unbeantwortet. 

Die Zuschauer lernen jedenfalls: Erstens, wer sich mit Nicolas Sarkozy – Aug’ in Aug’ – ernsthaft anlegt, könnte böse enden. Und zweitens, ihr Präsident ist wirklich ein toller Hecht, ein Superheld, der Grobartiges geleistet hat. Auch wenn die damalige Aktion in Wirklichkeit im Hintergrund vor allem durch Psychologenteams aus Eliteeinheiten der französischen Polizei gemanaged worden ist. 

Dieser erste Spielfilm-Auftritt eines französischen Präsidenten während seines Mandats ist nur die Spitze des Eisbergs, was seine aktuelle Medienpräsenz betrifft. In Wirklichkeit vergeht kein Tag, an dem er nicht minuten- oder gar stundenlang in den Nachrichtensendungen, Politmagazinen und anderen Beiträgen der verschiedenen Fernsehstationen zu sehen war. Auch die Titelseiten der verschiedenen Zeitungen scheinen oft auf seine Präsenz abonniert zu sein, gerade auch die der Regenbogenpresse. Und bleibt der kleinwüchsige starke Mann Frankreichs ihnen einmal fern, dann bestehen gute Chancen, dass er dort von seiner Ehefrau Cécilia abgelöst wird. Letztere schmückte etwa vergangene Woche die Seite Eins von mindestens drei Zeitschriften, wie man sie typischerweise in den Wartenzimmern von Arztpraxen findet: Ihr erster Ehemann Jacques Martin, ein früher beliebter Fernsehmoderator, war als über 70jähriger verstorben. Nicolas Sarkozy hatte den Prominenten, der in „seiner“ Kommune Neuilly-sur-Seine wohnhaft war, dereinst erst angetraut und ihm später die Frau ausgespannt. So etwas gefällt dem Publikum. Es ist nicht so langweilig und öde wie die ständigen, nicht abreibenden Fremdgehgeschichten von Jacques Chirac und die streng katholisch fundierte Empörung seiner todlangweiligen Gattin Bernadette. Chirac war zwar ein ziemlicher Hallodri und produzierte Affären wie am Fliebband, aber seine eher belanglosen Frauengeschichte interessierten niemanden wirklich. (François Mitterrand hatte da noch anderes Format, das stimmt. Hatte er es doch geschafft, bis zum Ende – seinem Ableben im Januar 1996 – die Existenz einer unehelichen Tochter und einer „Zweitfrau“ geheim zu halten. Auch sonst führte er in dieser Hinsicht ein stringentes „Doppelleben“.) 

Zwei Präsidenten, zwei Stile: Von der Witzfigur zum Filmhelden  

Überhaupt, Nicolas Sarkozy und sein Amtsvorgänger. Chirac hätte nicht zur Film- und Romanfigur getaugt. Über Jacques Chirac wurden trockene Sachbücher geschrieben und Witzfilmchen gedreht, in denen seine Puppe als Supermenteur (Superlügner) auftrat – das war’s auch schon. Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit wurde im vergangenen Jahr ein Film auf den Markt gebracht, in dem die Person Jacques Chirac erstmals im Mittelpunkt stand. Aber nur, um durch die Aneinanderreihung unterschiedlicher Versprechungen aus seinem Munde aus 40 Jahren politischer Karriere den desaströsen Eindruck zu erwecken, dass dieser Mann alles und sein Gegenteil versprechen konnte – und nichts davon Substanz hatte. Sein Nachfolger ist da aus anderem Holz geschnitzt. Dort, wo Chirac vor der Wahl wohlklingende Versprechungen machte und erst später dann - nach dem Wahltermin -unschöne „Reformprojekte“ stück- und scheibchenweise aus den Schubladen zog (weshalb sich die Leute massenweise „verarscht“ fühlten und protestierten), hat Nicolas Sarkozy von Anfang an Farbe bekannt. Tatsächlich ist die Politik, die er real ausführt, durchaus konform zu dem, was er zu einem früheren Zeitpunkt ankündigte. Einschränkung des Streikrechts? Ich hatte es Euch doch gesagt! Verlängerung der Lebensarbeitszeiten? Ihr seid gewarnt gewesen! Damit erntet er bei so manchen Leuten Anerkennung für seinen „Mut“ und seine Offenheit, zumal so einige (vor allem Männer) gerne so hart und durchsetzungsfähig wären, wie Sarkozys Bild suggeriert. „Unverschämt gewinnt“ lautet die Botschaft. Und man möchte sich gar nicht wirklich darüber aufregen. Deswegen wohl auch der Trend, das Ganze lieber wie eine gekonnte schaulspielerische Inszenierung zu genieben, es als Quasi-Fiktion zu betrachten. Es hatte mit dem Endlosroman begonnen, der davon handelte, wie der ehrgeizige Prinz Sarkozy den alten König Stück für Stück meuchelte – bis die Chirac-Ära vorbei war. Zu Ende ist es noch lange nicht. 

Romanheld Sarkozy 

Nun also ist Nicolas Sarkozy auch noch, zusätzlich allem anderen, die Hauptfigur eines literarischen Stücks. Die 48jährige Schriftstellerin Yasmina Reza, die in Paris geboren wurde und deren Familie aus dem Iran, aus Russland und aus Ungarn stammt, widmete ihm ihr jüngstes Werk. Nachdem sie bislang vor allem mit Theaterstücken sowie ihrem letzten Buch Dans la luge d’Arthur Schopenhauer (Im Schlitten Arthur Schopenhauers) reüssiert hatte, interessierte sie sich nun erstmals für das Thema der Inszenierung von Politik. Seit dem Herbst 2006 konnte sie den damaligen Noch-Innenminister und Schon-Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy überall hin begleiten. Dort, wo sonst nur seine engsten Berater hinkamen, Journalisten und das Publikum oftmals keinen Zutritt hatten, durfte sie dabei sein. Sie hatte Sarkozy zuvor ihr Projekt vorgestellt, und dieser hatte dem Vorhaben sofort zugestimmt. Nach knappen drei Vierteljahren trennte Reza sich von ihm, nachdem Sarkozy im Mai dieses Jahres zum Staatsoberhaupt gewählt worden war. 

Am 24. August auf dem französischen Büchermarkt erschienen, hat das literarische Portrait, das selbst in Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich ist, sich binnen eines Monats über 200.000 mal verkauft. Noch immer rangiert es in den Top Ten der Bestsellerlisten. Das Buch wird nun in unterschiedliche Sprachen übersetzt und soll im Mârz 2008 auch auf Deutsch erscheinen. „Sarkozy sells.“ Dabei erfährt man aus dem Buch kein wirkliches Geheimnis, erhält nicht Zugang zu Enthüllungen, die einem das politische Wirken Sarkozys in anderen Farben darstellen würden. Denn dafür interessierte sich Yasmina Reza überhaupt nicht. Ihre Themen waren vielmehr, wie zuvor in mehreren ihrer Theaterstücke, das Verhältnis ihrer Figur zum Ablauf der Zeit - und die Spannung zwischen dem, was sie sein möchte, und jenem, was sie wirklich ist. (FUSSNOTE 1[1])  

In dieser Hinsicht ist das literarische Stück – das über keine zentrale These und keinen roten Faden verfügt - reich an zahlreichen kleinen, in sich abgeschlossenen Szenen, in denen Yasmina Reza dieses Spannungsfeld auf ästhetischer Ebene schildert. Es schält sich das, nicht wirklich unerwartete, Bild eines Mannes heraus, der es ständig eilig hat, der unter Umständen kaum etwas um ihn herum wahrnimmt. Der fast gänzlich auf sein Ziel, auf seine Mission konzentriert ist. Die Autorin fragt sich, ob Nicolas Sarkozy auch die Landschaft wahrnimmt, die im Zug „nutzlos“ – so ihre Wortwahl – „an ihm vorbeifliegt“ oder bei einem Besuch in Korsika zu seinen Füben liegt. Nein, lautet ihre Antwort. Immer aufs Neue wird geschildert, wie Nicolas Sarkozy sich etwa auf einen Besuch begibt, in einer „wandelnden Festung“ von Kameras und Mikrophonen voranschreitet, weder selbst etwas von seiner Umgebung wahrnehmen kann noch – zum Teil - vom Publikum gesehen werden kann. 

 Eine ästhetische Perle in dieser Hinsicht ist etwa die Schilderung seines Besuchs auf einem christlichen Friedhof in der nordafrikanischen Metropole Algier, während einer Kurzvisite in Algerien.  Die Journalisten prügeln sich förmlich um die Plätze rund um Sarkozy, „stolpern über Grabplatten, werfen Grabsteine um“. Im Anschluss daran wählt Sarkozy – zurück in Frankreich – die Formulierung: „Ich ging auf den christlichen Friedhof, um mich zu besinnen.“ 

Einfühlsam beschrieben ist auch die Szene, in der Krankenschwestern dem Wahlkämpfer Nicolas Sarkozy gegenüber sitzen, aus ihrem Leben und von ihren Schwierigkeiten berichten. Eine von ihnen fängt im Laufe ihrer Schilderung an, Tränen zu vergieben. Die Autorin beschreibt Sarkozy als distanziert, beinahe gelangweilt. Der Politiker gibt ausweichende Antworten voller Allgemeinplätze. „Er schreibt wie ein fleibiger Junge mit. Er notiert um so eifriger, als er nicht zuhört“, also um Aufmerksamkeit zu simulieren. Ein anderes Mal erzählt ihm eine Frau von ihrem Berufswechsel, der damit zusammenhing, dass sie sich lieber in einem sozialen Beruf um Menschen kümmern wollte, und den damit verbundenen Problemen. Sarkozy, der wieder nicht zuhört, aber so tut als ob, „schreibt wie aus einem Reflex heraus den Namen (des vorigen Arbeitgebers) mit. Zu einem Zeitpunkt, an dem er spürt, dass er etwas sagen muss, schluckt er herunter, blickt auf seine Notiz, zieht seine Augenbrauen zusammen und sagt...“ Nicht untypische Verhaltensweisen für einen bürgerlichen Berufspolitiker, könnte man freilich meinen: Geheuchelte Anteilnahme und das Durchhecheln von Pflichtprogrammen – „Bürger fragen, und Politiker antworten nicht“ - dürften auch andere seiner Kollegen kennen. Ist Sarkozys Verhalten insofern also nicht sonderlich originell, so ist die Schilderung doch gut getroffen.  

Faszinosum Sarkozy (aus Sicht der Yasmina Reza) 

Auch ziemlich köstlich ist die Textpassage, welche die FAZ – in gekürzter Fassung - für ihre Rezension des Buches von Yasmina Reza auswählte. Die zitierte Passage (hier nach eigener Übersetzung) lautet ausführlich so; Nicolas Sarkozy spricht dabei meistens aus dem Mund der Autorin, also ohne eigene Anführungszeichen: <<Aufnahme der offiziellen Wahlwerbespots. Er kommt an, sofort ekelhaft(er Laune). Gut, ich habe keine Ahnung, was wir machen, das kotzt mich total an, und ich habe Lust, so früh wie möglich zu gehen. Er verschwindet in der Schminkkabine. Kommt wieder heraus. Kann man diese Leute rauswerfen? Das ist (geradezu) eine Bahnhofshalle! Er setzt sich auf den Sessel-Hocker. Wohin soll ich gucken? In die zentrale Kamera. Allez, ist’s gut jetzt? Aufnahme des ersten Clips. ‚Meine lieben Landsleute...’ Ich weib nicht, wer so ein widerwärtiges Ding wie diesen Sessel erfunden hat. Das ist das naturwidrigste (antinaturel) Ding, das es gibt. Was machen alle diese Leute? Schmeibt alle raus, ich habe die Schnauze voll. (Anm. Yasmina Reza: Er schmeibt mich auch hinaus, aber ich nehme es ihm nicht übel. Ich werde es lediglich vermeiden, mich in seinem Blickfeld zu befinden.) Er nimmt mehrere Spots hintereinander auf. Er spricht ohne Notizen, ohne Wiederholung, er blickt kaum auf das, was man für ihn vorbereitet hat und macht niemals zwei Aufnahmen (Anm. BhS: von derselben Szene). Man kann nur die Begabung und die Kompetenze bewundern. Aber was ich heute morgen, seltsamer Weise, liebe, das ist seine Laune. Nicht sein Talent, aber seine Nichtunterwürfigkeit, sein Widerstreben gegen den obligatorischen Vorgang, seine Verachtung der gemeinsamen (Anm. BhS: für alle Präsidentschaftskandidaten gültige) Verpflichtung. Was ich auch liebe, ist die tiefe, gepresste, und dadurch umso tonlosere Stimme. Gut, was bleibt? Die Solidarität? Was ist das für ein Deppenthema? Die Solidarität, das bedeutet überhaupt nichts. Man schlägt ihm vor, die Jacke zu wechseln. Nein, nein, es geht mir sehr gut, ich bleibe so. Es wird drei Ausstrahlungen pro Tag geben, Du wirst immer gleich angezogen bleiben? Ja ja, sie ist sehr hübsch, diese Jacke. Er nimmt den Fernsehspot über die Solidarität auf. Er müsste ein bisschen lächeln, flüstert Jean-Michel (Anm. BhS: einer seiner Berater), andererseits, wenn Du ihm heute sagst: Lächele!, versetzt Du ihn endgültig in Zorn. (ANMERKUNG BhS: ‚Human Bomb’, haben Sie gesagt...?) Nicolas geht wieder hinter den Vorhang. Er lenkt darin ein, den ersten Clip, der definitiv als aggressiv bewertet wird, noch mal aufzunehmen, wie er auch darin einlenkt, das Hemd zu wechseln. Sag’ ein nettes Wort zu den Technikern, raunt Jean-Michel ihm zu. Nein nein nein, das sehen wir hinterher, das ist nicht mein Problem. (...)“ (S. 130-132) Aus dieser Passage geht auch deutlich die Faszination, welche die Autorin für Nicolas Sarkozy verspürt und der sie erliegt, hervor. 

Pikante Informationen, die bis dato unbekannt gewesen wären, erhält man kaum aus der Lekture. Oder allenfalls am Rande, wenn man sehr genau hinschaut. Man erfährt etwa, welch intensive Beziehungen autokratische Herrscher des französischen Einflussgebiets – von Abdelaziz Bouteflika bis zum seit 40 Jahren amtierenden gabunesischen Präsidenten Omar Bongo - zum Kandidaten Nicolas Sarkozy pflegten. Bei ihnen holte er sich zum Teil Rat. Algeriens Bouteflika war es demnach, der Sarkozy dazu riet, er solle im Wahlkampf auch ab und zu mal eine soziale Ader erkennen lassen, falls er gewinnen wolle. Diesen Tip dürfte er ihm freilich nicht als Einziger gegeben haben. Man erfährt auch, dass der Chef eines des gröbten Umfrageinstitute – IPSOS – Sarkozy vor der entscheidenden Fernsehdebatte mit seiner Gegenkandidatin, Ségolène Royal, als Coach diente und mit ihm per Du ist. Auch kann man sich (durch die Blume ausgedrückt) aus einer Szene auch erschlieben, dass Sarkozy während seiner Wahlkampftournee fremdging. Auch das wundert freilich kaum, seine Eheprobleme waren schon zuvor bekannt. 

 Cécilia Sarkozy, die oftmals im Mittelpunkt der Neugier der französischen Öffentlichkeit stand (und steht), durfte Yasmina Reza übrigens nicht oder nur äuberst randständig in ihrem Buch vorkommen lassen. Das ist Teil ihrer Abmachungen mit Nicolas Sarkozy gewesen, mit dem und dessen Umgebung sie sich offenkundig dutzte. Ansonsten durte Reza weitgehend tabulos beobachten und ohne Vorgaben schreiben. So kann sie auch etwa Passagen seiner „Rede an die Jugend“ einem gnandenlosen Verriss unterziehen: 54 mal taucht auf wenigen Seiten das Wort „Liebe“ auf, zuzüglich einiger höchst abgedroschener literarischer Verweise (gekrönt vom peinlichen Nichtwissen Sarkozys darüber, ob man Rilke auf Französisch nun „Rilk“ oder „Rilkö“ ausspricht). Sarkozy dürfte solcherlei Kritik, im Nachhinein, gleichgültig sein.   

Der Titel - übersetzt „Die Dämmerung, der Abend oder die Nacht” - bezieht sich auf eine Textpassage, in welcher die Suche der Autorin Yasmina Reza nach der ästhetischen Dimension von Sarkozys Kampf besonders deutlich hervorgehoben wird. Kurz vor Ende des Buches reflektiert die Schriftstellerin darüber, dass es in einer Tragödie, bei einem Drama nicht auf journalistische Informationen wie Ort, Zeit und Ereignishergang ankomme. Vielmehr stehe der Mensch, und was in ihm vorgeht, im Mittelpunkt des Dramas. Dies überträgt sie auf ihre Beobachtungen zum Streben des Nicolas Sarkozy nach dem höchsten Staatsamt: Was geht in dem Mann vor sich, so fragt sie sich – jetzt, wo er dem langjährigen Ziel, auf das er sein ganzes Leben hin ausgerichtet hatte, so nahe gerückt ist. Yasmina Reza erblickt darin den Stoff für ein wahrhaftiges Drama, auch im literarischen Sinne. So lautet einer der Schlüsselsätze ihres Buches, der auch auf der Einbands-Rückseite prangt: „Sie (Anm. BhS: Wie sich aus dem Kontext erschliebt, meint das Personalpronomen hier die Politiker) spielen mit grobem Einsatz. Das ist es, was mich berührt. Sie spieken mit grobem Einsatz. Sie sind der Spieler und der Einsatz zugleich. Sie haben sich selbst auf den Spieltisch gesetzt. Sie spielen nicht um ihre Existenz, aber, gravierender (noch), um die Idee, die sie sich von ihrer Existenz gemacht haben.“

Yasmina Reza wirft auch die Frage nach dem Glück auf und danach, ob Sarkozy solches empfinden könne. Überraschend für manche Leser mag sein, dass der Präsidentschaftskandidat - der sich in den geschilderten Szenen auf der Zielgeraden befindet - an mehreren Stellen des Buches mit der Aussage zitiert wird, früher, ja früher hätte die Politik ihn berauscht und mit Euphorie erfüllt. Heute aber, je näher er an das Ziel herannrücke, nach dem er immer gestrebt habe, klinge dieses Gefühl ab, und selbiges erscheine ihm beinahe als schal. Diese Aussage hat Sarkozy freilich auch an anderem Ort selbst öffentlich getätigt, etwa in seinem Streitgespräch mit Michel Onfray im 'Philosophie Magazine' im April. Die Leserin kann nun auswählen, ob Sarkozy einfach gefasster geworden ist - oder ob das Ziel, nun, da es erreichbar geworden ist, ihm allmählich zu banal erscheint. Sicherlich würde der Mann auch lieber den Titel des „Herrn der Welt“ anstreben, stünde dieser denn zur Auswahl. 

Am Ende – die Handlung des Buches, Autorin und Leser sind am Wahlsonntag angekommen – sagt einer der engsten Berater Nicolas Sarkozy sarkastisch zu Yasmina Reza, sie habe “auf jeden Fall gewonnen, auch wenn wir verlieren”. In diesem Falle habe sie wenigstens die Gelegenheit, einem Drama, einer richtigen Tragödie beizuwohnen. Letztere bleibt dann jedoch aus.

Und dann? 

Sarkozy im Film, Sarkozy in der Literatur, Sarkozy in der Regenbogenpresse: Was kommt als nächstes? Das Publikum wartet gespannt. Unterdessen ruft eine Gruppe kritischer Journalisten, die sich unter dem Namen „Sammlung für Demokratie im Fernsehen“ zusammengeschlossen hat, für den 30. November zu Unerhörtem auf: Einen „Tag ohne Nicolas Sarkozy in den Medien“ solle es geben. An diesem Tag solle der Präsident, so lautet ihre Bitte an alle Journalisten und Medienschaffenden, weder erwähnt noch gelobt und auch nicht kritisiert werden. Der Aufruf beginnt, viel Staub aufzuwirbeln, die Presse beginnt über ihn zu berichten. So spektakulär scheint die Vorstellung zu wirken. Der Sprecher des Präsidentenamts David Martinon erwiderte jüngst auf einer Pressekonferenz sarkastisch dazu, die Journalisten könnten sich ja aussuchen, „ob sie an dem Tag freiwillig Zensur in Kauf nehmen oder aber einen Urlaubstag nehmen“. 24 Stunden, an denen es nichts über Sarkozy zu berichten gäbe – es ist einfach unvorstellbar.    

Anmerkungen
[1] ANMERKUNG 1: Allerdings hat sie sich im Laufe der Entstehung ihres jüngsten Buches von einem Politiker, zu dem sie intime Beziehungen unterhielt, beraten lassen. In dem literarischen Stück taucht er immer wieder, in Kurzauftritten, unter dem Kürzel „G.“ auf und flüstert ihr Eingebungen ein. Das Publikum darf nun bezüglich seiner Identität rätseln. Die ‚Times’ in London behauptet nun, es handele sich bei ihm um Dominique Strauss-Kahn, den wirtschaftsliberalen Flügelmann der französischen Sozialdemokratie, früheren Wirtschaftsminister und innerparteilich gescheiterten Anwärter auf die diesjährige Präsidentschaftskandidatur. (Vgl. http://www.timesonline.co.uk ) Dominique Strauss-Kahn ist übrigens just vergangene Woche für eine fünfjährige Amtszeit zum neuen Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) gewählt worden – mit Unterstützung durch den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, die EU und alle führenden Industrieländer mit Ausnahme Russlands im Rücken. So kritisch gegenüber dem Weltkapitalismus ist die französische Sozialdemokratie, bzw. einer ihrer führenden Repräsentaten. Aber dies nur am Rande.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor am 4.10.2207. Eine (leicht) gekürzte Fassung erschien am Donnerstag, 4. Oktober im Feuilleton in der Berliner Wochenzeitung ‘Jungle World’.

Bibliographische Anmerkungen zu dem Buch: Yasmina REZA: <L’aube, le soir ou la nuit>, Verlag Flammarion, 2007, 190 Seiten, 18 Euro.