Gerhard Hanloser / Karl Reitter
Der bewegte Marx
Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus

besprochen von Robert Schlosser

10/08

trend
onlinezeitung

Gerhard Hanloser und Karl Reitter haben ein kleines Buch zur Kritik des „Zirkulationsmarxismus“ geschrieben, das sich zu lesen lohnt!   Sie schreiben eingangs:

„der Zirkulationsmarxismus interpretiert die Untersuchungen von Marx nicht in einer besonders eindeutigen und ausgewiesenen Weise, sondern existiert als Wirkung, als Effekt einer bestimmten Lektürestrategie: Die Lektüre des Kapital stützt sich primär auf die ersten Abschnitte des ersten Bandes. Suggeriert wird, dies genüge, um ein allumfassendes Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise zu gewinnen“. (S. 4)

Sehr zu recht kritisieren die beiden Autoren eine Rezeption der Kritik der Politischen Ökonomie, (etwa bei Postone, Krisis etc.) die die verdinglichten Kategorien der bürgerlichen Ökonomie nicht mehr aus den zu Grunde liegenden sozialen Verhältnissen, den Produktionsverhältnissen, herleitet. Klassengegensatz und Klassenkampf, der Produktionsprozess des Kapitals, Mehrwert- und Akkumulationstheorie, spielen im „Zirkulationsmarxismus“ kaum noch eine Rolle. Es handelt sich wesentlich um eine Reduktion der Kapitalkritik auf eine Kritik von Wert und Wertform, weshalb ich es vorziehe, statt von „Zirkulationsmarxisten“ von Wertkritikern zu sprechen. Gern wird von Wertkritikern darauf verwiesen, dass es darum gehe, das „historisch-spezifische“ der kapitalistischen Produktionsweise herauszuarbeiten und zu kritisieren und das seien eben Ware und Wertform. Als historisches Spezifikum des Kapitals kann jedoch lediglich die Verallgemeinerung von Warenproduktion und Wertform bezeichnet werden. (Ich komme darauf zurück.) 

Neben der richtigen Stoßrichtung der Kritik an bestimmten Rezeptionen des Marxschen Kapital, sind auch die Bezüge interessant, die die Autoren zwischen verschiedenen Theorien des von ihnen so genannten „Zirkulationsmarxismus“ herstellen (Frankfurter Schule, Sohn-Rethel, Breuer, Postone, Heinrich, „neue deutsche Wertkritik“). Am Beispiel Postone ließe sich jedoch zeigen, dass der Sammelbegriff „Zirkulationsmarxismus“ nur mit Mühe durchzuhalten ist. Schließlich bemüht sich Postone in seinem Hauptwerk darum nachzuweisen, dass die Arbeit sich selbst vermittle. Insofern ist er selbst ein Kritiker von „Zirkulationsmarxismus“. (Vergl. dazu meine Kritiken an Postone bei „trend online“ oder auf meiner Homepage / www.rs002.de/soziale_emanzipation/start.htm.)

In diesem Zusammenhang wird aber auch ein erster Mangel des Textes deutlich. Sehr richtig verweisen Hanloser und Reitter auf das „Verhängnis des gesellschaftlichen Verlaufs“ (S. 14), das der zu verarbeitende Bezugspunkt der Frankfurter Schule war und deren Erfolg erklärt (Aufkommen und Durchsetzung des Faschismus, Niederlage und Niedergang der ArbeiterInnenbewegung).

Was Anlass und aktuelle Bedeutung neuerer Varianten des „Zirkulationsmarxismus“ anbetrifft, fehlt leider jede Ausführung über das „Verhängnis des gesellschaftlichen Verlaufs“ . In dem einen, wie in dem anderen Fall (Frankfurter Schule/aktuelle Varianten des „Zirkulationsmarxismus) wurden bestimmte Ergebnisse des Klassenkampfes zum Anlass genommen, um den Antagonismus des Klassengegensatzes in der bürgerlichen Gesellschaft herunter zu spielen und ihm jede sozialrevolutionäre Bedeutung abzusprechen.

Die „zirkulationstheoretische Lektürestrategie“ des „Kapitals“ war und ist weit mehr als eine Lesestrategie. Sie ist wesentlich eine Strategie der Verarbeitung gesellschaftlicher Erfahrung. Dabei wird die Kritik der Politischen Ökonomie nach Ansätzen durchforstet, um eine (vorab feststehende) Einschätzung vorübergehender Ergebnisse des Klassenkampfes, als ein notwendiges und irreversibles Produkt kapitalistischer Entwicklung darzustellen. Die Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung und die sozialreformistische Integration der Klasse der Lohnabhängigen werden dadurch erklärt, dass der Klassengegensatz angeblich keinen antagonistischen Sprengstoff enthält, sondern sich selbst durch die Klassenkämpfe beständig reproduziert und entwickelt. Soweit also Wertkritiker oder „Zirkulationsmarxisten“ überhaupt nach praktischen Wegen zur Überwindung des Kapitalismus suchen, geschieht das außerhalb der tatsächlich sich entwickelnden Auseinandersetzung zwischen den Klassen. 

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ (Marx, 11. These über Feuerbach) 

Fast alle Theoretiker, die in dem Buch als „Zirkulationsmarxisten“ vorgestellt werden, sind solche Philosophen, die vor allem das Scheitern der alten sozialistischen und kommunistischen ArbeiterInnenbewegung erklären und in dieser Erklärung ihre Variante von Rekonstruktion der Kritik der Politischen Ökonomie, ihre „Lesart des Kapital“, entwickelt haben. Die ganze Plausibilität und der bescheidene Erfolg des „Zirkulationsmarxismus“ steht und fällt mit dem niedrigen Entwicklungsniveau von Klassenkämpfen. Das eigentliche Heimatland des „Zirkulationsmarxismus“ ist daher Deutschland. In keinem anderen Land hat der Faschismus so verheerend nachhaltig die Entwicklung des Klassenbewusstseins von Lohnabhängigen beeinflusst. Deutschland war und ist wie geschaffen als Geburts- und Verbreitungsort des „Zirkulationsmarxismus“ mit seiner Abwendung von Klassenanalyse und Klassenkampf. Geradezu ausgeschlossen, dass in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien die Wiege für solche Theorien gestanden hätte. 

Für Marx war es selbstverständlich, zugleich mit seiner Kritik des Kapitals (die „Kritik der Politischen Ökonomie“ ist nicht von ungefähr der Untertitel seines Hauptwerkes und meint die Kritik der diesem Produktionsverhältnis entsprechenden ökonomischen Theorie) immer auch an einer Programmatik für die praktischen Klassenauseinandersetzungen zu arbeiten. Mit Ausnahme von Krisis/Exit wird man unter den in Buch vorgestellten „Zirkulationsmarxisten“ vergeblich nach Ansätzen eines praktischen Programms der gesellschaftlichen Umwälzung suchen. Die Ansätze, die diese „fundamentale Wertkritik“ liefert (etwa im „Manifest gegen die Arbeit“) sind so jenseits von Klassenrealität und -widerspruch, sowie der sozialen Bewegungen die aus diesem prozessierenden Widerspruch erzeugt werden, dass sie niemals auch nur den Hauch einer Chance hätten z.B. in Generalstreik-Bewegungen wie in Frankreich oder gar in Fabrikbesetzungen wie in Argentinien, Einfluss zu gewinnen. Gerade der Eintritt einer verheerenden Weltwirtschaftskrise, gar der von der „fundamentalen Wertkritik“ prophezeiten „finalen Krise“, und ein Anschwellen sozialer Abwehrkämpfe von Lohnabhängigen würden Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit solcher den Klassenkampf ablehnender Ansätze nachhaltig demonstrieren. 

Was die „Lesestrategie“ des „Kapitals“ anbetrifft, so sind wir alle nicht frei von solchen Versuchen, dieses „artistische Ganze“ unter dem Eindruck aktueller gesellschaftlichen Entwicklungen zu interpretieren und zu verstehen. Daran ist auch nichts Schlimmes, wenn man sich der Tatsache selbst bewusst ist. Im Gegenteil! Man wird bei gründlichem, wiederholten Studium des „Kapital“ unter aktuellen Fragestellungen erkennen, wie sehr Marx durch seine konsequente logische Entwicklung der Kategorien in der Lage war, Entwicklungen vorauszusehen, die erst heute real ablaufen. Er hat „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft“ entdeckt und keine Zustandsbeschreibung eines bestimmten Entwicklungsstadiums geliefert (Stichworte: Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, Staatmonopolitistischer Kapitalismus, Finanzkapitalismus). Die situative Verarbeitung des „Kapital“ führte bisher immer dann in die Irre, wenn man sich anschickte, auf der Grundlage aktueller Entwicklungen die Kritik der Politischen Ökonomie neu zu erfinden.  

Doch zurück zum Text des kleinen Buches. Meine Sympathie für die Stoßrichtung der vorgetragenen Kritik schließt manches Unbehagen und verschiedene Einzelkritiken nicht aus.  

Wert- und Kapital als soziale Verhältnisse

Ich greife mal eins von mehreren möglichen Zitaten heraus, das einen Gedanken illustriert, den ich so nicht teilen kann. Auf Seite 12 heißt es:

„Wird etwa Wert als soziales Verhältnis dechiffriert, so lässt sich diese Bestimmung am Verhältnis von einfachen WarenbesitzerInnen gar nicht durchhalten: Erst im Gegensatz von totem Kapital und lebendiger Arbeit findet der Wertbegriff seine Berechtigung.“

Selbstverständlich entwickelt Marx das hinter dem Wert steckende soziale Verhältnis nicht aus dem „Verhältnis von einfachen Warenbesitzern“, aber er entwickelt es auch nicht aus dem „Gegensatz von totem Kapital und lebendiger Arbeit“. Marx analysiert in den ersten Abschnitten des Kapital die Ware als Elementarform des Reichtums in der bürgerlichen Gesellschaft und den dadurch bedingten Austausch als elementare Verkehrsform. Das soziale Verhältnis, genauer das Produktionsverhältnis, das die Gebrauchsgegenstände als Waren hervorbringt und ihnen damit einen bestimmten gesellschaftlichen Charakter verleiht, ist die „unabhängig voneinander verausgabte Privatarbeit“. Ob diese Waren von selbständigen Kleinproduzenten (z.B. Handwerkern), durch Sklavenarbeit (z.B. Baumwolle in den Südstaaten der USA vor dem Bürgerkrieg) oder durch kapitalistische Lohnarbeit erzeugt wurde, ist dabei zunächst für die Bestimmung des Gebrauchsgegenstandes als Ware, und damit einer Produktion für den Austausch, ganz unerheblich.

(Nur beiläufig will ich hier im Widerspruch zu den Autoren erwähnen, dass die unabhängig voneinander betriebene Privatproduktion als solche eben nicht gesellschaftlich ist und nach einer bestimmten Form der Vergesellschaftung verlangt. Kennzeichnend für diese Vergesellschaftung, den gesellschaftlichen Verkehr, ist der Tausch der Arbeitsprodukte als Arbeitsäquivalente!)

Der Zusammenhang ist bei Marx ganz klar und eindeutig:

Das Produktionsverhältnis der unabhängig voneinander verausgabten Privatarbeit erzeugt die Produkte als Waren für den Tausch. Weil der Wert der Waren nicht an der einzelnen Ware selbst erscheinen kann, sozusagen formlose (Tausch-)Substanz ist (allgemein menschliche Arbeit), bedarf es einer besonderen Wertform (Allgemeines Äquivalent, letztlich Geld), um die Tauschhandlungen auf immer höherem gesellschaftlichen Niveau zu vermitteln. Die Entwicklung der Wertform zum Geld lässt sich bis zu einem bestimmten Punkt logisch ableiten aus der Analyse der Ware und des Warentausches. Und bis zu einem bestimmten Punkt lässt sich diese logische Ableitung auch historisch nachzeichnen.

Es ist ganz offenkundig, dass Ware und Geld älter sind als das Kapital, also nicht zwingend kapitalistische Produktionsverhältnisse erfordern. Spätestens da, wo es Geld gibt, existiert ein Wertverhältnis! Ware und Geld lassen sich historisch weit zurück verfolgen und ebenso lässt sich eine Entwicklung und gesellschaftliche Ausdehnung des Wertverhältnisses verfolgen.

„Die Wertform, deren fertige Gestalt die Geldform, ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen versucht“. (Marx im Vorwort zur ersten Auflage von „Kapital“ Bd. 1/S. 11)

Der Wert als soziales Verhältnis, als Produktionsverhältnis, beinhaltet kein spezifisches Klassenverhältnis! Ein Wertverhältnis konnte sich sowohl zwischen Produktionsgemeinschaften mit noch überwiegender Subsistenzproduktion entwickeln, indem sie ihre Überschüsse tauschten, es konnte sich auf jeden Fall entwickeln in Gesellschaften, die überwiegend auf Sklavenarbeit oder Leibeigenschaft beruhten. Es gilt Unterschied und Zusammenhang zwischen Wert- und Kapitalverhältnis genau zu bestimmen.

Die Entstehung kapitalistischer Produktionsverhältnisse setzt eine bestimmte Reife des Wertverhältnisses, also Entwicklung des Warentausches und des Geldes, voraus. Sind die kapitalistischen Produktionsverhältnisse einmal installiert, so führt das zur absoluten Dominanz und Verallgemeinerung der Warenproduktion und damit zu einer Beherrschung der gesellschaftlichen Dynamik durch das Wertgesetz.

In den Grundrissen bemerkt Marx, dass das Kapital (historisch) vom Geld herkommt. Das Kaufmannskapital daher die erste Form des Kapitals, wenn man so will, noch ohne kapitalistische Produktionsverhältnisse. Schon beim Kaufmannskapital ist aber Geld der Ausgangs- und Endpunkt seiner Reproduktionsbewegung und insofern kann man von einer Verwertung von Wert sprechen. (Manche „Zirkulationsmarxisten“ betrachten die erweiterte Reproduktion von Kapital im Grunde als erweiterte Reproduktion von Kaufmannskapital, etwa wenn sie den Mehrwert bloß als „mehr Wert“ bezeichnen.)

Ebenfalls in den Grundrissen kennzeichnet Marx das Kapital als das letzte, auf dem Wert beruhende Produktionsverhältnis. (Dass sein Kapitalbegriff also ausschließlich logisch entwickelt sei, ist ziemlich offensichtlicher Unfug!) 

Das Kapital ist zum einen besondere Form des Wertverhältnisses, seine vollendete, durchgesetzte verallgemeinerte Form. Das drückt sich aus in der Allgemeinheit der Warenproduktion und -zirkulation. Das Kapital ist aber mehr als eine Form des Wertverhältnisses, es ist zugleich ein bestimmtes Klassenverhältnis mit spezifischer Produktionsweise.

„Die abstrakte Wertbetrachtung verschleiert die 'wirkliche Bestimmtheit', die qualitativen Inhalte des konkreten Arbeitsprozesses, welcher der kapitalistischen Wirtschaft ihre unterscheidenden spezifischen Merkmale aufdrückt.“ (Henryk Grossmann, „Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik“, Europäische Verlagsanstalt Frankfurt/Main 1969, S.35)

Die Verallgemeinerung der Warenproduktion setzt logisch und historisch (d.h.: durch Gewalt und Klassenkampf und keinesfalls in Selbstlauf ökonomischer Gesetze entstanden) voraus, dass die Masse der Menschen nicht über die gegenständlichen Bedingungen ihrer Reproduktion verfügt und vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben muss. Dies konstituiert den die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnenden Klassengegensatz. Der Klassencharakter der kapitalistischen Produktionsweise findet seinen deutlichen Ausdruck im Produktionsprozess des Kapitals, in dem Schluss ist mit jenem Äquivalententausch, der das Wertverhältnis kennzeichnet. Die Verwertung von Wert, die Produktion von Mehrwert verlangt von den LohnarbeiterInnen, dass sie mehr lebendige Arbeit geben als sie im Gegenzug – vergegenständlicht - erhalten. Die VerkäuferInnen von Ware Arbeitskraft werden in der Produktion gezwungen, unbezahlte Mehrarbeit zu leisten.

Wie Gerhard Hanloser und Karl Reitter richtig herausarbeiten und unterstreichen ist der wirkliche Produktionsprozess des Kapitals, ohne den das Kapital als besonderes ökonomisches Verhältnis nicht zu verstehen ist, ein Niemandsland des „Zirkulationsmarxismus“.

Man könnte sagen: Werttheoretisch/ökonomiekritisch ausgedrückt ist das Kapital die Verwertung von Wert. Praktisch/Sozialkritisch ausgedrückt ist es das System der Ausbeutung von Lohnarbeit. 

Zweck der Übung, der sich Marx mit seiner Kritik der Politischen Ökonomie unterzog, war die Kritik des Kapitals, nicht die Kritik des Werts. (Als er den Titel wählte, war er bei Sinnen und fühlte sich vermutlich weder „esoterisch“ noch „exoterisch“.)

Die Wertkritik ist lediglich ein Baustein, eine Voraussetzung der Kapitalkritik, nicht diese selbst. (So wie das Wertverhältnis selbst eine Voraussetzung des Kapitalverhältnisses ist.) Die Kritik des Kapitals kann niemals in der Kritik des Werts aufgehen, weil das Wertverhältnis kein spezifisches Klassenverhältnis ist, nicht die Aneignung fremder, unbezahlter Mehrarbeit zur Voraussetzung hat, sondern lediglich die unabhängig voneinander verausgabte Privatarbeit. Etwas grob vereinfachend könnte man sagen, das das Wertverhältnis zwar Privateigentum, aber nicht das spezifisch kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln verlangt.

Zumindest einige der im „Bewegten Marx“ kritisierten '“Zirkulationsmarxisten“ haben es sich geradezu als großes Verdienst zugerechnet, dass sie die Kapitalkritik bewusst auf eine Wertkritik reduziert haben. Damit wird nicht nur theoretisch der Gegenstand der Kritik der Politischen Ökonomie verfehlt, sondern auch jede praktische Perspektive sozialer Emanzipation preis gegeben. 

Über Konkurrenz, Klassenkampf und die Einführung neuer Technologie

Wo unabhängig voneinander verausgabte Privatarbeit vorherrscht und für den Markt produziert wird, da gibt es Konkurrenz unter den Privatproduzenten. Diese Konkurrenz ist wesentlicher Teil des Wertverhältnisses als eines sozialen Verhältnisses.

Wo ausgebeutet wird, wo es Kommando über fremde Arbeitskraft gibt, da gibt es soziale Auseinandersetzungen, im Kleinen und manchmal auch im Großen. Ist eine Gesellschaft geteilt in soziale Klassen, ausgebeutete und ausbeutende (Menschen die den Mehrwert erzeugen und zirkulieren lassen und Menschen, die über ihn verfügen), dann nehmen diese sozialen Auseinandersetzungen die Form der Klassenkampfes an.

Für das Kapital ist beides kennzeichnend, die Konkurrenz unter Warenanbietern (unter allen, auch unter den VerkäuferInnen von Ware Arbeitskraft) und der Klassenkampf zwischen LohnarbeiterInnen und jener Gruppe von Menschen, die über  Produktionsmittel und Mehrwert verfügen.

Im „Bewegten Marx“ wird sehr zu Recht auf die Bedeutung der Klassen und des Klassenkampfes hingewiesen. Teils wird der Bogen aber überspannt, z.B. wenn es da heißt: „das Wertgesetz erweist sich als Moment des Klassenkampfes.“ 

Im Abschnitt „Produktionsverhältnisse sind immer auch Gewaltverhältnisse“ versuchen die Autoren mit Marx zu zeigen, dass die Entwicklung des technischen Fortschritts im Kapitalismus, die Einführung immer neuer Maschinen etc., vor allem auf dem Klassenkampf von unten basiert.

„Marx zeigt also sehr genau und gestützt auf mannigfaches empirisches Material, wie das Kapital die aktuelle Form der Produktion umwälzt, um die ArbeiterInnenmassen zu disziplinieren und im gewünschten Sinne einsetzen zu können.“ (S. 50)

Gestützt auf Zitate von Marx soll gezeigt werden, dass Erfindungen gemacht und Maschinen eingesetzt werden, um den Widerstand der LohnarbeiterInnen zu brechen.

Das ist zumindest eine sehr operaistische „Lesart“ des Kapital. 

Doch der Reihe nach.

  • Schon die Überschrift des Abschnittes kann man so nicht unwidersprochen stehen lassen. Produktionsverhältnisse sind keineswegs immer Gewaltverhältnisse. Sie sind es nur dann, wenn sie einen Klassengegensatz konstituieren! Aber ich unterstelle mal, dass dieser Fehler wohl nur ein redaktioneller ist, ein Versehen und will darauf nicht weiter herumreiten.
    Es ist aber ganz eindeutig, dass die Rolle der Gewalt hier sehr stark, über die Maße, betont wird. Die Marxsche Feststellung, wonach im entwickelten Kapitalismus „außerökonomische, unmittelbare Gewalt“ nur noch ausnahmsweise angewandt wird, sprechen die Autoren erst später in anderem Zusammenhang auf S. 57 an.

  • Was grundsätzlich die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit anbetrifft, so entwickelt Marx sie zunächst logisch im Kontext seiner Mehrwerttheorie. Das Kapital stößt an die Grenzen der absoluten Mehrwertproduktion (Länge des Arbeitstages, natürliche Grenzen) und muss sich daher auf die Produktion des relativen Mehrwerts werfen (Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit). Der Impuls zu Erfindung und Einsatz von neuer Technik zur Erhöhung der Produktivität ergibt sich so schon aus dem ökonomischen Gesetz der Verwertung von Wert. Rein Logisch!
    In der gesellschaftlichen Praxis, den realen sozialen Entwicklungen kommen nun 2 Momente in Betracht, die bei der Umsetzung dieser Logik eine Rolle spielen: die Konkurrenz und der Klassenkampf.

  • Grundsätzlich stellt Marx fest, dass es die Konkurrenz ist, die dem Einzelkapital gegenüber die allgemeinen Gesetze des Kapitals zwanghaft durchsetzt. (vergl. „Grundrisse“ S. 638) Nicht der Klassenkampf! Dies gilt auch für die Einführung neuer Produktionstechnik. Am Text des kleinen Buches stört mich, dass dieser Zusammenhang hier überhaupt nicht auftaucht, dass die Konkurrenz, dieses so reale und dominante Verhalten der Privatproduzenten, aus den sozialen Verhältnissen ausgeblendet bleibt. Mindestens bei der Verallgemeinerung von neuer Produktionstechnik, also der gesellschaftlichen Tendenz und Dynamik, hätte das angesprochen werden müssen, um nicht falsch zu werden.

  • Die Autoren zitieren Marx unter anderem wie folgt: „Nach jedem neuen einigermaßen bedeutenden Strike entstand eine neue Maschine.“
    oder „Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegsmittel des Kapitals wider die Arbeiteremeuten ins Leben traten.“S. 49
    Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, diese Feststellungen über eine bestimmte Periode der Entwicklung des Kapitalismus in Zweifel zu ziehen. Die Frage ist, welche Bedeutung man dieser Geschichte zuschreibt. Jedenfalls darf diesen Beobachtungen nicht der Status eines allgemein wirkenden Gesetzes verliehen werden. (Dann nämlich werden daraus wieder zwanghafte ideologische Konstruktionen, die uns am Verstehen hindern.) Wenn „Arbeiteremeuten“ und „einigermaßen bedeutende Strikes“ generell entscheidende Antriebsmotoren, ja Bedingungen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität durch technische Neuerung wären, dann wäre der Kapitalismus vermutlich schon zum Stillstand gekommen. Einigermaßen bedeutende Streiks, von wirklichen „Arbeiteremeuten“ will ich gar nicht reden, sind in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern schon lange eher selten. Zu unser aller Verdruss! In aller Regel sind die Kämpfe der Lohnabhängigen Reaktionen auf vorhergehende Aktionen des Kapitals, die die Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern. Es ist also in der Regel im entwickelten Kapitalismus eher umgekehrt: nicht die Aktionen der Lohnabhängigen drängen das Kapital zur Reaktion, sondern die rein ökonomisch verursachte Aktion des Kapitals provoziert die klassenkämpferische Reaktion der Lohnabhängigen.

  • Der Kernprozess jedes Konjunkturzyklus des Kapitals ist die Investitionskonjunktur. Jeder Aufschwung beginnt mit ausgedehnter Neuanlage von Kapital, vor allem Investitionen in neue Maschinerie, die die Arbeitsproduktivität erhöht. Es sind die (ökonomischen) Aussichten auf  (Lohnstück-)Kostensenkung, mehr Umsatz und Gewinn, die Anlass für diese Investitionen sind, nicht die vorausgegangenen Aktionen der Klasse der Lohnabhängigen! Ebensowenig wie Konjunkturabschwung und Krise ein Produkt der Klassenkämpfe sind. Die allgemeine Überproduktion, der Rückgang der Investitionstätigkeit, die Absatzstockung tritt auch dann ein, wenn es der ArbeiterInnenklasse im Verlaufe des Aufschwungs und der gestiegenen Nachfrage nach Ware Arbeitskraft gelungen ist, hohe Löhne durch zu setzen. In der Krise wird Kapital vernichtet (wertmäßig und physisch) und werden Lohnabhängige „auf die Straße gesetzt“. Die so entstehende bzw. sich vergrößernde Lohnarbarbeitslosigkeit verschärft die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen und ermöglicht es dem Kapital, Löhne zu senken und manch andere soziale Schweinerei durchzusetzen. Trotz dieser auf dem Markt spürbar gesunkenen „Endnachfrage“ der lohnabhängigen VerbraucherInnen kommt es zum Aufschwung, der aber nicht mit einer wachsenden Nachfrage nach Lohnarbeit einsetzt sondern mit einer anziehenden Nachfrage nach „Investitionsgütern“.
    Diese Bewegungsform des industriellen Kapitals ergibt sich aus den (Produktions-)Verhältnissen, die den Aktionen der Klassen vorausgesetzt sind und nicht aus diesen erklärt werden können.
    Ich habe den Operaismus, der in dem Buch lobend erwähnt wird, so verstanden, dass er die Verdinglichungen der Ökonomie (soweit er sie überhaupt anspricht) und die damit einhergehende Entwicklungsgesetzlichkeit unmittelbar aus den Klassenkämpfen ableitet und nicht aus den Produktionsverhältnissen. Tatsächlich entspringt beides, der Klassenkampf wie das ökonomische Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft eben aus den Produktionsverhältnissen, der Kernstruktur des Kapitals.(siehe oben über Wert und Kapital.)

  • Die Kapitalisten mit all ihrem Hilfspersonal zur Auspressung von Mehrarbeit sind eben nicht wirklich Offiziere und Unteroffiziere, von denen Marx spricht. Sie verfolgen einen ökonomischen und keinen militärischen oder erzieherischen Zweck. Die Disziplinierung und Drangsalierung von Lohnabhängigen ist ihnen Mittel zum Zweck. Ein, wenn auch unentbehrliches, Mittel! Nicht das Mittel! Um ihre ökonomischen Ziele zu erreichen, gestehen sie bestimmten LohnarbeiterInnen auch schon mal mehr Autonomie und Einkommen zu, nur um sie dazu zu bewegen, länger, intensiver und fehlerfreier zu arbeiten. (Bei der Einführung der Fließproduktion wurde beispielsweise ein höherer Lohn gewährt, bei der Einführung der Produktion von Software mehr Autonomie.) Es gibt im unmittelbaren Produktionsprozess immer und überall Zuckerbrot und Peitsche. Den Rest besorgt der „stumme Zwang der Verhältnisse“ und die Konkurrenz der Lohnabhängigen untereinander. Der objektive Zweck der Übung ist eben die möglichst maximale Aneignung unbezahlter Mehrarbeit, nicht die Befriedigung sadistischer Bedürfnisse. Subjektiv kennen die Kapitalisten nur das Ziel ihr angelegtes Geld mit möglichst hoher Rendite zu vermehren.

  • Machte man heute eine flächendeckende Untersuchung in allen wichtigen Industrien über die Einführung neuer Technologie und neuer Maschinen, so bin ich sicher, dass der hier unterstellte Zusammenhang von Streik, „Arbeiteremeuten“ und diesen Investitionen sich schnurstracks in Luft auflösen würde. Welche Streiks und Kämpfe sollen es beispielsweise gewesen sein, die für den Einzug der CNC-Technologie in den Werkzeugmaschinenbau, dieser Schlüssel-Investitionsgüterindustrie, gesorgt hätten? Welche Kämpfe hätten die Einführung der Sensorik in der Fertigung beflügelt? Welche Kämpfe hätten zur Einführung z. B. von Schweißautomaten geführt? Welche Streiks und Kämpfe hätten in der Nahrungsmittel erzeugenden Prozesstechnologie zum Einsatz von ansteuerbaren Ventilen und damit zur weiteren Automation geführt? Welche Streiks und Kämpfe hätten in der Stahlindustrie den Übergang zu Siemens-Martin-Öfen, von da zum Sauerstoffaufblasverfahren und von da zum Elektro-Lichtbogen-Ofen geführt?? etc. pp.
    Die Liste meiner Fragen ließe sicher immer weiter fortführen im Zusammenhang mit dem Siegeszug der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie.
    Gäbe es einen hier unterstellten grundlegenden, zwingenden Zusammenhang zwischen Streiks, „Arbeiteremeuten“ und der Einführung neuer Technologie, dann müsste sich das alles ja leicht zeigen lassen. Die letzten 20 bis 30 Jahre gehören wohl zu den Jahren, in denen die Revolutionierung der Produktions- und Bürotechnik sich in einem atemberaubenden Tempo entwickelt hat. Man sollte also meinen, das sei eine Zeit heftigster Klassenkämpfe in den entwickelten Ländern gewesen.

Wertgesetz und Klassenkampf

„Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen – kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“ (Marx im Vorwort zur ersten Auflage von „Kapital“ Bd. 1/S. 15, 26
  • Gerhard Hanloser und Karl Reitter kritisieren den „Zirkulationsmarxismus“ auch für sein Verständnis von Gesetzen gesellschaftlicher Entwicklung. Da heißt es:
    „Für den 'Zirkulationsmarximus' kann Gesetz nur ein Mechanismus sein, der unbewusst und für die Massen unerkannt hinter dem Rücken aller AkteurInnen wirkt.“ (S. 54)
    Und sie bemerken weiter:
    „ ... das Wertgesetz ist selbstverständlich nicht der einzige gesetzmäßige Mechanismus, den Marx im 'Kapital' analysiert.“ S. 55
    Eine weiterer solcher Mechanismus sei „das Gesetz des Klassenkampfes“ (S. 55).
    Sofern man von einem solchen „Gesetz des Klassenkampfes“ sprechen kann, ist das jedenfalls nichts, was den Kapitalismus besonders kennzeichnet. Ebensowenig, wie Klassengegensätze etwas den Kapitalismus besonders kennzeichnendes wären. Das „Gesetz des Klassenkampfes“ besagt auch nichts anderes, als das überall, wo es Unterdrückung und Ausbeutung gibt, auch sozialer Widerstand entsteht, der Kampf zwischen den sozialen Klassen unvermeidlich ist. Die Inhalte und Formen des Klassenkampfes hängen ab von den jeweiligen Produktionsverhältnissen und ihrer Dynamik.

In der Marxschen Kapitalkritik begegnen uns eigentlich nur 3 Gesetze:

  1. Das Wertgesetz, wonach die Preise der Waren durch ihren Wert bestimmt werden.
  2. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, wonach das Kapital bei sich kontinuierlich erhöhender organischer Zusammensetzung eine wachsende industrielle Reservearmee und Armut produziert.
  3. Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, wonach eben diese Akkumation  den tendenziellen Fall der Profitrate und damit Überakkumulation, Spekulation etc. hervorbringt und „beständig durch Krisen überwunden werden muss“ (Kapital Bd. 3, S. 268).

Marx beansprucht die Gültigkeit dieser Gesetze nur für die entwickelte kapitalistische Gesellschaft. Und wenn er von „dem ökonomischen Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft“ spricht, dann vergleicht er es mit einem Naturgesetz! Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass sich, unabhängig von den Absichten der beteiligten Akteure Resultate, einstellen, die so weder geplant noch gewünscht wurden.
Es ist vollständig richtig, dass diese Gesetze gesellschaftlicher Entwicklung nur wirken, vermittels der Handlungen von Menschen, die in die spezifischen kapitalistischen Produktionsverhältnisse eingebunden sind. Zu diesen Handlungen zählen sowohl die Konkurrenz als auch der mehr oder weniger bewusst geführte Klassenkampf; das eine hervorgerufen durch den Tausch formal gleicher WarenbesitzerInnen, das andere durch die in den Produktionsverhältnissen verankerte faktische soziale Ungleichheit zwischen den Klassen.

Sofern beim „Zirkulationsmarxismus“ überhaupt noch Bezug genommen wird auf das allgemeine Gesetz kapitalistischer Akkumulation und das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, wird ihnen jede systemsprengende Brisanz genommen, indem systematisch ausgeschlossen wird, dass der durch diese ökonomischen Gesetze hervorgebrachte und sich verschärfende Klassenkampf eine systemsprengende Dynamik entwickeln könnte. Mit Ausnahme der „fundamentalen Wertkritik“ wird damit zugleich dem Produktionsverhältnis Kapital und seiner Ökonomie jede selbstzerstörerische Dynamik abgesprochen. Ökonomische Krisen sind auf jeden Fall immer nur „Reinigungskrisen“, die profitable Verwertungsbedingungen wieder herstellen. Eine grundlegende Erschütterung der Kapitalreproduktion ist ausgeschlossen.

Was beim „Zirkulationsmarxismus“ letztlich von der Kapitalkritik bleibt, ist das Wertgesetz, (die Bestimmung der Warenpreise durch den Wert), sowie die Kritik am Warenfetischismus.
Man wird lange suchen müssen, um bei ihnen eine systematische Kritik der als Produkt der Kapitalakkumulation sich ausdehnenden Armut zu finden. So verschwinden auch in der Kritik die offenkundigsten Missstände hinter der „Verdinglichung“. (Und für die „fundamentale Wertkritik“ lauert in der Kritik der Armut natürlich sofort der „Kampf um den Mehrwert“, dem man abgeschworen hat.)
Der Kritikansatz der Autoren des „Bewegten Marx“ ist auf jeden Fall richtig, aber ich kann ihnen nicht folgen, wenn das „Gesetz des Klasssenkampfes“ einfach neben jene von Marx entdeckten ökonomischen Gesetze tritt, die die Bewegung der modernen Gesellschaft bestimmen. Inhalte, Formen und Dynamik des Klassenkampfes in der bürgerlichen Gesellschaft werden wesentlich bestimmt durch die Besonderheit kapitalistischer Produktionsverhältnisse und den daraus entspringenden ökonomischen Gesetze.

  • Keine Frage:
    Die gesamte kapitalistische Produktionsweise ist geprägt von einem fortwährenden Gerangel zwischen den beiden Hauptklassen, bei dem es objektiv darum geht, wie lange die Lohnabhängigen für ihre eigene Reproduktion arbeiten und wie lange sie unbezahlte Mehrarbeit für das Kapital leisten. Dabei geht es um die Länge von Pausen, die Länge des Arbeitstages, die Höhe des Lohnes inkl. der Leistungszuschläge etc.. Dieses Gerangel äußert sich in mehr oder weniger bewussten individuellen und kollektiven Auseinandersetzungen. Aber es äußert sich auch im „Erschleichen“ beispielsweise von arbeitsfreier Zeit (Quatschpausen einlegen etc.)
    Im „Bewegten Marx“ wird vollständig zurecht darauf verwiesen, dass der Klassenkampf sehr wohl Einfluss auf den Wert der Ware Arbeitskraft und damit zugleich die Größe des Mehrwerts hat. Es werden jedoch nicht die Grenzen benannt, innerhalb derer der Klassenkampf nur wirken kann, solange er nicht bewusst mit dem Ziel geführt wird, das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen.. Es heißt da:
    „Durch welches Gesetz wird die Länge der Mehrarbeit geregelt? Warum beträgt sie 3, 5 oder gar 8 Stunden? Antwort: nur durch das Gesetz des Klassenkampfes alleine.“ S. 55
    Schließlich wird sogar die These aufgestellt, dass das „Kapital einzig und allein Resultat des Klassenkampfes“ sei.
    Es fällt unter den Tisch, dass die Lohnabhängigen eben auch WarenverkäuferInnen sind, die untereinander in Konkurrenz stehen. Sie sind nicht nur der Herrschaft des Kapitals in der Produktion unterworfen, sondern auch auf besondere Weise in das Wertverhältnis als WarenanbieterInnen integriert. WarenanbieterInnen sind sie durch die Verhältnisse (der gegenständlichen Bedingungen ihrer Reproduktion beraubt) auf jeden Fall ... danach erst, abhängig vom erfolgreichen Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft, zur Mehrarbeit gezwungene LohnarbeiterInnen, vielleicht auch mehr oder weniger bewusste „KlassenkämpferInnen“. Es ist diese Konkurrenz unter den AnbieterInnen von Ware Arbeitskraft, die sicher stellt, dass auch der Preis dieser Ware um ihren Wert schwankt. „Arbeiteremeuten“ und Streiks (wie auch gewerkschaftliche Organisation) heben diese Konkurrenz  begrenzt auf und ermöglichen es so, dass der Preis der Ware Arbeitskraft zeitweise über ihren Wert steigen kann oder dass ein Absinken des Preises unter den Wert verhindert wird. Solange aber die  Lohnabhängigkeit besteht, können Klassenkämpfe die Wirkungsweise des Wertgesetzes nur modifizieren. Das Wertgesetz ist dem Klassenkampf vorausgesetzt, weil das Wertverhältnis teil des Kapitalverhältnisses ist. Nicht der Klassenkampf, sondern die Konkurrenz unter WarenverkäuferInnen (unter Einzelkapitalen wie auch unter Lohnabhängigen) sorgt für die Allmacht des Wertgesetzes, auch in Bezug auf die Preisbildung der Ware Arbeitskraft.
    Deren „Überproduktion“ besorgt das Kapital allerdings auf besondere Weise, nicht durch höchste Anspannung aller materiellen Produktivkäfte im Höhepunkt der Konjunktur, wie beim sonstigen Warenpöbel, sondern durch eingeschränkten Gebrauch und Zerstörung von materiellen Produktivkräfte in der Krise. Die sich konsolidierende überzählige Lohnarbeitsbevölkerung sorgt über die Verschärfung der Konkurrenz unter Lohnabhängigen dafür, dass mehr unbezahlte Mehrarbeit aus den Beschäftigten herausgepresst werden kann. Daran ändert kein Klassenkampf etwas, solange das Kapitalverhältnis fortbesteht. Ein nicht das System sprengender Klassenkampf kann allenfalls bewirken, dass der Preis der Ware Arbeitskraft nicht ins Bodenlose fällt, sprich deutlich unter ihren Wert gedrückt wird. Die Länge der Mehrarbeit für das Kapital wird also wesentlich durch die schubweise (Krisen) erfolgende und sich durch Veränderung der technischen Zusammensetzung des Kapitals konsolidierende „Überproduktion“ von Ware Arbeitskraft bestimmt. Sie bewirkt, dass der Preis für die Ware Arbeitskraft niemals dauerhaft über ihrem Wert liegen kann, weil die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen sich objektiv verschärft.
    Es kann also nicht die Rede sein davon, dass das „Gesetz des Klassenkampfes“ allein bestimmt, wie lang die unbezahlte Mehrarbeitszeit ist. Das hängt nicht zuletzt ab, vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte im Kapitalismus und von der Konkurrenz der Lohnabhängigen untereinander, also von der Größe der industriellen Reservearmee. Beides Faktoren, die durch das Kapital selbst gesetzt werden und zwar relativ unabhängig vom Klassenkampf.

Abschließend

Eine theoretische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht zu dem in den Produktionsverhältnissen verankerten Klassengegensatz vorstößt, kann im besten Falle die  Erscheinungen der kapitalistischen Zirkulationsoberfläche geißeln. (Sie ist nicht radikal!!) Da diese Zirkulationsoberfläche des Kapitals zugleich die Handlungsebene der WarenverkäuferInnen aller Art ist, kann ein „Zirkulationsmarxismus“ in seiner Kritik kaum mehr leisten, als eben die Verhaltensweisen dieser WarenveräuferInnen unter Bezugnahme auf Ware und Wert zu kritisieren und durch den Warenfetischismus zu erklären.

Es handelt sich um bloße Kritik des (unbewussten) Tauschs von Arbeitsäquivalenten. Damit kann der Wert, aber nicht die Verwertung von Wert kritisiert werden, weil die Plusmacherei Produktionsprozesse verlangt, in denen Schluss ist mit dem Tausch von Arbeitsäquivalenten, Schluss mit der Gleichheit von WarenverkäuferInnen und auch Schluss mit „automatischem Subjekt“. Das einzige, was in der Produktion automatisch funktioniert, das ist manch hochentwickelte Maschinerie. Sonst nichts!

Hier stößt das Kapital auf den „inneren Schweinehund“ im Menschen, auf eine lebendige, verletzliche, mit Sinnen ausgestattete „Produktionsressource“. Wie gut diese Menschen auch erzogen, dressiert oder auch motiviert sind, es reicht nie, um den Heißhunger des Kapitals nach unbezahlter Mehrarbeit stillen zu können. Die Versuche des Kapitals mehr lebendige Arbeit aus den beschäftigten LohnarbeiterInnen heraus zu holen, mehr Leistung zu verlangen, hören nie auf. Dafür sorgt der Automatismus der Verwertung von Wert, jener ökonomische Sachzwang, dem jedes Einzelkapital unterworfen ist. Der gesellschaftliche, ökonomische Sachzwang muss aber im Handeln der Menschen umgesetzt werden. Und wenn man sich das genauer anschaut, wird das ganze peinliche Gerede darüber, dass alle Menschen in gleicher Weise von diesem Sachzwang beherrscht würden, ad absurdum geführt.

  • In keinem Betrieb kündigen Lohnabhängige von sich aus, um die Lohnkosten zu senken und damit dem ökonomischen Sachzwang zu folgen. Ihnen wird gekündigt, ohne und gegen ihr Einverständnis.

  • In keinem Betrieb entwickeln die Lohnabhängigen die Idee, von sich aus auf Lohn, Urlaubsgeld etc. zu verzichten, um Lohnkosten zu senken. Es wird Ihnen abverlangt mit der Drohung, man würde sonst eine größere Zahl entlassen müssen.

  • In keinem Betrieb kommen die Lohnabhängigen zusammen, um zu beschließen, dass sie künftig länger arbeiten wollen, bei weniger Lohn. Es wird Ihnen abverlangt und sie werden dazu gezwungen.

Die Lohnabhängigen ertragen den ökonomischen Sachzwang, und heute akzeptieren sie ihn sogar oft in erschreckendem Maße. Aber sie akzeptieren die Verschlechterungen ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse nur, weil man ihnen mit noch drastischeren Maßnahmen droht. Die Masse der Lohnabhängigen besteht nicht wirklich aus Ökonomen, auch wenn sie die Sprüche der Ökonomie häufig nachplappern. Die Ökonomen findet man woanders, im Management, in der Geschäftsführung und heute auch schon im „Co-Management“ von Gewerkschaften und Betriebsräten. Da sitzen Menschen, die aus dem Sachzwang ein praktisches Programm entwickeln und es dann auch, gestützt auf ihre Entscheidungs- oder Mitgestaltungsbefugnis, auf ihr Recht und ihre Macht, durch- und umsetzen. In aller Regel gegen die Mehrheit der betroffenen Lohnabhängigen.

Weil der „Zirkulationsmarxismus“ sich für diese gesellschaftliche Praxis, der darin zum Ausdruck kommenden schroffen Widersprüchlichkeit und deren Dynamik nicht interessiert, weil er im Klassenkampf nichts als einen systemimmanten Motor für kapitalistische Entwicklung sehen kann, darum bleibt er Teil jenes theoretischen Denkens, dass die Welt nur interpretiert. 

Die Kritik von Gerhard Hanloser und Karl Reitter am „Zirkulationsmarxismus“ geht mir nicht weit genug, weil sie nirgends den Anspruch an Theorie formuliert, selbst praktisch zu werden. Bezogen auf die „Lesestrategie“, mit der man das „Kapital“ lesen und verstehen sollte, halte ich die konstruierte Unterscheidung zwischen einem „exoterischen“ und einem „esoterischen“ Marx für verheerend. Sie war und ist nichts anders als der Aufhänger gerade für die Zerlegung des "esoterischen", "wissenschaftlichen" Marx bzw. seiner Kritik der Politischen Ökonomie. Marx als Kritiker der Politischen Ökonomie und als programmatischer Denker der ArbeiterInnenbewegung sind nicht von einander zu trennen. Es besteht engster Zusammenhang und die programmatischen, politischen Gedanken und Vorschläge des späten Marx ergeben sich schnurstracks aus seiner wissenschaftlichen Ökonomiekritik.

Vom politisch-programmatischen Wirken von Marx zeugt nicht nur das Kommunistische Manifest, sondern auch Schriften wie z.B. „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ oder die Kritik des Gothaer Programms. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, wie er sich das praktische Wirken der KommunistInnen vorstellt. Ein praktisches Wirken in den Klassenauseinandersetzung, mit dem Ziel ein Klassenbewusstsein zu entwickeln, das die soziale Emanzipation vollendet und die Aufhebung jedes Klassengegensatzes ermöglicht. Eine theoretische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, die dieser einzig realistischen Perspektive nicht förderlich ist, sie gar bewusst kritisiert, ist nicht besonders nützlich für den Versuch die Gesellschaft zu verändern. Die „Zirkulationsmarxisten“ sind wesentlich Philosophen, die die Welt entweder nur interpretieren wollen oder nur interpretieren können, weil sie für ihre noblen Ziele der Abschaffung von Ware und Geld keinerlei reale Anknüpfungspunkte finden und der „Kleinkrieg“ mit dem Kapital, die mehr oder weniger erfolgreiche soziale Reform, für sie nichts mit sozialer Emanzipation zu tun hat. Dies alles schließt selbstverständlich nicht aus, dass Wertkritiker hin und wieder gute und treffende Kritik am Wertverhältnis formulieren.

Gerhard Hanloser / Karl Reitter
Der bewegte Marx
Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus

ISBN-13: 978-3-89771-486-1
Ausstattung: br., 64 Seiten
Preis: 7.80 Euro
Unrast Verlag
 

HINWEIS
Robert Schlosser schreibt seit gut 10 Jahren in unregelmäßigen Abständen für TREND. Außerdem  hat er eine eigene Website:

Bedingungen sozialer Emanzipation
Robert Schlossers Werkstatt