Streiklesebuch mit historischem Rückblick
Udo Achten Udo, Bernt Kamin-Seggewies  Kraftproben

 
besprochen von
Peter Nowak

10/08

trend
onlinezeitung

Europaweite Proteste der Hafenarbeiter in den Jahren 2004 – 2006 haben verhindert, dass die von der EU forcierte Liberalisierung ihrer Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden konnte. In den deutschen Medien wurde wenig über die Proteste gegen die Hafenrichtlinie berichtet. Jetzt haben zwei aktiv an den Auseinandersetzungen beteiligte Gewerkschafter ein Streiklesebuch mit historischer Einlage vorgelegt. Achten und Kamin-Seggewies schlagen einen Bogen zum längst vergessenen Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1896/97. Dazu haben sie einen Bericht des damaligen Gewerkschafters und späteren führenden SPD-Politikers Carl Legien über Ursachen, Verlauf und Ende dieses damals landesweit beachteten Ausstandes neu veröffentlicht. Der damalige Streik hatte erstmals auch Unterstützer aus dem Bildungsbürgertum aktiviert. Das wurden von den Arbeitgebern und der ihren nahestehenden Presse als verräterische „Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen“ angekreidet und mit schweren Konsequenzen gedroht. So schrieben die nationalkonservativen Hamburger Nachrichten“: „Wir wollen uns die Namen dieser Herren merken, die, anstatt, ihren Berufsgeschäften obzuliegen, sich um Dinge kümmern, von denen sie nichts verstehen und die sie nicht angehen. Den Schaden, der für unser Erwerbsleben durch die unbefugte Einmischung solcher sozialistisch gesinnten Gelehrten insofern entstehen kann, als den Streikenden neue Mittel zur Fortsetzung ihres Ausstandes zugeführt werden, haben die Herren ja nicht mitzutragen. ... Die hiesigen Arbeitgeber, die unter großen Opfern die Sache der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates gegen die Sozialdemokratie führen und gestern beschlossen haben, sich auf keine Verhandlungen zur Wiederaufnahme der Arbeit einzulassen, haben ein Recht darauf, ihr legitimes Interesse gegen die Umtriebe sozialistisch-ideologisierter Weltverbesserer durch die Staatsorgane geschützt zu sehen...“. Einige Tage später hieß es im selben Blatt noch deutlicher: „...Es muss den Vertretern des „Sozialismus der gebildeten Stände“ zum Bewusstsein gebracht werden, dass die Förderung der sozialdemokratischen Bestrebungen für Jeden unerlaubt ist, der der bürgerlichen Gesellschaft angehört. Wer unter Aufrechterhaltung seiner Stellung als Mitglied derselben die Sozialdemokratie stützt, verdient keine andere Behandlung, wie derjenige, der in einer belagerten Festung mit dem Feind konspiriert“. 35 Jahre später, waren es diese Herren, die die Nazis an die Macht brachten und jetzt endlich ungestört umsetzen konnten, was sie hier schon androhten.

Die von Legien als Fazit des verlorenen Streiks erkannte Notwendigkeit einer besseren Organisierung ist hingegen auch heute noch aktuell. Das macht der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Hamburger Hafen Kamin-Seggewies in seinem knappen Abriss der gewerkschaftlichen Aktionen gegen die Deregulierungsversuche aus Brüssel deutlich. Eine Fehleranalyse wird dabei nicht ausgespart. So fing der Protest zu spät an. Auch mit der europaweiten Koordinierung der Proteste haperte es teilweise. So kam die Ablehnung der Hafenprivatisierung aller europäischen Gewerkschaften nicht zustande. Manche Vorhaben scheiterten auch einfach an Sprachproblemen. Trotzdem haben die Gewerkschaften mit einer Mischung aus Lobbyarbeit und Arbeitsniederlegungen die neuen Richtlinien erst einmal gestoppt. Doch schon laufen Versuche an, die Deregulierungspläne jetzt auf nationaler Ebene umzusetzen. Dann sollen die Proteste schon früher und besser koordiniert einsetzen. Das Lesebuch macht mit seiner Mischung aus aktuellen Berichten und historischen Rückblicken in Schrift und Bild deutlich, dass die Folgen dieser Auseinandersetzung weit über den Kreis der Unmittelbar Betroffenen hinausgehen.

Diese Erkenntnis aus dem Jahr 1896 gilt es heute unter veränderten Bedingungen wieder zu entdecken.

Es ging immer auch um Ein- und Unterordnung

Allerdings gibt die Lektüre der historischen und aktuellen Texte auch eine einmalige Gelegenheit, einer kritischen Betrachtung der damaligen und heutigen Arbeitskämpfe. Kein Zweifel, der Streik der Hamburger Hafenarbeiter vor nunmehr 111 Jahren war ein wichtiger Machtkampf. Es ging um die Frage, ob nur die Kapitalisten die Herren im Betrieb sind, oder ob die Beschäftigten auch etwas mit zu reden haben. Um nicht mehr und nicht weniger ging es. Wenn die Kapitalistenverbände und ihre Medien auch in den Bestrebungen der Arbeiter die Umsturzgefahr witterten, so zeigt doch der Text von Legien, die Haltlosigkeit dieser Vorwürfe. Die Streikenden betonten immer wieder, wie wichtig ihnen eine Einigung ist und wie gerne sie doch konstruktiv mit arbeiten würden. Doch allein, die Kapitalisten dachten gar nicht daran. Die Streikenden distanzierten sich sogar von ihrer eigenen Delegation, die bei einem Treffen mit den Kapitalisten zu deutlich die Forderungen der Streikenden vertreten haben. Es ging um den Umgang mit den als Streikbrecher eingesetzten Arbeitern. Während die Streikenden bisher darauf bestanden, dass sie selber wieder ort arbeiten sollten, bestanden die Kapitalisten darauf, die Arbeiter, die in den Zeiten der Krise zu ihnen gestanden haben, zu behalten. So konnte man schließlich auch die Arbeiterklasse neu zusammen setzen. Auch Legiens Haltung war ambivalent. Trotz aller verbalen Unterstützung des Streiks finden sich in seiner Schrift auch bedenkliche Töne: „Man muss von den Leuten, welche durch die Unterstützung ihrer Klassengenossen bessere Arbeitsbedingungen erreichen wollen, verlangen können, dass sie selbst erst für diesen Zweck etwas geopfert haben, ehe sie die Hilfe anderer in Anspruch nehmen“. Es ging hier darum, dass die Streikenden sich mehrheitlich nicht aus den Kern der Arbeiterklasse, sondern aus Leih- und Hilfsarbeitern, heute würden wir Prekäre sagen, zusammensetzen. Natürlich ist die Organisationsfrage wichtig. Aber die Diktion, in der sie hier von Legien angeschnitten wird, fällt der Solidaritätsgedanke fast weg. Sollen die Arbeiter erst nachrechnen, ob sie sich einen Streik leisten können, wenn sie sich gegen unhaltbare Zustände an ihren Arbeitsplätzen wehren wollen?

Bedenkliche Töne finden sich auch in der Beschreibung der aktuellen Proteste gegen die Hafenrichtlinie. Bei einer Demonstration in Brüssel ging es auch einmal etwas Militanter zur Sache. Daran waren Arbeiter aus nichtdeutschen Ländern beteiligt. „Die Verärgerung und die Sorgen einiger Kollegen waren so groß, dass es zu Zusammenstössen mit der Polizei kam...“, schrieb Kamin-Seggewies. Nur wenige Zeilen weiter, schrieb er, dass die Gewerkschaftsführung bei der Auswertung vor allem überlegte, wie solche Auseinandersetzungen in Zukunft verhindern werden können. Beispielweise „durch den Aufbau einer Bühne mit Reden und Musik am Ende der Demonstration“ und der „Organisation eines wirksamen Sicherheitsdienstes“.

Ausdrücklich betont der Autor, dass die „friedliche Demonstration von 10000 Menschen – und mit Sicherheit nicht die gewaltsame Auseinandersetzung von wenigen“ zum Stimmungsumschwung bei den Parlamentariern im Europaparlament beitrug. Eine solche Haltung fällt noch hinter die Positionen von NGO zurück, die auch gegen militante Aktionen sind, aber zumindest noch immer betonen, dass sie Probleme aufzeigen, die sie noch in Kooperation mit den Herrschenden lösen wollen. Die Positionierung des linken Gewerkschafters Kamin-Seggewies .ist aber eine regelrechte Entsolidarisierung mit Kolleginnen und Kollegen, die eine etwas andere Kampftradition haben, dass der DGB. Das ist nur konsequent, werden doch die Proteste nicht als Ausdruck einer Klassenautonomie sondern als Lobbyarbeit gesehen, bei der es nur darum geht, den besten Eindruck bei den Parlamentariern zu machen. Jeder Begriff von einer eigenen Stärke, die die Parlamentarier auch zum Umdenken zwingen könnte, fällt hier weg.

Kampf den Turnschuhgangs im Hafen?

Noch ein anderer Punkt fällt auf, wenn man das Buch akribisch liest. So betonen die Autoren immer, dass es bei der Auseinandersetzung nicht um die Nationalität der Beschäftigen sondern um ihre Ausbildung und Bezahlung geht. Der Kampf sei also kein Abwehr von unerwünschter Konkurrenz aus Osteuropa. Doch wie passen diese Beteuerungen zu folgenden im Buch dokumentierten Flugblatt der Fachgruppe Verkehr bei ver.di.

„Die Gesamthafenbetriebe, ebenso wie alle anderen Arbeitskräftepools in den Europäischen Seehäfen, werden von der EU als Monopole eingestuft. Die Kommission weist ausdrücklich darauf hin. dass diese Arbeitskräftepools „unter bestimmten Umständen einen Verstoß gegen die Richtlinien des Vertrags über den Binnenmarkt (...) darstellen können. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, Hafenarbeit künftig auch von Turnschuh-Gangs (natürlich zu Dumpinglöhnen und –arbeitsbedingungen) durchführen zu lassen. Dieser Angriff auf die Gesamthafenbetriebe ist somit ein Angriff auf alle Hafenarbeiter europaweit“.
Die Formulierung der Turnschuhgangs zeigt, dass eben nicht die Firmen, die Dumpinglöhne zahlen, angegriffen sondern die Arbeitskräfte, die ja eigentlich als KollegInnen angesehen werden müssten, mit denen man für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen kämpft. Hier drängt sich zumindest der Verdacht auf, dass die Beteuerung, es gehe bei den Auseinandersetzungen nicht um die Nationalität der Arbeitenden sondern um die Arbeitsbedingungen mehr an die kritischen Unterstützer gerichtet ist, während die Formulierungen auf den Flugblatt auch „Geschlossenheit an der Arbeitsfront“ herstellen will. Dabei sollte es gerade die Aufgabe der Linken sein, die Arbeitskämpfe der Kollegen zu unterstützen, aber eben auch nationalistische und ausgrenzerische Ansätze darin offen zu kritisieren. Es kann eben nur um gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen aller im Hafen Beschäftigten unabhängig von ihrer Nationalität gehen. Das Verdient des Buches ist es, auch solche kritischen Diskussionen angestoßen zu haben.
 

Udo Achten
Bernt Kamin-Seggewies
Kraftproben
Die Kämpfe der Beschäftigten gegen die Liberalisierung der Hafenarbeit
Mit einer Dokumentation der Broschüre von Carl Legien "Der Streik der Hafenarbeiter und Seeleute in Hamburg-Altona" von 1896/97
192 Seiten; zahlreiche, z.T. farbige Fotos, Hardcover, Großformat (2008)
EUR 22.80 sFr 39.40
ISBN 978-3-89965-263-5
VSA-Verlag