German Liedgut
Nationalismus im Deutschpop - Deckmantel

von Red. Und...?!

10/08

trend
onlinezeitung

»Ein Schluck vom schwarzen Kaffee macht mich wach
dein roter Mund berührt mich sacht
in diesem Augenblick es klickt
geht die gelbe Sonne auf«

»Es ist was es ist sagt die Liebe
was es ist fragt der Verstand
wohin es geht das woll'n wir wissen
und betreten neues deutsches Land«

MIA - »Was es ist«

Popkultur und Deutsch-Nationalismus haben zueinander gefunden, egal ob als schwärmerisches »German Liedgut«, als quotengestütztes Bekenntnis zur Deutschen Nation oder als vermeintliche Verpflichtung gegenüber den Traditionen heimischer, deutscher Kultur. Bestes Beispiel ist das sexy Liebeslied an das neue Deutschland von der vermeintlich links-alternativen Berliner Pop-Band MIA. Dies spricht für eine Normalisierung der deutschen Nation in der Pop-Kultur, welcher wir uns mit dieser Ausgabe der Zeitschrift und...?! entschieden entgegenstellen wollen.

What's Pop? - Eine Begriffsbestimmung

Die Bedeutungsvielfalt des Begriffs »Pop«, die von populärerMassenkultur bis zur Pop Art reicht, macht eine Begriffsbe-stimmung im Vorfeld nötig. Unabhängig von Kategorien wie Underground und Mainstream, also unabhängig davon, ob eine musikalische Äußerung nur hundert Hörer erreicht oder zum Gassenhauer wird, unabhängig auch von der Einteilung in Pop und Rock, ist alle Musik von der angesagten Boygroup bis zum Industrial-Noise insofern unbefugt, als dass sie keinem akademischen Kontext entspringt, nicht aus einer klassischen Musikausbildung hervorgeht – und sie ist als »unbefugte«, den jeweiligen Marktgesetzen unterworfene musikalische Äußerung, im weitesten Sinne also Pop.
Darin liegt der kleinste gemeinsame Nenner all dieser »unbefugten« Pop-Phänomene: Die nichtakademische Musik entsteht auf dem freien Markt und ist somit eigenen Verwer-tungsgesetzen unterworfen. Als Musik, hinter der keinerlei schützende Institution steht, ist sie von den Käufern abhängig. Und je nachdem, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, bildet sie ganz eigene marktgerechte Formen aus. Wenn also eine Band ganz bewusst nur einen kleinen subkulturellen Kreis ansprechen will, kümmert sie sich auch um die entsprechende Gestaltung, wird also zum Beispiel mit einem handgemachten Artwork genau jenes Klientel erreichen, das keine Massenware kaufen will. Aber selbst solche Nischen-phänomene sind Pop, da sie nämlich Teil eines freien ?Musikmarktes, der nicht nur von Millionensellern, sondern auch von ständiger Nischenbildung und subkulturellen Verschiebungen lebt.

Pop dient also als Überbegriff für vielfältige musikalische Ausdrucksformen, die einem ständigen Wandel ausgesetzt sind. Zu diesem Wandel gehört nicht nur, dass Nischenkultur und Mainstream durchlässige, einander in Sachen Absorption wie in Sachen Abgrenzung bedingende Kategorien sind, sondern dass die verschiedenen musikalischen Formen auch in politischer Hinsicht ständig von verschiedenen Interessens-gruppen neu besetzt werden.

Wichtiger, als auf die Trampelpfade, die im Laufe der Popgeschichte eingeschlagen wurden, ist es aufzuzeigen,  wie attraktiv Pop in ökonomischer Hinsicht für die Neue Mitte und schließlich auch Legitimationskultur der Neuen Mitte hat werden können, was bis zu so kruden, auf keinerlei Argumen-tation mehr beruhenden Äußerungen wie »Auch Börse ist Pop« hat führen können, also zur Totalaffirmation des Kapitalismus mittels lapidarer Pop-Verweise. Gerade das Amorphe, inhaltlich Unbestimmte, zu dem der Begriff Pop längst bis zur Unverbindlichkeit hin von den verschiedensten Seiten und Interessensgemeinschaften her aufgebläht wurde, hat möglich gemacht, dass heute inzwischen einfach alles unter Pop subsumiert bzw. verstanden werden kann.

German Liedgut

Wo ein Begriff, der ursprünglich einfach nur eine bestimmte Musik bezeichnet hatte und der damit auch eine ganz klare abgrenzende Haltung zum Ausdruck brachte zu etwas geworden ist, das je nach Belieben von nahezu jeder Seite her vereinnahmt bzw. instrumentalisiert werden kann, bedarf es einer genauen Analyse, die ständig aufs Neue danach fragen muss, wer denn nun gerade eigentlich Pop zu welche Zweck-en auf welche Weise instrumentalisiert. Seit Pop dafür herhalten kann bzw. hergehalten wird, je nach Bedarf jegliche Gesinnung zu schmücken und auch noch dem reaktionärsten Muff eine glänzende Politur zu geben, ist es zugleich unmöglich geworden, das ganze Gerangel um den »richtigen« Pop einfach zum Teufel zu jagen. Dies hieße nämlich, das Feld den »Anderen« zu überlassen und eskapistisch einer Sache zu frönen, die immer schon ideologisch dermaßen unbedenklich und unvereinahmbar war, dass sie zugleich auch keinerlei Wirksamkeit zeigte. Es hieße außerdem, all das für verloren zu erklären, was ja einmal de facto über Pop, und zwar gerade über Pop, an freiheitlichem, utopischem Gehalt transportiert wurde und in gewissen Kreisen bzw. Nischen bis heute noch transportiert wird: Wege einer spezifischen, sich immer wieder gegenüber feindlichen Übergriffen wappnenden Kommunikation. So leicht es also fällt, Pop als Markensiegel zu verabschieden, so unsinnig wäre es, zugleich all die Momente einer anderen Popgeschichte mit zu entsorgen, für die noch immer im Sinne einer strammen Haltung gegen Nato- und Nazirock, männlichem Kräftemessen die Lanze gebrochen werden muss. Wer will z. B. die Bands die auf dem Sampler »I can't relax in Deutschland« vertreten sind, ernsthaft dafür in die Tonne werfen, dass Pop völlig undifferenziert zur Ideologie der Sieger hat werden können.

Wir erleben derzeit zwei gegenläufige Tendenzen innerhalb der Popkultur, die auch mit anderen kulturellen Entwicklung-en korrespondieren. Während der Pop-Mainstream teilnimmt am Globalisierungs-Programm oder sich doch zumindest bestens dafür instrumentalisieren lässt, das Image der New Economy unter freundlich liberalem Antlitz in alle Winkel der Welt zu senden, haben sich zugleich, vor allem im Rock, lokale Gegentendenzen herausgebildet, die Identität im nationalen Rahmen mobilisieren und damit nicht minder erfolgreich sind. Schüren von Überfremdungs- und Überbevölkerungsangst zeugt von jenem Wahnsinn einer Re-Territorialisierung und Re-Lokalisierung im Pop.

Auf der einen Seite also ist das Internationale am Pop von falscher Seite her vereinnahmt, auf der anderen Seite das Lokale zur schlimmstenfalls völkischen Abgrenzung hin ideologisiert worden. Was einmal die normalste Sache der Welt war, nämlich die Entstehung lokaler Pop-Szenen und ein damit einhergehender internationaler Austausch, polarisiert sich immer mehr zu einander bedingenden Strömungen, dem Kapitalismus einerseits und seinen Mikrofaschismen andererseits. Hier wie dort falsch verstandene Wege in eine keineswegs wünschenswerte Zukunft. Denn wo die Aufrechterhalt-ung einer niedergehenden Gesellschaft, betrieben wird, bleibt nur, weiterhin Symptome dieses Niedergangs beim Namen zu nennen. »Du sprichst fremde Sprachen im eigenen Land«, wie die FEHLFARBEN einmal gesungen haben, ist noch immer ein sehr schönes Bild für das, was Pop einmal ausgezeichnet hat, bevor er am Ist-Zustand hat teilhaben wollen.

Somit lässt sich zusammengefasst in einem Satz sagen: Pop ist in seinem Wortsinne als populäre Kultur zu verstehen, die sich keineswegs nur auf Musik (auch Malerei, Fotografie, usw. gehören zu Pop) beschränkt und schon gar nicht auf eine Subkultur bzw. ein Subgenre der Musik - auch Punk, Hard-core, Hip Hop und Techno lassen sich somit unter den Popbegriff fassen. Da Kultur, einbezogen auch Pop bzw. Pop-Kultur, im Kapitalismus als Ware entsteht, erfüllt sie im System ihre Funktion. Eine hübsche Platte, ein netter Film oder ein nachdenklicher Roman sollen das eigene Leben im Kapitalismus erträglicher gestalten, sollen den leergesaugten Akku für den nächsten Arbeits-, Schul- oder Alltag voll tanken, von den wahren Problemen also ablenken. Völlig egal ob dies die betreffenden Künstler im Sinn haben bzw. hatten oder auch nicht. Kultur bestätigt die Verhältnisse, anstatt sie in Frage zu stellen. Wenn sich Kultur als Legitimationsbasis der Gesellschaft entwickelt, kann sie kaum besser sein als die Gesellschaft selbst. Dies betrifft auch Subkulturen, denn auch ihre Erzeugnisse entstehen in Warenform, auch ihre Akteur- Innen können sich aus dem Kapitalismus nicht herausnehmen. Dass Hardcore, Hip Hop, Punkrock, Garage und wie sie alle heißen wegen ihres Subkulturverständnisses denknotwendig keinen Nationalismus, Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus hervorbringen können ist also Blödsinn.

Nationalismus - Made in Germany

Angefangen hat das Ganze damit, dass die Menschen sich in Nationen einteilten, sich einem Volk zugehörig fühlten und sich so selbst in sich voneinander abgrenzenden National-staaten mit eigener Hymne, eigener Fahne und eigenen Feiertagen aufteilten. Zur Abgrenzung dienten Sprache, Sitte, kulturelle und politische Entwicklung, gemeinsame Abstam-mung, aber auch die Ausgrenzung von bestimmten Personen-gruppen, welche nicht dazugehören sollten.

In ihren geschichtlichen Entstehungsbedingungen unterscheiden sich die verschiedenen Nationen. Vor allem der deutsche Nationalismus muss gesondert betrachtet und seine Beson-derheiten herausgearbeitet werden.
Während nun in den USA vor allem eine gemeinsame politische Ordnung in Abgrenzung gegen das monarchische Europa die Basis der Nation bildete oder in Frankreich der Kampf ge-gen die Aristokratie das Nationalgefühl prägte, fand im Falle der deutschnationalen Identität dieser Prozess wesentlich in Bezug auf die gemeinsame Abstammung und Kultur statt. Begonnen hatte dieser bereits im 19. Jahrhundert als die Burschenschaften im Kampf gegen das napoleonische Frankreich Einheit und Freiheit für das deutsche Volk propagierten. Jedoch waren die Bestrebungen um die deutsche Einigkeit von Anfang an mit einer Grenzziehung gegen alles »Nichtdeutsche« verbunden. Der Hass auf als »nichtdeutsch« klassifizierte Menschen wie Homosexuelle, behinderte Menschen, Sinti, Roma, KommunistInnen und besonders auf Juden und Jüdinnen ist bezeichnend für  den deutschen Abgrenzungsprozess. Das Denken Vieler war von chauvinistischen, antisemitischen, rassistischen und autoritätsgläubi-gen Vorstellungen beherrscht und so brachte diese Nation nicht zufälliger Weise die völkische Ideologie hervor, welche im Nationalsozialismus mit dem Versuch die volksgemeinschaftliche Ordnung von »Blut und Boden« mit Krieg und Massenmord weltweit durchzusetzen gipfelte.

Sollte man nun meinen, aufgrund der Singularität des Zivilisationsbruchs Auschwitz, könne man in Deutschland vergeblich nach einem Bekenntnis zu Heimat, Volk und Vaterland suchen, wird man vom Gegenteil belehrt. Das Deutschland von heute hat seine »Lehren aus dem Nationalsozialismus« gezogen und kann sich nun modern, weltoffen und ohne Scham für die Verbesserung der Welt einsetzen. Sei es bei der Rede Schröders in der Normandie, den Gedenkevents zum 60. Jahrestag der Befreiung, der Krieg gegen Jugoslawien oder der Frieden mit dem baathistischen Irak-Deutschland und Rot-Grün haben es geschafft einen historischen Schlussstrich zu ziehen, um sich nun mit neuem Selbstbewusstsein ihrer so genannten »Verantwortung« zu stellen. Mit einem intellektuell geführten Diskurs um den Nationalsozialismus, stellt man sich jetzt als »Aufarbeitungsweltmeister« dar, während man noch bis zum Ende der Kohl-Ära die gesellschaftliche Schuldabwehr betrieb. Durch die reflektierte und »verantwortungsvolle« Geste wurde erstmals die ersehnte Distanz zur deutschen Geschichte gewonnen, so als ob sie einen nichts anginge. Dieser Staat sieht sich nicht als Nachfolger des Dritten Reichs, sondern gibt durch seine angeblich aufgearbeitete Geschichte die Erlaubnis zum Patriotismus.
Statt einer ernsthaften Aufarbeitung der Vergangenheit, wird aber nur an die Shoa und die deutsche Schuld erinnert, um das Ansehen Deutschlands wieder herzustellen oder genauer gesagt, versucht man die Deutschen auf eine Stufe mit den Opfern des Nationalsozialismus zu stellen. Mit Sätzen wie »Damals, das war doch für alle schlimm.« und »Vertreibung«, »Bombardierung« und »Gefangenschaft« als Schlagwörtern suggeriert man universelles Leid und verdreht damit das Täter-Opfer-Verhältnis. Geschickt inszeniert und von den Deutschen gerne angenommen, wird das »deutsche Leid« etwa im hoch gepriesenen Film »Der Untergang«  oder den unzähligen »History« - Dokumentationen von Guido Knopp. So können Forderungen nach der »Unverkrampftheit gegenüber der eigenen Nation« oder die an das völkische Kollektiv appellierenden »Wir sind Wir«-Hymnen akzeptiert an die große Öffentlichkeit gehen.
Wenn Nationalstolz wieder in ist und »Liebe, Mut und Toleranz« als die deutschen Werte ausgemacht werden, schließt sich die Ablehnung der deutschen Verbrechen nicht mehr aus, da durch die Befreiung von der Last der Vergangen-heit ein positiver Heimatbezug wieder offen ist, so muss man heute nicht mehr gleich Nazi sein um sich Nationalist nennen zu dürfen.

»Gitarren-Pop? Minimal-Techno? Hip Hop? - Ganz egal, Hauptsache deutsch!«

Diese Normalisierung der deutschen Nation kann man nun auch in der Popszene ausmachen. Ob in der Forderung nach einer Radioquote, um den jungen, aufstrebenden - vor allem aber deutschen - Künstlern, mit ihrem »German Liedgut« Hilfe zu leisten gegen das »langweilige Einheitsgedudel aus amerikanischen Landen« (Mehr dazu in »Eine Quote für Deutschland«), dem sexy Liebeslied an das neue Deutschland oder dem schwarz-rot-gold-Design - Popkultur und Deutsch-nationalismus haben zueinander gefunden.
Es wird versucht seinem Schaffen Tiefe zu geben, in dem man sich auf Heimat, Nation und Herkunft beruft und seinem Werk das Prädikat »deutsch« verleiht.  Dieses kleine Wörtchen verspricht meist bessere Absatzzahlen, da es im großen kulturellen Angebot des Musikmarktes hilft, die Produkte zu unterscheiden, ihnen einen für den geläuterten und stolzen Deut-schen ansprechenden Gehalt verleiht und so zum Kaufsargu-ment wird. Mit dem Verweis auf nationale Herkunft wird zeitgemäßes deutsches Kulturgut konstruiert bzw. der Kanon der Kulturnation Deutschland mit Bach, Goethe, Schiller usw. fortgeschrieben.

Der Nationalismus der deutschen Popkultur tritt aber in sich nicht einförmig, sondern in seinen standortökonomischen, modernisierten oder offen geschichtsrevisionistischen Facetten auf. Die negative Rolle von Pop bleibt darauf allerdings nicht beschränkt. Vielmehr erwächst er selbst zur wichtigen Basis für das Konstrukt Nation, weil er Verhältnisse, so wie sie existieren, ideologisch unterfüttert und damit verfestigt, d.h. im gleichen Maße, in dem Pop den existenten Nationalismus abbildet, bringt er ihn zugleich aufs Neue hervor.

Spätestens anhand von MIA, die von sich selbst aus schon behaupteten sie seien »links«, wird ernüchternd klar, dass Nationalismus vor jenen nicht halt macht, die kurz zuvor noch als Teil der eigenen, im weitesten Sinne linken (Post-Punker- oder Indie-) Szene galten. »Fragt mich jetzt, woher ich komme / tue ich mir selbst nicht mehr Leid«, piepst MIA-Sängerin Mieze in schwarz-rot-goldene Farbe gehüllt, »wohin es geht, das woll'n wir wissen / und betreten neues deutsches Land«. Der oben zitierte Song »Was es ist« von MIA, soll laut Mieze, für ein »geklärtes Verhältnis zu unserer Herkunft« sorgen. Mit ihrem alternativ angehauchten Pro-Deutschland-Pop, arbeiten MIA an einer Normalisierung, genauer gesagt Verniedlichung des Deutschnationalismus und können sich aufgrund der »aufgearbeiteten« Vergangenheit und des Versagens der militärischen Unterstützung der USA durch die Bundesregierung im Irak-Krieg wieder positiv auf ihre Heimat Deutschland beziehen. MIA sind damit ein neues Phänomen, nämlich Regierungs-Pop, und zugleich Beweis dafür, dass sich, wie weiter oben schon gesagt, aus subkulturellen Strukturen hervorgegangene Bands nicht mehr notwendig vom gesellschaftlichen Mainstream abgrenzen. Stattdessen muss man sich wieder abgrenzen, sich vor fremden Einflüs-sen, vorzugsweise Amerikanischen, schützen und dem »Verlust unserer Identität, unseres geistigen Erbes« (Inka Humpe, 2Raumwohnung) entgegentreten. Dieser Schutz der deutschen Kultur, ist nichts weiter, als ein alles Fremde ablehnender Nationalismus, der eine Selbstreflexion auf die eigenen gesellschaftlichen Umstände außen vor lässt.
Seit Beginn des Irakkrieges widmen sich die deutschen Künst-lerInnen gerne dem Kampf gegen das »dominante anglo - amerikanische Repertoire« (Wolfgang Thierse, SPD) von im-mer »weniger weltumspannenden Firmen« (Antje Vollmer, Die Grünen), also »die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus« (ebd.).
Der Antiamerikanismus bildet somit, zusammen mit dem wieder aufkeimenden Nationalstolz á la »Du bist Deutschland« die Basis für den Nationalismus im Popgeschäft.

»Seelenlose Fabrikmusik«

Als vermeintlich legitime Kritik an US amerikanischer Politik auftretend, verbinden sich tagespolitische Geschehnisse mit scheinbar längst Geahntem. Die Unterscheidung zwischen den USA zugeschriebenen Phänomenen und der amerikanischen Realität wird dabei bewusst oder unbewusst unterlassen. Tagespolitik, Ressentiments und Halbwissen verdichten sich und werden auf die USA bzw. ihre Administration projiziert. Dieses Spiel wird gar soweit getrieben, dass einzelne negative Aspekte des Kapitalismus argumentativ aus ihrem Zusam-menhang gelöst und auf die USA oder George. W. Bush übertragen werden. Vom entfesselten Raubtierkapitalismus der USA ist da die Rede, der dem angeblich besseren - sozial, ökologisch und entwicklungspolitisch gezähmt - in Deutsch-land und der EU entgegenstehen würde. Personalisiert erscheinen die im Kapitalismus produzierten Leiden so als das Werk eines machtgierigen Bush oder der USA. In der Feindschaft gegen Bush, die an allen Ecken und Ende in Deut-schland zu sehen ist, gerade eben in der Popszene bis hin zum Punk, werden die Politik der USA und deren zum Teil verheerende Auswirkungen auf das Wesen einzelner Menschen zurückgeführt, denen der Griff zur Weltmacht, Verderb und Tod zugeschrieben werden.
Mit diesem argumentativen Kunstgriff erscheint die Globalisierung  als Amerikanisierung. Als kulturelle Flanke gelten da Mc Donalds, Hollywood, MTV und CNN, als Belege für entwurzelten, entfremdeten Einfluss- kurz Amerikanisier-ung. Die USA als Repräsentant des »Kosmopolitischen«, das einst mit den Juden assoziiert wurde. Hier wird klar, weshalb Antiamerikanismus als Spielart des Antisemitismus gelten kann, besteht doch mehr als nur eine kleine Überschneidung zwischen diesen beiden Sichtweisen. Angriffe auf die angloamerikanische Kultur - und besonders auf New York und Hollywood - waren in der Vergangenheit häufig eine vornehmer klingende Art Antisemitische Gefühle auszudrücken. Antisemiten verbanden auf die gleiche Weise Juden mit Handel, wie Leute Amerikaner als Menschen ansehen, die alles auf Geld reduzieren.

Ob bewusst oder unbewusst stellt sich popkultureller Anti-amerikanismus in diese Tradition, ja schreibt diese gar fort. Dabei galten Entwurzelung, das Aufgehen in selbstbestimmten Identitäten, kosmopolitische Ausrichtung und universelle Geltung vor noch nicht all zu langer Zeit als Richtwerte für Popkultur, hinter die nicht zurückgefallen werden durfte. Pop meinte dabei den positiven Bezug auf ein kulturelles Gegen-model, das sich von nationalen Kultursparten bewusst ab-grenzte. Ein Modell das seine Wurzeln letztlich in der kulturellen Integration von Immigranten verschiedenster Herkunft, dem bewussten Bruch mit traditionellen oder völkischen Kulturvorstellungen und deren massenkultureller Verbreitung sah. Diese Sichtweise scheint inzwischen weitgehend aufgegeben. Trauriger Weise nicht zu Gunsten einer selbstreflexiven, ihrer Funktion bewussten, kritischen Popkultur. Vielmehr wird das Heil in der Rückbesinnung auf national geerdete Kultur gesucht ...

Neuer Stolz auf Deutschland

In der Debatte um den Irakkrieg hatten die Kritiker der amerikanischen Politik mit ihrem Argument der »Friedensmacht Deutschland«, die sich nicht durch die angebliche Demagogie der USA dazu verleiten lies, wegen ökonomischen Vorteilen ihre Streitkräfte zu mobilisieren und Krieg zu führen, einen »Trumpf« im Ärmel.
Das Argument der Friedensmacht ist in so weit schon hinfällig, weil Deutschland mit Sicherheit andere Gründe hatte, die USA im Irak nicht zu unterstützen, als um des Friedens Willen.
Das Mitwirken im Kosovokrieg lässt das schöne Bild des friedlichen Deutschlands, welches aus seiner Geschichte und der Aufarbeitung eben dieser angeblich gelernt hat, bröckeln, was  für die Deutschen jedoch kein großes Hindernis darstellt, da sie ja bei jedweder Kritik an ihrem Land auf den kriegführenden Nachbar jenseits des großen Teiches verweisen können.
Da der größte Teil der Bundesbürger, ebenso wie die Bundes-regierung, eine Intervention im Irak ablehnte, bildete sich aus der Antikriegsbewegung heraus ein nationales Kollektiv, was es gut hieß, dass sich Deutschland nicht an dem, von den ölgierigen USA angezettelten Krieg beteiligte und forderte, dass Deutschland wieder einen aktiveren Part in der Welt-politik, eine Führungsrolle in der EU übernehmen solle, um den USA, wie in der Irak-Debatte, weiterhin Paroli zu bieten.
Dieser Stolz auf Deutschland mag in den Augen vieler vielleicht nicht in direktem Zusammenhang mit Pop stehen, aber dennoch spielt er eine große Rolle, da viele MusikerInnen vor dem Irakkrieg Stellung bezogen und die antiamerikanische Flagge hissten.

Der Stolz auf Deutschland, der teils aus der Friedensbeweg-ung resultierte, wird aber auch weiterhin propagiert.
Mit Kampagnen wie »Du bist Deutschland« soll das National-gefühl gestärkt werden, was man mit dem Appellieren an jeden einzelnen Deutschen erreichen will. Jeder Deutsche soll Verantwortung für sein Land übernehmen und sein Bestes geben, um Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Das alles mit der Voraussetzung, endlich wieder ein nationales, deutsches Kollektiv zu haben, was bei strittigen Entscheidun-gen nicht weiter nachfragt und kritisiert, sondern sein Land, »wie einen guten Freund behandeln soll«.

Nation - was soll der Unsinn?

Den neuen Deutsch-Pop mit seinem relaxten und unverkrampften Umgang mit der eigenen nationalen Herkunft als zentralem Motiv deutscher Selbstfindung, verurteilen wir angesichts der deutschen Verbrechen. Wir kritisieren die unter der nationalen Klammer zusammengefassten Sampler wie »Neue Heimat« oder »German Liedgut«, die Debatte »wie sehr deutsch« Kultur sein darf, den Versuch Pop »zum Sprach-rohr eines neuen deutschen Heimatgefühls« zu machen und sich übers Deutsch-Sein zu definieren.

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in: UND...Fachzeitschrift zur Unterstützung linksradikaler Diskussionen 5/2006. Wir spiegelten von dort.