Betrieb & Gewerkschaft
Arbeiterstreik in Kolumbien
12000 Zuckerplantagenarbeiter in Kolumbien im Streik für eine Verbesserung ihrer prekären Arbeitssituation

von Lieselotte Meyer

10/08

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Wenn in Bogotá auf 2600 Metern über dem Meeresspiegel die Sonne scheint, brennt sie. Es ist Mittagszeit. Auf der Plaza de Bolívar, vor den Regierungsgebäuden des kolumbianischen Staates im ärmlichen Zentrum der Hauptstadt, sitzen drei Männer, Zuckerrohrschneider, unter kleinen Sonnenschirmen. Eine Kette ist um ihre Körper gewunden und verbindet sie. Vor ihnen liegen trockene Zuckerrohre und ihre Macheten um ein Transparent herum auf dem Boden: „Es lebe der Streik der Zuckerrohrschneider: Wir sind im Hungerstreik“.

Heute ist der 14. Tag des Streikes, den etwa zwölftausend Zuckerrohrschneider in den Departamentos Kolumbiens Cauca und Valle de Cauca, viele Busstunden von Bogotá entfernt, am 15. September begonnen haben.

Die Arbeiter auf den 14 Zuckerrohrplantagen des Landes kämpfen für ihre Rechte, für eine Verbesserung ihrer prekären Arbeitssituation. Diese sei eine neue Form der Sklaverei, erklärt einer der Hungerstreikenden. Die Zuckerrohrschneider entbehren jeglicher Arbeitsrechte. Sie sind keine direkt Angestellten der Plantagen, sondern verfügen nur über Subverträge, die mit so genannten Kooperativen abgeschlossen werden. Die Kooperativen bestimmen die Arbeitsmenge und den Lohn, der nach dem Gewicht des geschnittenen Zuckerrohres bezahlt wird. So liegt der durchschnittliche Verdienst noch unter dem nationalen Mindestlohn von 460.000 Pesos (etwa 160 €) im Monat. Um ihre meist fünf bis sechsköpfigen Familien ernähren zu können, arbeiten sie 14 bis 16 Stunden am Tag. Durch die Kooperativen umgehen die arbeitgebenden Plantagenbesitzer direkte Arbeitsverträge und Sozialabgaben. Auf diese Weise sind die Arbeiter, die ja keine Angestellten, sondern „Kooperativenmitglieder“ sind, weder kranken- noch rentenversichert, erhalten keine Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit und haben kein Recht auf Urlaub. Im Fall von Erkrankung müssen sie eine Person finden, die für sie einspringt, oder sie verlieren ihre Arbeit ganz. Wenn es gerade nicht genug Arbeit für alle gibt, entscheidet die Kooperative, wer zuhause bleiben muss – unter Lohnausfall versteht sich. Für Arbeitskleidung und –utensilien kommen die Arbeiter ebenfalls selbst auf.

Die streikenden Zuckerplantagenarbeiter fordern direkte Verträge mit den Plantagen und einen Dialog mit dem Verband der Plantagenbesitzer ASOCAÑA, in der Hoffnung, ihre Arbeitssituation verbessern zu können. ASOCAÑA verweigert jedoch wie schon bei früheren Versuchen jeglichen Dialog. Es gehe hier nicht um einen Konflikt zwischen den Arbeitern und ihnen, sondern um ein internes Problem der Kooperativen. Als Mitglieder der Kooperativen hätten sie keinerlei Recht, Forderungen zu stellen, so der Präsident von ASOCAÑA Luis Fernando Londoño, der damit den Streik als rechtswidrige Blockade bezeichnet.

Dieser Zynismus wird von der kolumbianischen Regierung fortgesetzt. „Wenn jemand seine Rechte einfordert, ist er gleich ein Guerrillero“, kommentiert dies einer der Männer, die auf der Plaza de Bolívar um die Aufmerksamkeit und die Solidarität für ihre streikenden Kollegen hungern.

Der Minister für „sozialen Schutz“ (Protección Social) Diego Palacio unterstellt dem Aufstand der Zuckerarbeiter öffentlich eine Beeinflussung und Unterstützung durch „zweifelhafte Gruppen“ und stellt sie damit in die Nähe der Guerrilla. Das Terrorismus-Argument dient dem Staat wie in vielen anderen Fällen dazu, sich seiner sozialen Verantwortung zu entziehen und gleichzeitig einen gerechtfertigten Kampf um Rechte zu illegalisieren, zu stigmatisieren und zu delegitimieren. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass es keinen Arbeitskonflikt gebe, sondern ein regionales Sicherheitsproblem durch den Aufstand der Zuckerarbeiter und schickt Soldaten, Polizisten und die polizeiliche Sondereinheit für Störungen durch die Bevölkerung ESMAD (Esquadrón Móvil Antidisturbios), um den Streik zu beenden.

Trotz der starken militärischen und öffentlichen Repression und einiger Verletzten auf den Plantagen setzen die Zuckerrohrschneider ihren Streik fort.  Und auf der Plaza de Bolívar suchen die Hungerstreikenden inzwischen unter den Sonnenschirmen Schutz vorm Regen.


Lies auch: www.colombia.indymedia.org/news/2008/09/93217.php

 

 

Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien bei Indymedia. Wir spiegelten von dort.