Fast
farcenhafte Züge scheint jetzt ein staatlich verordneter
Anti-Antisemitismus anzunehmen, wenn die
Bezirksbürgermeisterin des Berliner Stadtbezirks
Marzahn-Hellersdorf Dagmar Pohle (Die Linke) den
Antisemitismus-Vorwurf von mir, den ich gar nicht erhoben
habe, „mit aller Schärfe“ zurückweist, nur weil ich es wagte,
die Rückbenennung der Peter-Huchel-Straße in
Alexander-Abusch-Straße zu fordern.
Der Reihe nach:
Im Juni 2007 reichte ich beim Petitionsausschuss der
Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf eine
siebenseitige wissenschaftliche Expertise ein, um den
deutsch-jüdischen Antifaschisten, Résistancekämpfer und
engagierten Schriftsteller Alexander Abusch zu rehabilitieren,
weil dessen Ansehen schwer beschädigt wurde, als man seinen
Namen aus dem Berliner Straßenverzeichnis gestrichen und die ihm
1986 wegen seines antifaschistischen Einsatzes zugesprochene
Straße ausgerechnet nach Peter Huchel, einem Kapp-Putschisten
und NS-Verstrickten, umbenannt hatte. Das Bezirksamt von
Marzahn-Hellersdorf weist im September 2007 die Petition zurück.
Gegen diese Verletzung von Artikel 17 Grundgesetz interveniert
der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin.
Mit Erfolg? Es
presst eine vom Bezirksamt eingesetzte Kommission die Petition
durchs Raster der Zwei-Diktaturen-Theorie (DDR gleich
Naziregime), um die von mir geforderte Diskussion über Huchels
und Abuschs Verhalten während der Nazizeit durchfallen zu lassen
und verwandelt diesen, entkleidet seiner exponierten Teilnahme
an den Klassenkämpfen der zwanziger Jahre, seines
Verfolgungsschicksals sowie seines Wirkens im antifaschistischen
Widerstand, in einen unpolitischen Juden, während sie jenen zum
politischen Opfer eines abermals Verwandelten, eines bösen
Kommunisten, hochstilisiert. Schiedsspruch der Kommission im
September 2008: Keine Rückbenennung. Begründung: „Nach den
jetzigen Erkenntnissen der Kommission Gedenkorte wurde die
Umbenennung der Alexander-Abusch-Straße nicht deswegen
vorgenommen, weil Alexander Abusch Jude war, sondern weil es
sich bei ihm um einen hohen SED-Kulturfunktionär handelte. Die
dafür vorgenommene Benennung nach Peter Huchel wurde
offensichtlich als eine Art ‚Wiedergutmachung’ verstanden, da
Alexander Abusch an der Verdrängung von Peter Huchel aus seinem
Amt als Chefredakteur der Zeitschrift ‚Sinn und Form’ maßgeblich
beteiligt war.“ Also Revanche, maskiert als Wiedergutmachung?
Apropos Wiedergutmachung: Verlor nicht auch der jüdische
Westemigrant Abusch zeitweilig alle seine Ämter in der DDR und
wurde daraufhin zu niederen Diensten gezwungen? Und wie kommt
es, dass sich die Kommission über den von mir zur juristischen
Untermauerung eines berechtigten Anliegens herangezogenen
Artikel 139 Grundgesetz, über den Staatsvertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden sowie
über das Gesetz der Französischen Republik zur Anerkennung der
Kämpfer der Résistance hinwegsetzt? Gekrallt vom
Augurengemurmel aus den neuen Palästen? Und die Herrschaft des
Rechts? Eine Illusion? Nein? Aber warum drückt dann der
Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses im Bescheid
an den unbequemen Petenten, zu dem zufällig ich aufgestiegen
bin, sein Bedauern aus, dessen „Erwartungen nicht in allen
Punkten erfüllen zu können“?
Zurück zur
durchgefallenen Diskussion: Alexander Abuschs Verdienste im
internationalen Befreiungskampf gegen den Hitlerfaschismus, die
überragende Bedeutung seines literarisches Schaffens im Exil
sind unbestritten. Aber was war mit Peter Huchel, der in
Nazideutschland geblieben war und bislang als ein mit der Aura
eines inneren Emigranten umstrahlter Dichter bestechen konnte?
Der 1903
geborene Peter Huchel ist, wie in der Petition nachzulesen, der
literarische Ziehsohn des nur um ein Jahr älteren
deutsch-jüdischen Schriftstellers Hans Arno Joachim, bei dem
später auch Brecht und Seghers in die Lehre gehen. Joachim
fördert Huchel systematisch, redigiert seine Gedichte und
Erzählungen, schreibt sie streckenweise im Interesse ihrer
Veröffentlichungsfähigkeit regelrecht um, verschafft ihm für das
literarische Debüt die notwendigen Kontakte zu Zeitungen und
Zeitschriften. 1933 fliehen alle Freunde und Förderer von
Huchel, bei denen er zeitweilig sogar gewohnt hat – Hans Arno
Joachim, Alfred Kantorowicz, Ernst Bloch und Fritz Sternberg – ,
als Linksintellektuelle und Juden ins westliche Ausland, doch
er, vor die Wahl gestellt, zu seinen gefährdeten Freunden oder
zu Nazideutschland zu halten, entscheidet sich für letzteres und
setzt im „entjudeten“ Rundfunk zu einer steilen Karriere an.
1936 strahlt der Reichssender Berlin in der Sendereihe
„Horchposten“ Huchels erstes Hörspiel aus, ein gegen die
politische Emigration gerichtetes Werk, und mit Entfachung des
Hitlerschen Weltbrandes stellt Huchel, wie der englische
Literaturwissenschaftler Stephen Parker nachweist, seine
literarische Arbeit in den Dienst der Kriegspropaganda
Nazideutschlands.
Sechzig Jahre
nach seiner Distanzierung von seinen jüdischen Freunden und
Förderern avanciert Huchel, wie Parker resümiert, „zum Symbol
der deutschen Einheit.“ Auf der Strecke geblieben und vergessen:
sein Freund und Lehrer Hans Arno Joachim, in Auschwitz ermordet.
Auf der Strecke geblieben und vergessen: sein literarischer und
politischer Kontrahent Alexander Abusch, in Berlin entehrt.
Die ehemalige
SED-Kreisleitungsmitarbeiterin und jetzige
Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle interessiert sich nach
eigenem Bekunden für Politik, Garten, Natur und Naturheilkunde.
Nicht für Zeitgeschichte. Und schon gar nicht für die die
geistig-politische Krise unserer Gesellschaft auslösenden
gesellschaftlichen Kräfte von damals, die nach Aufarbeitung
geradezu schreien. Wir gehen jetzt ins Jahr 1929. Die drei in
der Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf „mit
aller Schärfe“ für Recht und Ordnung kämpfenden Neofaschisten
feixen.
Editorische
Anmerkungen
Wir erhielten den text vom Autor zur
Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
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