US-Präsidentschaftswahl:
Gegen Obama und McCain! Für eine Arbeiterpartei!

von Bruno Tesch

10/08

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Der Lärm um die Kandidaturen der Republikaner und der Demokraten wurde schlagartig von den Detonationen in der US-Finanzwelt übertönt. Natürlich wird die Präsidentschaftswahl kurz vor dem 4.11. wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten, aber unter neuen Vorzeichen. Als eine der letzten Amtshandlungen hat die Bush-Administration in die Banken- und Versicherungskrise durch Stützungskäufe und (zeitweilige) Nationalisierungen eingegriffen und damit ihre Version von „Sozialismus“ aufgetischt, die immer dann ausgepackt wird, wenn es darum geht, Verluste zu schultern. Konkret heißt das: Griff in die Taschen der Lohnabhängigen, um den Kapitalismus aus dem ökonomischen Schlamasssel zu retten. 

Die Kandidaten 

Die Demokratische Partei hat mit Barack Obama einen „Hoffnungsträger“ aufgestelt, der mit seiner Kampagne immerhin viele junge AktivistInnen und ImmigrantInnen eingebunden hat. Seine vagen Versprechungen von einem „politischen Wandel“ drücken auch die Wünsche vieler WählerInnen aus. Aber Obama sagt nicht, wie er sich innenpolitisch, v.a. in Bezug auf die Finanzierung  von Vorhaben (mehr Arbeitsplätze, mehr Gesundheitsfürsorge) verhalten will. Typisch auch seine Absichtserklärung, Steuerschlupflöcher schließen und Haushaltskürzungen vornehmen zu wollen; aber wo genau, bleibt unklar.

Konkretere Aussagen waren von ihm hingegen zur Außenpolitik zu hören. Dort tritt er z. B. für die Aufstockung der Truppen in Afghanistan durch die Verlagerung von Kräften aus dem Irak ein. Er präsentiert sich damit als konsequenter Fortsetzer der imperialistischen Kriegspolitik der USA, wenn auch mit flexiblerer strategischer Wahrnehmung . Doch auch mit der Ernennung des eher konservativen John Biden als Stellvertreter hat er klar die Grenzen seiner „Experimentierfreudigkeit“ gezogen.

Der Kandidat der Republikaner, John McCain, hat mit der Provinzgouverneurin Sarah Palin eine Vizepräsidentschafts-Anwärterin aus dem Hut gezaubert, mit der er hofft, die enttäuschten AnhängerInnen der gescheiterten Kandidatin der Demokratischen Partei, Hilary Clinton, gewinnen zu können. Beide lassen aber keinen Zweifel aufkommen, dass sie für konservativ-kapitalistische Kontinuität statt für einen vagen „Wandel“ stehen und vermitteln so ein geschlosseneres Bild als das ungleichere Paar Obama-Biden.

Was kann die Arbeiterklasse von diesen KandidatInnen erwarten? Nichts!

Vielmehr wird es angesichts des Finanz-Gaus drastische Einschnitte in den Lebensstandard der lohnabhängigen Bevölkerung geben - egal, wer der 44. Präsident der USA wird. Keiner der Bewerber um dieses Amt ist für die Masse der Bevölkerung, dessen großen Kern die Arbeiterklasse bildet, wählbar! 

Die US-Arbeiterklasse 

Nach der Statistik des US-Bureau of labor statistics (Juli 2008) gehören zur abhängigen Erwerbsbevölkerung der USA nach Abzug von Aufsichts- und oberen Verwaltungfunktionen rund 130 Millionen in Beschäftigung. Davon sind 120 Millionen in privaten Unternehmen tätig, davon 20 Millionen im Güter herstellenden Gewerbe. Die Spitzenstellung nimmt hierbei der Bereich Bau mit 7 Millionen ein. Insgesamt ist der Güterfertigungsanteil allein in den letzten 20 Jahren um 4 Millionen Beschäftigte geschrumpft. Die restlichen Werktätigen arbeiten in der „Dienstleistung“. Der Handel bietet mit 20 Millionen die meisten Anstellungen, gefolgt von Gesundheitsfürsorge/Sozialdiensten mit über 15 Millionen, Erziehung/Bildungswesen mit 12 Millionen sowie Nahrungsmittel/Gastronomie mit 11 Millionen.

Der Öffentliche Dienst ist mit 9 Millionen vertreten, wovon allein 5,7 Millionen in der Rüstungsindustrie arbeiten. Das Verteidigungsministerium ist mit 2,1 Millionen Gehaltsempfängern die größte US-Bundesbehörde. Die Streitkräfte haben eine Stärke von 3 Millionen. Rechnet man die Regionalebene mit der föderalen Polizei und der Justiz hinzu (hierzu liegen keine Zahlen vor), ist der staatliche Gewaltapparat der größte und wachstumsstärkste Personalposten überhaupt. Allein das 2002 gegründete Heimatschutzministerium bewirkte eine Aufstockung um 200.000 Bedienstete ...

Aufgeschlüsselt nach Ethnien ergibt sich folgendes Bild. Nach den als „weiß“ eingestuften ArbeiterInnen stellt die Gruppe der Hispano/Latinos mit 20 Millionen den größten Anteil an der Arbeitsbevölkerung. Der Grund hierfür liegt im seit 1990 einsetzenden Umzug bzw. der Neuansiedlung von Industrie vom Norden in die Südstaaten. Die Hispano/Latino-Gruppe erlaubte als billiges Arbeitskräftereservoir den Firmen gute Profitmargen. Die Aussicht auf Arbeit hat so immer mehr meist illegalisierte Einwanderer aus den Grenzländern und der Karibik angelockt, weswegen sich ihr Anteil mehr als verdreifacht und die Gruppe der AfroamerikanerInnen (17 Millionen) sowie jene asiatischer Herkunft (7 Millionen) überflügelt hat. Der Frauenanteil an der US-Arbeiterschaft beträgt 46%. 

Löhne und Arbeitsrecht 

An Stundenlöhnen für Werktätige ohne Aufsichtsposten werden im Schnitt 17 Dollar gezahlt. Sie staffeln sich jedoch nach Branchen höchst unterschiedlich. Die Bestverdiener sind Installateure und WartungstechnikerInnen mit 29 Dollar, während Land- und Forstwirtschaft sowie Freizeit und Gastronomie mit nur 11 Dollar das Schlusslicht bilden. Auch hier regiert der Rassismus, denn AfroamerikanerInnen liegen mit 12 und Hispano/Latinos mit gar nur 10 Dollar weit unter dem Standard. Der Durchschnittsverdienst der US-Arbeiterklasse ist seit 1972 inflationsbereinigt gesunken - um 13%!

US-ArbeiterInnen haben in der Regel eine 40-Stundenwoche. Diese Zahl wird allerdings gedrückt durch den hohen Anteil von Teilzeitarbeit, der auch das vor Jahren bestaunte „Jobwunder“ geprägt hat. 18 Millionen arbeiten in Teilzeit. Dieser Trend verstärkt sich noch. Allein im Februar 2008 wurden 500.000 Stellen von Voll- auf Teilzeitverträge halbiert oder sogar gedrittelt: ein Zuwachs von 21%.

Das Arbeitsrecht ist wenig reglementiert. Zwar sind ein Mindestlohn von 11 Dollar sowie Zuschläge für Überstunden über die Regelarbeitszeit von 40 Stunden hinaus gesetzlich vorgeschrieben. Aber dies wird in der Praxis oft mißachtet. Zwar soll ein Antidiskriminierungsgesetz Ethnien und andere Minderheiten vor Unternehmerwillkür schützen, aber dies ist mit polizeilicher Nachprüfung von legalem Aufenthalt und Arbeitserlaubnis verbunden.

Ansonsten herrscht das Prinzip der „Vertragsfreiheit“. Das heißt, dass der Mächtigere, also der Unternehmer, die Bedingungen diktiert. Ein einheitliches Tarifrecht existiert nicht. Kündigungen können fristlos erfolgen. Arbeitsverträge verlieren ihre Geltungsdauer bei Wechsel des Firmeninhabers und müssen vom neuen Eigentümer nicht übernommen werden. Lohn- und andere Vereinbarungen sind oft an das Betriebsergebnis gekoppelt. So können auch betriebliche Regelungen bei Krankenversicherung und Betriebsrente auch bei gleich bleibenden Besitzverhältnissen geändert werden. Oft werden für die Gesundheitsvorsorge Gruppenversicherungen mit finanzieller Eigenbeteiligung der Belegschaft abgeschlossen. 40 Millionen stehen völlig ohne Krankenversicherung da. TeilzeitarbeiterInnenhaben nur ein Viertel Anspruch auf betriebliche Leistungen.

Bei Arbeitslosigkeit werden aus Staatsmitteln ein Drittel der letzten Bezüge bezahlt, die Laufzeit beträgt 26 Wochen. Die offizielle Angabe zur Arbeitslosenstatistik lautet 5,1%. Die Dunkelziffer ist jedoch ziemlich hoch. Von Jugendlichen bis 19 Jahren aus allen ethnischen Gruppen sind über 20% arbeitslos, AfroamerikanerInnen sogar zu 35%. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist um 70% gestiegen. 

Auswirkungen der Krise 

Die US-Wirtschaft befindet sich nicht erst seit der Finanzkrise in der Rezession; das noch vor kurzem errechnete Wachstum von 0,6 % ist bereits Makulatur, ebenso die Zahlen zur Verschuldung des öffentlichen Haushalts, die Ende Juli 2008 ein Rekordhoch von 482 Milliarden Dollar erreicht hatte. Angesichts dessen, dass der Rüstungshaushalt auf fast 1 Billion Dollar geklettert ist und schon jetzt über 700 Milliarden in die Sanierung der maroden Finanzkonzerne gesteckt worden sind, ist klar, welches Ausmaß an Belastungen auf die Arbeiterklasse zukommen wird.

Die Immobilienkrise hat bereits viele Existenzen ruiniert. Die Verteuerung von Krediten und die Abwertung des Dollar bei steigenden Lebenshaltungskosten werden die Verschuldung der Privathaushalte steigern und zu Millionen Insolvenzen führen. Immer mehr Menschen stürzen in die Armut. Die nächste Regierung wird die Ausgaben für soziale Sicherung weiter zusammensteichen; Gesundheitsvorsorge wird ein Luxusartikel sein, den sich nur noch die Reichen leisten können. Die Unternehmen werden zur Sicherung ihrer Profite die Löhne kürzen, die Wochenarbeitszeit ausdehnen und die Arbeitshetze steigern. Die Kluft zwischen den Klassen, aber auch den ethnischen Gruppen wird immer tiefer: die gesellschaftlichen Spannungen steigen. 

Die Arbeiterbewegung 

Die Arbeiterbewegung der USA steht an einem Scheideweg. Die gewerkschaftliche Organisierung ist seit Jahren rückläufig. 1980 waren noch 20 Millionen Mitglied in Gewerkschaften. Heute sind es - trotz gestiegener Arbeitsbevölkerung - nur noch 16 Millionen. Der Organisierungsgrad liegt nur noch bei 11%, den höchsten verzeichnen die FacharbeiterInnen im Bereich Installation/technische Wartung mit 28%, den geringsten das Finanzwesen mit 2%.

Die US-Gewerkschaften sind nach Berufsgruppen organisiert. Der Dachverband AFL-CIO hat sich 2006 gespalten. Er verfügt noch über 9 Millionen Mitglieder. Die Abspaltung CTW (Change to win) besteht aus der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, der Transportgewerkschaft Teamster sowie der Nahrungsmittel- und Handelsgewerkschaft UFCW mit zusammen viereinhalb Millionen Mitgliedern.

Diese Spaltung ist Ausdruck der Krise der proletarischen Führung, sie ist aber lediglich eine organisatorische Lösung, jedoch kein politisch-methodischer Bruch mit der alten bürokratisch-reformistischen Ideologie und Praxis. Als typisches Credo ist die Aussage des AFL-CIO Vorsitzenden Sweeney von 1996 zu werten: „Wir wollen die Produktivität steigern. Wir wollen dem amerikanischen Business helfen, in der Welt konkurrenzfähig zu sein und neuen Wohlstand anzuhäufen.“ Darin steckt unverbrämt die konservativ-reformistische Logik der Loyalität zum kapitalistischen System, verbunden mit einem Freibrief für jede imperialistische Schandtat, denn wenn es dem heimischen Kapital gut geht, wäre dies auch von Vorteil für die eigene Arbeiterklasse.

Aber die Wirklichkeit hat dieses Credo erschüttert. Der Reallohnverlust von 20% in dem bis dahin am stärksten organisierten Gewerkschaftsbereich Luftfahrt ist auch von hart gesottenen Funktionären nicht länger abzustreiten. Die Gewerkschaften hatten sich Jahrzehnte lang auf den relativ guten Lebensstandard und die Extraprofite aus der Ausbeutung halbkolonialer Länder verlassen und verstanden sich als Juniorpartner des Kapitals. Als Vertreter der Arbeiteraristokratie fokussierten sie sich auf Lohnzuwächse v. a. der Facharbeiterschaft und vermittelten ihren Mitgliedern den privaten Wohlfahrtsstaat als Ziel.

So standen sie völlig strategielos da, als Anfang der 1980er Jahre mit den Reagonomics, einer Politik der Kürzungen und Entrechtungen, ein neuer scharfer Wind des Klassenkampfes von oben wehte. Die Führung verriet einen Kampf nach dem anderen und stimmte dem Sozial- und Rechteabbau weitestgehend tatenlos zu.

Nicht untypisch ist, dass von 1980 bis 2000 in der Autoindustrie durch Ausdehnung in den Süden der USA mehr Jobs entstanden, gleichzeitig die zuständige UAW-Gewerkschaft aber tausende Mitglieder verlor. Die einzige Reaktion darauf bildeten organisatorische Maßnahmen wie die Fusionierung von Gewerkschaften ohne inneren Zusammenhang.

Das hat einige Führer von Einzelgewerkschaften v. a. bei Dienstleistern auf den Plan gerufen. Sie sahen, dass ihre eigene Stellung als Verhandlungspartner des Kapitals in Frage gestellt ist und sie ihre Machtposition innerhalb des Apparats stärken können, wenn sie sich organisatorisch vom Hauptverband trennen.

Zu diesem Zweck öffneten sie sich für frische, oft prekarisierte Schichten. Die SEIU machte einige erfolgreiche Kampagnen, z. B. bei Pförtnern. So wuchsen diese Gewerkschaften rasch in bislang gewerkschaftsfernen Arbeiterschichten. Doch all das erfolgte nicht, um neue kämpferische Impulse in das Gewerkschaftswesen hinein zu tragen.

Es werden nach innen keine wirklich demokratischen Strukturen zugelassen. Die Kämpfe, z.B. der UFCW in der Supermarktkette Wal Mart, blieben auf ökonomische Ziele begrenzt und die Hinwendung zu den prekarisierten Schichten dient v.a. zu deren Integration in den Kapitalismus. Ihnen wird ein organisatorisches Dach geboten, aber nicht eine wirkliche Entfaltung deren Mobilisierungspotenzials angestrebt.

Die Gewerkschaftsspitze von CTW ist ebenso unwillens wie unfähig, sich als Seilschaft von den bürgerlichen Parteien zu lösen und zu helfen, eine politische Klassenvertretung aufzubauen. Es gibt in den USA nicht einmal eine traditionelle Labor oder sozialdemokratische Partei! In die Kassen der Demokratischen Partei fließen insbesondere im Präsidentschaftswahlkampf aus der Gewerkschaftsschatulle Beträge von über 50 Mill. Dollar. 2004 wurden von der SEIU für Lobbyarbeit allein 800.000 Dollar an einen DP-Kandidaten gezahlt - für die Zusicherung, sich für das Recht auf gewerkschaftliche Verhandlungen mit den Arbeit“gebern“ im Gesundheitswesen einzusetzen.

Trotz alledem ist aber, besonders in den Reform caucuses (gewerkschaftsinterne Foren), eine bedeutsame Diskussion über die Zukunft der Gewerkschaften und der Arbeiterberwegung in Gang gekommen, die noch nicht abgeschlossen ist, nicht zuletzt ausgelöst durch den aggressiven Klassenkampf von oben, der nach den September-Ereignissen erst recht befeuert wird und die Herausforderung für die Gewerkschaften dramatisch vergrößert. 

Beschränkung demokratischer Rechte 

Seit der Reagan-Ära ist eine Beschneidung von Rechten in Wechselwirkung mit dem Niedergang der traditionellen Gewerkschaftsbewegung zu beobachten. Z. B. sieht das Arbeitsrecht keinen Kündigungsschutz für Betriebs- oder Personalräte mehr vor. Das Taft/Hartley-Gesetz von 1947 legte die Grundlage für alle folgenden Einschnitte gegen die Arbeiterbewegung. Es untersagt „unfaire“ Gewerkschaftspraktiken, z. B. Betriebsbesetzungen. Kundgebungen sind mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit verbunden, was als merkwürdiges Schauspiel des im Kreis Laufens institutionalisiert ist. In den Gewerkschaften ist es verboten, sich politisch zu betätigen. Der US-Präsident hat die Handhabe, Streiks für 80 Tage zu unterbinden, falls dies das nationale Interesse erfordert. Gewaltsamer Streikbruch ist erlaubt. Auch Flächentarifverträge sind mittlerweile beseitigt.

Vor kurzem wurde Gewerkschaftern sogar behördlich untersagt, Armenspeisungen durchzuführen, weil dies die Gefahr von Zusammenrottungen in sich berge. Das Programm „welfare to work“, vergleichbar dem hiesigen „Fördern und Fordern“, sieht Arbeitszwangsmaßnahmen vor. Aber auch jede Form von Selbstorganisation wird, sobald sie die staatliche Autorität und das Privateigentum an Produktionsmitteln in Frage stellt, unterbunden.

Beim Wirbelsturm in New Orleans 2005 schritt die Nationalgarde mit Waffengewalt gegen angebliche Plünderungen ein, als EinwohnererInnen versuchten, die Lebensmittelverteilung in eigener Regie zu organisieren. Der staatliche Rassismus drückt sich in Kontrollen gegen ImmigrantInnen und AfroamerikanerInnen im Lande und an der Grenze aus, um den Zugang von Arbeitskräften zu regulieren. Das Heimatschutzgesetz, das 2001 im Gefolge des Anschlags auf das World Trade Center erlassen wurde, kriminalisiert nicht nur islamische Gemeinden, sondern selbst bürgerliche Kritiker der US-Politik, z. B. FriedenaktivistInnen. 

Gegenwehr 

In den Abwehrkämpfen ragen neben lokal geführten gewerkschaftlichen Streikaktionen einige Ereignisse heraus. 1999 schien der erfolgreiche Protest von Seattle gegen den Welthandelsgipfel ein Fanal zu sein für einen Schulterschluss von Arbeiterbewegung und AntikapitalistInnen. Doch der September 2001 lenkte gerade in den USA die Stimmung der Bevölkerung mit dem „Kampf gegen den Terror“ in sozialimperialistische Bahnen und lähmte die Verbreitung des Klassenkampfgedankens. Zusätzlich schürte die Diskussion um den Standort USA, an der die Gewerkschaften kräftig mitwirkten, indem sie sich Forderungen nach Importzöllen, etwa in der Stahlbranche, anschlossen, den Chauvinismus.

Aber inzwischen gab es andere Ereignisse von politischer Tragweite, die unsere volle Aufmerksamkeit verdienen. 2006 gab es eine Demonstration von 200.000 gegen die Wohnungsnot. Dieses Problem ist nach dem Platzen der Immobilienblase noch akuter. Die erste bedeutende gewerkschaftliche Aktion gegen Krieg und Besatzungspolitik in den Westküstehäfen im Mai 2008 unter dem Motto „No peace no work“ trifft einen weiteren Nerv des US-Imperialismus. Mit ihren millionenfach besuchten gemeinsamen Maikundgebungen seit 2004 haben die ImmigrantInnen unter der Losung „A day without immigrants“ ihre Stimme erhoben und wehren sich über ethnische Grenzen hinweg gegen Rassismus, Unterdrückung und verstärkte Ausbeutung.

Auch in den Gewerkschaften folgen mittlerweile Taten. Eine Kampagne zur Wiederherstellung des vollen Streikrechts wird von linken GewerkschafterInnen geführt. Auch der am Ende verlorene Streik gegen Wal Mart hat mit den Aktionen der Lastwagenfahrer eine seit langem wieder Branchen übergreifende Arbeitersolidarität als nicht zu unterschätzendes politisches Ergebnis erzeugt. Noch bedeutender sind die Versuche zur Selbstorganisation abseits von bürokratischer Gängelung einzustufen. Landesweit sind von GewerkschaftsaktivistInnen in kurzer Frist etwa 137 „workers centers“ eingerichtet worden, in denen für die Mitgliedschaft in Gewerkschaften geworben wird, die aber auch beratend im alltäglichen Kampf ums Dasein für ArbeiterInnen und Arme tätig sind.

All diese Momente - vor dem Hintergrund der offensichtlichen tiefen Krise des US-Imperialismus - sind günstige Voraussetzungen, nach echten politischen Alternativen zu suchen. Dies wirft für viele auch subjektiv die Frage nach einer neuen Partei für die Arbeiterklasse auf, die objektiv schon längst überrreif ist.

Die Wahlen seien nicht mehr so wichtig, jetzt müsse das ganze Land zusammen stehen - das ist die Botschaft der herrschenden Klasse angesichts des Finanz-Erdbebens zur Einschwörung der heimischen Arbeiterklasse und der Armut auf klassenübergreifende „Solidarität“ zur Rettung des Kapitalismus, nachdem der „Kampf gegen den Terror“ an Zugkraft einbüßt.

Was können die Arbeiterklasse und die Armut von der Beruhigungspille einer staatlichen „Aufsicht“ über Teile des Finanzwesens erwarten, wenn diese Aufsicht auch wieder nur aus KapitalistInnen und deren Experten besteht? Nichts! Die Zeit der Wahl und der Krise ist ein Anlass dafür, dass die Arbeiterklasse und alle Unterdrückten ihre eigenen Anworten auf die Situation suchen. 

Revolutionäre Antworten 

Die Losung des Aufbaus einer eigenständigen Partei für die Arbeiterklasse ist untrennbar verknüpft mit der lebendigen Diskussion und Ausarbeitung eines Programms, das für den Kampf gegen das kapitalistische System mobilisieren muss. Dieses Programm muss u.a. beinhalten:

  • Aufbau einer kämpferischen Basisbewegung in den Gewerkschaften, die auch den Kampf gegen die bürokratische Führung aufnimmt;

  • Ausbau und Vernetzung der workers centers nicht nur zur Anwerbung und Stärkung der Gewerkschaften, sondern auch als organisatorische und politische Zentren zur Koordinierung und Mobilisierung von Kämpfen auf Betriebs- und Wohngebietsebene sowie als Plattform zum Aufbau einer Arbeiterpartei-Kampagne;

  • die Reform caucus-Gruppen müssen ihre Form ändern und zu offenen Foren werden, die eine tranparente, breit angelegte Diskussion nicht nur über Demokratisierung in den Gewerkschaften, sondern auch über geeignete Kampfformen gegen den Kapitalismus führen;

  • Internationalismus darf kein Lippenbekenntnis sein, sondern muss sich in Kontaktaufnahme, ständigem Erfahrungsaustausch und Aktionsausschüssen von AktivistInnen in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen überall auf der Welt niederschlagen. Die Krise des Kapitalismus und ihre Auswirkungen ist ein globales Problem.

  • Für eine „Armutskampagne“, die landesweit ImmigrantInnen, insbesondere Afro-AmerikanerInnen und Hispano/Latinos, arbeitslose Jugendlichen u.a. prekarisierierte Schichten in der Aktion koordiniert! Diese muss flankiert sein von Aktionen der Gewerkschaften gegen staatliche u.a. reaktionäre Übergriffe und zur Erkämpfung von demokratischen und gesellschaftlichen Rechten.

  • Aufbau von bewaffneten Arbeiterselbstverteidigungsorganen.

Folgende Aktionsforderungen zu Existenzfragen sollte das Programm u.a. haben:

  • Sofortige Rückziehung der 700-Milliarden-Finanzspritze für marode Finanzeinrichtungen als Steuerpaket zu Lasten der Arbeiterklasse! Volle Übernahme der Verluste durch Spekulationsgewinner und Reiche!

  • Sofortige und entschädigungslose Enteignung aller Banken und Versicherungen! Herstellung wirklicher Transparenz durch öffenliche Einsichtnahme in sämtliche Geschäftsvorgänge in allen Finanz- und Wirtschaftsunternehmen! Aufsicht durch auf Vollversammlungen demokratisch gewählte und jederzeit rechenschaftspflichtige Abordnungen aus workers centers und Belegschaften im Finanzgewerbe und im staatlichen Steuerwesen!

  • Keine Entlassungen! Entlassende oder bankrotte Unternehmen werden enteignet bzw. deren Konkursmasse beschlagnahmt und unter Arbeiterkontrolle gestellt.

  • Einführung eines bindenden Kollektivtarifsystems in der Fläche für Arbeitsverhältnisse!

  • Gesetzliche Festschreibung von Mindestlöhnen und Mindesteinkommen mit eingebauter Angleichungsklausel an die Inflationsrate, ohne Diskriminierung von Jugendlichen, Frauen oder ethnischen Bevölkerungsgruppen! Für deren Festlegung durch Verbraucherausschüsse auf Gewerkschafts-, Betriebs- und Wohngebietsebene!

  • 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

  • Förderung von Beschäftigungsprogrammen für gesellschaftlich sinnvolle Arbeiten! Keine Kopplung von „Leistungsbezug“ an Zwangsarbeit!

  • Unbefristete Lohnfortzahlung bei Krankheit, Zahlung von Urlaubsgeld und Urlaubsanspruch von 4 Wochen im Jahr!

  • Freie Gesundheitsversorgung und Alterssicherung für alle!

  • Finanzierung dieses Programms durch progressive Besteuerung der Kapitalisten und Reichen!

  • Daneben gehören auch demokratische Forderungen ins Programm, darunter solche gegen die Einschränkungen des Organisations- und Streikrechts, für volle Bürgerrechte für ImmigrantiInnen sowie gegen die undemokratischen und rassistischen Anti-Terror-Gesetze.

  • Das politische Sytem der USA spottet selbst bürgerlich-demokratischen Maßstäben Hohn. Neben der Machtfülle des Präsidenten sticht besonders die undemokratische Wahlprozedur ins Auge. Die ritualisierte Personalisierung und damit Entpolitisierung der Wahl, die lange Vorlaufzeit der Kandidatenkür, der Millionen Dollar verschlingende Wahlkampf, die umständliche Eintragung der WählerInnen in Wahllisten, das System der Mittelsmänner als ausführende, aber nicht rechenschaftspflichtige Institution - all das verhindert auch die freie Kandidatur von ArbeiterkandatInnen bzw. zementiert die Herrschaft der beiden kapitalistischen Parteien.

Die Kritik lässt sich in folgenden Losungen bündeln:

  • Direktes allgemeines freies und gleiches Wahlrecht und kürzere Wahlkampagnen!

  • Kein Geld von Arbeiterorganisationen zur Unterstützung bürgerlicher Parteien und PolitikerInnen! Mitgliedsbeiträge und Spenden der Gewerkschaften gehören in Arbeiterhand zum Aufbau einer Klassenpartei und zur Unterstützung von Arbeiterkämpfen und solchen der sozialen Bewegungen!

Eine neue Arbeiterpartei darf keine elektoralistische „third party“ in Konkurrenz zu den beiden kapitalistischen Großparteien werden. Sie muss von Beginn an eine Organisation sein, die ihr Programm des Klassenkampfes den Arbeitermassen, der Jugend und den prekarisierten Schichten vorschlägt, sie organisiert, mobilisiert und anleitet, damit sie den Hauptfeind der Menschheit, das kapitalistische System, stürzt und eine menschenwürdige, sozialistische Gesellschaft erkämpft. 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 388
21. Oktober 2008

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