Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Profitiert Nicolas Sarkozy von der aktuellen Krise?
Und vollzieht er einen Abschied vom Wirtschaftsliberalismus – oder doch nicht?

10/08

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Die finanz- und Wirtschaftskrise kommt in Frankreich derzeit nicht der sozialdemokratischen und linksreformistischen Parlamentsopposition zugute, sondern das konservative Regierungslager schlägt sich scheinbar besser. Ein Teil der französischen Gesellschaft – minoritär zwar, aber es ist im Augenblick kein starker oder ebenbürtiger Gegenpol vorhanden – scheint sich unter die Fittiche das „starken Mannes“ zu flüchten. Unterdessen reagiert der rechte Flügel der französischen (institutionalisierten) Gewerkschaftslandschaft positiv auf den regierungsamtlichen Aufruf zur „nationalen Einheit“. Und in Deutschland begrüben Oskar Lafontaine und Jürgen Elsässer den nunmehrigen Kapitalismuskritiker (?) Nicolas Sarkozy schon mal als vermeintlichen wirtschaftspolitischen Konvertiten in ihren Reihen...

„Die Krise stärkt die Exekutive“ schlagzeilte das Journal du dimanche (JDD), eine französische Sonntagszeitung, Ende vergangener Woche. Man hätte auch andere Entwicklungen erwarten können, angesichts der tiefen Finanz-, Wirtschafts- und auch Kaufkraftkrise, die Frankreich nicht erst seit gestern erfasst hat. Beispielsweise hätte sich mit wachsenden sozialen Protesten rechnen lassen. Aber so kam es bislang nicht: Die Mehrheit der Französinnen und Franzosen reagiert zumindest im Augenblick eher resigniert bis apathisch auf ihre soziale Situation, etwa auf das schwindende Realeinkommen der Haushalte und den begonnenen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Und ein Teil von ihnen flüchtet sich allem Anschein nach unter die Fittiche des „starken Mannes“ Nicolas Sarkozy, dessen Krisen-, Rettungs- und Katastropheneindämmungspläne zumindest momentan in den Augen so mancher Franzosen eher gut ankommen.  

Dies behauptet jedenfalls die oben zitierte Sonntagszeitung, die soeben eine Umfrage veröffentlichte, der zufolge zur Zeit 43 Prozent der Befragten Sarkozys Kurs in der Krise unterstützen, was einem Zuwachs seiner Umfragewerte um plus sechs Prozent innerhalb eines Monats entspreche. Das JDD titelt deswegen auch: „Starke Hausse für Sarkozys Werte“, als ginge es um einen Aktienkurs. Seiner Einschätzung widerspricht allerdings tendenziell die „arbeitgebernahe“ Wirtschaftszeitung Les Echos, die am Tag darauf schrieb, „trotz Krise“ blieben die Umfragewerte für Sarkozy insgesamt niedrig, und sie lägen für einen amtierenden Präsidenten der Fünften Republik außerordentlich tief. (Allerdings befindet sich Sarkozys Premierminister François Fillon derzeit bei 53 % positiver Sympathiewerte, was einem relativ konstanten Wert für ihn in den letzten Monaten entspricht. Fillon, der lange Zeit im Schatten seines übermächtigen Vorgesetzten und Präsidenten stand, hat von dieser Rolle auf Dauer eher profitieren können.) 

Tatsächlich hatte die Kurve der Sympathiewerte für Sarkozy seit Herbst letzten Jahres, wenige Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten - bei der er wohl zu viel versprochen hatte -, zunächst steil nach unten gezeigt und war dann in der Tiefebene verblieben. Im Sommer dieses Jahres erholten sie sich erstmals leicht, da Sarkozys schnell beschlossene Reise nach Afghanistan, nachdem dort zehn französische Soldaten getötet worden waren, ihm wieder eine „internationale Statur als Staatsmann“ verschaffte. Und die Franzosen so vergessen ließ, dass sie ihn kurz zuvor noch in großer Mehrheit für einen rücksichtslosen Profiteur hielten, der, nachdem die Wahl einmal gewonnen war, mit seinem Fimmel für Rolex-Uhren und seinem Privatvermögen prahlte.  

Rezession(sdrohung) & Rettungspaket für Banken 

Unterdessen ist es seit Anfang Oktober dieses Jahres nun regierungsamtlich, dass das Land in diesem Trimester in die Rezession eintritt, also im zweiten Vierteljahr hintereinander eine negative Wirtschaftswachstumsrate zu erwarten hat. Auch wenn Haushaltsminister Eric Woerth vom rechtskonservativen Flügel der Regierungspartei UMP bisher nur eine „technische Rezession“ erblicken mag, ohne allerdings erklären zu können, was dann eine nicht-technische Rezession in seinen Augen wäre. Unterdessen enthüllte das Umfrageinstitut TNS-Sofres am Dienstag Nachmittag, dass in den Augen der „einfachen“ Franzosen ihre „Leidensphase“ vor gut einem Jahr begonnen habe, da damals die Mietpreise - die in Paris auf einem irrwitzigen Niveau bleiben - ihren Höchststand erreichten und zugleich die Treibstoff- und Transportpreise zu klettern begannen.  

Wie andere Regierungen der wichtigsten EU-Länder auch, legte auch Frankreich unter Sarkozy jüngst einen „Rettungsplan“ für die von der Finanzkrise „bedrohten“ Banken auf. Dieser umfasst 360 Milliarden Euro, davon 40 Milliarden staatlicher Zuschüsse zur Aufstockung ihres Eigenkapitals und Staatsbürgschaften in Höhe von 320 Milliarden für Kreditgeschäfte zwischen den Bankinstituten. Die Ankündigung kam zur denkbar schlechten Zeit, denn am selben Tag, an dem das Kabinett von Sarkozys Premierminister François Fillon den Notfallplan für die angeschlagene Finanzwirtschaft verkündete, vernahmen Untersuchungsrichter in Paris neun Stunden lang den früheren Trader der Société Générale - der drittgrößten französischen Geschäftsbank -, Jérôme Kerviel. Er wird beschuldigt, im Januar durch Spekulationsgeschäfte fünf Milliarden Euro verjuxt zu haben. Und dies mit Wissen der Bankführung, die dies lange Zeit zu vertuschen suchte - hätte Kerviel Erfolg gehabt, hätte seine Bank die Gewinne freilich ohne Skrupel eingestrichen, während man nun versuchte, ihn als „eigenmächtig handelnden Zocker“ darzustellen. Am vergangenen Wochenende wurde zudem bekannt, dass auch bei dem französischen Sparkasseninstitut Caisse d’épargne 600 Millionen Euro durch Spekulation  innerhalb von wenigen Stunden in die Luft verpulvert worden sind. Drei Führungsmitglieder der Caisse d’épargne traten deswegen am Montag zurück, was durch die französische Politik offiziell rasch „begrüßt“ wurde. 

Eigentlich war ihr Ruf beim Publikum also ruiniert. Ihm kam es so vor, als gebe man - durch die staatlichen Zuschüsse für die „Not leidenden Banken“ - den Zockern, die sich soeben ruiniert hatten, auf Kosten des Steuerzahlers das Geld, das ihnen erlaubt, im Casino weiterzuspielen. Und dennoch verbreitete sich die Angst, dass eine Pleite der Banken - aufgrund ausbleibender Kredite für die Produktion -- zu schnell um sich greifenden Folgen für die „Realökonomie“ führen könnte. Sarkozys Maßnahmen wurden deshalb von Vielen als „kleineres Übel“ empfunden. Dabei sieht sein Plan, ähnlich wie jener der britischen oder US-amerikanischen Regierung, keinerlei zusätzliche politische Kontrolle über das künftige Gebaren der Finanzinstitute vor: Das Eingreifen des Staates soll nicht etwa dazu führen, dass das Kreditwesen verstaatlicht und beispielsweise nach ökonomischen und sozialen Bedürfnissen gesteuert wird - es soll ausschließlich dazu dienen, die angeschlagenen Banken wieder flott zu machen.  

Ähnlich ist übrigens auch sein Eintreten für eine Teilverstaatlichung von durch die Finanzkrise gebeutelten Unternehmen motiviert: Am Dienstag verkündete Sarkozy vor dem Europäischen Parlament, in „Schlüsselindustrien“ solle der Staat in das Kapital solcher Firmen eintreten können. Dabei geht es allerdings nicht um gesellschaftliche Kontrolle und erst recht nicht darum, die Profitmaximierung künftig beispielsweise sozialen oder ökologischen Zielen unterzuordnen. Vielmehr erklärte Nicolas Sarkozy ausdrücklich, in seinen Augen drehe es sich darum, zu verhindern, dass sich stattdessen „Drittländer“ von außerhalb der EU in solche Firmen einkauften. (Vgl. http://www.taz.de/

Staatseinstieg zur Rettung des nationalen Kapitals ist nicht gleichbedeutend mit sozialer/demokratischer/ökologischer Kontrolle

Diese, gemessen an bestimmten neoliberalen Praktiken der vergangenen Jahre, relativ (staats)interventionistisch wirkende Politik hat auch manche Protagonisten der Linken zu dem – interessierten?- Missverständnis geführt, Sarkozy sei nunmehr fast einer der Ihren. So liest es sich beispielsweise aus der Feder von Jürgen Elsässer im ‚Neuen Deutschland’ (vgl. im Originalton: „Sarkozy zeigt wo’s lang geht“, siehe unter http://www.neues-deutschland.de/artikel/137612.sarkozy-zeigt-wo-s-lang-geht.html). Und so ähnlich hört es sich auch bei Oskar Lafontaine an, lauscht man seinen jüngsten Tönen (vgl. http://www.taz.de/1//).

Dabei geht es bei Nicolas Sarkozys Kurs im Kern keinesfalls um „soziale und demokratische Kontrolle“ über wirtschaftliche Vorgänge, die für Linke -- unterhalb der Revolutionsschwelle -- allemal eine Minimalstforderung darstellen müsste. (Auch wenn der jetzt von ihm verkündete 400 Millionen-Zuschuss für die Entwicklung des Elektroautos, das, wie Elsässer darstellt, abgasfrei oder –arm sein soll, vielleicht im Sinne ökologischer Ziele zu begrüben sein könnte. „Vielleicht“, denn so „sauber“ wie dargestellt ist das Elektroauto – trotz Abgasarmut - nicht notgedrungen: Es kommt völlig darauf an, woher der Strom kommt, mit dem es aufgeladen wird! Und wenn es sich dabei künftig beispielsweise um massenhaft dafür benutzten und deswegen zusätzlich erzeugten Atomstrom handelt, dann gute Nacht...)  

Sondern es geht im darum, in Zeiten krisenhaften Stockens der „Wirtschaftsmaschinerie“ dennoch dem Kapital, auf dem Boden des „nationalen Wettbewerbsstaats“ (um mit Joachim Hirschs Begriff zu operieren), weiterhin optimale oder jedenfalls stabile Verwertungsbedingungen zu garantieren. Dies wiederum ist gar nicht so neu bei ihm: Bereits im Jahr 2004, als es darum ging, den Schwerindustriekonzern Alstom unter nationaler Kontrolle zu behalten, befürwortete der damalige Wirtschafts- und Finanzminister Sarkozy einen (zeitlich begrenzten) massiven Staatseinstieg bei Alstom. (Vgl. http://www.labournet.de/branchen/medien-it/siemens/bernard.html) Präsident Sarkozy ist also nicht seit der jüngsten Zuspitzung der Finanzkrise und quasi über Nacht „zum richtigen Keynesianer mutiert“, wie Jürgen Elässer in diesen Tagen schreibt (s.o. zitierte Quelle).  

Die Tageszeitung ‚Direct Matin’ zitiert am heutigen Mittwoch Vormittag ein (ungenanntes) Mitglied von Nicolas Sarkozys engerer Umgebung. Ihm zufolge hat der Staat „in Perioden von Kriegen, gröberen terroristischen Anschlägen oder bei Wirtschaftskrisen“ Eingriffe vorzunehmen, um eine Gefährung des (halbwegs reibungslosen) Funktionierens dieses Wirtschaftssytems zu verhindern oder zu überwinden. Der an diesem Ort zitierte Sarkozy-Berater gibt an, kurz nach dem 11. September 2001 habe etwa keine Versicherungsgesellschaft mehr Fluggesellschaften versichern wollen, und daraufhin habe eben der Staat einspringen müssen, um krisenhafte Aussetzer der Wirtschaftskonjunktur zu verhindern.  

Allerdings will Sarkozy daneben schon auch bestimmte (begrenzte) Staatseingriffe vornehmen. So möchte er die Banken, denen jetzt ganz massiv durch die Ausschüttung von Milliarden Euro unter die Arme gegriffen wird, dazu verpflichten, in Zukunft in leicht verstärktem Ausmab (4 % statt 3 % ihres Auftragsvolumens laut ‚Direct Matin’) Kleinfirmen und mittelständischen Betrieben sowie Privathaushalten Kredite zu erteilen. Vor allem aber möchte Sarkozy bestimmten, potenziell  für die Banken oder Firmen selbst bedrohlichen Praktiken des eigenen Managements einen Riegel vorschieben, insbesondere den so genannten „Golden parachuts“ oder Goldenen Fallschirme (französisch: parachutes dorés), also den äußerst großzügigen Abfindungs- und Rentenregelungen für ausscheidende Direktoren und Manager, die sichtbar versagt haben. Daran, diesen „Lohn für Looser, die ihr Unternehmen gegen die Wand gefahren haben“ nun mindestens strengeren Regeln zu unterwerfen, wenn nicht gar diese Praxis zu unterbinden, hat nunmehr allerdings plötzlich auch der französische Kapitalverband MEDEF ein dringliches Interesse. Inzwischen macht sich der Arbeitgeberverband MEDEF selbst dafür stark, durch interne Bestimmungen solche „Golden parachuts“ zu verbieten. Allein schon, um der drohenden Debatte über ein Gesetz, das diesen Gegenstand regeln könnte, schnell ein Ende zu bereiten. 

Abkehr vom Neoliberalismus – oder doch nicht? 

In seiner Aufsehen erregenden Rede von Toulon, die er am 25. September - während die Finanzkrise auf ihren bisherigen Höhepunkt zusteuerte - hielt, kündigte Nicolas Sarkozy lautstark an, „die Ära des wirtschaftlichen Laissez-faire“ sei nun vorüber. Das klang wie eine Absage an den Neoliberalismus. Auch wenn Sarkozy in derselben Rede in Toulon gleichzeitig beinhart darauf beharrte, die wirtschafts- und sozialpolitischen „Reformen“ müssten unbedingt vorangetrieben werden und würden weiterhin benötigt, um Frankreich vorwärts zu bringen. Vgl. dazu

http://actu.orange.fr/Article/mmd--francais--journal_internet--une/Sarkozy-veut-proteger-les-Francais-de-la-crise-et-continuer-les-reformes.html. (Im selben Atemzug verkündete Sarkozy in Toulon die Streichung von über 30.000 Stellen in den öffentlichen Diensten für das kommende Jahr. Allerdings scheint nach allerneusten Berichten nun doch der neoliberale „Reform“eifer auch im Sarkozy-Lager ein bisschen gedämpft worden zu sein. So verkündete die dem persönlichen Milliardärsfreund Nicolas Sarkozys, Vincent Bolloré, teilweise gehörende Gratiszeitung ‚Direct Matin’ an diesem Mittwoch Vormittag – 22. Oktober -, die wirtschaftspolitische Agenda der Regierung werde unter dem Eindruck der Krise umgekrempelt. Und das Blatt titelt: „Die Reformen im Schraubstock der Krise“. So sei die programmierte Privatisierung der Postbank nun auf unbestimmte Zeit hin verschoben worden, die pro-neoliberale Zeitung spricht sogar vom „Sankt Nimmerleinstag“. Unterdessen würden andere Bestandteile des „Reformkurses“ beibehalten, so die für 2009 geplante Ausdehnung der legalen Sonntagsarbeit.) 

Der ultra-wirtschaftsliberale Journalist bei Le Monde, Arnaud Leparmentier, warf Nicolas Sarkozy deswegen in der Dienstagsausgabe sogar „antikapitalistische Schmäh-/Hetz-reden“ (diatribes anticapitalistes) vor - die in den USA nicht gut ankämen, wie er dem französischen Präsidenten vorhielt. Allerdings hatte Sarkozy in Wirklichkeit auch behauptet, dass Jene, die die jetzige Krise durch ihr Finanzjonglieren verschuldet hätten, „alle Werte des Kapitalismus verraten“ hätten - als gehe es in diesem Wirtschaftssystem um andere „Werte“ als jene, die an der Börse gehandelt werden. Le Monde antwortete darauf übrigens vor circa 14 Tagen in der Einleitung zu einem doppelseitigen Dossier über Wirtschaftskrisen der Vergangenheit und Gegenwart, Sarkozy hege Illusionen, falls er glaube, dass es einen Kapitalismus ohne (zyklisch auftretende) Krisen geben könne. 

Die Schwäche der Schnarch„opposition“, ist die Stärke des Sarkozy-Lagers 

Die UMP hat nun seit einer Woche das Schlagwort ausgegeben, dass es um eine „Neugründung des Kapitalismus“ (refondation du capitalisme) gehen müsse, wofür Sarkozys Regierungspartei eifrig Kampagne zu machen anfing. Dass es sich bei dieser - angeblich auf hehren Idealen, ohne Abzockermentalität und bisher gängige „Verfehlungen“, aufbauenden - „Neubegründung“ des Wirtschaftssystems um eine reale Alternative zum Bestehenden gehe, wirkt zwar nicht wirklich glaubwürdig. Dennoch beherrscht Sarkozy mit diesem Vorstoß im Augenblick die innerfranzösische Debatte um die Krise und ihre Folgen. Dies liegt freilich vor allem auch daran, dass man sich bei der größten Oppositionspartei, der französischen Sozialdemokratie, geradezu - pardon - in die Hose zu machen scheint, wenn es gilt, das böse Wort „Kapitalismus“ auch nur in den Mund zu nehmen. „Wenn hier jemand aus der Marktwirtschaft austreten möchte, dann soll er uns“ - bitte schön, gefälligst - „sagen, wohin er stattdessen gehen möchte“, tönte der sozialistische Ex-Minister Michel Sapin (immerhin Wirtschaftssprecher der Partei) kürzlich, an seine ParteifreundInnen gerichtet. (Vgl. http://afp.google.com ) 

Die „sozialistische“ Bettscheiberopposition hält nun in Kürze, Mitte November 2008, einen Parteitag in Reims ab, der über die künftige Besetzung des Vorsitzendenpostens entscheiden soll. Alle programmatischen Beiträge zu dem, durch die Presse mit Spannung erwarteten, Ereignis wurden aber vor der jüngsten Zuspitzung der Krise verfasst. Mit der Begründung, dass aus dieser Ursache heraus „alle Vorlagen (für einen Programmbeschluss) neben der Spur“ seien, forderte jüngst der sozialdemokratische Nachwuchspolitiker Malek Boutih eine Verschiebung des Kongresses. Er kam damit jedoch nicht durch. Eine der aussichtsreichsten Anwärterinnen auf den Parteivorsitz, Ex-Arbeitsministerin Martine Aubry, entgegnete ihm zum Beispiel: „Gerade jetzt benötigen uns die Französinnen und Franzosen so dringend wie noch nie.“ Pech nur, dass die Angesprochenen davon nicht geschlossen überzeugt zu sein scheinen, oder nicht über ihr so dringliches Bedürfnis auf dem Laufenden sind. 

Gewerkschaftliche Opposition in Krisenzeiten: Im Moment eher schlapp... 
Auch in der gewerkschaftlichen Landschaft sieht es teilweise eher mau aus in Sachen „Opposition“. So warnt zwar die CGT tagein tagaus davor, dass letztlich die abhängig Beschäftigten die Zeche zu zahlen haben könnten. Allerdings hat sie auch keine bahnbrechende Gegenstrategie anzubieten. Hingegen setzt die rechtssozialdemokratisch geführte CFDT, der zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, gleich darauf, auf den Aufruf von Premierminister François Fillon zur „nationalen Einheit“ im Schatten der Krise positiv zu antworten: Siehe http://www.labournet.de/. (Vgl. auch über den Aufruf des Premiers Fillon zur „nationalen Einheit“ und den Erwägungen zu einer von breiteren bürgerlichen Kräften getragenen „Krisenregierung“: http://abonnes.lemonde.fr
 ) 

Zwar gibt es auch oppositionellen Stimmen, etwa seitens der linksalternativen SUD-Basisgewerkschaften, die in der Union syndicale Soldaires zusammengeschlossen sind und in einem Vier-Seiten-Papier Gedanken über mögliche Alternativen anstellen (dazu demnächst Ausführliches). Auch der letztjährige Präsidentschaftskandidat der radikalen Linken, der junge SUD-Gewerkschafter Olivier Besancenot, konnte sich Anfang Oktober in einem längeren Interview mit der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ dafür aussprechen, die Krise als Chance zu nutzen, um über Alternativen jenseits des kapitalistischen Horizonts nachzudenken. (Auch dazu demnächst Ausführlicheres.) Aber bislang konnte diese Kräfte nicht hinreichend als Kristallisationskerne für einen breiteren, kollektiven sozialen Widerstand funktionieren. (Vgl. zur Lage an der „sozialen Widerstandsfront“ näher auch http://www.labournet.de)

Unter dem Schutzmantel des starken „nationalen Staates“ bei der Abwehr gegen „das Elend der Welt“ 

Auch auf einem anderen Feld punktet Nicolas Sarkozy zumindest in Teilen der öffentlichen Meinung, dieses Mal vor allem auf ihrem autoritär und rassistisch gestimmten Flügel. Beim Thema Einwanderungspolitik preschte die französische EU-Ratspräsidentschaft durch mehrere Initiativen vor, die nun am vergangenen Donnerstag bei einem EU-Gipfel in Brüssel durch die Annahme eines „Europäischen Pakts zu Einwanderung und Asyl“ gekrönt wurden. Ihn hatte Sarkozys amtierender Minister „für Zuwanderung und nationale Identität“, Brice Hortefeux, vorgeschlagen.  

Darin geht es unter anderem darin, dass künftig nur noch „selektive Legalisierungen“ so genannter „illegaler Einwanderer“ möglich sein sollen, bei denen es darum gehen wird, die gefragtesten Arbeitskräfte - etwa jene, die seltene oder besonders nachgefragte Qualifikationen mitbringen - aus ihrem „illegalen“ und damit weitgehend rechtlosen Status herauszuholen. In den letzten Jahren hatten unter anderem Italien und Spanien relativ massive „Legalisierungsoperationen“ durchgeführt, bei denen etwa im spanischen Falle vor drei Jahren bis zu 700.000 „papierlos“ im Lande lebende Menschen Aufenthaltstitel erhielten. Dies ermöglichte es dem spanischen Staat, massenhaft „Schwarzarbeit“ in legale, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln und dadurch die bis dahin in prekärer Situation befindlichen Sozialversicherungskassen aufzufüllen. Im offiziellen Madrid war man also über die Ergebnisse gar nicht so unglücklich, während man in Paris und auch Berlin aufschrie: Dort fürchtete man, künftig mit zusätzlichen „unerwünschten“ Einwanderern, die über Spanien oder Italien einreisten, zu tun zu haben.  

Die französische Regierung setzte sich dafür ein, dass nur noch „selektive“, also betont eng am ökonomischen Interesse des Arbeitgeberlagers angelehnte, Einzelfall-„Legalisierungen“ erlaubt sein sollen. Damit konnte sie sich nun auf EU-Ebene im Prinzip auch durchsetzen, auch wenn der Kompromiss zu dieser Frage im neuen „Pakt“ schwammig formuliert bleibt. Zumal Spanien, auf dessen Staatsgebiet sich die wirtschaftliche Konjunktur in den letzten Monaten rapide abgekühlt hat, seinen bisherigen, scheinbar „ausländerfreundlichen“ Widerstand gegen das französische und deutsche Ansinnen großenteils aufgegeben hat.  

Der neue, durch Brice Hortefeux und - hinter ihm stehend - Nicolas Sarkozy angeregte, „Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl“ sieht gleichzeitig eine Verschärfung bei der Ausschaffung „unerwünschter“ Migranten vor. So werden gemeinsame Ausschaffungsflüge mehrerer europäischer Länder ins Auge gefasst. Im Hintergrund der absehbaren Verschärfungen steht auch die am 18. Juni dieses Jahres durch das Europaparlament verabschiedete „Rückkehr-Richtlinie“, die es den Mitgliedsländern erlaubt, untereinander die  zulässige Höchstdauer der Abschiebehaft anzugleichen. Sie betrug bislang in Frankreich maximal 32 Tage, in Deutschland (und Litauen) hingegen bis zu 18 Monate. Zwar besteht auch nach Verabschiedung der neuen Richtlinie, die zur „Harmonisierung“ der Praktiken innerhalb der EU beitragen soll, kein Zwang für die Staaten, ihre Gesetze im Sinne einer Verlängerung der Abschiebehaft zu ändern. Allerdings sind einige Regierung von selbst in hohem Maße dazu motiviert: In Italien etwa wurde, nach Antritt der Berlusconi-Regierung im April, die zulässige Dauer der Abschiebehaft in einem Schlag von einem Monat auf 18 Monate ausgedehnt. 

Durch sein Eintreten für ein gemeinsames europäischen Handeln, das eine höchst selektive Auswahl der erwünschten und benötigten migrantischen Arbeitskräfte mit einer rigiden Ausweisungs- und Ausschaffungspraxis gegen die „Unerwünschten“ oder „Überflüssigen“ verbinden möchte, macht Sarkozy sich beim autoritärsten Teil seiner Wählerschaft beliebt. Auch damit tritt er als Beschützer des „nationalen Interesses“ in Erscheinung, der - in den Augen dieser Anhänger und Wähler - in Zeiten stürmischer Krisenwellen und bedrohlich wirkender „Globalisierung“ des Kapitals den schützenden Schirm über seine Landsleute zu Hause hält. Auch auf die Gefahr hin, dass der „Schutzschirm“ in Wirklichkeit nur Schwächere abwehrt, etwa die Hungerleider, die da als „papierlose“ Einwanderer kommen, ohne die Wucht der kapitalistischen Krise auffangen zu können. 

Vorläufiges Fazit 

Im Augenblick kann Sarkozy aufgrund seines Kurses auf zwei Seiten jenseits des „harten Kerns“ seines eigenen politischen Lagers – also der zugleich wirtschaftsliberalen und auf eine autoritäre „Sicherheitspolitik“ setzenden Rechten – Punkten. Einerseits kann er dank seiner Sprüche über eine notwendige „Neubegründung des Kapitalismus“, bei gleichzeitiger Beendigung der Abzockermentalität, in die rechte Mitte und bis in die „linke Mitte“ hinein punkten. Also in politischen Milieus, die vage auf einen „sozialen Ausgleich“ bedacht und entfernt (post-) sozialdemokratisch angehaucht sind.  

Auf der anderen Seite kann Sarkozy aber auch Zustimmung bis weit nach rechts hin finden, also bei eher autoritär ausgerichteten Wählern. Und zwar, indem er ohne Infragestellung des kapitalistischen Rahmens gleichzeitig doch die Rückkehr eines mit starkem Arm agierenden Staates in Aussicht stellt. Und indem er keineswegs das Wirtschaftssystem, wohl aber individuell „gefehlt“ habende Abzocker und ihre „moralischen Verfehlungen“ verbal anprangert. Nimmt man das gleichzeitige „Schutz“versprechen durch die Bemühungen um nationale respektive (eher) europäische Abschottung gegen „Unerwünschte“ und „Überflüssige“ hinzu, kann man seinen Erfolg beim autoritär-rassistischen Teil des Publikums nachvollziehen. Dennoch wird die extreme Rechte dies nicht auf sich beruhen lassen, sondern versuchen, den diffus vorhandenen sozialen Unmut (der sich im Augenblick noch kaum an kollektivem, solidarischem Widerstand kristallisieren kann) mit Hilfe und im Sinne der von ihr kultivierten Ressentiments zuzuspitzen.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.