Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Gegengipfel zur EU-Migrationspolitik in Paris und Montreuil am 17./18. Oktober: Wichtige Signale gegen die „Festung Europa“

10/08

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Ibrahima hat das Abschiebezentrum von Mesnil-Amelot, in der Nähe des Flughafens von Paris-Roissy (Charles de Gaulle), die mit Abstand größte Abschiebehaftanstalt im Raum Paris, von innen gesehen. Er erzählt: „Man kann sich das Leben dort nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst von innen erlebt hat. Denn jenseits der technischen Dimensionen und der Tatsache, dass man zwecks Durchführung der Abschiebung - und ohne dass man irgendein Verbrechen begangen hätte - gefangen gehalten wird, gibt es einen starken psychologischen Faktor. Le Mesnil-Amelot hat etwas Einmaliges: Da es direkt in der Einflugschneise des Großflughafens liegt, sieht und hört man den ganzen Tag Flugzeuge abheben. Das hat eine ungeheuer zerstörende, zermürbende Auswirkung auf die Stimmung: Die individuelle Moral wird untergraben, man fühlt sich ganz so, als sei man bereits abgeschoben und sitze schon in seinem Herkunftsland. Es ist ganz so, als man ob man ein Krankenhaus direkt neben einem Friedhof errichten würde!“

Obwohl zwei Drittel der in der Abschiebehaftanstalt sitzenden Menschen nicht real ausgeflogen werden, sondern nach Ablauf der zulässigen Höchstdauer des Abschiebegewahrsams freigelassen werden müssen. Diese Höchstdauer beträgt derzeit in Frankreich 32 Tage, in Deutschland sind es bis zu 18 Monate. Zudem wird in vielen deutschen Bundesländern der Abschiebegewahrsam zwingend in einem „richtigen“ Gefängnis verbracht, während in Frankreich die ‚Centres de rétention administrative’ („Zentrum der Verwaltung zum Zurückhalten“ bestimmter Personen) von Haftanstalten juristisch unterschieden werden. Daraus resultieren auch gewisse Unterschiede im Umgang mit den „Zurückzuhaltenden“: Abschiebehäftlinge in Frankreich dürfen bspw. in der Anstalt Besuch empfangen und ihre Telefone behalten. Außer, wenn man damit fotographieren kann, denn Bilder aus dem Inneren dürfen, so der Staat, denn doch nicht nach draußen dringen.

Dramatische Verschlechterungen und Zuspitzungen kündigen sich unterdessen an: Eine EU-Richtlinie, die  (nach ihrer Ausarbeitung durch die Brüsseler Kommission, und nach einigen Modifikationen an Detailpunkten) am 18. Juni 2008 vom Europäischen Parlament  verabschiedet worden ist, erlaubt es den Mitgliedsstaaten, „Abschiebekandidaten“ bis zu 18 Monate zwangsweise festzuhalten - im Sinne der bislang in Deutschland zulässigen Höchstdauer. Und in Frankreich ist zwar die Abschiebehaftanstalt von Vincennes, bei Paris, am 22. Juni dieses Jahres infolge einer Revolte der Insassen bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Aber neue Anstalten sind derzeit im Bau, so soll der Abschiebeknast von Le Mesnil-Amelot um 17.000 Quadratmeter vergrößert werden. Frankreichweit existierten im Jahr 2003 insgesamt knapp 700 Plätze in den Abschiebeknästen, heute sind es 1.700 Plätze - auf gleich bleibendem Raum. Entsprechend zusammengedrängt leben die Insassen im Moment. Sechs neue Abschiebezentren, zusätzlich zu den 24 bestehenden, sind unterdessen im Bau. 

Diese Zustände sind nur die objektive Konsequenz aus einer allgemeinen Tendenz, die derzeit überall in der Europäischen Union sichtbar wird: dem Ausbau zur „Festung Europa“. Ähnlich wie das offizielle Frankreich, möchten die meisten Mitgliedsländer der EU zunehmend unerwünschte Zuwanderung verhindern und die Betreffenden „loswerden“, und gleichzeitig die ökonomisch „nützlichen“ Einwanderer stärker sortieren und Hochqualifizierte anziehen. Am besten soll die Auswahl, also die Sortierung in „Nützliche“ und „Überflüssige“, schon in den Herkunftsländern vorgenommen werden. Oder in Transitländern wie Marokko, Mauretanien oder Libyen, deren Regime sich in wachsendem Ausmaß in die EU-Politik der militarisierten Flüchtlings- und Migranten-Abwehr einbinden lassen. Oft unter krassester Missachtung elementarer Menschenrechte. Praktisch, dass in solchen Ländern unabhängige Beobachter kaum oder nur schwer über die Einhaltung fundamentaler Grundrechte wachen können. In Libyen beispielsweise existiert nur eine einzige Menschenrechtsorganisation, die unter dem Vorsitz eines der Söhne von Staats- und „Revolutions“führer Muammar Kaddafi steht. Nichtsdestotrotz ist Libyen etwa für Italien, den nördlichen Nachbarn und früheren Kolonialherrn, inzwischen zu einem der wichtigsten „Partner“länder bei der Abwehr unerwünschter Migration geworden. Der Trend ist unterdessen in allen führenden EU-Staaten derselbe. 

Gegengipfel, Demonstration, Konzert 

Um ihn zu kritisieren und öffentlich Zeugnis von den Konsequenzen und Auswirkungen dieser Politik abzulegen, waren am vergangenen Freitag und Samstag – den 17./18. Oktober 2008 - mehrere hundert RepräsentantInnen der Zivilgesellschaften und von Nicht-Regierungs-Organisationen(NGOs) aus Europa und Afrika in Paris zusammengekommen. In Montreuil, einem Pariser Vorort, der gleichzeitig eine der Hochburgen der Immigration aus dem westafrikanischen Staat Mali ist, trafen die Delegierten von insgesamt 300 unterstützenden Initiativen und NGOs sowie zahlreiche Einzelpersonen am Freitag zu einem „alternativen Gipfel“ zusammen. Am Sonnabend fand am Vormittag ein internationales Treffen im Rathaus von Montreuil statt, auf dem Abschlusserklärung des Gegengipfels – die in alle möglichen Sprachen übersetzt wurde - unter dem Motto „BRÜCKEN STATT MAUERN“ verabschiedet wurde.  

Ihm folgten am Samstag Nachmittag eine internationale Demonstration und ein u.a. mit hochkarätigen Künstler/inne/n bestrittenes Konzert auf der Pariser Place de la République gefolgt. An ihnen nahmen rund 3.000 Menschen teil. Auf dem Konzert, zu dem noch bis zum späteren Samstag Abend mehrere Hundert Menschen blieben, spielten u.a. der populäre Sänger Cali mitsamt Band, die Alternativrockband ‚Les têtes raides’, die engagierte Rock- und Rapgruppe aus dem Raum Lille ‚Ministère des affaires populaires’ und der Klamaukmacher ‚Didier Supper’. 

Hinzugefügt sei noch die wichtige Rolle, die Gewerkschaften bei der Mobilisierung zum Gegengipfel, aber vor allem zur ihn begleitenden Demonstration mitsamt Konzert am Samstag Nachmittag und Abend in Paris gespielt haben. Auf der großen Bühne, die auf die Place de la République gestellt worden war, gab es so beispielsweise - an zentraler Stelle - einen gemeinsamen Redebeitrag von sechs Gewerkschaftsorganisationen zum Thema „gleiche Rechte für eingewanderte und ortsstämmige Lohnabhängige, Legalisierung aller <illegalen> Einwanderer“. Bei den ihn unterstützenden Gewerkschaftsverbänden handelt es sich um die CGT und die CFDT (die beiden mitgliederstärksten Gewerkschaftsdachverbände in Frankreich), die FSU (also den Dachverband von Lehrer/innen/gewerkschaften), die Union syndicale solidaires (den Zusammenschluss insbesondere der linksalternativen Basisgewerkschaften SUD), die UNSA (einen eher CFDT-nahen, losen Zusammenschluss „unabhängiger“ Gewerkschaften) und um die linke Richter/innen/gewerkschaft SM oder ‚Syndicat de la magistrature’. Verlesen wurde ihr Redebeitrag gemeinsam durch die für Immigrationsfragen zuständige CFDT-Sekretärin Anousheh Karvar, die selbst aus dem Iran stammt, durch FSu-Generalsekretär Gérard Aschiéri sowie eine Vertreterin der Union syndicale Solidaires. 

Auch innerhalb der vorausgegangenen Demonstration (rund 3.000 Teilnehmer/innen), die auf der klassischen Route von Gewerkschaftsdemos - zwischen der Place de la Bastille und der Place de la République - durch Paris führte, waren Gewerkschaften relativ stark vertreten. Insbesondere die CGT und L’Union syndicale Solidaires/die SUD-Gewerkschaften stellten größere Abordnungen. Aber auch die anarcho-syndikalistische CNT konnte „papierlose“ Arbeiter/innen unter ihren schwarz-roten Fahnen mobilisieren und forderte lautstark die „Legalisierung aller Papierlosen“.  

Aber auch das Pariser Sans papiers-Kollektiv, das seit dem 2. Mai 2008 das Gewerkschaftshaus (Bourse du travail) in der Nähe der Place de la République besetzt, war mit dabei. Ihm war bei der Konferenz am Vortag laut eigenen Angaben kein Rederecht eingeräumt worden. Seit Anfang Mai besetzen mehrere Hundert „papierlose“ Einwanderer dieses Gewerkschaftshaus, weil sie der CGT vorwerfen, im Zuge der Streikwelle der „papierlosen“ Arbeiter (die am 15. April anfing und noch immer anhält, zur Zeit sind circa 1.700 „papierlose“ Lohnabhängige im Streik, und weitere 1.000 konnten sich bereits Aufenthaltstitel erkämpfen) ihre Dossiers nicht berücksichtigt zu haben. (AUSFÜHRLICH siehe unten unter FUSSNOTE 1.) 

Neben diesen in Frankreich ansässigen Akteur/inn/en nahmen zahlreiche Solidaritätsvereinigungen und Initiativen aus unterschiedlichen Ländern, in Europa (aus Frankreich, Deutschland, Österreich „und sogar aus Luxemburg“ laut Ansage auf der Bühne..) sowie aus Afrika (wie die „Junge kamerunische Zivilgesellschaft“ aus Yaoundé, oder die frühere französische Sans papiers-Sprecherin Madjiguène Cissé, die nun in Dakar lebt, und andere Menschen aus Mali, Senegal, Mauretanien…) teil. Unter ihnen die „Union progressiver Juden Belgiens“, die Flüchtlingsräte Hamburgs und anderer deutscher Bundesländer… 

„Europäischer Pakt zu Einwanderung & Asyl“ verabschiedet 

Konzipiert waren die zweitägigen Gegengipfel- Veranstaltungen ursprünglich als „Gegenprogramm“ zu zwei Regierungskonferenzen: Am 13. Und 14. Oktober sollte ursprünglich der Regierungsgipfel der EU, auf dessen Tagesordnung die Annahme des neuen „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ stand, in Paris stattfinden. Er wurde allerdings – aufgrund der Finanzkrise, die derzeit die Staats- oder Regierungschefs vorrangig beschäftigt – auf den 15. Oktober verschoben, aber vor allem änderte sich die Ortswahl: Er wurde kurzfristig von Paris  in Richtung Brüssel verlagert. Dort, in der EU-Hauptstadt, wurde der „Pakt“ dann aber doch noch vom Unionsgipfel am letzten Donnerstag abgenickt.  – Am 20., 21. und 22. Oktober sollte zugleich, ebenfalls in Paris, der „zweite euro-afrikanische Gipfel zur Migrationspolitik“, ebenfalls in Paris stattfinden. Nach der ursprünglichen Planung wäre der „Gegengipfel“ also genau in den zeitlichen Zwischenraum zwischen die beiden Regierungsereignisse gefallen. Aber auch die zuletzt genannte Konferenz der europäischen und afrikanischen Regierungen wurde nun (Finanzkrise verpflichtet!) ebenfalls verschoben. Sie soll nun am 25. November nachträglich stattfinden.  

Der „Gegengipfel“ tagte dennoch, war dadurch nun freilich von den Regierungskonferenzen, mit denen er ursprünglich im engen zeitlichen Zusammenhang stand, teilweise „entkoppelt“. 

Jedoch wurde bereits – wie oben erwähnt - am vergangenen Donnerstag in Brüssel die Vorlage für einen gemeinsamen „Europäischen Pakt zu Migration und Asyl“, den der französische Minister „für Einwanderung und nationale Identität“ Brice Hortefeux im Frühsommer 2008 präsentiert hatte, durch die Repräsentanten der Mitgliedsstaaten angenommen. Der neue „Pakt“ sieht u.a. vor, dass EU-Mitgliedsstaaten auf eine „kollektive Legalisierung“ bislang „illegal“ auf ihrem Boden lebender Einwanderer - wie Italien und Spanien sie in diesem Jahrzehnten praktiziert haben - verzichten sollen. Frankreich opponierte schon vor drei Jahren gegen die damalige spanische Regelung zur „Legalisierung“ von rund 700.000 Menschen. Während die spanischen Behörden sich darüber freuten, dass diese Lohnabhängigen künftig mit Lohnsteuerkarte - statt „schwarz“ - arbeiten und dadurch die Not leidenden Sozialversicherungskassen auffüllen werden. Paris, aber auch Berlin möchten hingegen nur noch „Legalisierungen“ nach Einzelfallprüfungen durchgehen lassen, und haben sich damit im Prinzip auch durchsetzen könne obwohl zu diesem Thema ein etwas vager Formelkompromiss beschlossen wurde. Näheres wird die konkrete Ausführung des „Pakts“ zeigen. 

Noch vor dem nunmehr verschobenen Ministergipfel zur Einwanderungspolitik, nämlich am 3. und 4. November, soll eine europäische Justizminister- und Innenministerkonferenz stattfinden. Frankreich, das im Augenblick die EU-Ratspräsidentschaft innehat, bewies mit der Ortswahl dafür einen Sinn für geschmackvolle Symbolik: Die Ministertagung wird nämlich in Vichy zusammentreten. Dort soll es dann u.a. um Richtlinien zur künftigen Abschiebepraxis gehen. Nach der Verabschiedung der neuen EU-Richtlinie zum Thema vom 18. Juni dieses Jahres (s.o.), die in Frankreich durch die Solidaritätsinitiativen und NGOs nur noch als ‚Directive de la honte’ (Richtlinie der Schande) bezeichnet wird, dürfte jedoch klar sein, wohin der Hase läuft. Repressivere Bestimmungen, längere Verweildauer in Abschiebegewahrsam, und nunmehr sollen auch Kinder und Jugendliche „mit klarer Rechtsgrundlage“ ganz offiziell in Abschiebehaft gehalten werden können. 

Die „Vereinigung der Abgeschobenen aus Mali“ berichtet 

Alassane Dicko, einer der Sprecher der „Association des Maliens expulsés“ (AME, „Vereinigung der abgeschobenen Malier“) in Bamako, schildert in Montreuil - und am Vorabend auf Infoveranstaltung in Paris - über die Auswirkungen der verschärften Ausweisungspolitik in seinem Land. „Mali ist lange Jahre als <Müllkippe> von Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien für ihre unerwünschten Zuwanderer behandelt worden. Da die malischen Konsularbehörden im Ausland oft komplizenhaft so genannte Passierscheine (Laissez-passer) ausstellen - die eine Person, die über keinen Reisepass verfügt, zur Grenzübertretung benötigt -, kommen Staatsbürger aus allen möglichen Ländern bei uns an.  Angeblich sind sie Malier, aber in Wirklichkeit hat man sie nur in dieses Land abgeschoben, weil es so leicht war. Wir haben am Flughafen von Bamako sogar einen Nepalesen, aus Südasien, als Abschübling ankommen sehen. Das alles ist kein Wunder: Das malische Konsulat in Paris erhält vom französischen Staat Geld für jedes <Laissez-passer>, das es ausstellt. Der Konsul erhält 320 Euro pro Abschiebekandidaten…“ 

Die AME betreut die aus den europäischen Ländern, aber auch aus anderen afrikanischen Staaten wie etwa Libyen oder Gabun Hinausgeworfenen, die am Flughafen ankommen. „Viele kommen ohne einen Cent Geld in der Tasche an, und oft haben sie auch keine Familie in der Hauptstadt Bamako selbst. Wir kümmern und darum, ihnen für einige Tage eine Unterkunft zu besorgen. Aber wir schlagen ihnen auch eine psychologische und psycho-soziale Betreuung vor und bieten ihnen an, dass eine Person sie zurück in ihre Familie begleitet. Das ist ungeheuer wichtig, denn wer mit leeren Händen und unfreiwillig nach Hause kommt, während andere Personen aus seinem Dorf oder seinem Stadtteil noch in Europa leben, wird durch die Gesellschaft oft als ‚Versager’ behandelt. In Afrika werden sie oft Exorzismus zum Austreiben böser Geister unterworfen… Insgesamt sind die Abgeschobenen oft traumatisiert und demoralisiert.“ 

Die AME kümmert sich zusammen wie französischen Solidaritätsinitiativen, wie ‚Droits devant!’ und ‚Survie’, aber auch um mögliche juristischen Antworten auf den staatlichen Umgang mit „unerwünschten“ Einwanderern. So wird geprüft, Musterprozesse gegen den „Diebstahl“ von entgangenen bzw. „verlorenen“ Bankguthaben oder Sozialleistungen zu führen. Es geht um Einwanderer, die lange Jahre in Frankreich in die Sozialkassen einbezahlt haben und die all ihr Hab und Gut zurücklassen mussten. 

Forderungen des Gegengipfels 

Diese Zusammenarbeit ist quasi ein Musterbeispiel für die Kooperation der „Zivilgesellschaften in Nord und Süd“, die auch auf dem Gegengipfel am Freitag und Sonnabend beschworen wurde. Allerdings mit etwas mehr bürokratischen Schwerfälligkeiten, etwa bei der Einschreibung - die sich u.U. als nicht so leicht erwies - und bei der Verabschiedung eines Resolutionstexts, der in weiten Strecken durch die „mächtigsten“ NGOs im Vorfeld bereits ausformuliert worden war. Ein Grundkonflikt zwischen Solidaritätsinitiativen, die eine radikalere emanzipatorische Kritik an der europäischen Politik üben, und weitaus stärker institutionalisierten NGOs sowie eher karitativ ausgerichteten Organisationen (wie der christlichen Emmaüs-Gemeinschaft oder ATD-Quart Monde) ließ sich im Verlauf der Konferenz durchaus ablesen. 

Dennoch ging von dem Gegengipfel ein wichtiges Signal aus. Die Abschlusserklärung vom Samstag „BRÜCKEN, NICHT MAUERN“ fordert eine verstärke Einmischung „der Zivilgesellschaften in Nord und Süd“ in die Praxis der Staaten. (Vgl. http://www.lemonde.fr/international/article/2008/10/18/les-societes-civiles-du-nord-et-du-sud-demandent-a-etre-impliquees-a-la-conference-euro-africaine-sur-les-migrations_1108352_3210.html) Er fordert eine Neudefinition von Zuwanderungs- und Entwicklungspolitik, die solidarisch ausgerichtet sein müssten, und warnt vor der Gefahr einer zunehmenden Abschottung „im Zuge der Finanzkrise, die die Armut auch im Norden noch zu verschärfen droht“. Zudem wurde ein Forderungskatalog in den insgesamt sechs Workshops ausgearbeitet, der u.a. die „Entkriminalisierung des illegalen Grenzübertritts“ fordert.  

Er beinhaltet beispielsweise im Bereich des Asylrechts die freie Wahl des Aufnahmelands, die Ablehnung jeglicher Externalisierung der Migrationspolitik (d.h. Auslagerung von der EU hin zu „peripheren“ Staaten) sowie den Zugang zu Arbeit und Sozialleistungen. Humanistische Forderungen, die im diametralen Gegensatz zur aktuellen Grundtendenz der Politik in fast allen EU-Ländern stehen.  

Fortsetzung folgt 

Die nächste Mobilisierung in diesem Zusammenhang wird nun am Sonntag, 2. November und dem darauffolgenden Montag, 3. November in Vichy stattfinden. Am 3. und 4. November findet nämlich - ausgerechnet - in dieser, aus unguten historischen Anlässen bekannt gewordenen, Bäderstadt in der Auvergne die europäische Innen- und Justizministerkonferenz unter dem offiziellen Titel „Integrationsgipfel“ (sic) statt. Dort wird es u.a. auch um gemeinsame Abschiebepraktiken, um die Umsetzung der berüchtigten „Rückkehr-Richtlinie“ (Directive Retour) der Europäischen Union - für erzwungene Ausreisen „unerwünschter“ Zuwanderer/innen - vom 18. Juni 2008 und ähnliche Themen gehen.

DOKUMENTE: 

Abschlusserklärung vom Freitag mit Forderungskatalog: http://www.presseafricaine.info/article-23901369.html

- Ausgewählte Redebeiträge (Video): http://www.dailymotion.com/playlist/xozap_cathgegout_des-ponts-pas-des-murs  

Aufruf zu den Gegenaktivitäten zur Innen- und Justizministerkonferenz der Europäischen Union, Anfang November in Vichy:
http://www.millebabords.org/spip.php?article9245

FUSSNOTE:

ANMERKUNG NUMMER 1:

Zu den Ursachen dieses Konflikts: Dies, was also der CGT  zum Vorwurf erhoben wird, erklärt sich zum Teil aus der Natur eines gewerkschaftlichen Kampfes (in welchem der kollektiv durchgeführte Streik die stärkste Waffe ist, weshalb es aber für eine Gewerkschaft schwierig ist, die Fälle in ihrer Betriebe isolierter, „vereinzelter“ papierloser Beschäftigter mit ihren Mitteln zu „regeln“). Zum Teil erklärt es sich aber auch aus dem sehr defensiven Charakter, mit dem die CGT den Sans papiers-Streik anleitete. Ihre Führung wollte den Streik anfänglich nicht über ein paar Hundert „papierlose“ Lohnabhängige in ausgewählten Betrieben hinaus ausdehnen - sicherlich zum Teil begründet mit dem notwendigen Kalkül real vorhandener oder nicht vorhandener Siegschancen in einem Arbeitskampf „um Papiere“, aber auch von einer ängstlich wirkenden Taktik begleitet.  

Aus diesen, unterschiedlich zu bewertenden, Gründen heraus fühlten manche Sans Papiers im Raum Paris sich durch die den Streik anführende CGT „benachteiligt“ oder „im Stich gelassen“. Sei es zu Recht oder zu Unrecht, dieses Gefühl war zumindest insofern wohl begründet, als zu Anfang des Jahres – als die CGT nebst anderen Beschäftigtenverbänden die „papierlosen“ Arbeiter dazu aufforderte, sich gewerkschaftlich zu organisieren – bei den Sans papiers massive Hoffnungen erweckt wurden. Damals, als es für die CGT darum ging, die bei ihr Mitglied werdenden „papierlosen“ Lohnabhängigen zu machen, wurden di aus den Grenzen gewerkschaftlicher Strategie und dem nötigen Realismus resultierenden Einschränkungen nicht benannt. Viele „Sans papiers“ konnten also zu der Auffassung kommen, die CGT biete ihnen an, ihre Aufenthaltsprobleme „zu regeln“. Dies zu erreichen (oder zu erkämpfen!), liegt freilich zweifellos nur begrenzt in der Reichweite gewerkschaftlicher „Macht“.  

Zudem hatte etwa die Pariser Polizeipräfektur – der Sitz der Ausländerbehörde – der CGT signalisiert, dass sie nur höchstens 1.000 „Legalisierungs“dossiers akzeptiere, was dann aber dazu führte, dass die CGT diesen von oben kommenden Druck weiterreichte: Die Präfektur verwies das Pariser Kollektiv der (nicht gewerkschaftlich organisierten) Sans papiers darauf, es solle sich mit der CGT abstimmen, man werde nur insgesamt 1.000 Dossiers annehmen, punktum. Die Gewerkschaft beharrte daraufhin auf ihrem Anliegen, die von ihr bereits vorbereiteten und z.T. längst eingereichten 1.000 Dossiers vorrangig zu behandeln. Daraus resultierte eine objektive „Konkurrenz“situation, die durch den Druck der Ausländerbehörde geschaffen wurde, mit welcher die CGT aber möglicherweise anders hätte umgehen können. (Gut, es ist wohl leichter gesagt denn getan!) 

Dies Alles führte zu einem Konflikt, in dessen Folgen Teile der CGT durchaus auch verleumderische Behauptungen gegenüber den, das Gewerkschaftshaus besetzenden Sans papiers (z.Bsp. die Behauptung, diese wollten sich nicht gewerkschaftlich organisieren, die falsch ist) aufstellten. Auch die besetzenden Sans papiers sparen ihrerseits natürlich nicht mit Kritik zumindest an ihrer Gewerkschaftsführung. Problematisch ist nur, dass damit nunmehr seit Monaten ein Teil der Sans papiers mit einem Teil der CGT im (Dauer-)Konflikt liegt, dass die Besetzung des Gewerkschaftshauses aber keinerlei Druck auf die Regierung oder die Ausländerbehörden ausübt – welch Letztere, sich die Hände reibend, in Ruhe daneben sitzen und zugucken können.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.