Die globale multiple Krise
Vortragsmanuskript

von Anne Seeck

10/09

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Angesichts des Wahlsieges der CDU und FDP, ausgerechnet mitten in der Krise, ist es notwendiger denn je, sich mit dieser Krise auseinanderzusetzen. Während den Banken das Geld in den Rachen geworfen wurde, werden nun nach den Wahlen die Lohnabhängigen und Erwerbslosen dafür zahlen müssen.  Die außerparlamentarische Linke wird wieder mit Abwehrkämpfen beschäftigt sein. Ich hoffe, es gibt ein Erwachen und der Protest wird wieder auf die Straße getragen.  

Motivation, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, war für mich ein kleiner Artikel von Winfried Wolf, in dem er von der multiplen Krise sprach und dabei 7 Krisen ausmachte: Die Krise der materiellen Produktion, die Krise der Schlüsselindustrien, die soziale Krise, die Finanzkrise, die Hegemonie-Krise, die Hungerkrise und die Klimakrise. Ein Buch von ihm ist dazu in Vorbereitung.

Andererseits hatte ich mich mit Erwerbslosen über die Krise unterhalten, wobei diese bemerkten, dass sie in ihrem Alltag davon noch nichts spüren, da ihnen ja sowieso nur der Hartz IV-Regelsatz zum Leben zur Verfügung steht. Es wurde auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2009 verwiesen, dann würden die Einschnitte kommen. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, der Druck auf die Löhne und den Arbeitsmarkt ebenfalls. Mit Kürzungen bei den Sozialleistungen ist zu rechnen.

Immer wieder bemerke ich bei Erwerbslosen (also auch bei den Organisierten, ich bin selbst in der Erwerbslosen“bewegung“ aktiv), dass sie den Blick nur auf ihren eigenen Alltag richten, mit dem sie aufgrund der prekären Situation beschäftigt sind. Dabei gerät die globale Sichtweise aus dem Blick.

Ich begann aufgrund des Artikels von Winfried Wolf zu recherchieren und stellte die Ergebnisse meiner Recherche in einem Vortrag am 16. Juli 2009 im Autonomen Seminar an der Humboldt- Universität vor, natürlich mußte ich dort kürzen. Nach dieser Recherche und dem Vortrag wurde mir noch bewußter: Es muß die Systemfrage gestellt werden, es gibt keine Lösung im Kapitalismus.  

Die Finanzkrise 

Das weltweit verwaltete Finanzvermögen betrug 2006 140 Billionen Dollar, davon wurden 75 Bio. von Banken verwaltet, 23 Bio. von Pensionsfonds, 22 Bio. von Investmentfonds, 18 Bio. von Versicherungen und 2 Bio. von Hedgefonds. (Monatsbericht Bundesbank, Juli 2008,24)   Das Geldkapital wird allerdings nicht dazu genutzt, die soziale Infrastruktur zu verbessern, sondern es dient meistens der weiteren Geldvermehrung. Geld ist also genug da.

Wie bahnte sich nun die Finanzkrise an? 2006 begann es mit der  Krise der Automobilindustrie und der Immobilienkrise in den USA, GB, Irland und Spanien. 2006/2007 griff sie auf den Finanzsektor über (weltweite Hypothekenkrise). Im Sommer 2007 weitete sie sich zur weltweiten Kreditkrise aus (weltweite Verknappung der Kredite). Bis September 2008 griff sie auf das gesamte Bankwesen über. Im Oktober 2008 griff die Krise auf die Schwellen- und Entwicklungsländer über.

Die Finanzkrise ist ein Teil einer Krise der Energieversorgung, der Nahrungssicherheit und des Klimawandels, dazu später.  

Eigenschaften der Krise sind erstens die Krise der weltweiten Überakkumulation, d.h. Überkapazitäten und sinkende Profite. Bei diesem Konsum- und Produktionsmodell muß die Produktivität ständig gesteigert werden. Die Ursache liegt sowohl in der Realwirtschaft und im Finanzsystem. Riesige Geldmengen vagabundierten, dadurch wurde der Finanzmarkt ausgeweitet. Es kam zu einer Verselbständigung der Finanzsphäre gegenüber der Realwirtschaft. Es kam zu einem Überhang an akkumuliertem Kapital (weder Vernichtung noch die Nachfrage reichen aus). Aus überschüssigem Geld wird fiktives Kapital , d.h. es geht nicht den Weg durch die Produktion von Waren. Zweites Merkmal der Krise ist die globale Unterkonsumtion. Das Masseneinkommen wurde massiv gesenkt. Die Arbeitenden sollten zwar wenig verdienen, aber viel konsumieren.

Die Finanzkrise hat eine lange Geschichte und begann schon mit der Krise des Fordismus.

Schon in den den 1970er Jahren war das Wachstum am Ende, denn es gab damals schon eine Überproduktion und gesättigte Märkte. Die Investitionen im Produktionsbereich blieben aus, weil kein Gewinn zu erwarten war. Es kam zu einer Überakkumulationskrise, ein Teil des Kapitals war überschüssig. Das Kapital wich deshalb auf die internationalen Finanzmärkte aus. Seit 1973 wurde der Kapitalverkehr liberalisiert, es wuchsen die Finanzmärkte und die Spekulation. Die Aufblähung des fiktiven Kapitals führte zum Aufschub der Krise. Das brachte nicht nur die Verwertung des überschüssigen Kapitals, sondern damit wurde auch die Nachfrage und damit die Realwirtschaft angekurbelt. Das fiktive Kapital ermöglichte also die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaft

Wie wurde nun die Krise aufgehalten: Erstmal durch die Staatsverschuldung. Dann wurden öffentliche Güter privatisiert, sie wurden in Waren verwandelt. Die Profitraten wurden auch durch die Verdichtung der Arbeit gesteigert, so wurde die subjektive Kreativität nun verwertet. Das Wechselspiel von Überkapazitäten und Unterkonsumtion wurde durch die Finanzpolitik des billigen Geldes und der billigen Kredite kompensiert In die Unter- und Mittelklassen wurden Kredite gedrückt, weltweit gibt es 12 Billionen Dollar Schulden (Hauskredite ohne Eigenmittel, Kreditkartenschulden, Kauf- und Leasingschulden, Studentendarlehen usw.) So mußten die Antragsteller von Hypotheken in den USA oftmals keine Dokumente vorlegen, Hypotheken wurden an Kunden mit geringer Kreditwürdigkeit vergeben. Kredite sind verkauft worden, vor allem an Hypothekenbanken. Auch Kredite an zahlungsunfähige Schuldner wurden als Wertpapier verpackt, die Kapitalüberschüsse wurden als Kredite angelegt. Das Überangebot an Geldkapital drückt die Zinsen (die Hauptquelle der Bankprofite). Die Kapitalüberschüsse sind in der Realwirtschaft entstanden, aber ohne die Expansion der Verschuldung hätte die Realwirtschaft die Wachstumsraten nicht erzielen können. Es wurden auch Investmentfonds gegründet, das gesamte Wirtschaftssystem wurde finanzialisiert.

Wie funktioniert nun die Finanzialisierung des Wirtschaftssystems?

Früher vergab die Bank Kredite an Kunden. wobei der Kredit bis zur Tilgung in der Bilanz der Bank blieb. Heute schleusen die Banken die Kredite in den Finanzmarkt und können so wieder neue Kredite vergeben. Der Kredit wird nämlich in ein Wertpapier umgewandelt- das Prinzip der Verbriefung. Die Wertpapier werden nur im direkten Handel, nicht an der Börse gehandelt. In Boomzeiten ist es kein Problem, diese Wertepapiere zu verkaufen oder als Sicherheit einzusetzen. Im Jahre 1988 wurde das Basel -I- Abkommen eingeführt: Das Eigenkapital muß mindestens 8% der risikogewichteten Kredite sein. Daher mußten Banken diese Eigenkapitalquote einhalten. Sie hatten daher Interesse, riskante Kredite zu vergeben, da die Zinsen höher waren und sie die Kredite verkaufen konnten. Faule Kredite wurden versteckt und verbrieft. Um die riskanten Kredite aus der Bilanz verschwinden zu lassen, gründeten sie Zweckgesellschaften. 2008 wurde Basel II eingeführt. Kredite/ Eigenkapitalquote wurden aufgrund von Ratings der Kreditkunden berechnet.  

Was sind die Finanzinstrumente?

festverzinsliche Wertpapiere (Bonds), z.B. Staatsanleihen, Bundesanleihen sind die sichersten Anleihen der Welt

Swaps (zu deutsch Tausch): Vertrag zwischen Parteien, die sich einigen, Zahlungsforderungen (die sie leisten müssen) auszutauschen; Buffet verglich eine Form der Swaps (CDS) mit Massenvernichtungswaffen

Verbriefte Wertpapiere: aus Krediten werden Wertpapiere geschaffen, die auf dem Markt verkauft werden; aufgrund des Basel-Abkommens wurden existierende Kredite abgestoßen, die Verbriefung öffnete den Zugang zum Kapitalmarkt; die Kreditkrise ist eine Krise der Verbriefung

Zweckgesellschaften: Kredite wurden mit ihnen in Wertpapiere umgewandelt

Hedgefonds: bedienen sich aller Finanzinstrumente, sie müssen mindestens 20% Rendite im Jahr erwirtschaften

Leerverkäufe: Verkauf von Wertpapieren, die man nicht besitzt, die man aber später kaufen muß, dabei wird auf den Verfall eines Preises spekuliert

Ratingagenturen: sie vergeben Bewertungen und machen damit Profit

Notenbanker: die Zinsen wurden extrem gesenkt; das führte zu hoher Risikobereitschaft und dem Immobilien- und Kreditboom

Finanzmathematik in den 90er Jahren entwickelten Mathematiker Modelle zur Berechnung von Kreditrisiken; Kernpunkt der Forschung waren die Kreditmärkte

Worin besteht die Finanzkrise?

Die spekulative Verschuldung wurde so in die Höhe getrieben, dass die Finanzakteure sich gegenseitig keine Kredite und Sicherheiten mehr geben.

Die Blase ist geplatzt und führt zu enormer Kapitalvernichtung. Populäre Erklärungsmuster sind, dass die Finanzhaie und Spekulanten Schuld seien. Es wird ein Unterschied zwischen raffendem und schaffendem Kapital, was eine Gefahr für nationalistische und rechtspopulistische Ressentiments bedeutet. In der Linken wird erklärt, dass die Finanzblase Grundlage der Realwirtschaft war. Die Verschuldung sorgte für die Nachfrage. Der Ursprung der Krise liegt in der Verwertungslogik. Die Politik sei nicht unschuldig, denn sie hat die Blase erzeugt, so wurden Hedgefonds zugelassen.

Inzwischen sind viele Randbelegschaften aus den Betrieben verschwunden, Kurzarbeit nahm zu. Einige Länder hatten Staatsbankrotte z.B. in Ungarn, Lettland, Ukraine, Island, Pakistan. Es kam zu einer Konzentration im Bankgewerbe, also eine Monopolisierung. Gleichzeitig sozialisierten Staaten die Verluste, die Verluste der Banken wurden auf die Lohnabhängigen abgewälzt. Die faulen Kredite und Privatschulden werden in die öffentlichen Kassen und Haushalte geschaufelt, die Staaten stecken Steuergelder ins Finanzsystem.

„Wenn man die Verselbständigung des Geldkapitals im Finanzsystem beklagt, muss man die Grundlage beseitigen, die kapitalistische Warenproduktion, deren überschüssiges Kapital die Finanzmärkte speist. Erst dann kann man das ‘Casino schließen’“. (Rainer Roth: Finanz- und Wirtschaftskrise- Krise des Kapitalismus) 

Die Finanzkrise führt auch zu einer sozialen Krise. 

Die Soziale Krise 

Die Zeiten der kollektiven Absicherung scheinen vorbei zu sein. Der „Sozialstaat“ begrenzte die Risiken. Die soziale Frage stellt sich am Beginn des 21. Jahrhunderts neu. Die soziale Unsicherheit nimmt zu. Soziologen sprechen von der Flexibilisierung und Prekarisierung. In dem Buch „Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung“ wird zwischen den „Überzähligen“, „Prekariern“ und „Absteigern“ (aus der Mitte) unterschieden. „...der disziplinierende Effekt strenger Zumutbarkeit (bei Hartz IV-BezieherInnen würde) eher die Noch-Beschäftigten als die Arbeitslosen“ erreichen. (S.155) Die AutorInnen unterteilen die Erwerbslosen in „Um-jeden-Preis-Arbeiter“, die fast jede Arbeit akzeptieren und sauer sind, dass das Jobcenter ihnen keine Erwerbsarbeit anbietet; in „Als-ob-Arbeiter“, die auch über zugewiesene Ein-Euro-Jobs glücklich sind, weil sie ihre Fassade der Normalität aufrecht erhalten können, und in „Nicht-Arbeiter“, die sowieso mit harten Sanktionen kaum zu beeinflussen sind. Für „Nicht-Arbeiter“ (Anm. d.h. Nicht-Lohnarbeiter) steht eine reguläre Erwerbsarbeit nicht (mehr) im Zentrum der Identitätskonstruktion, dabei gibt es konventionelle und unkonventionelle „Nicht-Arbeiter“. Nichtarbeit als Verweigerung ist ein gesellschaftlicher Gegenentwurf. Diese „Nicht-Arbeiter“ fordern Alternativen zur Erwerbsarbeit und bewegen sich in politischen und subkulturellen Szenen. Serge Paugham unterscheidet in dem Buch im Kapitel zu den Prekariern neben dem Idealtypus (gesicherte Integration)der beruflichen Integration drei abweichende Typen: „die unsichere Integration (Zufriedenheit mit der Arbeit gepaart mit instabilem Beschäftigungsverhältnis), die mühselige Integration (Unzufriedenheit mit der Arbeit gepaart mit stabilem Beschäftigungsverhältnis) und die disqualifizierende Integration (Unzufriedenheit mit der Arbeit gepaart mit instabilem Beschäftigungsverhältnis“. (Castel/Dörre, S. 183) Mit 49 Prozent sei die „disqualifizierende Integration“ in Ostdeutschland europaweit (West)am höchsten. Berthold Vogel schreibt, dass die Prekarier „eine anonymisierte, zersplitterte Masse“ seien, die sich „eher als neue Projektfläche politischer Ressentiments und sozialer Resignation“ eignet. (Castel/Dörre, S. 200) Sie seien Grenzgänger der veränderten Arbeitswelt. Die verunsicherte Mitte würde sich dagegen um ihre Statussicherheit sorgen. Gerade Abstiegsängste und Unsicherheiten gebündelt mit Gefühlen der Machtlosigkeit sind Nährboden für den Rechtspopulismus. In einem Kapitel zum Rechtspopulismus in Österreich wird insbesondere auf die „Tüchtigen und Anständigen“ eingegangen, die das Gefühl haben, das ihre Leistungen nicht ausreichend belohnt werden. Ihr „Gerechtigkeitsgefühl“ scheint verletzt und sie fühlen sich nur noch als Spielball. Dabei betonen die Autoren, dass das „Arbeitsleid“ eine große Bedeutung hätte. Es würde nicht mehr wertgeschätzt, dass sie, die „Anständigen“ Opfer bringen und loyal seien. Ihre angestaute Wut richten sie gegen „Sozialschmarotzer“ und „Ausländer, die uns ausnützen“.  

Wie leben nun die „Ausländer“, die Armen in der Dritten Welt. Das soziale Elend ist unvorstellbar.

Die Armut konzentriert sich immer mehr in den Städten, vor allem der Dritten Welt. Die Urbanisierung der Dritten Welt erreicht Höchstgeschwindigkeit. Besonders diskutiert werden die Megastädte mit mehr als 8 Millionen Einwohnern und die Hyperstädte mit mehr als 20 Millionen Einwohnern. In Asien werden bis 2025 zehn oder elf Ballungsgebiete entstehen, in Bombay rechnet man mit 33 Millionen Einwohnern, wobei man nicht weiß, ob diese Armutskonzentration dann überhaupt überlebensfähig sei. 35 indische Städte haben inzwischen die Millionengrenze überschritten. Es wird gewarnt, dass man bald keine Städte, sondern nur noch Slums hätte. Im Buch „Planet der Slums“ von Mike Davis wird diese Schreckensvision aufgestellt. Nach eingeschränkten Schätzungen gab es 2001 921 Millionen Slumbewohner, 2005 mehr als eine Milliarde. Bombay ist die globale Hauptstadt der Slums, gefolgt von Mexiko- Stadt und Dhaka. „Es gibt wahrscheinlich mehr als 200 000 Slums auf der Erde, deren jeweilige Bevölkerungszahl von ein paar hundert bis zu mehr als einer Million reicht.“ (Davis, S.30) Die größten Megaslums sind Nezal/ Chalco/ Izta in Mexiko-Stadt (4 Mio), Libertador in Caracas (2,2 Mio) und El Sur/Ciudad Bolivar in Bogota (2 Mio). Die meisten Pflasterbewohner hat Bombay, das sind meistens „einfache Arbeiter..., die durch ihre Arbeit gezwungen sind, im sonst unbezahlbaren Herz der Metropole zu leben.“ (Davis, S. 40) Oftmals müssen Bürgersteigbewohner Geld an die Polizei oder Verbrechersyndikate bezahlen. Slums entstehen oft durch Besetzungen, heute meistens auf minderwertigem städtischen Grund, z.B. an stinkenden Uferböschungen von stark verschmutzten Flüssen. In Slums gibt es aber auch viele Untervermietungen, Mieter sind oft die machtlosesten Slumbewohner. Immobilienmärkte haben inzwischen die Slums zurückerobert, aus der Armut wird Profit gemacht. Mike Davis schreibt: „In erster Linie sind die Stadtrandgebiete der Dritten Welt aber ein Müllabladeplatz für Menschen. In manchen Fällen landen der städtische Müll und unerwünschte Zuwanderer sogar am selben Ort...“ (Davis, S.50) Ein weiteres Problem ist die Bevölkerungsverdichtung, so müssen sich in den bustees von Kalkutta durchschnittlich 13,4 Menschen in jedes bewohnte Zimmer drängen. „Die Ungleichheit in den Städten der Dritten Welt ist sogar aus dem Weltraum zu sehen: Satellitenbilder von Nairobi zeigen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf nur 18 Prozent des Stadtgebietes lebt. Das weist natürlich auf kolossale Unterschiede der Bevölkerungsdichte hin.“ (Davis, S. 103) Die Armen in den Slums sind nicht nur eingezwängt, sie werden auch oft gewaltsam geräumt. Die städtischen Armen sind daher Nomaden. „Die urbane Segregation ist kein starrer Zustand, sondern ein endloser sozialer Krieg...“ (Davis, S.105) Slums werden gesäubert, wenn in den Städten Großereignisse anstehen oder wegen der Verbrechensbekämpfung, die dann als Begründung herhalten muß. Zudem sind die Slumbewohner von Naturkatastrophen bedroht. „Da sich heute weltweit die Mehrheit der städtischen Bevölkerung auf aktiven Rändern tektonischer Platten oder in deren Nähe konzentriert, besonders in den Küstengebieten des Indischen und Pazifischen Ozeans, sind mehrere Millionen Menschen von Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis und Sturmfluten oder Taifunen bedroht."“(Davis, S. 134) Mike Davis stellt folgende Formel auf: Umweltrisiko = Gefährdung (das ist die Häufigkeit und Großenordnung des Naturereignisses) x Aktivposten (das ist die Anzahl der gefährdeten Bevölkerung und Unterkünfte) x Anfälligkeit (das ist die physische Beschaffenheit der Bebauung). „Die Informelle Urbanisierung hat überall die naturgegebene Gefährdung der städtischen Umwelt- manchmal um das Zehnfache oder mehr- vervielfacht.“ (Davis, S.132) Die Slums werden weder durch öffentliche Maßnahmen gesichert, noch gibt es Versicherungen. Slums sind zudem feuergefährliche Milieus. Slums sind oft lebensgefährlich, sie befinden sich neben Chemieanlagen, Pipelines und Raffinerien, die Straßen sind verstopft. „Mehr als eine Million Menschen- zwei Drittel von ihnen Fußgänger, Radfahrer und Fahrgäste- sterben jedes Jahr bei Verkehrsunfällen in der Dritten Welt. ‘Menschen, die niemals in ihrem Leben ein Auto besitzen werden’ berichtet ein Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation, ‘sind am meisten gefährdet.’“ (Davis, S. 140) So nennt man in Lagos Busse „fliegende Särge“ und „rollende Leichenschauhäuser“. Die Luftverschmutzung ist alptraumhaft, ein Wissenschaftszentrum in Dehli warnt vor „tödlichen Gaskammern“. Und die Slums dringen auch in Naturschutzgebiete, durch die Urbanisierung wurden viele landwirtschaftliche Anbauflächen zerstört. Das Abwasser vergiftet zudem die Trinkwasserquellen. Aber das Schlimmste an allem ist das Leben im Unrat. Mike Davis beschreibt, wie die Slumbewohner buchstäblich in der Scheiße leben. „Die heutigen armen Megastädte- Nairobi, Lagos, Bombay, Dhaka usw.- sind stinkende Kotberge...Die intime Nähe zum Müll anderer Menschen ist in der Tat das Spiegelbild einer tiefgreifenden sozialen Spaltung.“ (Davis, S.145) Kinshasa mit 10 Millionen Einwohnern hat überhaupt kein Abwasserkanalisationssystem, in einem Slum in Nairobi gab es 1998 zehn Latrinengruben für 40 000 Menschen, in Mathare 4A gab es zwei Toiletten für 28 000 Einwohner. Die Bewohner bedienten sich daher „fliegender Toilletten“, sie verrichteten ihre Notdurft in Plastiktüten und warfen sie weg. In Indien müssen ca. 700 Millionen Menschen ihren Darm im Freien entleeren. 9 von 22 untersuchten indischen Slums hatten keine Latrine, in zehn weiteren gab es 19 Latrinen für 102 000 Menschen. Gerade für Frauen ist das ein Problem, denn sie sollen sich an strenge Sitten halten, dabei haben sie keine Möglichkeit zur Körperhygiene. Oftmals müssen sie warten, bis es dunkel wird, und dann können sie nur in Gruppen gehen. Die mangelnde Hygiene und Trinkwasserverschmutzung führen oft zu Krankheiten, die vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern zum Tode führen. Auch Cholera, Ruhr, Malaria, Typhus, Hepatitis u.a. wüten oft in Slums. Wasser ist inzwischen zum lukrativen Geschäft in der Dritten Welt geworden, denn sauberes Wasser wäre die billigste Medizin. Arme zahlen mehr für Wasser. In Afrika ist Aids das größte Problem, 25 Millionen Menschen südlich der Sahara sind infiziert. Statt Hilfe zu bekommen, müssen die Länder der Dritten Welt ihre Schulden an die Wohlstandsstaaten abbezahlen. Bis 2030 oder 2040 soll es zwei Milliarden Slumbewohner geben. Allerdings sind nicht nur die Slumbewohner das Problem, bis 2020 sollen weltweit 45 bis 50% der städtischen Bevölkerung arm sein. Die urbane Armut schreitet voran. Und auch die Einkommensunterschiede in den Städten. So zum Beispiel in Moskau, dort gibt es wahrscheinlich mehr Millionäre als in New York, aber auch eine Million Squatter. Millionen arme russische Stadtbewohner leiden unter unerträglichen Zuständen. In Sofia gibt es mittlerweile den schlimmsten Slum in Europa, dort wohnen 35 000 Roma. Mike Davis schreibt, dass „Städte zum Müllabladeplatz für eine überschüssige Bevölkerung ungelernter, unterbezahlter und entgarantierter Arbeitskräfte im informellen Dienstleistungsgewerbe und Handel geworden (sind)...Insgesamt zählt die globale informelle Arbeiterklasse etwa eine Milliarde Menschen (sie überschneidet sich mit der Slumbevölkerung, deckt sich aber nicht mit ihr), damit ist sie die am schnellsten wachsende soziale Klasse der Welt und historisch ohne Beispiel.“ (Davis, S.183ff.) Die Armutsbevölkerung in den Slums sei in der gegenwärtigen internationalen Ökonomie heimatlos. Sie sei zum Unternehmertum in der informellen Ökonomie gezwungen. Es warte eine Reservearmee von Überflüssigen darauf, in den Arbeitsprozeß integriert zu werden, was aber auf Dauer nicht geschieht. „Ende der 1990er Jahre gab es eine Milliarde arbeitsloser oder unterbeschäftigter Arbeiter, die meisten davon im Süden...(es gibt) auf offizieller Seite keinerlei Vorstellungen, wie diese gewaltige Masse an überschüssiger Arbeitskraft wieder in den allgemeinen Lauf der Weltwirtschaft eingegliedert werden kann.“ (Davis, S. 208) Die Slumbevölkerung wachse weltweit jährlich um 25 Millionen. Mike Davis Fazit: „Die Zukunft der menschlichen Solidarität wird tatsächlich von der entschlossenen Weigerung der neuen städtischen Armen abhängen, ihre endgültige Marginalisierung innerhalb des globalen Kapitalismus zu akzeptieren...Während das Imperium über ein Orwell`sches Arsenal an Repressionstechnologien verfügt, haben die Geächteten die Götter des Chaos auf ihrer Seite“ (Davis, S.210ff.) Jede/r sollte dieses Buch gelesen haben, auch um unseren Privilegiertenstatus zu begreifen. Wir alle leben auf Kosten der Dritten Welt.  

Die soziale Verunsicherung und die damit verbundenen Ängste auch in Deutschland führen zur Politikverdrossenheit.  

Die Legitimationskrise der Demokratie 

Die Entmündigung der Bürger in der parlamentarischen Demokratie schreitet voran. Viele sehen keine Möglichkeit mehr, sich ins politische Geschehen einzubringen. Häufig führt das zu Sprachlosigkeit. Die Demokratie steckt in der Krise.  

Der Bürger:

Die Bürger spielen in der heutigen Demokratie eine passive Rolle. Die Politiker interessieren sich nicht für die wirkliche Beteiligung der Bürger, sondern nur für die Wahlbeteiligung,. Entscheidend ist das Wahlkreuz, die parlamentarische Demokratie reduziert sich so auf das Abhalten von Wahlen, darin erschöpft sich die politische Partizipation. Dabei nimmt die Wahlbeteiligung mit dem Sozialstatus in der Regel zu. Die meisten Nichtwähler gäbe es bei Menschen mit geringem Bildungsstand, wie nach Iris Huth alle empirischen Studien belegen. Wechselwähler seien dagegen vor allem im neuen Mittelstand zu finden. Ein Protestwähler kann sogar ein ansonsten bürgerlicher Stammwähler sein, der damit seine Enttäuschung über seine Partei ausdrückt. Enttäuscht sind auch Menschen, die aus Parteien austreten. 

Die Wirtschaft:

Die Macht der Wirtschaftseliten ist riesig, denn den Regierungen geht es vor allem um ökonomischen Erfolg. Der Staat wird zum Selbstbedienungsladen der Wirtschaftslobby.  Die Eliten wissen auch, wie man Menschen steuert und manipuliert, das sie genau das wählen. Per Wahl haben die Bürger der Deregulierung und Privatisierung zugestimmt, von der sie dann betroffen waren.  

Die Medien:

Die Medien, die zumeist nur von wenigen Reichen kontrolliert werden, spielen in dem „Meinungsbildungsprozeß“ eine wichtige Rolle, dabei sind sie eigentlich die wichtigste Ressource für das Funktionieren der Demokratie. Den Bürgern und Konsumenten der Medien geht  verloren, was private und was öffentliche Interessen sind. Sie verwechseln die Interessen der Wirtschaftseliten mit denen einer demokratischen Gesellschaft. Nach der Devise: Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch mir gut. 

Die Politik:

Die Politik kümmert sich um die Interessen von Wirtschaftsführern. Sie übernimmt deren Programm: Showbusiness und Marketing. Entscheidend wird die perfekte Präsentation. Entsprechend sehen die Statements der Politiker aus, aalglat, nichts sagend, ausgefeilt. Politiker werden zu Produktverkäufern, die ihr Programm vermarkten und manipulative Techniken anwenden. Die Politik ist heutzutage höchstgradig personalisiert. Die Sprache der Politiker soll wie in der Werbung Bilder hervorrufen und nicht zum selbständigen Denken anregen.  

Das führt zur Politikverdrossenheit:

Die Apathie der Bürger beunruhigt einerseits die Politiker, die Politiker wollen aber auch nicht, dass Bürger sich in oppositionellen Gruppen, wie den sozialen Bewegungen, engagieren. Dabei könnten gerade die sozialen Bewegungen zu einer Demokratisierung beitragen. Iris Huth benennt in ihrem Buch „Politische Verdrossenheit“ mehrere Symptome für dieses Phänomen:

„ Die Mitgliedschaft in Parteien, Verbänden und Organisationen schmilzt.
Die Wahlbeteiligung sinkt stetig...
Der Stammwähleranteil reduziert sich beständig.
Der Anteil der Wechsel- und Protestwähler wird größer.
Die Zahl der politischen Skandale nimmt zu.
Die Entfremdung von Jugendlichen zur Politik steigt an.
Das Vertrauen in die Parteien und Politiker schwindet...
Die Bildung regierungsfähiger Mehrheiten erschwert sich.
Der Rechtsextremismus verschärft sich...“ (Huth, S. 24)  

In Zeiten der Politikverdrossenheit entfremden sich Bevölkerung und politische Klasse zusehens. Die Parteien erscheinen als „politischer Einheitsbrei“. Apathie und „Ohne-Mich-Haltung“ der Menschen nehmen zu.  

Demokratieverdrossenheit: 

Aber nicht nur das Vertrauen in Politiker bei der Bevölkerung nimmt ab, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie. Die Demokratie in den kapitalistischen Ländern wird von vielen als sozial ungerecht empfunden, und die Menschen sind auch mit ihrer persönlichen Lage unzufrieden. Die politischen Eliten werden abgelehnt. Das heißt, es gibt eine Demokratieverdrossenheit. So bejahten 1997 nur noch 33 Prozent der Ostdeutschen die Frage „ob die bundesdeutsche Demokratie die beste Staatsform sei“, 1990-1992 waren es noch 41 Prozent.   

Lobbyismus 

Misstrauisch macht die Bürger auch der Lobbyismus. „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ war der  bekannteste Slogan der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Damit versuchte die Initiative Politiker und das Meinungsklima in der Gesellschaft zu beeinflussen. Die Bevölkerung soll den Reformen zustimmen, wie sie mit der Hartz IV-Reform begonnen wurden. Die INSM will Politik mitgestalten, daher machen sie auch Öffentlichkeitsarbeit. Sie wissen, wie man gezielt Informationen einsetzt oder blockiert. Da die Medien auch zunehmend PR aufnehmen, inszenieren sie Kampagnen und produzieren Bilder, um die Deutungsmacht zu gewinnen. Für ihre Kampagnen setzen sie Politiker wie Oswald Metzger oder auch Fußballmanager wie Ulli Hoeneß ein. Medien übernahmen PR-Berichte der INSM und kooperierten, wie die Financial Times Deutscland oder das Handelsblatt. Lobbying vermittelt normalerweise oft den Eindruck einer heimlichen Macht, es vollzieht sich außerhalb der Öffentlichkeit. Nach Thomas Leif und Rudolf Speth vollzieht sich Lobbying vor allem in den drei ersten Phasen des Politikprozesses. Zuerst wird das Problem definiert, das Thema wird in die politische Agenda aufgenommen und schließlich wird ein politisches Programm formuliert. Der dritte Punkt ist der intensivste beim Lobbying. Ein Autobauer, der zum Beispiel will, das seine neue Technik zwingend in die Straßenverkehrsordnung geschrieben wird, muß das Vorhaben erst zum Thema machen und die Politiker überzeugen, dass sie als Gesetzgeber tätig werden. In der dritten Phase versuchen dann Lobbyisten, bereits den Referentenentwurf für ein Gesetzesvorhaben zu beeinflussen. Oftmals sind dabei „Formulierungshilfen“ willkommen. Lobbyisten müssen „geräuschlos“ und so früh wie möglich arbeiten. Daher sind sie auch ständig an engen Kontakten zu Referenten bemüht. Es gibt aber auch Lobbyisten, die im Parlament sitzen und zum Beispiel auf den Gehaltslisten der Wirtschaft stehen.

Instrumente der Lobbyisten sind die Sammlung, Aufbereitung und Weitergabe von Informationen, die Kontaktpflege und die Bildung von Allianzen (Interessenkoalitionen). Lobbyisten verfolgen politische Prozesse und analysieren diese. Medien inszenieren Spitzentreffen, es werden parlamentarische Abende und Anhörungen veranstaltet. Instrumente z.B. von Wirtschaftsverbänden sind aber auch PR-Kampagnen/ Werbung und Wahlkampfunterstützung und Spenden.

In Berlin sind ca.1760 Lobbygruppen offiziell registriert, es gibt rund 4500 Interessenvertreter. So ist die Pharmaindustrie eine Lobbymacht im Gesundheitswesen, z.B. nimmt sie Einfluß auf die Neuzulassung von Arzneimitteln. Auch die Ärzte versucht sie, in ihrem Verschreibungsverhalten zu beeinflussen.

Politiker werden nach Ablauf ihres Mandates gerne Lobbyisten, sie kennen sich aus in diesem Geschäft. Thomas Leif und Rudolf Speth schreiben: „ Lobbyismus ist eine Macht ohne Legitimation: eine Macht, die die Öffentlichkeit scheut, die gezielt intransparent vorgeht.“ (Reif/Speth, S. 352) 

Korruption 

Ein Graubereich ist die Korruption, sie ist ein weltweites gravierendes Problem, auch in Deutschland. So werden z.B. Bestechungsgelder gezahlt, um Aufträge zu bekommen. (z.B. Bau) Korruption gibt es vor allem im Bereich Bau, Steine, Erde, im Speditionswesen, in der Abfallwirtschaft, in der Immobilienbranche, in der Pharmaindustrie.

Wolfgang Hetzer schreibt: „Wirtschaftsunternehmen haben sich in Hochburgen krimineller Machenschaften verwandelt, in denen Handlungsmuster der Organisierten Kriminalität alltägliche Geschäftspraxis geworden sind.“ ( APuZ, 3-4/2009, S.7) In vielen Ländern hätten sich Verknüpfungen zwischen Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und Armee gebildet, die „die Leistungskraft konventioneller krimineller Vereinigungen oft überschreiten“. (APuZ, 3-4/2009, S. 8) Korrumpierungsrisiken gebe es besonders bei der Gesetzgebung aufgrund von Inkompetenz der Politik, ein Beispiel sei das deutsche Investmentmodernisierungsgesetz, das von den Profiteuren des Gesetzes formuliert wurde. „In einer Welt, in der materieller Wohlstand Lebenssinn geworden ist und zwischen Arbeit und Einkommen kein nachvollziehbarer Zusammenhang mehr besteht, ist Korruption allgegenwärtig.“ (APuZ, 3-4/2009, S. 12) Tanja Rabl hat die empirische Forschung zur Korruption ausgewertet und beschreibt die Täter wie folgt: meistens Männer, „gesellschaftliche Aufsteiger und erfahrene Leistungsträger“, „nicht vorbestraft und zeigt keine abweichenden Wertvorstellungen“, aufgrund der hohen Fachkompetenz wird ihnen viel Vertrauen entgegengebracht. „Sie sind ehrgeizig und karriereorientiert und verfügen über Macht- und Entscheidungsbefugnisse in ihrer beruflichen Position.“ Der Lebensstandard ist hoch. „Korrupte Akteure ähneln dabei stark ‘normalen’ erfolgreichen Managern.“ (APuZ, 3-4/2009, S. 27) 

In den Medien werden desöfteren Korruptionsskandale aufgedeckt, wie auch bei Politikern, erinnert sei an die Spendengeldaffäre des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. 

Oftmals empfinden die Menschen, dass Politiker den Staat wie einen Selbstbedienungsladen ausnutzen. Sie legen schwarze Kassen für die Parteienfinanzierung an. Berichte über Korruptionsskandale reißen nicht ab. Die Politiker sichern sich ihre Pfründe auch jenseits des Politikerlebens.  Schröder wanderte gleich zu Gasprom ab, Clement zu RWE, Schily zur Biometric System AG, die die Software zur Iris-Erkennung entwickeln...Und auch als Politiker sorgen sie dafür, dass es ihnen gut geht, erhöhen sich selbst ihre Diäten, haben viele

lukrative Nebentätigkeiten, die natürlich nicht angerechnet werden, und haben das 35-fache der Rente eines/r normalen ArbeitnehmerIn, natürlich ohne je einen Cent eingezahlt zu haben.

Nicht nur das Sichern der Pfründe, sondern auch das Machtgerangel der Politiker nervt viele Menschen. Der Beruf des Politikers hat einen schlechten Ruf.  

Forderung: Soziale Gleichheit 

Demokratie erfordert soziale Gleichheit, damit es allen möglich ist, auf politische Entscheidungen einzuwirken. So war die Macht der Wirtschaftslobby so groß, dass nicht einmal die massenhaften Straßenproteste der Betroffenen Hartz IV aufhalten konnten. Ziel war vor allem, mit Hartz IV auch zur Senkung der Löhne beizutragen, da damit eine willige Arbeitskräftearmee zur Verfügung stand und sich die Angst der noch Arbeitenden vor dem sozialen Abstieg  verstärkte. Kennzeichen dieser Art von Demokratie ist auch, dass die Existenz von Privilegien und sozialer Ungleichheit geleugnet wird. Dabei wären die Probleme in der Arbeitswelt eigentlich die Dringendsten, die gelöst werden müßten. Die Wirtschaft hat damit allerdings keine Probleme, daher steht das auch nicht auf der politischen Agenda, außer gelegentlich in der Diskussion um den Mindestlohn. 

Ein Problem für die Gesellschaft ist in Deutschland die Überalterung und im globalen Maßstab die Bevölkerungsexpansion.  

Die Bevölkerungskrise 

In dem Buch „Und mehret euch?“ wird eine Regel aufgestellt, im Weltmaßstab bedeuten höhere Einkommen weniger Nachkommen, niedrige Einkommen viele Nachkommen.

Es leben gegenwärtig 6,4 Millionen Menschen auf der Erde, davon 17% in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen.  

Aufgrund mangelnder Altersversorgung und Knappheit von Ressourcen bahnt sich eine Krise an. In zwanzig Jahren wird das Verhältnis der Bevölkerung der Länder der Dritten Welt und der hochentwickelten Länder 7:1 betragen. Claus D. Kernig schreibt: „Die Reichen im Norden werden: weniger, älter und noch reicher, und die Armen im Süden werden: mehr, jünger und noch ärmer.“ (Kernig, S.12)  Wobei er hierbei die soziale Spaltung innerhalb der Länder übersieht.  

Die Überalterung der „reichen“ Länder:

Etwa 1/3 der Weltbevölkerung überaltert, da es an Nachwuchs fehlt. In Deutschland gehen zwischen 2025 bis 2034 die Baby-Boomer ins Rentenalter. Damit wird es eine massive Vergreisung der Gesellschaft geben, die Rentenkassen werden dem Ansturm nicht gewachsen sein.  Die EU wird zum gigantischen Altersheim. In der USA sieht es aufgrund der Zuwanderung besser aus.  

Bevölkerungsexplosion:

In den Ländern mit mittlerem bis niedrigen Pro-Kopf-Einkommen wird das Verhältnis immer ungünstiger, da es immer mehr Alte gibt, andererseits aber auch viele Kinder, die versorgt werden müssen. Sinkende Sterberaten und hohe Geburtenraten führen zu einer Bevölkerungsexplosion. So wird die Bevölkerung Indonesiens bis zum Jahr 2050 auf 340 Millionen erhöhen. In China leben derzeit 1,4 Mrd. Menschen, in Indien etwas mehr als 1 Mrd., in Indonesien 250 Millionen, in Brasilien 250 Millionen etc. In diesen Ländern nähern sich einige Zentren dem Westen an, während das Hinterland noch wenig entwickelt ist. Die US-Amerikaner (5% der Weltbevölkerung) verbrauchen 30% des Weltbruttosozialprodukts, die Chinesen (20% der Weltbevölkerung) dagegen nur 4%.  

Verelendung in Afrika:

In den unterentwickelten Ländern, vor allem in Afrika, gibt es einen auffallenden Kinderreichtum. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist geringer, denn Armut und Unterernährung bilden ein Gegengewicht zu medizinischen Fortschritten. Mit einem Kinderreichtum und einer geringen durchschnittlichen Lebenserwartung weist die Bevölkerungsentwicklung in Afrika südlich der Sahara eine Eifelturmform aus. Die Unterernährung und Aids tragen dazu bei, dass die Lebenserwartung so gering ist. Das Bevölkerungswachstum ist enorm und die Jugendlichen drängen in die Städte. Die Hälfte der Stadtbewohner sind unter 19 Jahre alt. In Schwarzafrika sind 28 Millionen von Aids betroffen, 17 Millionen sind bereits gestorben. In Botswana sind 40 Prozent infiziert, in Südafrika 20 Prozent. Eine arme Bevölkerung und wohlhabende Herrscher kennzeichnen Schwarzafrika.  

Verslumung der Dritten Welt

In vielen Ländern der Dritten Welt gibt es einen großen Anteil von erwerbsfähigen Menschen mit hohem Jugendanteil. Zum zentralen Problem wird dabei die Fürsorge für die vielen Nachkommen. Die Menschen suchen daher ihr Glück in den Städten. So entstehen in den Städten immer mehr Slums. In Lateinamerika leben 32 Prozent aller Stadtbewohner in Slums, auf dem indischen Subkontinent sind es 59 Prozent und in Afrika südlich der Sahara 72 Prozent. Weder die Besitztümer noch die Arbeitsleistungen der Slumbewohner werden zur Kenntnis genommen. So werden die Behausungen nicht als Unterpfand für kleine Kredite anerkannt. Auch ihre Arbeit in der Schattenwirtschaft wird rechtlich nicht gewürdigt, obwohl sie zum Funktionieren der Gesellschaft wesentlich beiträgt. Ein Beispiel für eine Bevölkerungsexpansion ist Mexiko. Bis 2050 wird es sich um die Hälfte seiner heutigen Bevölkerung vergrößern. Die größte Verstädterung findet in Lateinamerika statt, sie liegt dort bei 75 Prozent.  

China und Indien:

Die Metropolisierung ist auch in China gigantisch. In China gibt es zwar kaum Slums, aber die Lebensverhältnisse der hundert Millionen Wanderarbeiter sind erbärmlich. Durch die Ein-Kind-Politik und Unterdrückung des Nachwuchses ist China eine überalternde Gesellschaft. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen (2003= 1100 US-Dollar) ist noch sehr gering. 20 Prozent der Weltbevölkerung verfügen damit über 4 Prozent des Weltbruttosozialprodukts. Die USA verfügen mit 5 Prozent der Weltbevölkerung über 29 Prozent. Indien wird im Jahre 2050 mit 1,6 Milliarden Einwohner der bevölkerungsreichste Staat der Erde sein, dabei kann die Wirtschaftsdynamik mit der Bevölkerungsdynamik noch nicht Schritt halten.  

Sonderfall Arabischer Raum:

Während Israel überaltert, wissen die Palästinenser nicht, wie sie ihre vielen Kinder und Jugendlichen betreuen sollen. Auch im arabischen Raum gilt: "Niedrige Einkommen= viele Nachkommen". Die Ausnahme der Regel sind allerdings Saudi-Arabien und die Emirate. Die Öl fördernden Emirate im Nahen Osten gehören zu den reichsten Staaten der Welt. Bei hohen Einkommen haben sie auch eine hohe Fortpflanzungsrate.  

Die wachsende Bevölkerung ist auch ein Grund für die Ernährungskrise.  

Die Ernährungskrise 

Die Nahrungsmittelkrise ist eng mit der Ölkrise (Düngemittelpreise) und der Finanzkrise (Spekulation) verknüpft. Seit Mitte 2005 sind die Preise für Nahrungsmittel laut Weltbank um mehr als 80% gestiegen. Für viele Menschen wurden Nahrungsmittel unbezahlbar.  

Was sind die Ursachen?

Da ist zunächst die Agrarpolitik.

Wenige Länder produzieren in großem Umfang für den Weltmarkt (Mais- USA, Argentinien, Brasilien- 88%), (Reis Thailand, Vietnam, USA, Pakistan, Indien- 83%) so kontrollieren vier Konzerne den Weltgetreidemarkt. Die große Mehrheit der Länder ist von Nahrungsmittelimporten abhängig.

Dabei hat die Liberalisierung und Deregulierung viele Entwicklungsländer von Nahrungsmittelimporten abhängig gemacht (2/3 der Entwicklungsländer sind Netto- Nahrungsmittelimporteure 105 von 148). „Vielen Entwicklungsländern ist ihre Abhängigkeit vom Weltmarkt zum Verhängnis geworden. Jahrzehntelang wurde ihnen weisgemacht, dass die Öffnung ihrer Märkte, der Import von billigen Nahrungsmitteln und die Fokussierung auf die Produktion einiger weniger Exportprodukte der richtige Weg sei. Aber dieser Weg führte, wie die Erfahrung zeigt, in die Hungerkrise.“ (APuZ, 6-7/2009, S.17)

Viele Probleme haben ihren Ursprung in der IWF- und Weltbank-Politik; z.B. konnte sich Haiti vor 20 Jahren noch selbst mit Reis versorgen, erst als der IWF und die Weltbank 1995 Haiti zwangen, den Reiszoll von 50% auf 3% zu senken und Haiti mit Reis aus den USA überschwemmt wurde, brach die Reisproduktion in Haiti zusammen. Heute importiert Haiti 80% des Reis. 80% der Menschen auf dem Land leben unter der Armutsgrenze, insbesondere die Reisbauern. Der Premierminister mußte im April 2008 wegen der Ernährungskrise zurücktreten. Aber immer noch werden vom IWF und Weltbank Privatisierung und Liberalisierung zur Auflage für die Kreditvergabe gemacht.

Zum Beispiel Mexiko: es wurde Anfang 2007 mit der „Tortilla-Krise“ zum Vorboten der Ernährungskrise; auch hier war IWF und Weltbank mit Strukturanpassungsmaßnahmen beteiligt. Das staatliche Unterstützungssystem wurde abgebaut, das machte den Weg frei für wenige Agrarkonzerne. Mit dem NAFTA-Abkommen 1994 wurde der Liberalisierung des Maissektors zugestimmt, subventionierter Mais überschwemmte Mexiko, die Preise fielen und die Kleinbauern wurden vom Markt verdrängt. Mexiko wurde zum Netto-Importeur von Mais.  

Die Agrarsubventionen in den Industrieländern führten zu einem massivem Ausbau der landwirtschaftlichen Produktion. Das Überangebot führte wiederum zu niedrigen Preisen und für die Kleinbauern zu niedrigen Einkommen. Im Frühjahr 2008 fielen die Preise wegen guter Ernten und dem Abzug des spekulativen Kapitals aus den Rohstoffmärkten.  

Weitere Ursachen der Ernährungskrise sind:

Zunächst der Bevölkerungszuwachs. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf 9 Mrd. anwachsen.

Dann die Bodenknappheit. Gegenwärtig stehen 5 Mrd. Hektar zur Verfügung, jedes Jahr gehen 10 Mill. wegen der Intensivierung verloren, auch durch Versteppung, Versiegelung und Wüstenbildung.

Ein weiteres Problem ist die Wasserknappheit. 70% des globalen Süßwasserverbrauches gehen auf das Konto der Landwirtschaft; oftmals muß man schon 100 m nach Wasser bohren.

Natürlich ist eine wichtige Ursache der Klimawandel, dieser begünstigt die Produktion in den Ländern des Nordens und erschwert sie in Entwicklungsländern. Das führt zum Rückgang der biologischen Vielfalt.

Eine Ursache sind auch die Biotreibstoffe. 10% des Mais wird zu Treibstoffen verarbeitet, in den USA sind es 30%. Der hohe Ölpreis führt dazu, dass Biotreibstoffe konkurrenzfähig werden, die Biotreibstoffe verbrauchen immer mehr Anbaufläche, da sie zu einer Intensivierung der Bewirtschaftung führen. So sollen in Indonesien  bis zum Jahre 2020   20 Mill. ha für die Palmölproduktion genutzt werden. In Brasilien wird der Sojaanbau ausgeweitet, was z.B. zur Regenwaldrodung führt.

Natürlich sind es auch die Hungerlöhne und miserable Arbeitsbedingungen, damit können die Arbeiter in den Entwicklungsländern kaum noch ihre Ernährung bezahlen.

„Das Wohlergehen armer Arbeiterinnen und Arbeiter hängt sehr stark vom Einkommen und von den Preisen ab. Heute gibt es 550 Millionen Menschen auf der Welt, die arbeiten, aber trotzdem mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen...Die Preisexplosion trifft insbesondere arme Arbeiterinnen und Arbeiter, die 60-70% ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden.“ (APuZ, 6-7/2009, S.20)

Und es sind auf der anderen Seite auch  Wohlstandszuwächse der asiatischen Schwellenländer. Damit ändern sich auch die Ernährungsgewohnheiten, in China wird heute 5x mehr Fleisch verzehrt als 1980.  

Was sind nun die Auswirkungen?

Es steigen die Nahrungsmittelpreise. Während in Deutschland nur 10% des Einkommens  für Nahrungsmittel ausgegeben wird, bei Hartz IV-Beziehern sieht das anders aus, gibt eine Familie in Bagladesch 80% des Einkommens aus. Ca.3 Mrd. Menschen haben zwar genug Kalorien, sie leiden aber an einem Mangel an Proteinen, Eisen, Jod und Vitaminen.

Die Anzahl der hungernden Menschen steigt an. Vor der jüngsten Preisexplosion wurden die Hungernden auf 860 Millionen geschätzt, mit der Preisexplosion waren es ca. 70-100 Millionen mehr. Hunger hat ein ländliches Gesicht; 50% sind Kleinbauern, 22% Landlose, 8% leben von der Fischerei- und Waldwirtschaft (UN-Angaben). Die 450 Millionen LandarbeiterInnen (20-30% Frauen) gehören zu den Ärmsten im ländlichen Raum.  

Was könnten nun Wege aus der Krise sein?  

In den Entwicklungsländern müssen die Probleme der Landarbeiter im Mittelpunkt stehen, ihre Arbeitsrechte müssen beachtet werden. Sie müssen als Zulieferer fair behandelt werden.

Kleinbauern sind Preisschwankungen schutzlos ausgeliefert, sie wurden vom Markt gedrängt. Dabei müssen 400 Millionen Kleinbauern der Welt gestärkt werden; sie brauchen einen besseren Zugang zu den Märkten und eine Absatzgarantie zu fairen Preisen. Kleinbauern, die ihr eigenes Saatgut verwenden, erhalten und fördern die biologische Vielfalt. Daher sind Landreformen notwendig. Frauen spielen eine tragende Rolle in der Nahrungsmittelproduktion, ihre Position muß aufgewertet werden, es müssen neue Verdienstmöglichkeiten geschaffen werden.  

In den Industrieländern muß ein Umdenken erfolgen, es ist ein Wandel zur ökologischen Landwirtschaft notwendig. Die intensive Bewirtschaftung mit Dünger, Pestiziden und zu viel Wasser zerstört ihre Grundlagen, der ökologischer Landbau will dagegen die Bodenfruchtbarkeit langfristig erhalten.

Insgesamt muß die lokale Nahrungsmittelproduktion absolute Priorität haben.  

Die Ernährungskrise hängt natürlich eng mit dem Klimawandel zusammen.  

Der Klimawandel und die Folgen 

Die globale Erwärmung der Erde ist eine Tatsache, sie ist vor allem auf den Anstieg der Treibhausgaskonzentration (insbesondere Anstieg CO²) zurück zu führen. Die Folgen des Klimawandels sind vielfältig: Berggletscher, die Antarktis und Arktis schmelzen ab, der Meeresspiegel steigt an, Meeresströmungen ändern sich. Es kommt zu Wetterextremen wie Stürmen (z.B. Hurrikan Katrina), Überschwemmungen (wie die Oderflut) oder Dürren. Das Ganze hat Auswirkungen auf die Artenvielfalt (Biodiversität), auf die Landwirtschaft und Ernäherungssicherheit. Es breiten sich zudem verstärkt Krankheiten aus.  

„Die Klimaerwärmung, ein Ergebnis des unstillbaren Hungers nach fossiler Energie in den frühindustrialisierten  Ländern, trifft die ärmsten Regionen der Welt am härtesten; eine bittere Ironie, die jeder Erwartung Hohn spricht, dass das Leben gerecht sei.“, Harald Welzer im Buch „Klimakriege“. (Welzer, S. 10) Die Klimaerwärmung vertieft die globalen Ungleichheiten. Die Verursacherländer haben die größten Chancen, Nutzen daraus zu ziehen. In den armen Ländern dagegen finden immer mehr Menschen immer weniger Grundlagen, um ihr Überleben zu sichern.  

Lösungsansätze gegen den Klimawandel sind oftmals, dass auf der Verhaltensebene der Menschen angesetzt wird, das Problem wird also individualisiert. Harald Welzer plädiert aber dafür, das Problem des Klimawandels als kulturelle Frage zu behandeln. Wie will man eigentlich in Zukunft leben. Es geht nicht um Verzicht, sondern um Engagement.  

Der Klimawandel führt zu Ressourcenkriegen, zu Überzeugungskriegen und zur Massenmigration. Und zu Klassenkonflikten, weil der Klimawandel auch zu sozialen Problemen führt, dazu an anderer Stelle.  

Klimakriege finden dort statt, wo Entstaatlichung und private Gewaltmärkte Normalzustand sind. Deshalb ist auch anarchistische Staatskritik in der heutigen Zeit zu überdenken. Denn solche Gesellschaften ohne staatliche Strukturen sind kein Reich der Glückseligkeit. Die Folgen des Klimawandels schränken Überlebenschancen ein und verstärken die Probleme. Mit der einsetzenden Massenmigration aufgrund des Klimawandels wird die Sicherheitspolitik in den reichen Ländern verschärft. Der Terrorismus wird durch die klimabedingte Ungleichheit legitimiert. Auch das ruft eine verstärkte Sicherheitspolitik hervor. In den armen Ländern entstehen Gewaltkonflikte und soziale Konflikte.  

1) Ressourcenkriege 

In Afrika breiten sich mit den Dürren die Wüsten aus, damit gibt es Kämpfe um fruchtbaren Boden und Weideland. Extreme Wetterereignisse werden auch in reichen Ländern zu sozialen Katastrophen, wie zum Beispiel New Orleans in den USA gezeigt hat. Mit dem Anstieg der Meere, aufgrund des Abschmelzens der Meere, werden zum Beispiel Inseln unbewohnbar. Auch die Inselbewohner suchen dann nach neuen Orten, in denen sie leben können. Asien hat sowohl mit Wasserknappheit als auch mit Überschwemmungen zu kämpfen. In Australien wirkt sich das Ganze zum Beispiel in der Artenvielfalt aus. In Dafur gab es den ersten Klimakrieg, es war ein Konflikt zwischen sesshaften Bauern und viehzüchtenden Nomaden. Aufgrund der Dürre waren Weideflächen nicht mehr nutzbar. Hungernde Menschen zogen durchs Land. Konflikte, die ökologische Ursachen hatten wurde hier als ethische wahrgenommen, hier zwischen den afrikanischen Bauern und den arabischen Nomaden. Landverluste sind in armen Ländern katastrophal, der Überlebensraum wird eingeschränkt. Auch Ernteausfälle können nicht kompensiert werden. Das Verschwinden von Ressourcen führt zur Gewalt. Aber gerade auch dort, wo Ressourcen vorhanden sind, werden arme Länder für die Ausplünderung attraktiv. Man nennt das den „Fluch der Rohstoffe“. Dazu mehr im Abschnitt zum Kampf um die Rohstoffe. 2006 gab es 35 schwerwiegende Gewaltkonflikte einschließlich sechs Kriegen. Terroristen verüben oft Anschläge auf Pipelines und Raffinerien. Auch die Gewaltkonflikte um das Wasser und anderen existentiellen Rohstoffen werden zunehmen. In der Arktis und Antarktis werden gigantische Rohstoffvorkommen vermutet, mit dem Abschmelzen der Eismassen wird es auch dort zu Konflikten kommen.  

Exkurs: Der Kampf um die Rohstoffe 

Auch hier bannt sich eine Krise an. Am Bekanntesten ist hier wohl der Kampf um das Erdöl, Irak hat riesige Rohstoffreserven. Auch der Iran besitzt  riesige Erdöl- und Ergasfelder. Der Präsident Mahmud Ahmadinedschad sagte: „Der Westen braucht uns mehr, als wir den Westen brauchen.“ Den 200 000 Staatsbürgern Katars geht’s bestens, denn das Land besitzt riesige Vorkommen an Erdgas. Die USA hat hier ihre größte Militärbasis am Persischen Golf. Öl und Gas gehen also bestens. Und so arbeiten zum Beispiel alle erdölproduzierenden Länder dicht am Förderlimit, aber die Zeit des billigen Erdöls und Erdgases ist bald vorbei, denn diese fossilen Rohstoffe stehen begrenzt zur Verfügung. Die bekannten Reserven beim Öl reichen noch schätzungsweise 40 Jahre, wenn der Konsum so bleibt. Dabei nimmt der Bedarf bei Schwellenländern wie China und Indien aber rasant zu. Indien boomt, 70% des Öl- und 50% des Gasbedarfs importiert das Land. China verursachte im Jahre 2004 36% des weltweiten Wachstums beim Erdölverbrauchs. Erich Follath schreibt: „Es gibt Schätzungen, dass sich die Zahl der chinesischen Pkw, Motorräder und Mopeds in den nächsten 15 Jahren verfünffachen wird- und der Energieverbrauch in dieser Zeit dementsprechend auch. Im Weltmaßstab sind die Frauen und Männer im Reich der Mitte immer noch sehr bescheiden. Würde ein Chinese im Durchschnitt so verschwenderisch leben wie ein US-Amerikaner, würde sich sein Konsum verdreizehnfachen. Die Volksrepublik brauchte alle 24 Stunden über

90 Millionen Barrel Erdöl- mehr als die jetzige Tagesproduktion der ganzen Welt.“ (Follath/Jung, S. 30) Das alles unbeachtet, wird es nach 2015 bis 2020 einen Rückgang der Förderung geben, das schwarze Gold wird also knapp. Bei Erdgas werden die bekannten Reserven wohl in 60 Jahren erschöpft sein. Vorkommen gibt es vor allem in den instabilen Gegenden Iran, Quatar und Rußland. Erdgas hat bei der Energieversorgung an Bedeutung gewonnen. Politisch bedingte Engpässe sind zu erahnen. Russland nutzt Gasprom als politisches Instrument. Erich Follath schreibt: „Alle großen Staaten haben heute erkannt: Erdöl und Erdgas sind von existentieller strategischer Bedeutung. Sie sind der Treibstoff der kommenden Konflikte. Deshalb stecken die Mächtigen der Welt überall dort, wo überlebenswichtige Rohstoffreserven liegen, mit Waffengewalt oder aggressiver Diplomatie ihre Claims ab. Zu beobachten war das große Hauen und Stechen auch wieder beim G-8-Gipfel in St. Petersburg Mitte Juli 2006, wo Gastgeber Wladimir Putin keinen Hehl daraus machte, dass ‘Rußland danach streben muss, die Weltführung in Sachen Energie zu übernehmen’“. (Follath/Jung, S. 26) Die Energiepolitik ist das Fundament der Politik Putins. Insgesamt wird es wohl auch auf eine Konfrontation zwischen den USA und China in Sachen Energie hinauslaufen. (Zur Hegemonie-Krise später.)

Rohstoffe wie Erdöl, Gas und Uran sind weltwirtschaftlich entscheidende Faktoren geworden. Inzwischen hat Ressourcen-Sicherheit die politische Priorität Nr.1. Die Besitzer der Rohstoffe werden umworben. Auch wenn Busch und Chavez sich gegenseitig beschimpften, die USA

sind Hauptabnehmer des Öls aus Venezuela, das Geschäft läuft reibungslos. Venezuela gehört zu den führenden Energielieferanten der USA und Chavez ist auf die Milliardengewinne angewiesen. Gerade die staatliche Erdölproduktion ist es, die Chavez Macht verleiht. Mit dem Geld unterstützt er nicht nur die Armen im eigenen Land, sondern auch andere linksgerichtete Staaten in Lateinamerika, die zum Beispiel die Ölproduktion verstaatlichen. Der Wind von links aus Lateinamerika bläst der USA ins Gesicht. Ein Lieferstopp des Öls aus Venezuela würde die Benzinpreise in den USA erheblich verteuern und zur Unruhe führen. So sind die USA und Venezuela voneinander abhängig.

Die einzige Erdöl- Supermacht ist Saudi-Arabien. Dort liegen 22% der bekannten Weltreserven. Es ist ein Staat im Umbruch, die Sicherheitsindustrie wächst am meisten, denn die Besitztümer der Erdöl-Reichen und die Raffenerien müssen beschützt werden. Islamischer Fundamentalismus ist dort Staatsdoktrin, und niemand der Erdölabnehmer aus der westlichen Welt stört es. Denn es herrscht Versorgungsangst und ein Rohstoff-Nationalismus. Die Verbraucherländer werden abhängiger.

Öl und Gas sind politische Rohstoffe. Aber Rohstoffe sind für die Länder, die sie besitzen, auch ein Fluch. Im Buch „Der neue kalte Krieg“ heißt es: „Wo ein Land von Bodenschätzen lebt, da sind oft autoritäre Regime an der Macht, die die Menschenrechte missachten und Minderheiten unterdrücken. Da ist die Kindersterblichkeit besonders hoch- im Kongo zum Beispiel liegt sie im östlichen Teil bei 41 Prozent- und die Lebenserwartung besonders

niedrig. Da sind Korruption und Vetternwirtschaft allgegenwärtig. Da wird kaum ein Cent investiert, jedenfalls nicht in Straßen, Schulen und Krankenhäusern, sondern höchstens in Waffen. Die Militärausgaben verschlingen in den Opec-Staaten fast ein Fünftel des Staatshaushalts. Für Schüler und Studenten geben die Mitglieder des Ölkartells hingegen nur halb soviel aus wie der Rest der Welt im Durchschnitt...Es ist ein fataler Mechanismus: Die Rohstoffe sind wertvoll, deshalb sind sie umkämpft. Dieser Kampf aber ist nur zu führen, weil er durch die Erlöse aus den Bodenschätzen finanziert wird. Und da die Ressourcen eine schier unerschöpfliche Geldquelle darstellen, zieht sich der Konflikt dahin, über Jahre und Jahrzehnte.“ (Follath/Jung, S. 72) Der Weltbank-Ökonom Collier meint, Rohstoffe seien der bedeutsamste Risikofaktor für einen Bürgerkrieg. Kennzeichen in diesen Ländern ist oftmals auch, dass die breite Masse arm bleibt. In Russland ist zum Beispiel durch den Öl- und Gasboom nur eine kleine staatstreue Clique steinreich geworden. Mit weniger als 200 Euro im Monat müssen 70 Prozent der Russen auskommen, 27 Prozent sogar mit weniger als 100. „Good Governance“ sei die Voraussetzung , so im Buch „Kampf um Rohstoffe“, für „breiten“ Wohlstand in Ländern, die rohstoffreich sind. So ist in Norwegen das Lebensniveau der Masse ziemlich hoch. Oftmals fehlt aber der Druck, sich zu verändern, da die Einnahmen durch die Rohstoffe fließen.

Inzwischen ist auch die Kohle bei den Rohstoffen wieder auf dem Vormarsch, so deckt China 70 Prozent seines Energiebedarfes mit Kohle. China giert nach Energie und ist nach den USA zweitgrößter Verursacher von Treibhausgasen. Wieland Wagner schreibt: „Doch so verzweifelt die Chinesen in ihrem Riesenreich nach Energieträgern schürfen- sie werden immer abhängiger vom Import. Pekings außenpolitische Strategie wird daher zunehmend von der globalen Suche nach Rohstoffen geleitet.“ (Follath/ Jung, S. 107)

Australien ist zum Beispiel großer Gewinner des Rohstoffbooms, weil es China die Grundstoffe für das Wirtschaftswunder liefert. Mit dem ökonomischen Aufstieg Chinas wächst auch die Wirtschaft in Australien. Die Chinesen beliefern wiederum mit den billigen Produkten, die sie aus den australischen Metallen hergestellt haben. Außerdem will China bis 2020 viermal mehr Atomenergie erzeugen, ist also auch auf der Suche nach Uran. Der Run aus China, ein Fünftel der Menschheit, auf die Rohstoffe ist gewaltig. Alexander Jung schreibt: „ ...der China-Faktor hat das Gesicht der gesamten Rohstoffbranche verändert: Nur noch eine Handvoll Unternehmen bestimmen das globale Geschäft. Wohl keine andere Industrie hat in den vergangenen Jahren einen solch tiefgreifenden Strukturwandel erlebt.“ (Follath/Jung, S.196)

Der Rohstoffhunger von China und Indien wurde auch die Quelle der Spekulation. Denn was immer man benutzt, es ist aus einem Rohstoff.

Auch die Natur-Ressourcen sind umkämpft. Brasilien, Thailand, Australien sind klassische Zuckerrohrländer. Das Zuckerrohr wächst rasend, es läßt sich leicht pflanzen und kann bis zu acht Monaten im Jahr geerntet werden. Für die Ernte steht zum Beispiel in Brasilien eine riesige Niedriglohnarmee zur Verfügung. Und es stehen unendliche Flächen zur Verfügung. Damit kann die deutsche Zuckerrübe nicht konkurrieren, Zucker wurde lange subventioniert. Der deutsche Bauer ist der EU zu teuer, am liebsten würde man ihn in den Ruhestand schicken. Aber was wird dann aus den Flächen? „Darüber denken Sie nach, in Brüssel, im Stab der Agrarkommission: Man müsse den Bauern abgewöhnen, Rüben und Getreide zu pflanzen. Man müsste sie allmählich umschulen, zu einer Art Landschaftspfleger, die Landschaft würde zu einem Freizeitpark, zu einer Bühne, auf der die Bauern sich selbst darstellen und wo der für den Export schuftende Deutsche am Wochenende Romantik tankt.“ (Follath/Jung, S. 249)

Auch Kaffeeproduzenten hoffen auf China. Je mehr es sich verwestlicht, desto mehr Kaffee würde getrunken. Der Tageslohn eines Kaffeepflückers in Kenia beträgt im Durchschnitt ungefähr 2 Euro. Da lohnt sich das Geschäft.

Auch Wasser wird zum Geschäft. Denn in vielen Regionen der Welt wird Wasser knapp. Mindestens 6000 Menschen sterben täglich, weil sie nur dreckiges oder nicht genug Wasser zum Leben haben. 40 Prozent der Weltbevölkerung haben keinerlei sanitäre Grundversorgung. Auf täglich 500 bis 800 Liter schätzen dagegen Experten den Pro-Kopf- Wasserverbrauch in den reichen Industrieländern. Riesige Mengen werden in der

Landwirtschaft verbraucht, in künstlich bewässerten Anbaugebieten, die hochsubventioniert sind.

Immer mehr wird in Zukunftsenergien investiert, hier eröffnet sich ein riesiger Markt, so für die Biotreibstoffe. Denn die 800 Millionen Kraftfahrzeuge sind der größte Erdölverbraucher der Welt, und Erdöl steht nur endlich zur Verfügung. Es wird riesige Plantagen für Autofutter geben, was wiederum die Ernährungskrise forciert.

Die Rohstoffnachfrage nach Rohstoffen wird immer größer, selbst der Abbau von Steinkohle boomt wieder. Der Weltmarkt für Steinkohle wird wachsen. Die Kohle, zweitwichtigster Energieträger, steht noch hundert Jahre zur Verfügung. Bei Erdöl, der wichtigste Energieträger, wird es noch 10-15 Jahre eine uneingeschränkte Versorgung geben, danach ist mit einer Deckungslücke zu rechnen. Deshalb ist es bereits heute notwendig nach Alternativen zum Erdöl zu suchen. Erdgas, drittwichtigster Energieträger, wird noch bis über die Mitte dieses Jahrhunderts ausreichen. Uran steht noch für die nächsten Jahrzehnte zur Verfügung. Zur Zeit wird mehr verbraucht, als gefördert. Wie sich die Bewohner in Hundert Jahre mit Energie versorgen werden, entscheiden Zukunftstechnologien, die fossilen Brennstoffe neigen sich jedenfalls dem Ende zu. Vorbote der Verknappung sind Preisansteige. Aber auch andere Gründe sind entscheidend, wie der Run Chinas auf Energieträger und alle Rohstoffe. Zudem sind die Lieferregionen oftmals politisch instabil. Russland wird seine Bedeutung als

Rohstofflieferant weiter ausspielen. Die Bedeutung der Energiepolitik wird weiter wachsen und der Kampf um die Rohstoffe wird sich forcieren.  

2) Überzeugungskriege 

Harald Welzer schreibt, dass Terror ein soziales Phänomen sei. Bis 2006 wurden 350 Selbstmordattentate in 24 Ländern der Welt verübt. Viele islamische Terroristen sind Studenten oder Migrantenkinder in westlichen Ländern und keine sozialen Außenseiter. Sie nehmen auch aufgrund der Bildung die gefühlte Ausgrenzung intensiver wahr. Oftmals haben sie in ihren Gruppen ein Elitebewußtsein. Der Islamische Fundamentalismus ist auch eine Antwort auf die Modernisierung. Der Klimawandel kann diesbezüglich ein Anlaß für Gewalt sein.  

Exkurs: Islamismus und Terrorismus 

Auch bei Bin-Laden-Anhängern spielt der Glaube eine entscheidende Rolle. Islamisten wollen eine Gesellschaft, die vollständig durch den Islam bestimmt ist. Militante Islamisten führen einen bewaffneten Kampf gegen Ungläubige. Radikale Islamisten deuten das gesamte Weltgeschehen religiös. Dschihadisten wollen eine weltweite Durchsetzung des Islam. Sie glauben, angegriffen worden zu sein und sehen sich als Opfer. Sie führen nach ihrer Interpretation einen Abwehrkrieg. Selbstmordattentäter seien Märtyrer. Islamisten hegen eine Abneigung gegen das religiöse Establishment, dadurch unterscheiden sie sich von der Mehrheit der Muslime. Al-Quaida wurde auf den Schlachtfeldern von Afghanistan gegen die sowjetische Invasion 1979 geboren. Sie wollten den Kampf internationalisieren. Inzwischen hat al-Quaida eine neue Gestalt angenommen. Yassin Musharabash schreibt, dass „...drei Trends...ins Auge (fallen)...eine Professionalisierung in Analyse und Zielauswahl; eine parallel ablaufende Dezentralisierung und Regionalisierung; sowie eine weitgehende Öffnung gegenüber den Sympathisanten.“ (Musharabash, S.54) Der Terror findet dort statt, wo die Terroristen leben. Hauptsächlich richten sich die Anschläge gegen Angehörige westlicher Staaten, vor allem gegen westliche Touristen in islamischen Staaten. Die neue al-Quaida sei weniger hierarchisch als die Urorganisation. Al-Quaida machen ihre Schriften im Internet bekannt, die Sympathisanten sollen selbst aktiv werden. Yassin Musharbash unterscheidet drei Generationen: „Als ‘erste Generation’ werden gemeinhin die in Afghanistan ausgebildeten und ideologisierten al-Quaida-Kader bezeichnet. Die ‘zweite Generation’ bilden jene viel schneller ideologisierten Terroristen, die zuschlagen, ohne je länger oder überhaupt in Afghanistan gewesen zu sein, und in arabischen oder islamischen Staaten aufgewachsen sind. Die ‘dritte Generation’ wiederum bezeichnet einen weiteren neuen Typus, der im Westen aufgewachsen ist und noch rascher al-Quaidas Ideologie übernimmt.“ (Musharbash, S.90) Islamisten nutzen das Internet, damit westliche Technologie, für ihre Zwecke. Im Internet wird die al-Quaida- Ideologie verbreitet, Leser sollen zu Aktivisten werden. Für viele junge Muslime spielt Osama Bin Laden die Rolle eines Popstars. Gerade im arabischen Raum haben gut ausgebildete junge Menschen kaum Einstiegs- und Aufstiegschancen. Die Kinder der Moderne sehnen sich nach Siegertypen so heißt es im Buch „Die neue al-Quaida“.

Durch die Migration zieht auch der Islam in Europa ein, dabei kommt es immer wieder zu einer öffentlichen Beunruhigung. Der Islam steht in der Öffentlichkeit unter Fundamentalismusverdacht.  

Die Massenmigration 

In der globalisierten Welt überqueren nicht nur Waren-, Informations- und Kapitalströme die Grenzen, sondern auch Migrationsströme. Sie sind die sichtbarste Auswirkung der Globalisierung. Zwar sind Westeuropa und vor allem die USA (also die Industrieländer des Westens) meistens Ziel der Migranten, aber tatsächlich haben die armen Länder die Hauptlast der Flüchtlingsbetreuung zu tragen.

Migration hat verschiedene Formen, z.B. die Arbeitsmigration, die Kettenwanderungen durch Familienzusammenführung und die illegale Einwanderung. Die Globalisierung mobilisiert immer mehr Menschen, gleichzeitig versuchen die Staaten, die Einwanderung zu begrenzen, ihre Asylpolitik wird immer restriktiver. Nur bei hochqualifizierten Arbeitskräften wird eine Ausnahme gemacht. Allerdings ist nur einem Bruchteil der Weltbevölkerung Migration möglich, denn die Ärmsten haben dafür keine Ressourcen. Die meisten wandern in den Fußstapfen anderer, also von Freunden und Angehörigen, in einem Netzwerk. MigratInnen werden als Bedrohungspotential präsentiert, gerade dadurch werden auch „einheimische“ Deklassierte erreicht.

Nach dem Mauerfall 1989 wurde von 1990 bis 1993  in der Öffentlichkeit von einer „Überflutung“ gesprochen. Es gab 1990: 193 063 Asylanträge, 1991: 256 112, 1992: 438 191 und 1993: 322 599. Es kamen immer mehr Menschen aus Osteuropa, nach 1989 kam die politisch motivierte Bevorzugung der Osteuropäer ins Wanken. Die Asylbewerber wurden in Sammellager eingewiesen, die Freizügigkeit wurde eingeschränkt und sie wurden zum Nichtstun gezwungen. Weil sie keine Arbeitserlaubnis hatten, mußten sie Sozialhilfe beziehen und wurden dann als Schmarotzer und „Wirtschaftsasylanten“ in der Öffentlichkeit präsentiert. In dieser Stimmungslage wurden die Asylbewerber ab Dezember 1990 in die neuen Bundesländer verteilt. In der DDR hatte es nur 1% Migranten (meistens Vertragsarbeiter) gegeben. Ein Synonym für Ausländerfeindlichkeit im Osten wurden Hoyerswerda (17-22.9.1991) und Rostock-Lichtenhagen  (23-27.8.1992). Schuld daran war neben der zunehmenden Arbeitslosigkeit auch die Asylkampagne 1990- 1993. Die These dieser Hetze war, dass es sich bei den Asylbewerbern um Betrüger handelt, die vom Sozialstaat angelockt werden. Sie würden hohe Kosten verursachen.

Seit 1995 ist das Schengener Abkommen in Kraft, das bedeutete einen Ausbau der Festung Europa.

2005 startete die Grenzschutzagentur FRONTEX (2005 bekamen sie 6 Millionen, 2009 130 Millionen finanzielle Unterstützung) . Es gibt 1792 offizielle Grenzposten. Jährlich  gibt 300 Millionen Grenzüberschreitungen; davon entfallen 160 Millionen  auf EU-Bürger, 60 Millionen auf Drittstaatenangehörige ohne und 80 Millionen mit Visumspflicht. Auf den Kanarischen Inseln landeten 2006 über 31 000 Migranten, an den Küsten Italiens 22 000.

Europa und die USA sichern ihre Grenzen vor der Massenmigration. Europa hat mit dem Schengener Abkommen 1995 die Grenzsicherung an die Außenränder Europas verlegt. Die Drittstaatenregelung bewirkt, dass Flüchtlinge aus Afrika, die es zum Beispiel nach Deutschland geschafft haben, wieder nach Spanien abgeschoben werden, wenn sie dort zuvor den Boden betreten hatten. Frontex wurde eingerichtet, um die Grenzen noch schärfer zu schützen, die Agentur kooperiert mit den Geheimdiensten der EU. Frontex befragt zum Beispiel Flüchtlinge nach den Fluchtrouten. In den USA ist die Wüste von Arizona der Brennpunkt illegaler Einwanderung aus Mexiko. In Mexiko gibt es bereits 41 Abschiebegefängnisse, die von den USA finanziert werden. Der Druck auf die Grenzen der Wohlstandsinseln Europa und Nordamerika wird größer werden, denn der Klimawandel führt zu Hunger, Kriegen, Verwüstungen und Wasserproblemen. Die Überlebenschancen in den armen Ländern werden immer kleiner. Europa schottet sich ab, um den Flüchtlingsstrom abzuwehren. Oft wird versucht, bereits in Afrika den Aufbruch zu verhindern. Auf die Herkunfts- aber auch Transitländer wird Druck ausgeübt. In der EU und den Transitländern außerhalb der EU werden Auffang- und Abschiebelager eingerichtet. Illegale, die kein Asyl erhalten, werden abgeschoben.  

Die Auswirkungen des Klimawandels sind also immens. Was aber noch zu erwarten ist, ist auch ein Konfrontation zwischen den Weltmächten USA und China.  

Die Krise der Hegemonie 

Nach dem Zusammenbruch des Ostblockes war die USA die führende Weltmacht.

Aufgrund der Wirtschaftskraft ist aber nun China prädestiniert zur führenden Weltmacht im 21.Jahrhundert zu werden. Daher sagen Experten vorher, dass es zu Konfrontationen zwischen der USA und China kommen könnte. Eine wirtschaftliche Auseinandersetzung ist schon im Gange, allerdings militärisch ist China der USA noch nicht gewachsen.

China und die USA sind wirtschaftlich eng miteinander verwoben. Die Chinesen finanzieren das Haushaltsdefizit und damit den Lebensstil der Amerikaner, die sich hoch verschuldet haben, denn in den vergangenen Jahren hat China US-Schatzbriefe von mehr als 500 Milliarden Dollar gekauft. Die USA sorgt wiederum für das Wirtschaftswachstum in China, denn die Amerikaner kaufen die chinesischen Produkte.

Seit 1979 begann China eine Marktwirtschaft aufzubauen, dazu wurden u.a. Sonderwirtschaftzonen geschaffen.  China sucht weltweit Märkte für seine Produkte, so ist es zum Hersteller der Wal Mart-Produkte geworden. Für ausländische Investoren sind der chinesische Markt, das riesige Reservoir an billigen Arbeitskräften (500-600 Mio.) und vorteilhafte Investitions- und Steuerregelungen attraktiv. China nimmt als Produktionsstandort die Spitzenposition ein. Gleichzeitig ist die Wirtschaft Chinas nach außen orientiert, 1/3 der Produktion wird ausgeführt. 50 Prozent der chinesischen Ausfuhren stammen dabei von Tochterfirmen ausländischer Unternehmen. Gleichzeitig importiert China vor allem Rohstoffe. China ist der zweitgrößte Verbraucher von Erdöl. Während für Clinton gute Beziehungen zu China äußerste Priorität hatten, wollte Bush China eindämmen, dabei kamen die Konservativen mit den Neoliberalen, die China als Geschäftspartner schätzen, in Konflikt.

Obama mahnte, China nicht zu dämonisieren. Er meinte aber auch, dass man auf die militärische Entwicklung achten werde, der Aufstieg Chinas solle friedlich sein.

Da die soziale Situation in den beiden Ländern sehr dramatisch ist, möchte ich an dieser Stelle darauf eingehen, um zu zeigen, was denn das für Führungsmächte im 21. Jahrhundert sind. 

China 

Für die chinesische Führung ist das Wirtschaftswachstum ihre Legitimationsgrundlage. Aufgrund dessen steckt die Umwelt Chinas schon jetzt in einer Krise. Mit der Einführung der Marktwirtschaft und des Aktienmarktes beschritt China den kapitalistischen Weg, das führte wiederum so sozialen Spannungen. Qinglian He schreibt, dass mit der Etablierung eines Bodenmarktes 1986 damit begonnen wurde, in den Entwicklungszonen Grund und Boden unter den Machthabern der Verwaltungsebenen aufzuteilen. Seit 2000 begann die „Einhegungsbewegung“ Häuser abzureißen und ein Teil der Stadtbevölkerung umzusiedeln. Der staatseigene Boden wurde aufgeteilt, dabei kooperierten Regierungsbeamte und Immobilienhändler eng miteinander. Bauern wurde das Land geraubt, von dem sie lebten. Städter, deren Häuser abgerissen wurden, wurden so um ihren Besitz betrogen. 90% der Immobilienunternehmen würden massiv Steuern hinterziehen, oftmals pressen sie auch noch aus den Immobilienkäufern Geld heraus. Qinglian He resümiert: „Die Tatsachen zeigen deutlich, dass die Immobilienbranche, die als lukrativstes Gewerbe für Spekulationsgewinne eingestuft wird, ein perfektes Beispiel für hochgradige Korruption ist, bei der Immobilienerschließer, Regierungsbeamte und Bankmitarbeiter eng kooperieren und gemeinsam das öffentliche Eigentum Chinas und das Privateigentum der Bevölkerung ausplündern.“ (He, S. 92)

Ein weiterer Schritt der chinesischen Regierung war die Reform der staatseigenen Betriebe. Die Staatsbetriebe wurden zum beliebten Jagdobjekt auf der Suche nach Profit. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden viele kleine und mittlere Staatsbetriebe in Privateigentum umgewandelt. Das Staatsvermögen fließt in private Taschen ab. Qinglian He beschreibt vier Formen der Korruption der Kader: „1.Annahme und Verteilung von Bestechungsgeldern...2. Die Praxis, öffentliche Gelder für private Unterhaltung, Essen und Trinken auszugeben...3. Eine dritte Form der Korruption in staatseigenen Unternehmen ist die unter Kadern weit verbreitete Praxis, Verwandte und enge Freunde auf guten Posten unterzubringen und so das Unternehmen in ein persönliches, auf Vetternwirtschaft beruhendes ‘Königreich’ umzuwandeln...4. Plünderung von Staatseigentum.“ (He, S. 123f.)

Seit den 1990er Jahren haben eine Reihe von Neureichen Reichtum angehäuft, der nicht mit marktwirtschaftlichen Mitteln entstanden ist, so He. Das haben sie vor allem durch Beziehungsnetzwerke geschafft. 28,2 Prozent der Besitzer von Privatunternehmen sind Funktionäre, 14,2 Prozent waren Delegierte des Volkskongresses, 33,9 Prozent Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz Organisationen aller Ebenen. 55,3 Prozent der Besitzer der Privatunternehmen hoffen Mitglied des Volkskongresses zu werden. Das Beziehungsnetzwerk dient oft der Gründung von Fabriken, gemeinsamen Geschäften, dem Verkauf von Produkten etc. Der Reichtum Chinas konzentriert sich in den Händen weniger. Nutznießer sind die „Verwalter gesellschaftlicher Ressourcen“, so im Grund- und Bodenamt; es sind „Verantwortliche staatseigener Unternehmen“; es sind „Mittelsleute mit der Fähigkeit, ihre Macht in Geld zu verwandeln“, es sind „Mitarbeiter von Organisationen mit chinesischem Kapital im Ausland sowie in Hongkong und Macao“, es sind „Besitzer von Privatkapital, die günstige Gelegenheiten für ihre Geschäfte ausgenutzt haben“. (He, S.176ff.) 70 Prozent der Unternehmen auf Kreis- und Dorfebene würden eine „rote Mütze“ tragen.

Qinglian He schreibt, dass ein Problem das niedrige Bildungsniveau vieler Neureicher sei.

Ihr Reichtum ist oftmals das Produkt eines bloßen Glückfalls, so bei den Bauern um Shenzen, der Sonderwirtschaftszone. Chinas Neureiche bedienen sich oft skrupelloser und krimineller Methoden, so He. Die Aneignung öffentlichen Eigentums vertieft die soziale Spaltung in China. 1995 veröffentlichte das Staatliche Statistische Amt Zahlen, 7 Prozent der reichsten Familien verfügten über 30,2 Prozent des gesamten Finanzkapitals in China. Die ärmsten 38 Prozent besaßen 11,9 Prozent des gesamten Vermögens. Auch die Chinesische Volksuniversität brachte 1995 Zahlen heraus, wonach die reichen 20 Prozent über 50,24 Prozent des Einkommens verfügen und die ärmsten 20 Prozent nur über 4,27 Prozent. 2001 mußten 23 Millionen Menschen mit ca. 200 Yuan auskommen, 14 Millionen mit weniger als 100 Yuan. Die Armutbevöllkerung in China wächst ständig. Unzufriedenheit gibt es in China vor allem über die Art und Weise, wie manche reich geworden sind. Die Vermögensverteilung kommt durch den Einfluss von Macht zustande, Korruption und Bestechlichkeit nehmen zu. Wer Macht und gute Beziehen hatte, kam zu Wohlstand.

Auf der Gegenseite des Reichtums steht die Flut von Wanderarbeitern, viele sind Analphabeten. Für die städtische Bevölkerung sind die Wanderarbeiter ein Problem, weil die Straftaten meistens auf Wanderarbeiter zurückgehen, so He. Sehr verbreitet sind Eigentumsdelikte. He schreibt, dass die Brutalität der Straftaten von Leuten aus den Randgruppen etwas mit ihrer Lebensweise zu tun haben. Ihre Familien leben in extremer Armut, sie konnten keine Schule besuchen und keinen Beruf erlernen, so werden sie an den Rand gedrängt. Seit 1996 wird der Zustrom von Wanderarbeitern kontrolliert. Die Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter sind katastrophal: „1. Hohe Arbeitsintensität und lange Arbeitszeiten...2. Häufige Arbeitsunfälle mit Verletzungen...3. Ein unsicheres Arbeitsumfeld und häufig auftretende Berufskrankheiten...4. Häufige Lohnrückstände und -veruntreuungen...5. Häufige Misshandlungen von Personen...“ (He, S. 305ff.)

Die Mafia-Organisationen in den Städten rekrutieren ihre Mitglieder aus dem Heer der Wanderarbeiter, sie werden die „Drei-Ohne-Personen“ genannt, es gibt für sie keine Arbeit, sie haben ein geringes Bildungsniveau und kaum noch moralische Hemmungen.  In den Dörfern herrschen wiederum Klans. Unterwelt (der schwarze Weg) und Politik (der weiße Weg) arbeiten in China oft zusammen. In China existieren drei Typen der Untergrundwirtschaft: die Schattenwirtschaft wie Drogenhandel, Herstellung gefälschter Produkte, Bestechlichkeit etc., die undeklarierte Wirtschaft, die sich nicht nach Gesetzen und politischen Vorgaben richten, und die statistisch nicht erfasste Wirtschaft, die den Ämtern verborgen bleibt. Schwarzgeld kann in China z.B. aus der „Blasenwirtschaft“ (Profite aus Aktien und Grundbesitz) und Untergrundfabriken (Markenpiraterie) erzielt werden. In China würde gespottet, dass dort die „Fünf-Farben-Wirtschaft“ weit verbreitet sei:

„Schwarzwirtschaft- Deals zwischen Geld und Macht wie Korruption und Bestechung.
Grauwirtschaft- Untergrundfabriken, die gefälschte minderwertige Produkte herstellen und vertreiben.
Weißwirtschaft- Drogendelikte.
Gelbwirtschaft- Sexgewerbe.
Blauwirtschaft- Schmuggelgeschäfte (da der Schmuggel auf dem Meer stattfindet...)“ (He, S.385)

Viele Mafia-Bosse in China tragen die „rote Mütze“. Ihr Kapital ist die Gewalt. So boomt in China der Drogenhandel. Die Mafia gründet aber auch Betriebe, wie Inkasso-Firmen.

Funktionäre wiederum nutzten ihre wichtigen Positionen in der Verwaltung und sicherten sich den Zugang zum Markt. So konnten sie sich als politische und wirtschaftliche Elite etablieren.  Oftmals waren es Familienbande und Insiderwissen, die sie zur ökonomischen Elite machten. Zur Elite Chinas gehören ca. 7 Millionen Menschen.

Je mehr ausländisches Kapital in China investiert, desto geringer wird der politische Druck. China ist ein riesiges Investitionsmarkt. Und auch wenn es in China nach He nur 300 Millionen Menschen mit Kaufkraft gibt, ist das immer noch gewaltig.  

USA 

Nach Loic Wacquant markiert der autoritäre Staat die Grenze zwischen den „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen. Die Überzähligen werden weggesperrt, bei den anderen wird die Disziplin der Lohnarbeit durchgesetzt. In den USA werden soziale Probleme mittels workfare und prisonfare unsichtbar gemacht. Die diffusen Ängste aufgrund der sozialen Verunsicherung (Angst vor dem sozialen Abstieg) und der Aushöhlung der Autoritätsverhältnisse werden auf die Figur des Straßenkriminellen gelenkt. Der Blick wird auf die besitz- und ehrlosen Bevölkerungsteile gerichtet.

Das große Wegsperren in den USA hat eine Geschichte. Zunächst wurde das Ende der Nachsicht ausgerufen, dann wurde eine Flut von Gesetzen erlassen, dabei wurde auf einen Kathastrophendiskurs zurückgegriffen. Die Repression wurde aufgewertet und  die angeblichen Urheber der „Gewalt in den Städten“ stigmatisiert. Schließlich weitete man das polizeiliche Schleppnetz aus. 1975 gab es in den USA 380 000 Inhaftierte, 1990 waren es 1 Millionen, am 30.Juni 2000 schließlich 1.931.850. Nach Chicago ist der Gefängniskomplex damit die viertgrößte Stadt der USA. Innerhalb von 30 Jahren hat sich die Zahl der Gefängnisse verdreifacht. Das US-amerikanische Gefängnissystem gliedert sich in 3 300 Gefängnisse der Städte und Countys, (Die Insassen warten auf den Prozeß oder müssen Reststrafen unter einem Jahr absitzen), 1450 Gefängnisse der Bundesstaaten, davon 309 Hochsicherheitseinrichtungen (Das sind  Strafen von mehr als einem Jahr, sogenannte „felons“ Schwerverbrecher) und 125 Bundesgefängnisse (hauptsächlich Strafen wegen Wirtschaftsverbrechen, Verstöße gegen Drogengesetz und organisiertes Verbrechen).

Das Gefängnisnetz in den USA ist sehr heterogen; einerseits gibt es Isolation (23 Stunden am Tag im Stahlkäfig unter ständiger elektronischer Überwachung und ohne Kontakt zu anderen Menschen- in Hochsicherheitstrakten), andererseits überfüllte heruntergekommene Gefängnisse. Es gibt auch Insassen in Arbeitslagern, die einer regulären Arbeit nachgehen. Die Gefängnislaufbahnen und Erfahrungen sind je nach Schicht unterschiedlich, so sind Wirtschaftskriminelle oft im Offenen Vollzug mit Komfort ausgestattet. Seit 1975 hat sich die Inhaftierungsrate verfünffacht, 2000 waren es 702 Häftlinge auf 100 000 Einwohner, in Texas ist der Zuwachs am größten. Die Inhaftierungsrate in den USA ist 6 bis 12x so hoch wie in EU-Ländern. Die USA ist Weltspitzenreiter in Sachen Inhaftierung, nur Russland lag 1999 knapp vor der USA. Das US-amerikanische Gefängnissystem platzt aus allen Nähten. Oftmals werden Tausende entlassen, um Platz zu schaffen. Jedes 5. Gefängnis hat einen Numerus clausus. Wacquant schreibt: „Die Contygefängnisse, erstes Bollwerk gegen soziale Unruhen und Ort des Eintritts in das Gefängnisnetz, sind zu riesigen Verwahr- und Sortieranstalten für arme und prekäre Gruppen geworden, die jedes Jahr Millionen von Körpern durch ihre Mühlen drehen- und Milliarden von Dollar einsaugen.“ (Waquant, S. 138)

Los Angeles hatte 1998 21 000 Insassen, New York 17.500. New York brachte Inhaftierte in Lastkähnen unter, Los Angeles setzte Busse ein, in Phoenix wurde in der Wüste ein Lager aus Armeezelten errichtet. Viele bekennen sich schuldig, um nicht in die Stadtgefängnisse zu kommen. Sie erhalten damit Strafmilderung- entweder eine Bewährungsstrafe oder kommen in ein Bundesstaatsgefängnis. Hauptfunktionen des Gefängnisses sind, Schuldbekenntnisse zu erpressen. Es finden kaum noch Gerichtsprozesse bei der Mehrheit der städtischen Armen statt. Der Anstieg der Inhaftierung erfolgte in einer Zeit, da die Kriminalität erst stagnierte und dann zurückging. Die Tötungsdelikte waren gleich bleibend, bei Raubüberfällen schwankte die Zahl. Bei schwerer Körperverletzung und Eigentumsdelikten gingen die Zahlen zurück.  Seit 1995 war bei allen Delikten ein Abwärtstrend zu bemerken.

„Die Vervierfachung der US-amerikanischen Häftlingspopulation ist nicht durch eine Zunahme der Gewaltverbrechen zu erklären; sie ist eine Folge der Ausdehnung der Haftstrafen auf eine Reihe von Straßendelikten und -vergehen, für die früher keine Haftstrafen verhängt wurden, insbesondere kleine Drogenvergehen und Verhalten, das als Ordnungswidrigkeit oder Erregung öffentlichen Ärgernisses bezeichnet wird; und sie ist eine Folge der kontinuierlichen Strafverschärfung.“ (Waquant, S. 142f.)

Nur die Wirtschaftsverbrechen und-vergehen werden mit Milde geahndet. Bei Börsenspekulanten, die nachweislich betrogen hatten, kamen nur 3% ins Gefängnis.

Die größte Strenge lässt der Staat gegen kleine, durchschnittliche Delinquenten walten, insbesondere bei den unteren Schichten des Proletariats und den Schwarzen und Hispanics, insbesondere beim schwarzen Subproletariat der Ghettos. Inhaftiert werden vor allem nicht gewalttätige Delinquenten und Kleinstkriminelle. (nicht gewalttätige Delikte 73% in Bundesstaatsgefängnissen und 94% in Bundesgefängnissen) Es geht um die Kontrolle des Unruhe stiftenden „Straßenpöbels“. Die Zahl der Insassen wegen Drogenvergehen stieg um 478% und bei Verstößen gegen die öffentliche Ordnung um 187%; meistens sind es kleine, undisziplinierte Täter, die zur Kriminalität gelangen, die unfähig sind, dauerhaft im Erwerbsleben Fuß zu fassen. Es gab eine Strafverschärfung bei kleineren Vergehen, bei der dritten Verurteilung gibt es lebenslang („Three Strikes und You’re Out“).  2000 waren 6,47 Millionen Menschen unter strafrechtlicher Überwachung.  2 von 5 zu Bewährung Verurteilten und 6 von 10 auf Bewährung Entlassenen, die 1997 aus dem Status ausschieden, landeten wieder im Gefängnis. Es werden auch immer mehr Menschen inhaftiert. Auch die Beobachtungsfunktion wurde verstärkt. Es existieren 55 Millionen Kriminaldateien zu ca. 30 Millionen Personen, das sind fast 1/3 der erwachsenen männlichen Bevölkerung. In Denver waren 2/3 der 12-bis 24jährigen Afroamerikaner in der Datei, wobei Denver zu 80% aus Weißen besteht. Diese Strafregister benutzen z.B. Arbeitgeber. Entlassene haben es daher schwer, einen Job zu bekommen. Die Bewährungshelfer studierten früher Sozialarbeit, heute werden sie in Polizeitechniken ausgebildet und lernen den Umgang mit Schußwaffen.

Der Strafvollzugssektor expandierte; die Ausgaben stiegen unter Clinton von 1,6 Mrd. US$ 1992 auf 3,4 Mird. US$ im Jahre 2000. Inzwischen nimmt er 1/3 des Justizhaushaltes ein; die Ausgaben für den Bau von Strafanstalten nahmen von 1979 -1989 um 612% zu. Seit 1977 hat das kalifornische Parlament mehr als 1000 Gesetze zur Strafverschärfung und -verlängerung beschlossen; die Gewerkschaft der Aufseher ist der größte Geldgeber für den Wahlkampf. Der Strafvollzug ist der drittgrößte Arbeitgeber der USA, 1997 waren es 708 200 Beschäftigte (ohne Private Einrichtungen und Jugendarrest), hinter Manpower und Wal Mart. Die Zahl der Beschäftigten stieg 1997 auch  bei den Gerichten auf 950 000 und bei der Polizei auf 420 000. Der kalifornische Strafvollzug hat 2x so viel Beschäftigte wie Microsoft weltweit. Dagegen ging der Sozialhaushalt von 1976 bis 1989 um 41% zurück. Als Reagan ins Weiße Haus kam, wurden für den sozialen Wohnungsbau 27,4 Mrd. US$ und den Strafvollzug 6,9 Mrd. US$ ausgegeben, zehn Jahre später waren es 10,9 Mrd. für den Wohnungsbau und 26,1 Mrd. für den Strafvollzug. Die USA sieht die Armen lieber auf der Straße oder im Gefängnis. Die Gefängnisse sind zum größten Sozialwohnungsprogramm des Landes geworden. Das straforientierte Armutsmanagement ist in den USA positiv besetzt, während die Wohlfahrt mit Unmoral behaftet ist. Die Repression sei erfolgreich, im sozialen Bereich sei der Staat machtlos. Allerdings ist das Wegsperren ein Faß ohne Boden; ein Häftling kostet pro Jahr ca. 22000 $ (Ernährung und medizinische Versorgung nicht eingerechnet). Die medizinische Versorgung verschlingt viele Kosten (Tuberkulose, HIV, Alterung). Wege zur Kostensenkung sind die Privatisierung: 1987 waren es 3100 Plätze, 1999 145 000 Plätze im Privatsektor. 7 Strafanstalten sind an der Börse notiert, diese 7 kontrollierten 1998 87% des kommerziellen Sektors. Ein Weg zur Kostensenkung ist auch, die Kosten der Inhaftierung den Häftlingen oder ihren Familien aufzubürden. Eine 3. Strategie ist die Absenkung des Lebensstandards im Gefängnis, die Verschlechterung der Dienstleistungen. Die 4. Strategie ist, die Häftlinge arbeiten  zu lassen und dann die Löhne abzuschöpfen. 2001 gab es in den USA 2,1 Millionen Gefängnisinsassen, 6,5 Millionen waren insgesamt von strafrechtlichen Überwachungsmaßnahmen betroffen.

Die gleichen Leute, die einen Minimalstaat fordern, um den Markt durchzusetzen, wollen einen Maximalstaat aufbauen, um die „Sicherheit“ zu gewährleisten.

In den USA kann man nicht von einem Wohlfahrtsstaat, sondern muß von einem Almosenstaat sprechen. Das Leitprinzip staatlichen Handelns ist Mitleid, nur die krasseste Not wird gelindert. Demgegenüber gibt es Hilfen für die Mittel- und Oberschichten. Ein großer Teil der Leistungen, die der Staat vergibt, wird von den Privilegierten vereinnahmt. Die „64 Milliarden US$ Subventionen in Gestalt von Steuerfreibeträgen für reiche Hausbesitzer stellten die nationalen Ausgaben für Wohlfahrt (17 Milliarden US$), Lebensmittelkarten (25 Milliarden US$) und Essenszuschüsse für Kinder (7,5 Milliarden US$) weit in den Schatten.“ (Waquant, S.62) Der Almosenstaat kürzte auch bei Versicherungsleistungen (z.B. bei Erwerbsunfähigkeit), bei Wohngeld und bei öffentlichen Dienstleistungen (z.B. beim Gesundheitswesen). 1994 war der Anteil der Armen auf 40 Millionen (15% der Bevölkerung) gestiegen. Die prekäre Lohnarbeit nahm rasant zu. „Heute ist jeder dritte amerikanische Arbeitnehmer ein Nicht-Standardlohnempfänger.“ (Waquant, S.74) Jeder, der eine Stunde im Monat arbeitete, war laut Statistik beschäftigt. Auch jeder Arbeitslose, der als „entmutigt“ galt, wurde aus der Arbeitslosenstatistik herausgenommen. Drei von vier Amerikanern haben selbst oder in ihrem Umfeld Erfahrungen mit Entlassungen. 41% der Entlassenen waren von 1980-95 nicht arbeitslosenversichert, 2/3 mußten sich mit schlechter bezahlter Arbeit abfinden. Die Frustration der Mittelschicht richtete sich gegen den Staat und gegen die „unwürdigen“ Armen. „All das führte schließlich zum Ausbruch der nationalen Hysterie über das ‘Wohlfahrtsproblem’, die dann in die Sozialhilfe’reform’ des Jahres 1996 mündete...“ (Waquant, S.77)

Der Abbau des Almosenstaates ging einher mit dem Ausbau des Strafrechtssaates und seinen Disziplinierungsmaßnahmen. Damit sollte ein Aufbegehren gegen die Marginalisierung und soziale Unsicherheit verhindert werden.  

Der Folgen der vom Staat voran getriebenen Armut wurde auf zwei Weisen begegnet:

„Umorganisation der Sozialbehörden in ein Instrument zur Überwachung und Kontrolle“ der Gruppen, die sich der neuen Ordnung nicht fügen. Es wurden Arbeitspflichtprogramme (workfare) aufgelegt. Damit sollten die Armen unsichtbar gemacht werden. Workfare diente auch als Warnung an die Lohnabhängigen. Arme wurden „kulturell wie Kriminelle“ behandelt, „die gegen das bürgerliche Gesetz der Lohnarbeit verstoßen haben“. (Waquant, S.79)

„Die zweite Komponente des straforientierten In-Schach-Haltens der Armen ist der massive und systematische Rückgriff auf den Freiheitsentzug.“ (Waquant, S.79) Loic Waquant schreibt, dass das Gefängnis zum „physikalischen Aufbewahrungsort für unerwünschte schwarze Körper“ wird. „Afroamerikaner stellten 1995 12% der Gesamtbevölkerung, aber 53% der Gefängnisinsassen“. (Waquant, S. 80) Das schwarze Ghetto wird zum stigmatisierten Ort, seine männlichen Bewohner weggesperrt. Der Gefängniskomplex in den USA nahm industrielle Außmaße an, mit ihm entstand ein kommerzieller Sektor der Gefängnisindustrie. Somit wurden Inhaftierungen profitorientiert.  

Ursache des Aufstiegs des Strafrechtsstaat sind nicht der Anstieg der Kriminalität, sondern die sozialen Verwerfungen, die durch den Rückzug des Almosenstaates und die Zunahme prekärer Arbeit verursacht sind.

Interessant ist dabei die soziale Struktur der Gefängnisinsassen:

Sie kommen insbesondere aus den „farbigen Familien des Subproletariats in den segregierten, großen Städten“ (Waquant, S.88). 6 von 10 Insassen in County-Gefängnissen sind Schwarze (41%) und Latinos (19%). 49% hatten eine Vollzeitstelle vor der Verhaftung, 15% eine Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeit, der Rest suchte Arbeit (20%) oder war nicht aktiv (16%). Die Hälfte hatte keinen Highschool-Abschluss, obwohl dafür keine Prüfung notwendig ist. 2/3 lebten in einem Haushalt unter 1000 US$ monatlich (45% unter 600 US$). Das ist weniger als die Hälfte der offiziellen Armutsgrenze für eine dreiköpfige Familie, obwohl 2/3 Lohn bezogen;. Sie schaffen es trotz Arbeit nicht, der Armut zu entkommen. Kaum 14% erhielten vor der Inhaftierung staatliche Unterstützung (Beihilfe für Alleinerziehende, Lebensmittelmarken, Ernährungsbeihilfen für Kinder). 7% bekamen Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente, 3% Arbeitslosengeld. Damit erhielten weniger als ¼ der Gefängnisinsassen staatliche Unterstützung. Damit sind sie doppelt ausgegrenzt: aus fester Lohnarbeit und staatlicher Unterstützung. Die illegale Wirtschaft („kriminelle Ökonomie“) wird zur festen Einrichtung, die Karrieren werden immer länger. Die Häftlingspopulation altert (1996 war jeder 3. über 35). Es besteht ein Mangel an sozialen Bindungen, nur 40% wuchsen mit beiden Eltern auf, 14% verbrachten ihre Kindheit im Heim oder Waisenhaus. Fast die Hälfte wuchs in Haushalten auf, die staatliche Unterstützung erhielten; ¼ in Sozialwohnungsvierteln. Bei 30% war ein Elternteil oder Vormund alkoholabhängig, bei 8% drogenabhängig. Nur 16% waren verheiratet (58% der gleichaltrigen Männer in der Gesamtbevölkerung sind das). Über die Hälfte hat oder hatte einen nahen Verwandten im Gefängnis (30% einen Bruder, 16% den Vater, 10% eine Schwester oder die Mutter). Jede dritte Frau und jeder neunte Mann wurden in der Kindheit körperlich oder sexuell mißbraucht, jede dritte Frau und 3% der Männer wurden vergewaltigt. Bei Männern scheint diese Zahl viel höher zu sein, da Vergewaltigungen im Gefängnis an der Tagesordnung sind. Über die Hälfte der Männer war wegen der Folgen einer Körperverletzung im Krankenhaus, 60% der Opfer von Schießverletzungen hatten in der Kindheit Schießereien erlebt. Eine andere Studie besagte, dass jeder Vierte schon einmal schwer verletzt war. Interviews ergaben, dass 83% schon einmal am Schauplatz einer Schießerei waren, bei 46% war ein Familienmitglied mit einer Schußwaffe getötet worden. 40% litten immer noch an den Folgen einer früheren Schußwunde. 37% gaben an, dass sie unter körperlichen, psychischen oder emotionalen Problemen leiden, die ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Nicht nur das sie krank sind, wenn sie ins Gefängnis kommen, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie im Gefängnis krank werden. US-Gefängnisse sind „gigantische Brutstätten für ansteckende Krankheiten...1997 waren in den USA Schätzungen zufolge 20% bis 26% aller mit HIV-AIDS infizierten Personen, 29% bis 43% aller Personen mit einem diagnostizierten Hepatitis-C-Virus und 40% aller Personen mit Tuberkulose irgendwann schon einmal im Gefängnis.“ (Waquant, S.90f.) Die US-Gefängnisse sind die größte Heimstatt für psychisch Kranke.  ¼ der Gefängnisinsassen wurden wegen psychischer Probleme behandelt, 10% waren früher einmal in der Psychiatrie. 6 bis 15% der Insassen von Stadt- und Countygefängnissen (10 bis 15% bei Staats- und Bundesgefängnissen) leiden an schweren psychischen Erkrankungen. Viele Gefängnisinsassen sind Stammgäste, 59% haben Hafterfahrung. 14% hatten einmal eine Bewährungsstrafe, nur ¼ sind Neulinge. 1989 hatten weniger als ¼ drei Gefängnisstrafen hinter sich, 1996 war es 1/3. 80% werden von Pflichtverteidigern „verteidigt“, die kaum Zeit für ihre Mandanten haben. Oftmals wird der sogenannte Pöbel nur als lästig und anstößig empfunden. „Pöbelexistenzen“ seien Prostituierte, Kleinkriminelle, Obdachlose, psychisch Kranke, Drogenabhängige, illegale Einwanderer und „corner boys“. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird auf die Straßendelinquenz gelenkt, um von der Wirtschafts- und Behördenkriminalität abzulenken 

Bei der Zusammensetzung der US-Häftlingspopulation hat man es „überwiegend mit den prekärsten und am stärksten stigmatisierten Segmenten der städtischen Arbeiterklasse zu tun..., die einen unverhältnismäßig hohen Anteil an Nicht-Weißen aufweisen und regelmäßig, wenn auch widerwillig, mit den verschiedenen Sozialhilfeprogrammen für die Armen zu tun haben...den Armen (wird) in den Städten der Teppich der Sozialleistungen unter den Füßen weggezogen und durch ein Trampolin ersetzt..., mit dem sie in Niedriglohn-Jobs und in die illegale Straßenökonomie katapultiert werden..“ (Waquant, S.93)

Den Ausbau des Gefängniskomplexes muß man in Zusammenhang mit der Wohlfahrts“reform“ sehen, die 1996 unter Clinton verabschiedet wurde. ¾ der befragten Amerikaner unterstützten die Reform, obwohl sie laut einer Untersuchung kaum etwas vom Inhalt des Gesetzes wußten. Damit wurde der Anspruch der Unterstützung der ärmsten Kinder abgeschafft und die Mütter zu unterbezahlter und unqualifizierter Lohnarbeit verpflichtet.

Die Reform betraf nur einen Teil der US-Sozialabgaben- für mittelose Familien, Behinderte und Notleidende, während die Sozialversicherung für die Mittel- und Oberschichten verschont blieb. Statt sozialpolitischer Maßnahmen gab es jetzt eine straforientierte Disziplinierung (workfare+prisonfare). Durch Verhaltenskontrollen und Sanktionen sollen die betroffenen Gruppen gefügig gemacht werden. Die Wohlfahrtsempfänger stehen unter einer „Schuldvermutung“ und werden mit Kriminellen gleichgesetzt. Gekürzt werden sollte bei den Frauen und Kindern aus dem prekären Proletariat, bei den bedürftigen Alten und den neuen Migranten. Schon vor der Sozialhilfereform bekam nur ein Teil der Bedürftigen staatliche Unterstützung. 1996 lebten 39 Millionen unter der Armutsgrenze, weniger als 13 Millionen (davon 9 Millionen Kinder) erhielten ADFC-Unterstützung. Schuld wurde der angeblichen Unmoral allein erziehender Mütter gegeben, sie wurden zur Lohnarbeit verpflichtet. Das war bei der weißen Arbeiter- und Mittelschicht populär. Je schwärzer das Bild der Armut gezeichnet wurde, desto höher schlugen die Wellen der weißen Feindseligkeit; es wurden Rassenressentiments und Klassenvorurteile mobilisiert. Es gab folgende rassistisch gezeichnete Figuren:1) „welfare queen“ die gerissene schwarze Matriarchin, die die Arbeit scheut, die Behörden betrügt und das Geld für Drogen und Schnaps ausgibt, 2) die afroamerikanische minderjährige Mutter, die moralisch verkommen und sexuell zügellos sei, 3) der Schnorrvater aus der Unterschicht, meistens schwarz und arbeitslos, 4) der ältere Immigrant, der gekommen sei, um die Sozialhilfe so zu manipulieren, das eine hohe Gratisrente herausspringt. In Wirklichkeit war die Sozialhilfe so gering, dass man andere Quellen finden mußte, um den Lebensunterhalt zu bestreiten; d.h. die meisten gingen schon einer bezahlten Arbeit nach. Auch wurden die ökonomischen Ursachen der Armut nicht beachtet, so waren ¼ der Jobs Zeit-und Leiharbeit.

Die Maßnahmen der Reform waren: Mit der Reform gab es die Auflage, innerhalb von 2 Jahren eine Arbeit aufzunehmen. Der Bezug hat eine lebenslange Obergrenze von 5 Jahren. Die Zuständigkeit wurde an die Bundesstaaten und Countys delegiert. Dabei gab es Erfahrungen mit den psychisch Kranken, als in den 70er Jahren die Zuständigkeit an die Bundesstaaten delegiert wurden und diese die psychiatrischen Kliniken schlossen. Seitdem gibt es eine Flut von psychisch-kranken Obdachlosen und Strafgefangenen (meistens wegen kleiner Ordnungswidrigkeiten).  Vielen sozialen Gruppen wurde die Anspruchsberechtigung entzogen; z.B. durch eine Neudefinition von Krankheiten. Tausende Behinderte wurden als arbeitsfähig eingestuft.

Eine Auswirkung der Reform war die Zunahme der Kinderarmut, obwohl die USA ohnehin schon die höchste Rate in der westlichen Welt aufweist. Jedes 4. Kind, jedes 2. Schwarze Kind wächst unterhalb der Armutsgrenze auf. Viele der Ausgeschlossenen fanden keine Arbeit, sie waren gezwungen in die informelle oder kriminelle Ökonomie zu gehen oder sich von der Verwandschaft Unterstützung zu holen. 30% jener, die eine Vollzeistelle hatten, konnten davon nicht einmal die Miete zahlen, 46% machten sich über das Essen sorgen, 11% hatten kein Telefon mehr. In einer Untersuchung hatten 2/3 jener, die „erfolgreich“ in den Arbeitsmarkt integriert waren, keine Krankenversicherung, 1/3 hatte eine Teilzeitstelle. Von den Abgehängten hatten 55% keinen Highschool-Abschluß und 41% litten an gravierenden psychischen und physischen Krankheiten. 1997 gab die Heilsarmee 51 Millionen kostenlose Essen aus, 2003 65 Millionen. Das prekäre Proletariat, das keine staatliche Unterstützung mehr bekommt, ist von Lohnarbeit auf Armutsniveau, der familienzentrierten Sozialökonomie und der informellen und kriminellen Ökonomie abhängig. Die Bedürftigen wurden in workfare getrieben, das hat die Marginalität in den Städten unsichtbar gemacht.

Interessant ist auch die Sozialstruktur der ADFC-Empfängerinnen:

Das soziale Profil ist deckungsgleich mit den Gefängnisinsassen, nur umgekehrt vergeschlechtlicht. Fast alle leben auf dem Niedriglohn-Arbeitsmarkt unterhalb der Hälfte der staatlichen Armutsgrenze. 37% sind schwarz, 18% hispanisch. Gut die Hälfte hat keinen Highschool-Abschluss. Sie sind selten verheiratet. Sie sind bekannt mit Gewalt (60% sind schon einmal tätlich angegriffen worden). 44% haben gravierende physische und psychische Störungen.

„Damit bestätigt sich, dass die Hauptklienten des Sozialhilfe- und des Gefängnisarms des neoliberalen Staates im Wesentlichen die beiden Gender-Seiten ein und derselben Medaille sind, nämlich eine Population aus den marginalisierten Fraktionen der postindustriellen Arbeiterklasse. Der Staat reguliert das störende Verhalten dieser Frauen (und ihrer Kinder) durch „workfare“ und das der Männer in ihrem Leben (das heißt, ihrer Partner ebenso wie ihrer Söhne, Brüder, Vettern und Väter) durch strafrechtliche Überwachung.“ (Waquant, S.117f.)

Die Zielgruppe der Wohlfahrtsreform und die Hauptklientel des Strafrechtsstaates werden öffentlich verunglimpft, moralisch individualisiert und rassenspezifisch gewichtet.

Die Wohlfahrtsämter holen ihr Handwerkszeug bei der Strafverfolgung. Es gibt ein rigides System von Sanktionen für nicht-konformes Verhalten. Die Atmosphäre in den Ämtern ist mit Mißtrauen, Verwirrung und Angst aufgeladen, also wie im Gefängnis. Zwang, Abschreckung und Verhaltenskontrolle werden zu zentralen Elementen staatlicher Unterstützung. Die Wohlfahrt wird straforientiert ausgerichtet. Wer Sozialleistungen empfängt, wird abgewertet, wer arbeitet, wird glorifiziert. Den Armen soll das Arbeitsethos eingebläut werden. Sie werden in den Niedriglohnsektor gezwungen, um das Angebot an gefügigen Arbeitskräften zu erhöhen. Wer sich nicht disziplinieren läßt, den läßt man im Gefängnis verschwinden.

Literatur:  

Wolfgang Münchau, Flächenbrand, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 2008

 Robert Castel, Klaus Dörre (Hg.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung, Campus Verlag Frankfurt/Main 2009 

Mike Davis, Planet der Slums, Assoziation A,  2007 

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Welternährung, Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 6-7/2009, Bundeszentrale für politische Bildung 

Harald Welzer, Klimakriege, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 2008 

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Loïc Wacquant, Bestrafen der Armen, UVK Konstanz

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von der Autorin.