Materialistische Kritik
an der Familienpolitik
Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft

besprochen von Peter Nowak

10/09

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onlinezeitung

Die Familienpolitik scheint im Bundestagswahlkampf keine dominierende Rolle zu spielen. Dabei steht Ursula von der Leyen in der Öffentlichkeit für eine grundlegende Modernisierung der christdemokratischen Familienpolitik ein. Der Politologe Jörg Nowak hat in einem im Westfälischen Dampfbootverlag erschienen Buch diese Politik einer grundsätzlichen Analyse und Kritik unterzogen. Dabei steht der Bruch mit dem konservativen Familienernährermodell im Zentrum seiner Untersuchung. Diese von Renate Schmidt (SPD) eingeleitete und von Ursula von der Leyen fortgeführte Politik nimmt mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf alte Forderungen der feministischen Bewegung auf. Nowak untersucht detailliert die einzelnen Bausteine der neuen Familienpolitik. Er nimmt das Tagesbetreuungsausbaugesetz genau gut so unter die Lupe, wie das Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz. Er verschweigt dabei auch nicht, wer beim Elterngeld zu den Verliererinnen gehört. „Am stärksten benachteiligt sind EmpfängerInnen von ALG II: Sie konnten bisher 24 Monate lang 300 EUR beziehen und erhalten nun höchstens 14 Monate lang denselben monatlichen Betrag. Die ersten Zahlen zum Elterngeld, die sich auf die ersten 9 Monate des Jahres 2007 beziehen, zeigen, dass ca. 60% der AntragstellerInnen weniger Leistungen erhalten als zuvor – diese befinden sich am unteren Ende der Einkommenshierarchie.“

Liberaler Feminismus und Neoliberalismus

Nowak gehört also nicht zu denen, die die neue Familienpolitik als späten Sieg des Feminismus feiern. Er zeigt vielmehr kritisch auf, wie hier Forderungen der Frauenbewegung im Neoliberalismus herrschaftsfunktional kooptiert werden. „Der liberale Feminismus hat sich den Vorgaben der neoliberalen Arbeitsmarktpolitik untergeordnet und bildet ein wichtiges Terrain für den Angriff auf den Sozialstaat“. Nowak zeigt aber in den ersten Kapiteln, in denen er sich ausführlich mit marxistischer und feministischer Staatstheorie befasst, dass es Alternativen zum liberalen Feminismus gegeben hat und weiterhin gibt. Dazu dürfe die Linke aber nicht mit der Verteidigung traditioneller Familienstrukturen a la Christa Müller den liberalen Feminismus von rechts überholen. Nowak formuliert eine andere Perspektive: „Eine linke Gegenposition in der Geschlechterpolitik muss einen Terrainwechsel vollziehen, der geschlechterpolitische Fragen mit einbezieht, aber eine Verbindung mit Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik vornimmt“.

In dem umfangreichen nicht immer einfach zu lesenden theoretischen Teil unternimmt der Autor den Versuch marxistische und feministische Staatstheorien zu analysieren. In kurzen Überblickskapiteln beschäftigt er sich mit Gramscis Hegemoniebegriff. Althussers Theorie der Staatsapparate, aber auch mit staatstheoretischen Schriften von Poulantzas und Foucault. Während Nowak bei den marxistischen Theoretikern kritisiert, dass sie in unterschiedlichen Maße die Geschlechterfrage vernachlässigen, stellt er bei vielen feministischen Theoretikerinnen wie Wendy Brown, Rosemary Pingle und Sophie Watson eine Geringschätzung der Klassenwidersprüche fest. Feministische Sozialistinnen wie Frigga Haug werden in dem Buch erwähnt, finden aber keine besondere Beachtung. Das ist bedauerlich, wo doch Nowaks für sein Ziel, einer Verbindung von marxistischen und feministischen Staatstheorien in ihren Schriften Anregungen hätte finden können. „Ausgangspunkt einer Staatstheorie, die Klassen- und Geschlechterverhältnisse in ihrer Überschneidung und Wechselwirkung betrachtet, snd die historischen spezifischen Artikulationen von Privathaushalt, kapitalistischer Ökonomie und staatlicher Intervention“, schreibt Nowak. Ähnliche Ansätze finden sich auch in den Texten von Frigga Haug und anderen Theoretikerinnen des feministischen Sozialismus.

Das Buch ist eine wichtige Diskussionsgrundlage, an der niemand vorbeikommt, der sich darüber Gedanken macht, wie eine linke Familienpolitik heute aussehen kann. Eine im theoretischen Teil geschraffte Ausgabe wäre wünschenswert. Denn die fundierte linke Kritik an der neuen Familienpolitik verdient Verbreitung auch in nichtakademischen Kreisen.

Jörg Nowak
Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft.

Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien.

Verlag Westfälisches Dampfboot
Münster 2009, 292 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-89691-767-6